Wir sind Gatten, wir sind Väter.«
Auf dem preisgegebnen Felsen kniet der Mönch in wildem Harme:
»Leihe, Gott, mir deine Hände! Gib mir deine starken Arme!
Heute komm ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts geblieben
Ist mir außer meinem Felsen. Aber etwas muß ich lieben.
Gott, du kannst mit deinen Kräften eines Menschen Kräfte steigern!
Was du tatst für deine Juden, darfst du keinem Korsen weigern!
Genuas Schiffe will ich suchen! Will sie bei den Schnäbeln fassen!
Spannen will ich weite Segel und sie nicht ermatten lassen!«
Alle seine Muskeln schwellen, alle seine Pulse beben,
Schiffe durch das Meer zu schleppen, Segel aus der Flut zu heben.
Aufgesprungen, überwindend Raum und Zeit mit seinem Gotte,
Deutet er ins Meer gewaltig: »Dort! Ich sehe dort die Flotte!«[164]
Aber keine Segel blinken aus des Meeres farb'ger Weite,
Unbevölkert flutet eine schrankenlose Wasserbreite.
Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer.
Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: »Armer Schwärmer!«
Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen... Sichtbar kaum... Der zweit und dritte
Punkt und jetzt ein viert und fünfter und ein sechster in der Mitte!
Winde blasen, Wellen stoßen. Meer und Himmel sind im Bunde.
Segel, immer neue Segel steigen aus dem blauen Grunde.
Wende deine Schiffe, König! Sonst verlierst du Ruhm und Ehre!
Woge, Fürstin Genua, woge, du Beherrscherin der Meere!
Alle Glocken Bonifazios schlagen schütternd an und stürmen,
Jubel wiegt sich in den Lüften über den zerschoßnen Türmen.
Und der Mönch, der mit der Allmacht seinen ird'schen Arm bewehrte?
An der Erde liegt er sterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte.[165]
Jung Tirel
»Jung Tirel, fuhrest über See?
Jung Tirel, mir willkommen hie!
Sahst du so dunkle Forste je?
So stolze Forste sahst du nie!
Ein englisch Wild erst umgebracht!
Dann geb ich dir ein englisch Lehn!«
Jung Tirel, dem das Herze lacht,
Läßt seine blanken Zähne sehn.
»Wer heut den besten Schuß mir tut,
Den Achtzehnender mir erlegt,
Der nehme sich als Lehensgut
Den Königsforst, der ihn gehegt![165]
Zuschwör ich dir's auf diesen Bart,
Der feuerrot die Brust mir deckt!
Zu Wald! Zu Wald! Der Rappe scharrt!
Die Bracke spürt! Der Rüde bleckt!«
Herr Wilhelm stößt ins Jägerhorn,
Ein Geier krächzt in seinem Horst,
Die Wipfel peitscht ein dunkler Zorn,
Es braust und tost. Dann schweigt der Forst.
Herr Wilhelm schlägt mit Tirel Rat:
»Ich links, du rechts! Fort! Gute Birsch!«
Es knirscht das Laub, darauf er trat.
In heller Lichtung äst ein Hirsch:
Ein Rothirsch, der vier Ellen mißt,
Daß sich ein Jägerherze freut,
Der dieses Forstes König ist,
Mit weit verästetem Gestäud.
Herraunt's aus Waldesfinsternis
Zu Tirel, der sich duckt ins Moos:
»Verdammt, daß mir die Sehne riß!
Drück du in Teufels Namen los!«
Herr Tirel lauscht. »Wer sprach das Wort?«
Ein Weilchen schweigt's im Laubesdach.
»Schieß, Tirel!« raunt's von anderm Ort.
Er schießt. Genüber stöhnt ein Ach.
Herr Tirel, das war schlimme Birsch!
Im Dickicht rinnt ein Bächlein rot.
Ihr fehltet Englands größten Hirsch
Und schosset Englands König tot.[166]
La Blanche Nef
»Herr König, ich bin Steffens Kind,
Der den Erobrer einst geführt!
Es ist ein Lehn, daß mein Gesind,
Mein Schiff allein den König führt![166]
Voraus den schnellsten Seglern fliegt
Mein Boot, La Blanche Nef genannt,
Es weiß, wo sichre Tiefe liegt,
Es furcht das Meer, es kennt den Strand!«
– »Nicht mich, doch meinen besten Hort,
Vier Königskinder, führest du –
Sie knospen, weil mein Leben dorrt –
Die junge Normandie dazu!
Gelobe mir dein himmlisch Teil,
Gelobe mir dein männlich Wort:
Du bringst an Leib und Seele heil
Die Kinder mir nach England dort!«
– »Ich schwöre dir mein himmlisch Teil,
Ich schwöre dir mein männlich Wort:
An Leib und Seele bring ich heil
Die Kinder dir nach England dort!«
Des Schiffers geller Pfiff erscholl,
In See das Boot des Königs stach –
Ein Korb von frischen Blumen voll,
Glitt Blanche Nef, la Belle, nach.
So leichtbeschwingt wie nie zuvor,
Durchfurchte Blanche Nef die See
Mit ihrem kräft'gen Knabenflor
Und Mägdlein schlank wie Hirsch und Reh.
Die Königskinder hell und zart,
Erhöht, inmitten saßen sie,
Ringsum, gepaart in Zucht und Art,
Das Edelblut der Normandie.
Vier Stimmen sangen frisch und schön
Und hundertstimmig scholl der Chor,
Es zog das junge Lustgetön
Die Nixen aus der Flut empor.[167]
– »Ich warne junge Herrlichkeit
Und dich, normännisch Edelblut,
Das Singen schafft der Nixe Leid
Dem freudelosen Kind der Flut!«
– »Und schaffen dem Gezücht wir Leid,
Und quälen wir das Halbgeschlecht,
Und reizen wir der Nixe Leid.
Das, Steffen, ist uns eben recht!«
Gemach verlosch das Abendrot,
Des Tages Gluten schliefen ein,
Ausbreitet über Meer und Boot
Der Mond den bleichen Geisterschein.
Die See ist wunderlich erregt.
Was wandert um des Kieles lauf?
Von Armen wird die Flut bewegt,
Beglänzte Nacken tauchen auf.
Der Steffen ernst am Steuer stand:
»Das Meer ist klar . . . doch droht Gefahr . . .«
Er deutet mit gestreckter Hand:
»Da naht sie schon, die Nixenschar!«
Umklammert hält den schrägen Mast
Ein blanker Leib als Schiffsfigur,
Daß Blanche Nef, von Graun erfaßt,
In wilder Flucht von dannen fuhr.
– »Ich warne junge Herrlichkeit,
Vergeßt die Nachtgebete nicht!«
– »Ei, Steffen, Kind der alten Zeit,
Süß herzt es sich im Mondenlicht . . .«
Es klimmt und überklimmt das Bord,
Es läßt sich nieder aus den Taun,
Es kichert wie ein freches Wort,
Es schaudert wie ein lüstern Graun . ..[168]
Es reizt, es quält, es schlüpft, es schmiegt
Sich zwischen Edelknecht und Maid,
Bis sich das Paar in Armen liegt
Zu früher Lust, zu Tod und Leid . . .
Dem Steffen steigt das Haar. Er starrt
Auf ein gespenstig Bacchanal:
Die Königskinder, hell und zart
Verblühen all im Mondenstrahl.
»Verloren geht mein himmlisch Teil,
Gebrochen ist mein männlich Wort:
Nicht bring an Leib und Seele heil
Die Kinder ich nach England Dort!
Stirb, Blanche Nef! Bevor es tagt!
Im Wasser weiß ich hier ein Riff . . . «
Er dreht das Steuer stracks und jagt
Der Klippe zu das Sündenschiff.
Der König lauscht zurück: »Das scholl
Wie Sterbeschrei!« Klar ist der Sund.
Ein Korb von welken Blumen voll,
Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund.[169]
Der schwarze Prinz
Schwarzer Prinz und König Hans
Maßen sich in raschem Waffentanz,
Bis der Prinz den König überwand
Mit der erzgeschienten Hand.
Ins Gezelt nahm er den Raub,
Wusch den Wunden rein von Blut und Staub,
Bog das Knie und bot den Labetrank
Ihm, der tief in Gram versank.
Frankreichs armer König träumt
Also schwer, daß er den Wein versäumt,
Ihn ermahnt der Prinz wie er's vermag:
»Herr, es ist des Schicksals Tag![169]
Manchen hattet Ihr gestreckt,
Da Ihr sanket, Herr, mich hat's erschreckt,
Doch man lebt, und blieb nur Ehre heil,
Duldet man sein menschlich Teil!
Morgen als des Friedens Pfand
Send ich Euch nach meinem Engelland.
Zeit ist mächtig! Jede Fessel fällt!
Nur die Erde schließt und hält.«
König Hans, aus seinem Traum
Blickt er auf und sieht des Zeltes Raum,
Und in geisterbleichem Angesicht
Zweier schwarzer Augen Licht.
Er beschaut das edle Haupt,
Das ein unsichtbarer Kranz umlaubt,
Ärgert sich und murmelt: »Worte sind's.
Deine Augen spotten, Prinz!
Heuchle! Streichle meinen Schmerz!
Leis im Panzer jubelt dir das Herz.
Horch! Es triumphiert!« Der Sieger spricht:
»König, nein. Es jubelt nicht.
Ich bin eine kurze Kraft,
Heut geharnischt, morgen weggerafft!
Frühe Stunde lost' ich wie Achill,
Meinem Lose halt ich still.«[170]
Der gleitende Purpur
»Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!«
Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.
Kaiser Otto lauscht der Mette,
Diener hinter sich mit Spend und Gaben.
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute da die Himmel niederschweben,
Wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röcke geben.[170]
Hundert Bettler stehn erwartend –
Einer hält des Kaisers Knie umfangen
Mit den wundgeriebnen Armen,
Dran zerrißner Fesseln Enden hangen.
– »Schalk! Was zerrst du mir den Purpur?
Harr und bete! Kennst du mich als Kargen?«
Doch der Bettler hält den Mantel
Fest und jammert: »Kennst du mich, den Argen?
Du Gesalbter und Erlauchter!
Kennst du mich?... Du hast mit mir gelegen,
Mit dem Siechen, mit dem Wunden,
Unter eines Mutterherzens Schlägen.
Aus demselben Wollentuche
Schnitt man uns die Kappen und die Kleider!
Aus demselben Psalmenbuche
Sang das frische Jugendantlitz beider!
Heinz, wo bist du? Heinz, wo bleibst du?
Hast zum Spiele du mich oft gerufen
Durch die Säle, durch die Gänge,
Auf und ab der Wendeltreppe Stufen...
Wehe mir! Da du dich kröntest,
Hat des Neides Natter mich gebissen!
Mit dem Lügengeist im Bunde
Hab ich dieses deutsche Reich zerrissen!
Als den ungetreuen Bruder
Und Verräter hast du mich erfunden!
Du ergrimmtest und du warfest
In die Kerkertiefe mich gebunden...
In der Tiefe meines Kerkers
Hab ich ohne Mantel heut gefroren...
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute wird der Welt das Heil geboren!«[171]
»Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!«
Hundert Bettler strecken jetzt die Hände:
»Gib uns Mäntel! Gib uns Röcke!
Sei barmherzig! Gib uns deine Spende!«
Ein Spange löst der Kaiser
Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet
Über seinen sünd'gen Bruder,
Und der erste Bettler steht bekleidet...
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Jubelt Erd und Himmelreich mit Schallen.
Glorie! Glorie! Friede! Freude!
Und am Menschenkind ein Wohlgefallen![172]
Das Goldtuch
»Ihr Mägde, schaut, was ihr im Schreine habt!
Nicht darfst du mir von hinnen unbegabt,
Mein blondgelockter Enkel, der mir bot
Mit priesterlichen Händen Gott im Brot!«
Mathilde sprach's, die Fürstin, sterbeschwach.
Richburg, die Schaffnerin, seufzt': »Weh und Ach!
Hingabst den Armen alles du! Allein
Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!«
– »Die goldne Decke! Gebt dem Bischof die!
Bahrtuch und Totenhemd, das mangelt nie!«
Der Bischof zaudert... »Nimm die Decke! Kränk
Mich nicht!« Der Jüngling zieht mit dem Geschenk...
Sie atmet aus. Es läutet lang und schön
Mit allen Glocken von des Münsters Höhn...
Fern in der Ebne gleißt's wie Sonnenblick:
Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück.
Abspringt ein Reiter, der den Turm ersteigt.
»Den Bischof warf das Roß.
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