Lukas hieß ihn von Herzen willkommen, und beide setzten sich nun in der Werkstatt nieder, und Franz erzählte ganz kurz seine Reise, und sprach von einigen merkwürdigen Gemälden, die er unterwegs angetroffen hatte. Er beschaute während dem Sprechen aufmerksam das Bild, an welchem Lukas eben arbeitete; es war eine Heilige Familie, er traf darinnen vieles von einigen Dürerschen Arbeiten an, denselben Fleiß, dieselbe Genauigkeit im Ausmalen, nur schien ihm an Lukas' Bildern Dürers strenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünkte, als wären die Umrisse weniger dreist und sicher gezogen; dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmutiges in den Wendungen seiner Gestalten, ja auch in seiner Färbung, das dem Dürer mangelte. Dem Geiste nach, glaubte er, müßten diese beiden großen Künstler sehr nahe verwandt sein, er sah hier dieselbe Einfalt in der Zusammensetzung, dieselbe Verschmähung unnützer Nebenwerke, die rührende und echt deutsche Behandlung der Gesichter und Leidenschaften, dasselbe Streben nach Wahrheit.
Lukas war in seinem Gespräche ein muntrer, fröhlicher Mann, seine Augen waren sehr lebhaft, und seine schnell veränderlichen Mienen begleiteten und erklärten jedes seiner Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten, denn in seiner Einbildung hatte er ihn sich ganz anders gedacht, er hatte einen großen, starken, ernsthaften Mann erwartet, und nun sah er eine kleine, sehr behende, aber fast kränkliche Figur vor sich, und die Gebärden und Reden des Meisters trugen alle das Gepräge eines lustigen freien Gemütes.
»Es freut mich ungemein, Euch kennenzulernen«, rief Lukas mit seiner Lebhaftigkeit aus, »aber vor allen Dingen wünschte ich einmal Euren Meister zu sehen, ich wüßte nichts Erfreulicheres, das mir begegnen könnte, als wenn er so, wie Ihr heut tatet, in meine Werkstatt hereinträte; ich bin auf keinen andern Menschen in der Welt so neugierig, als auf ihn, denn ich halte ihn für den größten Künstler, den die Zeiten hervorgebracht haben. Er ist wohl sehr fleißig?«
»Er arbeitet fast immer«, antwortete Franz, »und er kennt auch kein größeres Vergnügen als seine Arbeit. Seine Emsigkeit geht so weit, daß er dadurch sogar manchmal seiner Gesundheit Schaden tut.«
»Ich will es gern glauben«, antwortete Lukas, »es zeugen seine Kupferstiche von einer fast unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat er deren schon so viele ausgehn lassen! Man kann nichts Sauberers sehn, als seine Arbeit, und doch leidet unter diesem Fleiße die Wahrheit und der Ausdruck seiner Darstellungen niemals, so daß seine Emsigkeit nicht bloß zufällige Zier, sondern Wesen und Sache selbst ist. Und dann begreife ich kaum die mannigfaltigen Arten seiner Arbeiten, von den kleinsten und feinsten Gemälden bis zu den lebensgroßen Bildern, dann seine Kupferarbeiten, seine saubern Figuren, die er auf Holz in erhabener Arbeit geschnitten, und die so leicht, so zierlich sind, daß man trotz ihrer Vollendung die Arbeit ganz daran vergißt, und gar nicht an die vielen mühseligen Stunden denkt, die der Künstler darüber zugebracht haben muß. Wahrlich, Albert ist ein äußerst wunderbarer Mann, und ich halte den Schüler für sehr glücklich, dem es vergönnt ist, unter seinen Augen seine erste Laufbahn zu eröffnen.«
Franz war immer gerührt, wenn von seinem Lehrer die Rede war; aber dies Lob, diese Verehrung seines Meisters aus dem Munde eines andern großen Künstlers setzte sein Herz in die gewaltsamste Bewegung. Er drückte Lukas' Hand und sagte mit Tränen: »Glaubt mir, Meister, ich habe mich vom ersten Tage glücklich geschätzt, da ich Dürers Haus betrat.«
»Es ist eine seltsame Sache mit dem Fleiße«, fuhr Lukas fort, »so treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit, so daß mich manchmal jede Stunde, ja jede Minute gereut, die ich nicht in dieser Stube zubringen darf. Von Jugend auf ist es so mit mir gewesen, und ich habe auch nie an Spielen, Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreibenden Dingen Gefallen gefunden. Ein neues Bild liegt mir manchmal so sehr im Sinne, daß ich davor nicht schlafen kann. Ich weiß mir auch keine größere Freude, als wenn ich nun endlich ein Gemälde, an dem ich lange arbeitete, zustande gebracht habe; wenn nun alles fertig ist, was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte: wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt, wie die Hand geübter und dreister wird, wie nach und nach alles das von selbst sich einstellt, was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte, seht, das ist eine Lust, die andre Menschen vielleicht nur an Kindern, die wohlgeraten, oder gar an gelungenen Eroberungen genießen können. O mein lieber Sternbald, ich könnte manchmal stundenlang davon schwatzen, wie ich nach und nach ein Maler geworden bin, und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage weiterzukommen.«
»Ihr seid ein sehr glücklicher Mann«, antwortete Franz. »Wohl dem Künstler, der sich seines Wertes bewußt ist, der mit Zuversicht an sein Werk gehn darf, und es schon gewohnt ist, daß ihm die Elemente gehorchen. Ach, mein lieber Meister, ich kann es Euch nicht sagen, Ihr könnt es vielleicht kaum fassen, welchen Drang ich zu unsrer edlen Kunst empfinde, wie es meinen Geist unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt, die seltsamsten und fremdesten Gegenstände sogar, nur von der Malerei zu mir sprechen; aber je höher meine Begeisterung steigt, je tiefer sinkt auch mein Mut, wenn ich irgendeinmal an die Ausführung gehn will. Es ist nicht, daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß scheue, daß es ein Stolz in mir wäre, gleich das Vortrefflichste hervorzubringen, das keinen Tadel mehr zulassen dürfte, sondern es ist eine Angst, eine Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbetung nennen, beides der Kunst, wie des Gegenstandes, den ich darzustellen unternehme.«
»Ihr erlaubt mir wohl«, sagte Lukas, »indem wir sprechen, an meinem Bilde weiterzumalen.« Und wirklich zog er auch die Staffelei herbei, und vermischte auf der Palette die Farben, die er auftragen wollte. – »Wenn ich Euch mit meinem Geschwätze nur nicht störe«, sagte Franz, »denn diese Arbeit da ist äußerst kunstreich.« – »Gar nicht«, sagte Lukas, »tut mir den Gefallen und fahrt fort.«
»Wenn ich mir also«, sagte Franz, »eine der Taten unsers Erlösers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke, wenn ich die Apostel. die Verehrungswürdigen, die ihn umgaben, vor mir sehe, wenn ich mir die göttliche Milde vorstelle, mit der er lehrte und sprach; wenn ich mir einen der heiligen Männer aus der ersten christlichen Kirche denke, die mit so kühnem Mute das Leben und seine Freuden verachteten, und alles hingaben, was den übrigen Menschen so viele Sehnsucht, so manche Wünsche ablockt, um nur das innerste Bekenntnis ihres Herzens, das Bewußtsein der großen Wahrheit sich zu behaupten und andern mitzuteilen; – wenn ich diese erhabenen Gestalten in ihrer himmlischen Glorie vor mir sehe, und nun noch bedenke, daß es einzelnen Auserwählten gegönnt ist, daß sich ihnen das volle Gefühl, daß sich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigentümlichern Gestalten und Farben als den übrigen Menschen offenbaren, und daß sie durch das Werk ihrer Hände schwächeren Geistern diese Offenbarungen wieder mitteilen dürfen: wenn ich mich dazu meiner Entzückungen vor herrlichen Gemälden erinnere, seht, so entschwindet mir meist aller Mut, so wage ich es nicht, mich jenen auserwählten Geistern zuzurechnen, und statt zu arbeiten, statt fleißig zu sein, verliere ich mich in ein leeres untätiges Staunen.«
»Ihr seid brav«, sagte Meister Lukas, ohne von seinem Bilde aufzusehn, »aber das wird sich fügen, daß Ihr auch Mut bekommt.«
»Schon mein Lehrer«, fuhr Franz fort, »hat mich deshalb getadelt, aber ich habe mir niemals helfen können, ich bin von Kindheit auf so gewesen. Doch solange ich in Nürnberg lebte, in der Gegenwart des teuren Albrecht, bei meinem Freunde, und von alle dem bekannten Geräte umgeben, konnte ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit ein, den Pinsel zu führen, ich fühlte, wie ich nach und nach weiterkam, weil es immer derselbe Ort war, den ich wieder betrat, weil dieselben Menschen mich aufmunterten, und weil ich nun auf einer gebahnten Straße geradeaus ging, ohne mich weiter rechts oder links umzusehn. Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören, keinen neuen verständigen Mann kennenlernen, ohne etwas irre zu werden; doch fand ich mich bald wieder zurecht. Aber seit meiner Abreise aus Nürnberg hat sich alles das geändert. Meine innerlichen Bilder vermehren sich bei jedem Schritte, jeder Baum, jede Landschaft, jeder Wandersmann, Aufgang der Sonne und Untergang, die Kirchen die ich besuche, jeder Gesang den ich höre, alles wirkt mit quälender und schöner Geschäftigkeit in meinem Busen, und bald möcht ich Begebenheiten in Landschaften, bald heilige Geschichten, bald einzelne Gestalten darstellen; die Farben genügen mir nun nicht, die Abwechselung ist mir nicht mannigfaltig genug, ich fühle das Edle in den Werken anderer Meister, aber mein Gemüt ist nunmehr so verwirrt, daß ich mich durchaus nicht unterstehen darf, selber an die Arbeit zu gehn.«
Lukas hielt eine Weile mit Malen inne und betrachtete Sternbald sehr aufmerksam, der sich durch Reden erhitzt hatte, dann sagte er: »Lieber Freund, ich glaube, daß Ihr so auf einem ganz unrechten Wege seid. Ich kann mir Eure Verfassung wohl so ziemlich vorstellen, aber ich bin niemals in solcher Gemütsstimmung gewesen. Von der frühsten Jugend habe ich einen heftigen Trieb in mir empfunden, zu bilden und ein Künstler zu sein; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne, daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte, was aus einer Zeichnung werden sollte. Schon während der Arbeit kam mir dann ein andrer Entwurf ganz deutlich in die Vorstellung, den ich ebenso schnell und ebenso unverzagt als den vorigen ausführte, und so sind meine zahlreichen Werke entstanden, ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Zagen, Eure zu große Verehrung des Gegenstandes ist, will mich dünken, etwas Unkünstlerisches; denn wenn man ein Maler sein will, so muß man doch malen, man muß beginnen und endigen. Eure Entzückungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen. Nach dem, was Ihr mir gesagt habt, müßt Ihr viele Anlagen zu einem Poeten haben, nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten. Ein Reisender hat mir kürzlich etwas Ähnliches von dem großen Meister Leonard von Vinci erzählt, dieser, obgleich ihm alle die geheimsten Tiefen und Hülfsmittel der Kunst zu Gebote standen, war auch oft unentschlossen und zaghaft, grübelte, verwarf und studierte von neuem: und ist es nicht zu beklagen, daß er, ohngeachtet seiner Meisterschaft, ohngeachtet seines langen Lebens, nur so wenige Werke zustande gebracht hat? Das wenige, was ich von ihm gesehn habe, hat mir den Wunsch abgelockt, daß er doch immer möchte gemalt haben.
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