– Ach nein! ich gehe nimmer zum vielgrünen Wald,

Das Lied der süßen Nachtigall schallt,

Und Tränen,

Und Sehnen

Bewegen die bange, die strebende Brust,

Im Walde, im Walde wohnt mir keine Lust,

Denn Sonnenschein,

Und hüpfende Vögelein,

Sind mir Marter und Pein!

 

Einst fand ich den Frühling im grünenden Tal,

Da blühten und dufteten Rosen zumal,

Durch Waldesgrüne

Erschiene

Im Eichenforst wild

Ein süßes Gebild:

Da blitzte Sonnenschein,

Es sangen Vögelein

Und riefen die Geliebte mein.

 

Sie ging mit Frühling Hand in Hand,

Die Weste küßten ihr Gewand,

Zu Füßen

Die süßen

Viol und Primeln hingekniet

Indem sie still vorüberzieht,

Da gingen ihr die Töne nach,

Da wurden alle Stimmen wach,

Da girrte Nachtigall noch zärtlicher ihr Ach!

 

Mich traf ihr wundersüßer Blick:

Woher? Wohin du goldnes Glück?

Die Schöne,

Die Töne,

Die rauschenden Bäume,

Wie goldene Träume!

Ist dies noch der Eichengrund?

Grüßt mich dieser rote Mund?

Bin ich tot, bin ich gesund?

 

Da schwanden mir die alten Sorgen,

Und neue kehrten bei mir ein,

Ich traf die Maid an jedem Morgen

Und schöner grünte stets der Hain:

Lieb', wie süße Deine Küsse!

Glänzend schönste Zier,

Wohne stets bei mir,

Im vielgrünen Walde hier! –

 

Ich ging hinaus im Morgenlicht,

Da kam die süße Liebe nicht;

Vom Baume hernieder

Schrie Rabe seine heisern Lieder:

Da weint und klagt ich laut,

Doch nimmer kam die Braut –

Und Morgenschein,

Und Vögelein

Nur Angst und Pein!

 

Ich suchte sie auf und ab, über Berge, tälerwärts,

Ich sah manche fremde Ströme fließen,

Aber ach! mein liebend banges Herz

Nimmer fand's die Gegenwart der Süßen:

Einsam blieb der Wald,

Da kam der Winter kalt;

Vöglein,

Sonnenschein

Flohen aus dem Walde mein. –

 

Ach! schon viele Sommer stiegen nieder,

Oftmals kam der Zug der Vögel wieder,

Oft hat sich der Wald in Grün gekleidt,

Niemals kam zurück die süße Maid.

Zeit! Zeit!

Warum trägst du so grausamen Neid?

 

Ach! sie kommt vielleicht auf fremden Wegen

Ungekannter Weis mir bald entgegen,

Aber Jugend ist von mir gewichen,

Ihre schönen Wangen sind erblichen,

Kömmt sie auch hinab zum Eichengrund

Kenn ich sie nicht mehr am roten Mund:

O Leide!

Fremd sind wir uns beide!

Keiner kennt den andern

Im Wandern!

 

Wer Jüngling ist der wandle munter

Den Wald hinunter,

Wohl mag's, daß ihm Treulieb entgegenziehet,

Dann blühet

Aus allen Knospen Frühling auf ihn ein: –

Doch niemals treff ich die verlorne Jugend mein,

Drum ist mir Sonnenschein,

Die Nachtigall im Hain

Nur Qual und Pein!

 

Ach! Vielleicht ist für mich auch einst der vielgrüne Wald so abgestorben!

Oft möcht ich alles in Gedichten niederschreiben, und ich fühle es jetzt, wie die Dichter entstanden sind. Du vermagst das Wesen, was Dein innerstes Herz bewegt nicht anders auszusprechen.

Ich habe endlich einen neuen Kupferstich von unserm Albert gesehn, den er seit meiner Abwesenheit gemacht hat. Du wirst ihn kennen, es ist der lesende Einsiedler. Wie ich da wieder unter euch war! Denn ich kannte die Stube, den Tisch und die runden Scheiben gleich wieder, die Dürer auf diesem Bilde von seiner eignen Wohnung abgeschrieben hat. Wie oft habe ich die runden Scheiben betrachtet, die der Sonnenschein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete; der teure Hieronymus sitzt an Dürers Tisch. Es ist schön, daß unser Meister in seiner frommen Vorliebe für das, was ihn so nahe umgibt, der Nachwelt ein Konterfei von seinem Zimmer gegeben hat, wo alles so bedeutend ist, und jeder Zug Andacht und Einsamkeit ausdrückt.

Ich gehe auf meinem Wege oft in die kleinen Kapellen hinein, und verweile mich dabei, die Gemälde und Zeichnungen zu betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit, oder meine Vorliebe für das Altertum macht, ich sehe selten ein ganz schlechtes Bild; ehe ich die Fehler entdecke, sehe ich immer die Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich bei jungen Künstlern die entgegengesetzte Gemütsart gefunden, und sie wissen sich immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich habe oft eine fromme Ehrfurcht vor unsern treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht schöne und erhabene Gedanken mit so wenigen Umständen ausgedrückt haben.

Ich will meinen Brief schließen. Möge der Himmel Dich und meinen teuern Albert gesund erhalten! Dieser Brief dürfte seinem ernsten Sinne schwerlich gefallen. Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören.

 

In die Ferne geht die Liebe

Ungekannt durch Nacht und Schatten;

Ach! wozu daß ich hier bliebe

Auf den vaterländschen Matten?

 

Wie mit süßen Flötenstimmen

Rufen alle goldnen Sterne:

»Weit muß manche Woge schwimmen,

Deine Lieb ist in der Ferne,

 

Jenes Bild vor dem du knietest,

Dich ihm ganz zu eigen gabst,

Ihm mit allen Sinnen glühtest,

An dem Schatten dich erlabst –

 

Was dein Geist als Zukunft dachte,

Dein Entzücken Kunst genannt,

Was als Morgenrot dir lachte,

Oft sich wieder abgewandt,

 

Sie nur ist es! Dein Verzagen

Hat sie fort von dir gescheucht,

Willst du es nur männlich wagen,

Wird das Ziel noch einst erreicht,

 

Alle Ketten sind gesprungen

Und befreit ist dann dein Geist,

Jeder Knechtschaft kühn entschwungen

Fühlst du dich nicht mehr verwaist,

 

Rückwärts flieht das zage Bangen,

Muse reicht dir dann die Hand,

Und führt sicher dein Verlangen

In der Götter Himmelsland!« – –

 

Ja, wer darf mit Kunst und Liebe

Von den Sterblichen sich messen?

In dem schönvermählten Triebe

Wird der Himmel selbst besessen!

 

Diese ungeschickten Zeilen habe ich gestern in einem angenehmen Walde gedichtet; meine ganze Seele war darauf hinge wandt, und ich bin nicht errötet, sie Dir, Sebastian, niederzuschreiben: denn warum sollte ich Dir einen Gedanken meiner Seele verheimlichen? – Lebe wohl. –

 

 

Zweites Buch

 

Erstes Kapitel

Franz Sternbald war über Aschaffenburg und dem alten Mainz den schönen Rhein hinunter nach den Niederlanden gereiset. Allenthalben hatte er die Denkmale deutscher und niederländischer Kunst aufgesucht und mit Teilnahme und Bewunderung betrachtet. Vor allen war er erstaunt über die alten Werke des Johann van Eyck, der schon vor langer Zeit die Kunst in Öl zu malen erfunden und verbreitet hatte, dann zogen ihn die gleichzeitigen Meister an, wie die Werke des Lukas von Leyden, Engelbrecht und Johann von Mabuse. Er fühlte in allen die Verwandtschaft zu Dürers Kunstweise, obgleich sich ihm viele Betrachtungen über die Art aufdrängten, wie jeder Künstler den Gegenstand, den menschlichen Körper oder die Natur betrachtete.

Es war gegen Mittag, als er auf dem freien Felde unter einem mächtigen Baume saß, und die große Stadt Leiden betrachtete die vor ihm lag. Er war an diesem Tage schon sehr früh ausgewandert, um sie noch zeitig zu erreichen; jetzt ruhte er aus, die Sonne des Spätherbstes schien warm, er betrachtete das Bild der Stadt nachsinnend, die sich mit ihren Türmen vor ihm verbreitete.

Er hielt seine Schreibtafel in der Hand, und neben ihm im Grase lag die fremde gefundene. Er hatte den Umriß eines Kopfes entworfen, den er eben wieder ausstrich, weil er keine Ähnlichkeit hervorbringen konnte; es sollte das Gesicht der Fremden vorstellen, welche wachend und träumend seine Phantasie beschäftigte. Er rief sich jeden Umstand, jedes Wort, das sie gesprochen hatte, in die Gedanken zurück, er sah alle die lieblichen Mienen, den süßlächelnden Mund, die unaussprechliche Anmut jeder Bewegung, alles zog wieder durch sein Gedächtnis, und er fühlte sich darüber so entfremdet, so entfernt von ihr, so auf ewig geschieden, daß ihm der helle Tag, das funkelnde Gras, die klaren Wasser trübselig und melancholisch wurden, ihm blühten und dufteten nur die wenigen verwelkten Blumen, die er mit süßer Zärtlichkeit betrachtete; dann lehnte er sich an den Stamm des Baums, der mit seinen Zweigen und Blättern über ihm lispelte, als wenn er ihm Trost zusprechen möchte, als wenn er ihm dunkle Prophezeiungen von der Zukunft sagen wollte. Franz hörte aufmerksam hin, als wenn er die Töne verstände; denn die Natur scheint uns mit ihren Klängen zwar in einer fremden Sprache anzureden, aber wir ahnden doch die Bedeutsamkeit ihrer Worte, und merken gern auf ihre wunderbaren Akzente.

Er hörte auf zu zeichnen, da ihm keiner seiner Striche Ausdruck und Würde genug hatte, er betrachtete wieder die Türme der Stadt, auf deren Schieferdächern die Sonne hell glänzte. »So werde ich jetzt deine Straßen betreten«, sagte er zu sich selber, »so werde ich den berühmten Lukas sehn dürfen, von dem mir Albrecht Dürer mit so vieler Liebe gesprochen hat, der schon als Kind ein Künstler war, dessen Namen man schon in seinem sechszehnten Jahre kannte. Ich werde ihn sprechen hören und von ihm lernen, ich werde seine neuesten Werke sehn, ich werde ihm sagen können, wie ich ihn bewundre!«

Bald über das Bildnis der Fremden, bald über Gemälde sinnend, indes in der feierlichen Stille des Mittags die Bäume nur zuweilen rauschten, überraschte ihn in der Ermüdung der heutigen starken Tagereise ein süßer Schlummer. Ein ferner Bach murmelte ihm mit einförmig wiederkehrendem Plätschern ein Schlaflied. Er hörte alles noch leise in seinen Schlummer hinein, und ihm dünkte, als wenn er über eine Wiese ginge, auf welcher fremde Blumen standen, die er bis dahin noch niemals gesehn hatte. Unter den Blumen waren auch die Feldblumen gewachsen, die er bei sich trug, aber sie waren nun wieder frisch geworden, und verdunkelten an Farbe und Glanz alle übrigen. Franz betrachtete sie mit Gram, so schön sie auch waren, er wollte sie wieder pflücken, als er am Ende der Wiese, in einer Laube sitzend, seinen Lehrer Albert Dürer wahrnahm, der nach ihm hinsah und ihm zu winken schien. Er ging schnell hinzu, und als er näher kam, bemerkte er deutlich, daß Albrecht emsig an einem Gemälde arbeitete: es war der Kopf der Fremden, das Gesicht war zum Sprechen ähnlich. Franz wußte nicht, was er dem Meister sagen sollte, seine Augen waren auf das Gemälde hingeheftet, und es war ihm, als wenn es über seine Verlegenheit und Aufmerksamkeit mit süßer Schalkheit zu lächeln anfinge. Indem er noch darüber sann, war er in einem dunkeln Walde und alles übrige verschwunden; liebliche Stimmen riefen seinen Namen, aber er konnte sich aus dem Gebüsche nicht herausfinden, der Wald ward immer grüner und dunkler, doch Sebastians Stimme und der Ton der Fremden wurden immer deutlicher, sie riefen ihn ängstlich, als wenn irgendeine Gefahr ihm bevorstände. Da überfiel ihn Grauen, und die dichten Bäume und Gebüsche umher erschienen ihm entsetzlich, er zagte weiterzugehn, er wünschte, das helle freie Feld wieder anzutreffen.