Das Schicksal hat es gewollt, daß ich Sie in diesem Hause verdränge, aber schuld habe ich nicht daran. Mein Mann hat mir eine Überraschung bereiten wollen, denn der Name dieses Gutes stimmt mit meinem Vornamen überein. Meine Freude war sofort verschwunden, als ich hörte, unter welchen Verhältnissen er es erworben hatte und wie gerade Sie, liebe Frau Meyhöfer, in dieser doppelt schweren Zeit haben leiden müssen. Da zwang es mich denn, mein Herz zu erleichtern, indem ich Sie persönlich um Verzeihung bäte für den Kummer, den ich Ihnen bereitet habe und noch bereiten werde, denn Ihre Leidenszeit ist ja noch nicht vorüber.«

Frau Elsbeth hatte, als ob dies so sein müßte, den Kopf an der Fremden Schulter gelegt und weinte still vor sich hin.

»Und vielleicht kann ich Ihnen auch ein wenig nützen,« fuhr diese fort, »mindestens dadurch, daß ich einen Teil Bitterkeit von Ihrer Seele nehme. Wir Frauen pflegen uns besser zu verstehen als die harten, heftigen Männer einander. Die gemeinsamen Leiden, die auf uns lasten, führen uns näher. Und vor allen Dingen eins: Ich habe mit meinem Manne gesprochen und bitte Sie in meinem und in seinem Namen, dieses Haus so lange als Eigentum zu betrachten, als es Ihnen irgend beliebt. Wir bringen den Winter meistens in der Stadt zu und haben zudem noch ein zweites Gut, das wir durch einen Verwalter bewirtschaften lassen wollen. Sie sehen also, daß Sie uns in keiner Weise stören und höchstens einen Gefallen erweisen, wenn Sie noch ein halbes Jahr und darüber hier schalten und walten wie bisher.«

Frau Elsbeth dankte nicht, aber der tränenfeuchte Blick, den sie zu der Fremden erhob, war Dank genug.

»Jetzt seien Sie wieder heiter, liebste Frau,« fuhr diese fort, »und wenn Sie für die Zukunft Rat und Hilfe brauchen, bedenken Sie, daß hier jemand ist, der viel an Ihnen gut zu machen hat. – Und welch ein prächtiges Kind!« – sie wandte sich nach der Wiege hin – »ein Junge oder ein Mädel?«

»Ein Junge,« sagte Frau Elsbeth mit einem schwachen Lächeln.

»Findet er schon Geschwister in dieser Welt? – Aber was frag' ich! Die beiden strammen kleinen Kerle draußen, die mich am Wagen empfingen – darf ich sie näher kennen lernen? – Nein, hier nicht,« wehrte sie hastig ab – »es könnte Sie noch mehr erregen. Später! Später! – Vorerst interessiert uns dieser kleine Weltbürger.«

Sie beugte sich über die Wiege und nestelte das Wickelzeug zurecht.

»Er macht schon eine ganz altkluge Miene,« sagte sie scherzend.

»Die Sorge hat an seiner Wiege gestanden,« erwiderte Frau Elsbeth leise und schwermütig, »daher hat er das alte Gesicht.«

»Oh, nicht abergläubisch sein, meine Beste,« erwiderte die Besucherin. »Ich habe mir sagen lassen, daß Neugeborene in ihren Zügen oft etwas Greisenhaftes tragen. Das verliert sich bald.«

»Gewiß haben auch Sie Kinder?« fragte Frau Elsbeth.

»Ach, ich bin ja eine so junge Frau!« – erwiderte die Besucherin und errötete dabei, »kaum sechs Monate verheiratet. – Aber –« und sie errötete noch tiefer.

»Gott stehe Ihnen bei in Ihrer schweren Stunde,« sagte Frau Elsbeth, »ich werde für Sie beten.«

Das Auge der Fremden wurde feucht. »Dank, tausend Dank,« sagte sie. »Und lassen Sie uns Freundinnen sein! Ich bitte Sie recht herzlich! – Wissen Sie was? Nehmen Sie mich zur Patin für diesen Ihren Jüngsten und erweisen Sie mir den gleichen Liebesdienst, wenn der Himmel mich segnet. – –«

Die beiden Frauen drückten sich stumm die Hände. Ihr Freundschaftsbund war geschlossen. – – –

Als die Besucherin sie verlassen hatte, sah Frau Elsbeth mit einem scheuen, traurigen Blick in die Runde. »Es war noch eben so hell, so sonnig hier,« murmelte sie, »und ist jetzt wieder so dunkel geworden.«

Nach einer kleinen Weile kamen die beiden Ältesten trotz der Abwehr der Wärterin mit hellem Jubel in das Krankenzimmer gestürzt. Ein jeder hielt eine Zuckertüte in der Faust.

»Das hat uns die fremde Dame geschenkt,« jauchzten sie.

Frau Elsbeth lächelte. »Pst, Kinder,« sagte sie, »ein Engel ist bei uns gewesen.«

Die beiden kleinen Burschen machten ängstliche Augen und fragten: »Mama, ein Engel?«

 

2

 

So wurde Frau Douglas Pauls Taufpatin. Wohl war Meyhöfer nicht wenig ungehalten über die neue Freundschaft, denn »das Mitleid der Glücklichen brauche ich nicht« pflegte er zu sagen, aber als die milde, freundliche Frau zum zweitenmal auf dem Hofe erschien und ihm gut zuredete, wagte er nicht länger nein zu sagen.

Auch in den ferneren Verbleib auf der alten Heimstätte willigt er – freilich mit Widerstreben – ein. Die Wirtschaft Mussainen, die er in der Tat noch an demselben Tage käuflich erstanden hatte, war in so jämmerlichem Zustande, daß ein Verweilen darin während der kalten Herbsttage für Weib und Kind gefährlich schien. Vor allem mußten die notwendigsten Reparaturen besorgt und Zimmermann, Maurer und Töpfer herbeigeholt werden, ehe an einen Umzug zu denken war.

Nichtsdestoweniger sah sich Frau Elsbeth durch den Eigensinn ihres Mannes gezwungen, lange bevor die Herrichtung der neuen Wohnung vollendet war, dorthin überzusiedeln. Als nämlich eines Tages ein Inspektor des neuen Herrn mit einer Anzahl Arbeiter auf dem Hofe erschien und in seinem Auftrage bescheiden um Unterkunft bat, erklärte er dessen Handlungsweise für eine ihm geflissentlich angetane Schmach und war entschlossen, keinen Tag länger auf dem Boden zu verweilen, den er einst sein Eigentum genannt hatte. – – – –

Es war ein kalter, trüber Novembertag, als Frau Elsbeth mit ihren Kindern dem alten, lieben Hause Valet sagte. – Ein feiner Sprühregen rieselte, alles durchnässend, vom Himmel. In grauen Nebel eingehüllt, öde und trostlos lag die Heide vor ihren Blicken.

Das Jüngste an der Brust, die beiden älteren Kinder weinend um sich her, so bestieg sie den Wagen, der sie dem neuen und ach! so düsteren Schicksal entgegenführte.

Als sie zum Hoftor hinausrollten und der kalte Heidewind ihnen mit eisigen Ruten ins Gesicht peitschte, da fing auch das Kleine, das so lange still und friedlich dagelegen hatte, kläglich zu weinen an. Sie hüllte es fester in ihren Mantel und beugte sich tief auf das kleine, zitternde Körperchen nieder, um die Tränen nicht zu zeigen, die ihr unaufhaltsam über die Wangen rollten.

Nach einer halben Stunde Fahrt auf den lehmigen, regendurchweichten Wegen erreichte der Wagen sein Ziel.