Zuerst tat sie sich eine Güte in allerhand Anspielungen. Karl verstand das nicht. Darauf versuchte sie es mit anzüglichen Bemerkungen, die er aus Angst vor einer häuslichen Szene über sich ergehen ließ. Schließlich aber ging sie im Sturm vor. Karl wußte nicht, was er sagen sollte. Weshalb renne er denn ewig nach Bertaux, wo doch der Alte längst geheilt sei, wenn die Rasselbande auch noch nicht berappt habe? Na freilich, weil es da „eine Person“ gäbe, die fein zu schwatzen verstünde, ein Weibsbild, das sticken könne und weiter nichts, ein Blaustrumpf! In die sei er verschossen! Ein Stadtdämchen, das sei ihm ein gefundenes Fressen.
„Blödsinn!“ polterte sie weiter. „Die Tochter des alten Rouault, die und eine feine Dame! O jeh! Ihr Großvater hat noch die Schafe gehütet, und ein Vetter von ihr ist beinahe vor den Staatsanwalt gekommen, weil er bei einem Streite jemanden halbtot gedroschen hat! So was hat gar keinen Anlaß, sich was Besonders einzubilden und Sonntags aufgedonnert in die Kirche zu schwänzeln, in seidnen Kleidern wie eine Prinzessin. Und der Alte, der arme Schluder! Wenn im vergangenen Jahre die Rapsernte nicht so unverschämt gut ausgefallen wäre, hätte er seinen lumpigen Pacht nicht mal blechen können!“
Die Freude war Karl verdorben. Er stellte seine Ritte nach Bertaux ein. Seine Frau hatte ihn nach einer Flut von Tränen und Küssen und unter tausend Zärtlichkeiten auf ihr Meßbuch schwören lassen, nicht mehr hinzugehen. Er gehorchte. Aber in seiner heimlichen Sehnsucht war er kühner; da war er empört über seine tatsächliche eigne Feigheit. Und in naivem Machiavellismus sagte er sich, gerade ob dieses Verbots habe er ein Recht auf seine Liebe. Was war die ehemalige Witwe auch für ein Weib: sie war spindeldürr und hatte häßliche Zähne; Sommer wie Winter trug sie denselben schwarzen Schal mit dem über den Rücken herabhängenden langen Zipfel; ihre steife Figur stak in den immer zu kurzen Kleidern wie in einem Futteral, und was für plumpe Schuhe trug sie über ihren grauen Strümpfen.
Karls Mutter kam von Zeit zu Zeit zu Besuch. Dann wurde es noch schlimmer; dann hackten sie alle beide auf ihn ein. Das viele Essen bekäme ihm schlecht. Warum er dem ersten besten immer gleich ein Glas Wein vorsetze? Und es sei bloß Dickköpfigkeit von ihm, keine Flanellwäsche zu tragen.
Zu Beginn des Frühlings begab es sich, daß der Vermögensverwalter der Frau verwitweten Dubuc, ein Notar in Ingouville, samt allen ihm anvertrauten Geldern übers Meer das Weite suchte. Nun besaß sie allerdings außerdem einen Schiffsanteil in der Höhe von sechstausend Franken und ein Haus in Dieppe. Aber von allen diesen vielgepriesenen Besitztümern hatte man nie etwas Ordentliches zu sehen bekommen. Die Witwe hatte nichts mit in die Ehe gebracht als ein paar Möbel und etliche Nippsachen. Nunmehr ging man der Sache auf den Grund, und da stellte sich denn heraus, daß besagtes Haus bis an die Feueresse mit Hypotheken belastet, daß kein Mensch wußte, wieviel Geld wirklich mit dem Notar zum Teufel gegangen, und daß die Schiffshypothek keine tausend Taler wert war. Folglich hatte die liebe Frau Heloise geflunkert. In seinem Zorn warf der alte Bovary einen Stuhl gegen die Wand, daß er in tausend Stücke ging, und machte seiner Frau den Vorwurf, sie habe den Jungen in das Unglück gestürzt und ihn mit einer alten Kracke eingespannt, die des Futters nicht einmal mehr wert sei.
Sie fuhren nach Tostes. Es kam zu einer Auseinandersetzung und zu heftigen Szenen. Heloise warf sich weinend in die Arme ihres Gatten und beschwor ihn, sie den Eltern gegenüber in Schutz zu nehmen. Karl wollte die Partei seiner Frau ergreifen. Aber das nahmen ihm die Alten übel. Sie reisten ab.
Diesen Schlag vermochte Heloise nicht zu verwinden. Acht Tage darnach, als sie dabei war, Wäsche im Hofe aufzuhängen, bekam sie einen Blutsturz, und am andern Morgen war sie tot.
Als Karl vom Friedhofe zurückkam, fand er im Erdgeschoß keinen Menschen. Er stieg die Treppe hinauf.
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