Dann legte es sich wieder, und alles war ruhig wie zuvor; aber der Kutscher, seine Zügel fester in der Hand zusammennehmend, wendete sich zu den Herrschaften im Wagen und sagte, mit der Peitsche nordwärts und westwärts deutend:
»Das sieht schlimm aus; und es gibt heute sicherlich noch was.« »Sehen Sie zu, daß Sie uns wenigstens trocken in das Dorf bringen, Ludwig.«
»Das wird sich wohl noch machen lassen, Herr Justizrat. Das platte Land da geht uns überhaupt nichts an; wenn nur die Berge da vor uns standhalten. Auf dem Brocken haben sie heute eine schlechte Aussicht.«
Die Straße lief jetzt ohne weitere bedeutende Steigung weiter. Die Pferde flogen, der Wagen rollte leicht auf dem guten Wege, und Eilike Querian ließ wieder den Kopf auf die Brust sinken und schlummerte von neuem ein, betäubt durch die Hitze der Stunde und die Aufregungen der letzten Tage.
Die Baronin saß still dem Kinde gegenüber; nur einmal bemerkte sie:
»Ich habe das in Sizilien vor einigen Jahren, kurz vor Ausbruch eines sehr heftigen Orkans, so gesehen und gefühlt. Wie dunkel es über der Ebene wird und doch wie klar die Türme der Städte und Dörfer und das übrige hervortreten!«
»Und es ist möglich, daß wir hierher keinen Tropfen Regen bekommen. Daß wir von hier aus wie aus der Arche auf die Sintflut sehen. Ich habe das häufig erlebt. Den Wind aber kriegen wir dann, und zwar tüchtig. Sehen Sie, die Titanen, die den Blocksberg verschlungen haben, vermögen jenen letzten Wall nicht zu nehmen.«
Die Frau Salome schauerte zusammen:
»Wissen Sie, Freund, dieser unheimliche Sonnenschein, der uns begleitet, trotzdem daß die übrige Welt ringsum so finster wird, würde auf die Länge meinen Nerven zuviel werden. Ich traue den Göttern nicht. Sie machen uns hohnlächelnd ein Kompliment mit dieser Sonne und in ihr für einen Egoismus verantwortlich, an dem wir nicht die Schuld tragen. Was haben sie im Sinne mit uns? Sehen Sie nordwärts – da bricht es schon los! Bei meinem Wort, ich gäbe viel darum, wenn der schwarze Flügel uns wie unsere Brüder dort überschatten würde. Ich würde mit Vergnügen naß bis auf die Haut werden.«
»Damit wird es nun wohl nichts werden«, meinte Scholten.
»Hier haben wir das Dorf. Machen Sie sich übrigens nur ja keine unnötige Sorge, daß man uns in der Hinsicht Vergesse. Kriegen wir heute nicht unser Teil, so kriegen wir es morgen. Wir wollen jetzt aber die Kleine wecken; da sie den Weg so ziemlich verschlafen hat, so mag sie alles für einen Traum halten, sowohl was sie selbst ausgeführt, als was sie von anderen Leuten erfahren hat.«
Der Wagen hielt Vor dem Wirtshause, einer Schenke, die auch in einem der Bücher stehen konnte, von denen der Justizrat an Peter Schwanewede schrieb. Mit leiser, sanfter Hand strich die Frau Salome der Eilike über die Stirn, und das Kind fuhr auf und sah sich wahrlich um, als wenn es aus einem Traum erwache.
Sie stiegen aus, und in dem Augenblick, als sie den Fuß aus dem Wagen setzten, sank das schwüle Himmelsgewölbe mit verdoppeltem Gewicht auf sie.
Die Baronin sagte:
»Über das Wetter haben wir im Fahren vieles gesprochen; über uns selber auch nicht wenig. Es sind uns aber viele Leute begegnet, meistens mit schweren Lasten auf dem Rücken. Was diese Fußgänger, diese alten Mütterchen, Weiber und Kinder wohl von diesem Tage halten, haben wir nicht gefragt.«
»Es ist ein Glück, daß einem nicht alles zu gleicher Zeit in den Sinn kommt«, brummte Scholten. »Für jetzt haben wir selber genug auf dem Buckel an Querian und Querians Tochter.«
Er nahm sein Patenkind an der Hand, und nun gingen sie durch das Dorf. Die Baronin erinnerte sich der Eiskühle, von der sie vorgestern auf diesem Wege getroffen worden war. Von der Aufregung, von der ihr vorhin der alte Freund erzählt hatte, bemerkte man nichts mehr.
Im Gegenteil, die Gassen und Hütten erschienen noch ausgestorbener als damals. Die Bergarbeiter befanden sich wieder in ihren Gruben und Stollen, die Feldarbeiter mit ihren Frauen und Kindern auf den kümmerlichen Äckern, die Waldarbeiter in den großen Wäldern und so weit ab, daß der Schall ihrer Äxte nicht hierher drang.
Nur ein einziges lebendes Wesen begegnete ihnen auf dem Wege zu der Hütte Querians, eine weiße, magere Katze, die scheu vor ihnen über die Straße ging und in einer offenen Haustür verschwand.
Aus einem anderen Hause ertönte das laute Weinen eines Säuglings, der – von der hart arbeitenden Mutter notgedrungen sich selbst überlassen – zu früh aus seinem Schlafe aufgewacht war und nun seinen Jammer laut, aber vergeblich in die Welt hinausschrie. Das war der einzige Lebenslaut, den sie vernahmen.
Des Justizrats schien sich jetzt eine eigentümliche Lustigkeit bemächtigen zu wollen. Dazu sprach er zwischen den Zähnen mit sich selber. Eilike machte ihre Hand von der seinigen los und hing sich schüchtern an den Arm der schönen Jüdin.
»Ich fürchte mich so!«
»Dummes Zeug«, schnarrte der alte Scholten. »Was soll das Geschwätz, Mädchen? Wir werden schon mit dem Bruder Zauberer fertig werden. Heraus soll er jetzt! Ich versichere Sie, Frau Salome, daß ich in diesem Moment nötigenfalls ebenso toll sein kann wie er. Aber wir wollen ihn in Güte zur Räson bringen; wenn wir ihm mit Musik – Hörnern und Pauken – vor die Bude rückten, wär's wohl noch besser; aber er soll auch so die Überzeugung gewinnen, daß die Welt noch auf ihn rechnet. Peter von Pilsum? Dummes Zeug! Ich weiß wahrhaftig nicht, was mich bewogen hat, an den zu schreiben! Der Mond schien mir damals auf den Kopf; einen anderen Beweggrund find ich nicht heraus.
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