Ich schillerte bunt und lieblich – purpurn, golden, grün und violett und zeigte ein rot Zünglein wie eine fremde Schlange in der Menagerie. Es war aber gefährlich, die Hand in den gläsernen Behälter zu senken! Das Gleichnis paßt nicht ganz. Der Mensch blieb draußen vor dem Zelt: wir waren ganz unter uns, und es waren auch recht noble Charaktere unter uns: der stolze Löwe, der brave, kluge Elefant, der biedere Bär, das würdige Kamel! Aber die Füchse, die Luchse, die Wölfe und dergleichen Nachbarschaft war schlimm, und vor allem anderen die Affen.«

»Es geht ordentlich ein Geruch von Ihrer Schilderung aus, meine Beste«, meinte der Justizrat mit innigster ungeheucheltster Teilnahme. »Na, auch ich war in Arkadien, bin sogar noch immer drin, und Sie brauchen nichts weiter zu sagen.«

»Gott sei Dank!« rief dann die Frau Salome. »Manchmal komme ich mir nicht vor wie eine gefangene Schlangenkönigin im Glaskasten, sondern wie ein arm keuchend Häslein, und dann ist es immer ein Trost, einem Kameraden zu begegnen, der gleichfalls hinkt und mit allen Hunden gehetzt wurde.«

»Nun, ich bin ein alter Rammler, und wie ich gebraten schmecken werde, weiß ich nicht. Horazische Oden wie mein Landsmann, der Professor Ramler aus dem Preußenlande, lasse ich auch nicht drucken; aber den Horaz lese ich und den François Marie Arouet dazu. Ich komme schon durch und weiß fertig zu werden mit Berlin und Hannover.«

»Und ich mit Affrontenburg!« rief die Frau Salome mit einem sozusagen glücklichen Lächeln. »Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee einschenken, Scholten?«

Die Sonne geht wohl glorreich, klar und würdevoll vernünftig auf; aber die Menschen, die auf die Berge klettern und dort in wüsten Hirtenhütten und unkomfortablen Hotels übernachten, um den Sonnenaufgang zu sehen, haben gewöhnlich ermüdete, überwachte Leiber, heiße Stirnen und fieberisch trockene Zungen und Hände und wenig Vergnügen von dem Pläsier. Der, welcher die Sonne wirklich aufgehen sieht, merkt eben nichts davon; es versteht sich ihm von selbst, daß die Sonne aufgeht und er an seine Arbeit. Diese Bemerkung geben wir zum besten, weil der zweite Sonnenaufgang nach der kühlen Mondscheinnacht, in der Eilike Querian von dem Dache ihres Vaters verschwand, einen außergewöhnlich heißen Morgen, eine seltsam schwüle Temperatur brachte. Und alles zu Berg gestiegene Touristenvolk im Harz behauptete, nie die Sonne so wundervoll und eigentümlich emporsteigen gesehen zu haben.

Es war etwas daran. Auch die Arbeiter auf dem Felde tauschten vom ersten Erscheinen der roten Kugel ihre Bemerkungen darüber aus und hielten von Zeit zu Zeit ein mit ihrer Beschäftigung, um sich um und nach oben zu schauen. Es war ein Dunst in der Luft, den der Mittag nicht zerstreute, und in der Ferne, über der Ebene im Norden, Nordwesten und Nordosten lag dieser Dunst zusammengeschichtet, doch nicht zu massigem Gewölk, sondern wie ein dunkler Schleier. Gegen elf Uhr morgens wurde die Hitze schier unerträglich; der dichteste Waldschatten gab keinen Schutz vor ihr; die Tiere in der Gefangenschaft wie in der Freiheit fingen an zu merken, daß nicht alles richtig sei in der Atmosphäre, und die Menschen fragten einander: »Nun, was soll denn das mal wieder werden?« Am verwundertsten aber sahen sich die Bergleute in der Oberwelt um, wenn sie aus ihrem unterirdischen Reich zu Tage auffuhren. Älteste, Knappen und Jungen schüttelten in gleicher Weise die Köpfe, sobald sie den Druck dieses glühenden Firmaments auf ihnen verspürten, und sie huben einer wie der andere an, von allerhand gefährlichen Vorkommnissen da unten in ihrem Reich, von den bösen Wettern und den Bergwassern, vom Einsturz und dergleichen zu sprechen, und erinnerten sich gegenseitig an einzelne Fälle, wie das damals war, als das und das geschah und die und die zugrunde gingen da unten in der Tiefe. –

Trotz geschlossener Jalousien und niedergelassener Vorhänge war die Hitze auch in der Villa Veitor arg zu spüren. Die bunten Farben auf Wänden und Decken linderten sie nicht, die bunten Glasscheiben machten sie nur noch bemerkbarer, und das Rauschen des Springbrunnens im Garten gewann in der niedergedrückten Phantasie eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Singen und Brodeln eines überkochenden Kessels auf dem Kohlenfeuer. Die Frau Salome hatte den Kampf bereits aufgegeben; sie lag hingestreckt wie die büßende Magdalena auf dem Bilde Correggios, jedoch mit keinem Totenkopfe vor sich, sondern umringt von einem Kreise zerknitterter deutscher und ausländischer Zeitungen. Gar sehr verwunderte sie sich, als sie, das Journal des Débats zu den übrigen werfend, jetzt unter ihrem Altane eine fremde Stimme im Verkehr mit ihrer Dienerschaft vernahm.

»Besuch? Mein Gott, was ist das für ein Menschenkind, das zu dieser Stunde und bei dieser Temperatur mich sprechen will? Wer es auch sei und was ihn zu mir treiben mag: wenn er nicht schwitzt und wenn er mir drei vernünftige Worte im logischen Zusammenhang mitbringt, so ist der Äquator sein Vater, die Wüste seine Mutter und der Schirokko sein rechter Bruder – o ihr Götter, es ist ja Scholten! – Scholten, sind Sie es denn wirklich? Eben habe ich da noch gelesen, daß man wieder einmal die Stadt München mitten in den sibirischen Steppen als Spiegelbild in der Luft gesehen habe: ich bitte Sie, Scholten, reden Sie auch, geben Sie mir die Gewißheit, daß Sie kein Produkt der Fata Morgana sind!«

»Jawohl – leider bin ich's, und heute mal ich zu Esel!« ächzte der Justizrat, in den nächsten Sessel fallend und die Mütze in die fernste Ecke schleudernd. Halstuchlos, mit aufgerissener Weste, stierte er um sich, und wenn's auf Schwitzen ankam, so gehörte er nicht in die Verwandtschaft, welche die Baronin ihm soeben zurechtgemacht hatte. Er schwitzte gräßlich.

»Zu Maulesel – im Galopp zu Esel bin ich da; das heißt, was noch von mir übrig ist. Warten Sie nur – es ist eine Kunst, drei verständige Worte zusammenzubringen. Ah, den ganzen Kant und Aristoteles für ein Glas Selterswasser mit einer Nuance von Kognak! O Jesus, meine Beste, und Sie haben es sogar bei dieser Witterung fertiggebracht, sich mit der Orientalischen Frage zu beschäftigen?«

Das letztere war mit einem kläglichst matten Blick auf den Zeitungshaufen gesagt. Die Baronin fand zwischen den Aufträgen, welche sie in aller Hast dem Diener betreffs der Aufrichtung und Erfrischung des lieben und liebenswürdigen Besuchers gab, die Zeit, mit fröhlicher Miene zu erwidern:

»Sie kennen doch meine Stellung zu der Lehre von der Seelenwanderung, Scholten? Vor dritthalb tausend Jahren kam ich aus Saba zum König Salomo.«

»Jetzt lassen Sie mich gütigst mit alledem in Ruhe, Frau Salome! Auf der Wanderschaft befindet sich meine Seele augenblicklich auch, und ich wollte nur, sie hätte das Eisbärenfell schon gefunden, in das sie am liebsten aus ihrem jetzigen abgeschmackt unerträglichen Futteral sich verziehen möchte. Uh – oh, am Nordpol ist es schön!«

»Aber das Dach der Witwe Bebenroth ist an einem solchen abnormen Sommermorgen wie der heutige, gegen einen Eselritt von dritthalb Stunden gehalten, auch nicht zu verachten?!«

Da sprang der Justizrat Scholten, vor Ärgernis pfeifend, in die Höhe und schrie:

»Glauben Sie etwa, meine Gute, ich sei pour vos beaux yeux jetzt hier? Da könnten Sie sich ebensogut einbilden, Frau, mein Esel habe mich gesattelt und gezäumt, um auf mir zur Visite nach der Villa Veitor zu reiten! Alle Teufel, Sie Närrchen – meine Gute, Liebe, Beste, der Teufel reitet mich freilich und nicht mich allein, sondern das Dorf, den Querian, die Eilike, kurz uns alle! Die Eilike ist seit gestern verschwunden und bis heute noch nicht wiedergefunden; Querian ist vollständig toll geworden, und ich – ich war drunten in der Stadt auf der Kreisdirektion, um als braver deutscher Staatsbürger daselbst bescheidentlich anzufragen, was unter den obwaltenden Umständen zu tun sei. Glauben Sie wirklich, ich habe ganz und gar vergeblich Jurisprudenz studiert? Glauben Sie, ich wisse ganz und gar nicht, woran der germanische Mensch in seinen Nöten sich zu halten habe- he?«

»Ich weiß nur, daß Ihr Studium und Ihr Germanentum Sie nicht hindern, einer der ausgezeichnetsten Grobsäcke zwischen der Weichsel und dem Wasgau zu sein; und ich glaube versichern zu können, daß die heutige etwas schwüle Witterung eine mildernde Wirkung auf Ihr Temperament und Ihre Ausdrucksweise nicht ausgeübt hat.«

»Und Ihr Eiskeller ist so vortrefflich, und Ihr Rheinwein dito – ah, noch ein Glas Soda! So? Ich grob, Liebste? Außer mir bin ich – weiter nichts! Verrückt bin ich – hundertmal toller als Querian, und das ist das Ganze, und dann kommen noch die Leute, die hier auf dem Diwan liegen und die kühlen Bergwasser in ihre Trägheit, um nicht zu sagen Faulheit, hineinsprudeln hören, und wollen von Grobheit reden! Verrückt, verschroben und toll bin ich: Querian und Schwanewede, aufeinander gepackt, reichen längst nicht mehr an den armen Scholten heran. Und nun falten Sie einmal Ihre glatte, kluge Stirn, Frau Salome; raten Sie, helfen Sie! Die Polizei allein tut's nicht, zumal wenn die Landreiter über Land geritten sind und heute abend erst nach Hause kommen werden.«

»Nehmen Sie noch ein wenig Eiswasser und versuchen Sie dann, mir ruhig zu erzählen, was vorgefallen ist. Vor allen Dingen aber, was ist mit dem Kinde, das ich vorgestern bei Ihnen kennenlernte?«

»Das Mädchen ist fort, und mein kuriöser Freund Querian behauptet, man habe es ihm gestohlen. Und ich soll es ihm gestohlen haben! Wutschnaubend hat er mir seine dahingehende Ansicht von der Sache in die Zähne gerückt.«

»Und dieses ist nicht der Fall? Sie haben keine Schritte getan –«

»Ich habe nichts getan. Nach Pilsum an Peter Schwanewede habe ich geschrieben um Rat; und in der Nacht, während ich schrieb und Sie nach Hause ritten, muß das Ding davongegangen sein.