Lauter schwere Sätze von einem Widerschein ins Unendliche und einer Tiefe, die wohl nicht jedermanns Gabe ist; ja vielleicht darf nur einer, der imstande ist, denselben Infinitiv, von welchem Zeitwort man will, im Genitiv mehrmals hintereinander zu schreiben, zu sich sagen: ich philosophiere.
Endlich um 6 Uhr hörte Vult, der aus seiner Stube sah, den Wirt oben aus dem Dachfenster rufen: »He, Patron, scher' Er sich droben weg! – Will Er ins Kuckucks Namen wegreiten?!« – Das Wirtshaus stand auf einem Birken-Hügel. Gottwalt war seitwärts aus dem Wege an den herrnhutischen Gottesacker hinaufgeritten, aus welchem der Schimmel Schoten aus den Staketen zog, während der Herr das dichterische Auge in den zierlichen Garten voll gesäeter Gärtner irren ließ. Wiewohl er den Kalkanten der groben Pedalstimme nicht durch die Birken sehen konnte: so zog er doch – da den Menschen überhaupt nach einer Grobheit feinstes Empfinden schwer verfolgt – sogleich den rupfenden Rüssel aus dem Spaliere auf und gelangte bald mit den Schoten im nassen Gebisse vor der Stalltür an.
Er tat an den sehr ernst unter seiner Türe stehenden Wirt von fernen – umsonst wollt' er gar vor ihn hinreiten – barhaupt am Stalle die Frage, ob er hier mit seinem Gaul logieren könne.
Ein ganzer heller Sternenhimmel fuhr Vulten durch die Brust und brannte nach.
Auch der Wirt wurde sternig und sonnig; aber wie wär' er – sonst hätt' er höflicher aus dem Dache gesprochen – darauf gekommen, daß ein Passagier zu Pferde in dieser Nähe der Stadt und Ferne der Nacht ihn mit einem Stillager beehren werde. Als er wahrnahm, daß der Passagier ein besonderes Vieleck oder Dreieck mit dem rechten Beine über dem Gaule absitzend beschrieb, und daß er die schweren, mit einem organisierten Sattel behangenen Schenkel ins Haus trug, ohne weiter nach dem Tiere oder Stalle zu sehen: so wußte der Schelm sehr gut, wen er vor sich habe; und lachte zwar nicht mit den Lippen, aber mit den Augen den Gast aus, ganz verwundert, daß dieser ihn für ehrlich und es für möglich hielt, er werde den Hafer, den er morgen in die Rechnung eintragen konnte, schon heute dem Schimmel vorsetzen.
»Nun geht«, sagte Vult bildlich, der mit Herzklopfen die Treppe hinab dem Bruder entgegenging, »ein ganz neues Kapitel an.« Unbildlich geschiehts ohnehin.
Nr. 13. Berliner Marmor mit glänzenden Flecken
Ver- und Erkennung
Unten im Korrelationssaal und Simultanzimmer der Gäste forderte der Notar nach Art der Reise-Neulinge schnell einen Trunk, eine einmännige Stube und dergleichen Abendmahlzeit, damit der Wirt nicht denken sollte, er verzehre wenig. Der lustige Vult trat ein, tat mit Welt-Manier ganz vertraulich und freute sich sehr des gemeinschaftlichen Übernachtens: »Wenn – Ihr Schimmel zu haben ist«, sagt' er, »so hab' ich Auftrag, ihn für jemand zu einem Schießpferd zu kaufen, denn ich glaube, daß er steht.« – »Es ist nicht der meinige«, sagte Walt. »Er frisset aber brav«, sagte der Wirt, der ihn bat, nachzufolgen in sein Zimmer. Als ers aufschloß, war die Abendwand nicht sowohl ganz zerstört – denn sie lag ein Stockwerk tiefer unten in ziemlichen Stücken – als wahrhaft verdoppelt – denn die neue lag als Stein und Kalk unten darneben-. »Weiter«, fügte der Herrnhuter seelenruhig bei, als der Gast ein wenig erstaunt mit dem großen Auge durch das sieben Schritt breite Luftfenster durchfuhr, »weiter hab' ich im ganzen Hause nichts leer, und jetzt ists Sommer.« – »Gut«, sagte Walt stark und suchte zu befehlen; »aber einen Besen!« – Der Wirt lief demütig und gehorchend hinab.
»Ist unser Wirt nicht ein wahrer Filou?« sagte Vult. »Im Grunde, mein Herr«, versetzte jener freudig, »ist das für mich schöner. Welcher herrliche lange Strom von Feldern und Dörfern, der hereinglänzt und das Auge trägt und zieht; und die Abendsonne und – röte und den Mond hat man ganz vor sich, sogar im Bette die ganze Nacht!« – Diese Einstimmung ins Geschick und ins Wirtshaus kam aber nicht bloß von seiner angebornen Milde, überall nur die übermalte, nicht die leere Seite der Menschen und des Lebens vorzudrehen, sondern auch von jener göttlichen Entzückung und Berauschung her, womit besonders Dichter, die nie auf Reisen waren, einen von Träumen und Gegenden nachblitzenden Reisetag beschließen; die prosaischen Felder des Lebens werden ihnen, wie in Italien die wirklichen, von poetischen Myrten umkränzt und die leeren Pappeln von Trauben erstiegen.
Vult lobte ihn wegen der Gemsenartigkeit, womit er, wie er sehe, von Gipfeln zu Gipfeln setze über Abgründe. »Der Mensch soll«, versetzte Walt, »das Leben wie einen hitzigen Falken auf der Hand forttragen, ihn in den Äther auflassen und wieder herunterrufen können, wie es nötig ist, so denk' ich.« – »Der Mars, der Saturn, der Mond und die Kometen ohne Zahl stören (antwortete Vult) unsere Erde bekanntlich sehr im Laufe; – aber die Erdkugel in uns, sehr gut das Herz genannt, sollte beim Henker sich von keiner fremden laufenden Welt aus der Bahn bringen lassen, wenns nicht etwa eine solche tut wie die weise Pallas – oder die reiche Ceres – und die schöne Venus, die als Hesper und als Luzifer die Erdbewohner schön mit dem lebendigen Merkur verbindet. – Und erlauben Sie es, mein Herr, so werfen wir heute unsere Soupers zusammen, und ich speise mit hier vor der Bresche, wo das Mondsviertel in der Suppe schwimmen und die Abendröte den Braten übergolden kann.«
Walt sagte heiter ja. Auf Reisen macht man abends lieber romantische Bekanntschaften als morgens. Auch trachtete er, wie alle Jünglinge, stark, viele zu machen, besonders vornehme, unter welche er den lustigen Kauz mit seinem grünen Reisehute rechnete, diesem Gegenhut eines Bischofs, der einen nur innen grünen und außen schwarzen trägt.
Da kam der Wirt und der Besen, um den Bau-Abhub und Bodensatz über die Stube hinauszufegen; in den linken Fingern hing ihm ein breiter, in Holz eingerahmter Schiefer. Er zeigte an, sie müßten ihre Namen darauf setzen, weil es hierzulande wie im Gothaischen wäre, wo jeder Dorfwirt den Schiefer am Tage darauf mit den Namen aller derer, die nachts bei ihm logieret hätten, in die Stadt an die Behörde tragen müßte.
»O man kennt euch Wirte«, sagte Vult und faßte die ganze Tafel, »ihr seid wohl ebenso begierig darhinterher, was euer Gast für ein Vogel ist, als irgendein regierender Hof in Deutschland, der gleich abends nach dem Tor- und Nachtzettel aller Einpassanten greift, weil er keinen bessern Index Autorum kennt als diesen.«
Vult setzte mit einem angeketteten Schiefer-Stift auf den Schiefer mit Schiefer- so wie unser Fichtisches Ich zugleich Schreiber, Papier, Feder, Dinte, Buchstaben und Leser ist – seinen Namen so: »Peter Gottwalt Harnisch, K. K. offner geschworner Notarius und Tabellio, geht nach Haßlau.« Darauf nahm ihn Walt, um sich auch als Notarius selber zu verhören und seinen Namen und Charakter zu Protokoll und zu Papier zu bringen.
Erstaunt sah er sich schon darauf und schauete den Grünhut an, dann den Wirt, welcher wartete, bis Vult den Schiefer nahm und dem Wirte mit den Worten gab: »Nachher, Freund! – ce n'est qu'un petit tour que je joue à notre hôte«, sagt er mit so schneller Aussprache, daß Walt kein Wort verstand und daher erwiderte: »Oui.« Aber durch seinen verwirrten Rauch schlugen die freudigsten Funken; alles verhieß, glaubte er, eines der schönsten Abenteuer; denn er war dermaßen mit Erwartungen ganz romantischer Naturspiele des Schicksals, frappanter Meerwunder zu Lande ausgefüllet, daß er es eben nicht über sein Vermuten gefunden hätte – bei aller Achtung eines Stubengelehrten und Schulzensohns für höhere Stände –, falls ihm etwa eine Fürstentochter einmal ans Herz gefallen wäre, oder der fürstliche Hut ihres Hrn. Vaters auf den Kopf. Man weiß so wenig, wie die Menschen wachen, noch weniger, wie sie träumen, nicht ihre größte Furcht, geschweige ihre größte Hoffnung. Der Schiefer war ihm eine Kometenkarte, die ihm Gott weiß welchen neuen feurigen Bartstern ansagte, der durch seinen einförmigen Lebenshimmel fahren würde. »Hr. Wirt«, sagte Vult freudig, dem seine beherrschende Rolle so wohl tat wie sein sanfter Bruder ohne Stolz, »servier' Er hier ein reiches Souper, und trag' Er uns ein paar Flaschen vom besten aufrichtigsten Krätzer auf, den er auf dem Lager hält.«
Walten schlug er einen Spaziergang auf den benachbarten Herrnhuter Gottesacker vor, während man fege. »Ich ziehe droben«, fügt' er bei, »mein Flauto traverso heraus und blase ein wenig in die Abendsonne und über die toten Herrnhuter hinüber; – lieben Sie das Flauto?« – »O wie sehr gut sind Sie gegen einen fremden Menschen!« antwortete Walt mit Augen voll Liebe; denn das Ganze des Flötenspielers verkündigte bei allem Mutwillen des Blicks und Mundes heimliche Treue, Liebe und Rechtlichkeit. »Wohl lieb' ich«, fuhr er fort, »die Flöte, den Zauberstab, der die innere Welt verwandelt, wenn er sie berührt, eine Wünschelrute, vor der die innere Tiefe aufgeht.« – »Die wahre Mondachse des innern Monds«, sagte Vult. »Ach sie ist mir noch sonst teuer«, sagte Walt und erzählte nun, wie er durch sie oder an ihr einen geliebten Bruder verloren – und welchen Schmerz er und die Eltern bisher getragen, da es ein kleinerer sei, einen Verwandten im Grabe zu haben, als in jeder frohen Stunde sich zu fragen: mit welcher dunklen, kalten mag jetzt der Flüchtling auf seinem Brett im Weltmeer ringen? »Da aber Ihr Hr. Bruder ein Mann von musikalischem Gewicht sein soll, so kann er ja ebensogut im Überflusse schwimmen als im Weltmeer«, sagte er selber.
»Ich meine«, versetzte Walt, »sonst dachten wir so traurig, jetzt nicht mehr; und da war es kein Wunder, wenn man jede Flöte für ein Stummenglöckchen hielt, das der in Nacht hinaus verlorne Bruder hören ließ, weil er nicht zu uns reden konnte.« Unwillkürlich fuhr Vult nach dessen Hand, gab sie ebenso schnell zurück, sagte: »Genug! Mich rühren hundert Sachen zu stark – Himmel, die ganze Landschaft hängt ja voll Duft und Gold.«
Aber nun vermochte sein entbranntes Herz keine halbe Stunde länger den Kuß des brüderlichen aufzuschieben; so sehr hatte die vertrauende unbefangene Bruderseele heute und gestern in seiner Brust, aus welcher die Winde der Reisen eine Liebes-Kohle nach der andern verweht hatten, ein neues Feuer der Bruderflammen angezündet, welche frei und hoch aufschlugen ohne das kleinste Hindernis. Stiller gingen jetzt beide im schönen Abend. Als sie den Gottesacker öffneten, schwamm er flammig im Schmelz und Brand der Abendsonne.
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