Nachmittags, wenn Frau Bovary wie gewöhnlich oben in ihrem Zimmer blieb, ging sie ein wenig in die Nachbarschaft klatschen.

Emma kaufte sich eine Schreibunterlage, Briefbogen, Umschläge und einen Federhalter, obgleich sie niemanden hatte, an den sie hätte schreiben können. Häufig besah sie sich im Spiegel. Mitunter nahm sie ein Buch zur Hand, aber beim Lesen verfiel sie in Träumereien und ließ das Buch in den Schoß sinken. Am liebsten hätte sie eine große Reise gemacht oder wäre wieder in das Kloster gegangen. Der Wunsch zu sterben und die Sehnsucht nach Paris beherrschten sie in der gleichen Minute.

Karl trabte indessen bei Wind und Wetter seine Landstraßen hin. Er frühstückte in den Gehöften, griff in feuchte Krankenbetten, ließ sich beim Aderlassen das Gesicht voll Blut spritzen, hörte dem Röcheln Sterbender zu, prüfte den Inhalt von Nachttöpfen und zog so und so oft schmutzige Hemden hoch. Abends aber fand er immer ein gemütliches Feuer im Kamin, einen nett gedeckten Tisch, den zurechtgesetzten Großvaterstuhl und eine allerliebst angezogene Frau. Ein Duft von Frische ging von ihr aus; wer weiß, was das war, ein Odeur, ihre Wäsche oder ihre Haut?

Eine Menge andrer seltsamer Kleinigkeiten war sein Entzücken. Sie erfand neue Papiermanschetten für die Leuchter, oder sie besetzte ihren Rock mit einem koketten Volant, oder sie taufte ein ganz gewöhnliches Gericht mit einem putzigen Namen, weil es ihm herrlich geschmeckt und er es bis auf den letzten Rest vertilgt hatte, obgleich es dem Mädchen greulich mißraten war. Einmal sah sie in Rouen, daß die Damen an ihren Uhrketten allerlei Anhängsel trugen; sie kaufte sich auch welche. Ein andermal war es ihr Wunsch, auf dem Kamine ihres Zimmers zwei große Vasen aus blauem Porzellan stehen zu haben, oder sie wollte ein Nähkästchen aus Elfenbein mit einem vergoldeten Fingerhut. So wenig Karl diese eleganten Neigungen begriff, so sehr übten sie doch auch auf ihn eine verführerische Wirkung aus. Sie erhöhten die Freuden seiner Sinnlichkeit und verliehen seinem Heim einen süßen Reiz mehr. Es war, als ob Goldstaub auf den Pfad seines Lebens fiel.

Er sah gesund und würdevoll aus, und sein Ansehen als Arzt stand längst fest. Die Bauern mochten ihn gern, weil er gar nicht stolz war. Er streichelte die Kinder, ging niemals in ein Wirtshaus und flößte jedermann durch seine Solidität Vertrauen ein. Er war Spezialist für Hals- und Lungenleiden. In Wirklichkeit rührten seine Erfolge daher, daß er Angst hatte, die Leute zu Tode zu kurieren, und ihnen darum mit Vorliebe nur beruhigende Arzneien verschrieb und ihnen hin und wieder ein Abführmittel, ein Fußbad oder einen Blutegel verordnete. In der Chirurgie war er allerdings ein Stümper. Er schnitt drauflos wie ein Fleischermeister, und Zähne zog er wie der Satan.

Um sich in seinem Handwerk „auf dem laufenden zu halten“, war er auf die „Medizinische Wochenschrift“ abonniert, von der ihm einmal ein Prospekt zugegangen war. Abends nach der Hauptmahlzeit nahm er sie gewöhnlich zur Hand, aber die warme Zimmerluft und die Verdauungsmüdigkeit brachten ihn regelmäßig nach fünf Minuten zum Einschlafen. Das Haupt sank ihm dann auf den Tisch, und sein Haar fiel wie eine Löwenmähne vornüber nach dem Fuße der Tischlampe zu. Emma sah sich dieses Bild verächtlich an. Wenn ihr Mann nur wenigstens eine der stillen Leuchten der Wissenschaft gewesen wäre, die nachts über ihren Büchern hocken und mit sechzig Jahren, wenn sich das Zipperlein einstellt, den Verdienstorden in das Knopfloch ihres schlecht sitzenden schwarzen Rockes gehängt bekommen! Der Name Bovary, der ja auch der ihre war, hätte Bedeutung haben müssen in der Fachliteratur, in den Zeitungen, in ganz Frankreich! Aber Karl hegte so gar keinen Ehrgeiz. Ein Arzt aus Yvetot, mit dem er unlängst gemeinsam konsultiert worden war, hatte ihn in Gegenwart des Kranken und im Beisein der Verwandten blamiert. Als Karl ihr abends die Geschichte erzählte, war Emma maßlos empört über den Kollegen. Karl küßte ihr gerührt die Stirn. Die Tränen standen ihm in den Augen. Sie war außer sich vor Scham ob der Demütigung ihres Mannes und hätte ihn am liebsten verprügelt. Um sich zu beruhigen, eilte sie auf den Gang hinaus, öffnete das Fenster und sog die kühle Nachtluft ein.

„Ach, was habe ich für einen erbärmlichen Mann!“ klagte sie leise vor sich hin und biß sich auf die Lippen.

Er wurde ihr auch sonst immer widerwärtiger.