Es erbrauste der Wald um das Haus Querians, ein erstickender Staub erhob sich aus allen Gassen des Dorfes und verhüllte teilweise alles. Wie es jetzt rund um das Bergplateau aussah, konnte man aus dieser schon beschriebenen Talmulde nicht erkunden; nur griff der Gewitterdunst aus Norden bereits bis zum Zenit hinauf, und das Gewölk im Westen hatte auch seine Farbe geändert und drohte dunkel herüber. Ein dumpfes Rollen ging auch herum; aber der Wind wollte noch den Donner nicht zum Worte kommen lassen.
»Da haben wir's!« rief der Justizrat, dem die Mütze vom Kopfe gerissen und weithin entführt war, ehe er zugreifen konnte. Der Qualm vom Herde und aus dem Schornsteine Querians wurde auch über das Dach zu Boden getrieben. Staub, Rauch, welkes Laub vergangener Jahre aus den Forsten wirbelten hin – die Tür des Hauses hatte sich geöffnet, und Querian stand auf der Schwelle, mit der Rechten den Griff festhaltend gegen den Sturm, mit der Linken die Augen gegen das kreisende Gestäube schützend. Die Frau Salome hätte beinahe einen Ruf der Enttäuschung ausgestoßen – der kleine, scheue, schämige, schwächliche Mann mit dem kümmerlichen dünnen Haar, im kümmerlichen grauen Röckchen mochte Zauberer, Hexenmeister. Tausendkünstler sein, soviel er wollte; ein Riese im Sturme war er nicht, und es hätte wenig gefehlt, daß er der Mütze seines Jugendfreundes nachgeflogen wäre.
»Wir sind es, lieber Karl; siehst du, da bringen wir dir dein Töchterlein zurück. Wozu war nun gestern all die Aufregung und der Lärm notwendig?« rief der Justizrat, die Baronin und das junge Mädchen heranwinkend. »Als einzigen Lohn fordere ich, daß du dich heute einmal höflichst erzeigst, und zwar gegen eine der schönsten und wohlhabendsten Damen des Universums, die noch dazu eine ganz spezielle Freundin deines speziellen Gevatters und Freundes Scholten ist. Gestatte uns, aus dem Winde in dein Haus zu treten, und ich werde euch genauer miteinander bekannt machen.«
Das schüchterne Herrchen betrachtete sich von seiner Schwelle aus die Baronin Von Veitor; es zog einen Taschenkamm hervor und suchte ängstlich damit seinen Haarwuchs in Ordnung zu bringen – über sein Kind schien Querian ganz wegzusehen.
Es mußte in der Tat angenehm sein, eine Mauer zwischen sich und den Sturm zu bringen. Die Frau Salome war herangetreten an die Tür des geheimnisvollen Mannes und hatte auch die Eilike sich nachgezogen.
»Mein Herr, es würde mich sehr freuen, in den Kreis Ihrer Bekannten aufgenommen zu werden«, sagte sie. »Unser gemeinschaftlicher Freund Scholten hat mir soviel Gutes von Ihnen erzählt – –«
»Hm, hm. So? So? – Ei, ei!« lächelte der Kleine, sich immerfort verbeugend. »Die gnädige Frau belieben zu scherzen; noch niemand hat etwas Gutes von Dero untertänigem Knecht erzählt. Aber es ist ein häßliches Wetter; friert die gnädige Frau nicht auch?«
»Na, bei dem Samum!« ächzte Scholten. »Jetzt mach weiter keine Umstände, Querian, sondern mach Platz und uns die Honneurs deines Ateliers. Vorgestern habe ich an unsern Freund nach Pilsum geschrieben und ihn sehr herzlich von dir gegrüßt.«
»Jaja – ei freilich, freilich! Große Ehre – ich danke dir, Scholten. Es ist heute noch kälter als gestern. Treten Sie doch gefälligst ein, aber lachen Sie nicht – o bitte, lachen Sie nicht!«
Er sagte das alles ganz schlaff hin, mit der müdesten Gleichgültigkeit in Ton und Gestus.
»Er ist in der Tat unheimlich; aber auf eine ganz andere Weise, als ich mir vorstellte«, murmelte die Baronin. Sie faßte in dem Gedanken, daß das Kind mit diesem Manne hatte leben müssen, die Hand Eilikes fester; doch der Justizrat winkte, und sie traten alle in das Haus; der Wind schlug sofort die Tür hinter ihnen zu, und sie fanden sich zuerst in einer vollkommenen Finsternis.
»Ich bin dicht hinter Euch«, flüsterte der alte Scholten. »Fürchten sich Euer Gnaden nicht; Sie wissen ja, daß er seine Fensterladen wie die Klappen seines Intellekts gegen die Außenwelt hermetisch verschlossen hält.«
Die Frau Salome griff mit ihrer freien Hand nach dem Arm des Justizrats; Eilike Querian flüsterte:
»Hier und in der Stube nebenan steht alles voll Gerät. Die schöne Dame würde sich wundern, wenn es hell genug dazu wäre.«
»Das würde sie«, sagte der Justizrat; doch der Herr dieses Reiches der Finsternis hüstelte jetzt in der Tiefe des Hauses, und dazu hörte man den Sturmwind draußen immer heftiger pfeifen und zischen und einmal auch einen fernen langhinrollenden Donner sehr deutlich.
»Wollen die Herrschaften es mir fest versprechen, nicht zu lachen?« fragte es schläfrig. »Ich möchte sehr bitten, nicht zu lachen!«
Und die Frau Salome raunte dem Justizrat zu: »Bei allem, was einen an den Nerven zerren kann, ich fange auch an, es kalt zu finden! Und dabei wird man noch gefragt, ob man Lust habe zu lachen.«
»Wir versprechen dir, alle Rücksichten auf deine Gefühle zu nehmen, alter Bursch! Es wird niemand von uns die Miene verziehen, selbst wenn es dir einfallen sollte, dich einmal ganz solide vom Kopf auf die Füße zu stellen«, fügte er leise hinzu. In demselben Augenblick stieß Querian die Tür seiner Werkstatt auf, und die Baronin Veitor wie der Justizrat Scholten stießen einen Schrei aus und fuhren auf den ersten Anblick und Anhauch mehrere Schritte weit in den dunkeln Hausflur zurück.
Ein roter Schein und eine erstickende Glut schlugen ihnen entgegen. Auf einem Backsteinherde unter einem mächtigen schwarzen Schlote loderte das Feuer, das den schwarzen Dampf durch den Schornstein sandte. Die Tannenscheite prasselten, knackten und krachten, und der Wind trieb einen Teil des Qualms und der Funken zurück in das weite und doch in der verwirrendsten Weise vollgepfropfte Gemach. Steine und Erze, Holzstücke, riesige Haufen von Hobelspänen, Töpfe, Tiegel und Pfannen, Abgüsse von antiken und modernen Bildwerken, das Material und Werkzeug des Erzarbeiters, Zimmermanns, des Bildschnitzers, Bildhauers und des Chemikers durcheinander! Im Hintergrunde aber durch die wirbelnden Dämpfe und knisternden Funken sichtbar das jüngste Werk Querians, das Bildwerk, welches die Eilike mehr denn alles andere aus dem Hause ihres Vaters gescheucht hatte!
Von der dunkeln Wand hob sich die Tongruppe im roten, flackernden Schein des Herdes riesenhaft, übertrieben karikaturartig, aber doch mächtig und überwältigend ab. Der nackte Gigant mit dem toten Kinde in den Armen lebte! – Die Muskeln zuckten, er mußte den grinsenden Mund jetzt, gerade jetzt zu einem Gebrüll der Verzweiflung aufreißen!
Eilike verbarg ihr Gesicht in dem Kleide der Baronin; diese stand festgebannt mit weitgeöffneten Augen, schweratmend und wortlos.
»Alle Wetter, Querian!« rief der Justizrat Scholten. »Was sagen Sie, Frau Salome? Wenn er aus seiner Haut herauskönnte, wäre er ein großer Mann! Wenn er Rechenschaft ablegen könnte über das, was er macht, wäre er längst Professor an irgendeiner Akademie der bildenden Künste und Professor der Philosophie obendrein. Wie das Ding sich im Tageslichte ausnehmen wird, wer kann das freilich sagen?!«
Mit dem Tone eines Cicerone in einer öffentlichen Kunstsammlung sagte der Meister des Werkes:
»Das ist mein Kind, gnädigste Frau.
1 comment