So also wendeten sich unsre Sterne?

Und so hat es gewuchert, unser Pfund?

Du bist ein Spitzbub worden – ich Poet!

 

 

2

An einen Freund

Du, der so lang im Herzen mich geborgen

Mit allen meinen grämlichen Gebrechen,

Mit meinen hastig immer neuen Schwächen,

Mit allen meinen wunderlichen Sorgen;

 

Die Hand verzeihend botest jeden Morgen,

Wenn ich die Nacht vorher mit blindem Stechen,

Mit ungerechtem, vorwurfsvollem Sprechen

Dir schnitt ins Herz, so treu und unverborgen:

 

Nicht um zu spähn nach Tadel oder Lobe,

Will ich dir diese Lieder übersenden,

Die zagend unter meiner Hand verblassen!

 

Nein, nur zur letzten, schweren Freundesprobe:

Ich muß mich gegen deinen Glauben wenden –

Wirst du mich darum endlich doch verlassen?

 

 

3

An einen zweiten (Künstler)

Ich sehe dich mit lässig sichrer Hand

Den feinen Nacken einer Göttin schreiben,

Dazu den Hohn um deine Lippen treiben:

»'s ist nichts dahinter!« oder: »eitler Tand!«

 

Seh dich zuhinterst an der Schenke Wand

Bis Mitternacht bei den Gesellen bleiben;

Dein Schwarzaug sucht dem Witz die breiten Scheiben,

Jedoch dein schöner Mund des Bechers Rand.

 

Du schlenderst heim, ein leichtes Liedlein pfeifend,

Drückst in die Kissen deine dunkeln Locken,

Indes der Traum dir einen Schwank erzählt.

 

Zeigt er dir mich, in wachen Träumen schweifend,

Enthusiastisch bei den Büchern hocken? –

Hast du am End den bessern Teil erwählt?

 

 

4

Winterabend

Schneebleich lag eine Leiche, und es trank

Daneben ein Geselle unverdrossen,

Bis endlich ihm der Himmel aufgeschlossen

Und er berauscht zu ihr aufs Lager sank.

 

Von rotem Wein den Becher voll und blank

Bot er dem Toten; bald war übergossen

Das Grabgesicht und purpurn überflossen

Das Leichenhemd; so trieb er tollen Schwank.

 

Die trunkne rote Sonne übergießt

Im Sinken dieses schneeverhüllte Land,

Daß Rosenschein von allen Hügeln fließt.

 

Von Purpur trieft der Erde Grabgewand:

Doch die verblaßte Leichenlippe schließt

Sich kalt und starr des Sonnenbechers Rand.

 

 

5

Was ist es an der Zeit?

1

Im Mittagsglast, auf des Gebirges Grat,

Schlief unter alten Fichten müd ich ein;

Ich schlief und träumte bis zum Abendschein

Von leerem Hoffen und verlorner Tat.

 

Schlaftrunken und verwirrt erwacht ich spat.

Gerötet war des Urbergs hart Gebein,

Gerötet seiner Lenden Busch und Stein,

Der Himmel war wie eine blut'ge Saat!

 

Mir aber schien der Tag nun aufzugehn;

Ich hielt die Glut für lichtes Morgenrot

Und harrte auf der Sonne Auferstehn.

 

Doch Berg um Berg versank in Schlaf und Tod,

Die Nacht stieg auf mit graulich stillem Wehn,

Und mir im Herzen war es kalt und tot!

 

 

6

2

So werd ich manchmal irre an der Stunde,

An Tag und Jahr, ach, an der ganzen Zeit!

Sie gärt, sie tost, doch mitten auf dem Grunde

Ist es so still, so kalt und zugeschneit!

 

Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,

Die Zukunft preisend mit beredtem Munde?

Es rollt heran und schleudert weit, o weit!

Zurück euch, ihr versinkt im alten Schlunde!

 

O hätt den Hammer ich des starken Thor,

Auf das Jahrhundert einen Schlag zu führen,

Ich schlüg sein morsches Zeigerblatt zu Trümmern!

 

Tritt denn kein Uhrenmacher kühn hervor,

Die irre Zeit mit Macht zu regulieren?

Soll sie denn ganz in Staub und Rost verkümmern?

 

 

7

In der Stadt

1

Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,

Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen

Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,

Zu einem Knäul und lärmenden Gedränge:

 

Die Wachtparad' mit gellen Trommelschlägen,

Ein Hochzeitzug mit Geigen und Gepränge,

Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge –

Das alles stockt, kein Glied kann sich mehr regen.

 

Verstummt sind Geiger, Pfaff und Trommelschläger,

Der dicke Hauptmann flucht, daß niemand weiche,

Gelächter schallet aus dem Hochzeitzug.

 

Doch oben auf den Schultern schwarzer Träger

Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche

Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

 

 

8

2

Was ist das für ein Schrein und Peitschenknallen?

Die Fenster zittern von der Hufen Klang;

Zwölf Rosse keuchen an dem straffen Strang,

Und Fuhrmannsflüche durch die Gasse schallen.

 

Der auf den freien Bergen ist gefallen,

Dem toten Waldeskönig gilt der Drang;

Da schleppen sie, wohl dreißig Ellen lang,

Die Rieseneiche durch die dumpfen Hallen.

 

Der Zug hält unter meinem Fenster an,

Denn es gebricht zum Wenden ihm an Raum;

Verwundert drängt der Pöbel sich heran

 

Und weidet sich an der gebrochnen Kraft;

Da liegt entkrönt der stille, tote Baum,

Aus seinen Wunden fließt der frische Saft.

 

 

9

Vaterländische Sonette

1

Die schweizerische Nationalität

 

Die Sprache ist das teure Jugendland,

Darin die Völker wachsen und gedeihen,

Das Mutterhaus, wonach sie sehnend schreien,

Wenn sie verschüttet sind auf fremdem Sand!

 

Sie ist ein glänzend, stahlgeschmiedet Band,

Wovon Tyrannenheere nicht befreien,

Dem sich die tiefsten, reinsten Kräfte weihen,

Die eine Nation je in sich fand!

 

Nur eines, eines ist noch mächtiger:

Das ist die Freiheit, der polit'sche Glaube,

Hier springt zum Teil die harte Völkerkette!

 

Hier trennen sich die Ströme kreuz und quer:

Versiegend schwindet der im alten Staube,

Und jener bricht sich kühn ein neues Bette!

 

 

10

2

Wie ist denn wohl der Diamant entstanden

Zu seiner unvergänglich festgeschloßnen Einheit,

Zu seiner ungetrübten, strahlenhellen Reinheit,

Verknüpft von so viel unsichtbaren Banden?

 

Wenn aus der Völker Schwellen und Versanden

Ein Neues sich zu einem Ganzen einreiht,

Lieb und Bedürfnis es zum Volke einweiht,

Wo Gleichgesinnte eine Heimat fanden:

 

Wer will denn da noch rütteln gar und feilen?

Zu spät! zu spät! schon ist's ein Diamant,

Der nicht mehr ist zu trüben und zu teilen!

 

Und wenn, wie man im Edelstein erkannt,

Darin noch kleine, fremde Körper weilen,

So sind sie fest umgossen und gebannt.

 

 

11

3

Warnung

 

Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten

Und von des Vorrechts unerhörter Schande,

Kein Adel schmiedet dich in schnöde Bande,

Und fröhlich magst du dir im Wohlstand betten.

 

Doch dies kann nicht dich vor der Knechtschaft retten,

Der schwarzen, die im weißen Schafsgewande

An allen Türen horcht im weiten Lande,

Wie Unkraut sich an jedes Herz will kletten.

 

Wenn du nicht kühnlich magst den Geist entbinden

Von allem Wust und tötender Umhüllung,

Nicht sorglich deiner eignen Einsicht pflegen:

 

Wird stets dein Feind die Tore offen finden,

All deiner Hoffnung raubend die Erfüllung,

Dein schön begonnen Werk in Asche legen.

 

 

12

4

Den Konservativen

 

»Ist wohl ein Volk, so frei von allen Plagen

– Die andrer Nationen Erbteil sind –

Ein blühender, glückselig Heldenkind

Als unser Schweizervölklein zu erfragen?

 

Und doch so fiebrisch seine Pulse schlagen!

Für seiner Freiheit reichen Segen blind,

Hascht übermütig es nach eitlem Wind;

Wann enden seine undankbaren Klagen?«

 

So sprechen, die mit tückischem Verlangen

Im Trümmerschutt der alten Babel schleichen,

Gehüllt in der Vernichtung Leichentuch!

 

Wir aber sprechen: »Ja, ihr falschen Schlangen,

Nur euch, nur euch gilt es noch zu erreichen,

Und aufgehoben ist der letzte Fluch!«

 

 

13

5

Epilog

 

»Das ist ein Schreier und ein dummer Prahler,

Ein müder Drescher auf gedroschnen Halmen,

Ein Räuchlein mehr in der Empörung Qualmen,

Ein Vielversprecher, jedoch schlechter Zahler!«

 

Gemach, gemach, Philistertroß, du kahler!

Nicht bei dir such noch find ich meine Palmen;

Säng ich gleich David auch die hehrsten Psalmen,

Sie würden durch dein Lob um soviel schaler!

 

Ich geb es zu, ich habe arg geschrieen,

Als trübes Echo von geweihtern Tönen,

Und nur die gute Sache mag mich tragen!

 

Doch ist's mein Herzblut, das ich ausgespieen,

Der Schlachtschrei, der beim Angriff muß erdröhnen,

Und auf ihn folgt ein scharfes stilles Schlagen!

 

 

14

6

Ihr nennt uns Träumer, Schwindler, junge Toren,

Wenn ehrlich wir nach Licht und Wahrheit streben:

Ja, euren Namen habt ihr uns gegeben;

So merket auf mit hochgehobnen Ohren!

 

Wir haben uns bescheidentlich erkoren,

Dem Volk zu lichten nur dies ird'sche Leben:

Ihr laßt verhungernd es gen Himmel schweben!

Wer sind die Schwindler nun? – Ihr, alte Toren!

 

Und wenn die Sterne uns geheim erzählen

Von ew'gem Frühling, von Unsterblichkeit:

Was geht das euch denn an in unsrer Zeit?

 

Wir lassen uns das Sonnenlicht nicht stehlen

Noch unsre Lampe, die die Nacht erhellt:

Denn uns gehört die ganze, schöne Welt!

 

 

15

7

Die Tellenschüsse

 

Ob sie geschehn? das ist hier nicht zu fragen;

Die Zierde jeder Fabel ist der Sinn.

Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin,

Der reife Kern von allen Völkersagen.

 

Es war der erste Schuß ein Alleswagen,

Kind, Leib und Gut, an köstlichen Gewinn:

Blick her, Tyrann! Was ich nur hab und bin,

Will ich zum Kampf mit dir entgegentragen.

 

Und du kommst leer und heillos, wie du bist,

Und lässest fühllos dir am Herzen rütteln,

Und spiegelst höhnisch dich in meinem Blut?

 

Und immer: Nein!? – Verlaufen ist die Frist.

Verflucht sei seines Hauptes ewig Schütteln!

O zweiter, heil'ger Schuß, nun triff mir gut!

 

 

16

Goethe

»Nur Anmut! Ordnung!« tönt es immerdar!

Wer spricht von Ordnung, wo die Berge wanken?

Wer spricht von Anmut, während die Gedanken

Noch schutzlos irren mit zerrauftem Haar?

 

Noch kämpfen wir, durchringend Jahr um Jahr!

Noch tut uns not ein scharf und unschön Zanken,

Und durch des Zeitenwaldes wirre Ranken

Glänzt noch der Zukunft Au nicht gar zu klar!

 

Und Goethe ist ein Kleinod, das im Kriege

Man scheu begräbt im untersten Gewölbe,

Es bergend vor der rohen Feindeshand.

 

Doch wenn der Feind verjagt, nach heißem Siege

Holt man mit Jubelsang herauf dasselbe

Und läßt es strahlen von des Altars Rand.

 

 

17

Brentano, Kerner

»Was sind das für possierliche Gesellen

In blut'gen Laken und mit Räucherpfannen?

Ob sie nach Schätzen graben? Geister bannen?

Sie lassen sonderbare Töne gellen!

 

Und sahst du diesem rotes Blut entquellen,

Indes dem andren stille Tränen rannen?

Sie huschen leis, gespensterhaft von dannen

Auf dieser Zeiten grundempörten Wellen.

 

Auch scheinen sie ein hölzern Schwert zu tragen

Und um die Stirn ein üppiges Geflecht,

Wo zwischen Stroh die feinsten Rosen ragen?«

 

Sie ziehen gen die Sonne ins Gefecht –

's sind Dichter, Freund! So laß sie ungeschlagen,

Denn Dichter, weißt du, haben immer recht!

 

 

18

Herwegh

Schäum brausend auf! – Wir haben lang gedürstet,

Du Goldpokal, nach einem jungen Wein!

Da traf mit dir ein guter Jahrgang ein!

Wir haben baß getrunken und gebürstet!

 

Noch ist das Land vom Schergenzaun umhürstet,

Noch ist es nur ein schmucker Totenschrein,

Der schweigend harrt auf seinen Osterschein.

Zum Wecker bist vor allen du gefürstet!

 

Doch wenn nach Wettergraun die Sonne lacht

Und der Dämonen dunkle Schar bezwungen,

Zurückgescheucht in ihres Ursprungs Nacht:

 

Dann wird dein Lied, das jetzt so stark geklungen,

Erst recht erblühn in holder Frühlingspracht.

Nur durch den Winter wird der Lenz errungen!

 

 

19

Subjektives Dichten

Erst wollte ich mit vieler Mühe flechten

'ne lange Schnur von schläfrigen Terzinen,

Mit breitem Klatsch die Kläffer zu bedienen,

Die mit dem Ich in diesen Liedern rechten.

 

Der Teufel aber möge das verfechten,

Was solchen Langgeöhrten krumm erschienen!

Und feige wär's, nach jedes Narren Mienen

Zu drehen sich und gar das Lied zu knechten.

 

Ein wunderlicher Kauz ist der Poet,

Der das, was alle andern bloß empfinden,

Mit wunderlichen Worten sagen kann.

 

Wenn's unter seinem Namen besser geht,

Wie möget ihr ein Ärgernis da finden,

Ihr nüchternes Geschlecht: er, sie, es, man?

 

 

20

Der deutsche Freiheitskrieg

Das deutsche Volk mit seinem Löwenzorn,

Wie es Vernichtung schwur dem schlimmen Franken,

Hochschwanger ging mit kühnlichen Gedanken,

Begeistert aus der Freiheit Feuerborn,

 

Und wie es drauf mit scharfem Schrot und Korn

Den Feind zurückjug über seine Schranken,

In großer Heldeneintracht, ohne Wanken

Im Herzen stecken ließ den alten Dorn

 

Und dann im Jubel tät den Bund beeidigen:

Es mahnet mich an jenen närr'schen Tropf

– Das Gleichnis soll mitnichten euch beleidigen –,

 

Der, als die Laus ihn biß in seinem Schopf,

Sich gegen solche Plage zu verteidigen,

Mit Ingrimm kratzte an des Nachbars Kopf.

 

 

21

Auch an die »Ichel«

1

»Ich mach die Seelen selig, ich allein!«

Spricht Rom; lang hielt ich diesen Jammerspruch

Für das Erbärmlichste, was je ins Buch

Der Sünde schrieb das Erdenelend ein.

 

Da kommet ihr, euch würdig anzureihn,

Und sagt: »Ein Ende macht das Leichentuch!

Der Jenseitsglaube ist ein dürrer Fluch,

Hier laßt uns Hütten baun, hier ist gut sein!«

 

Auch ich glaub wandellos: Hier ist gut wohnen!

Auf! laßt uns sehn, wie wir zurecht uns finden:

Die Menschenseele ist zum Glück bestimmt!

 

Was aber ward aus all den Millionen,

Die bleich und siech von hinnen mußten schwinden? –

Wie unvernünftig euer Lichtlein glimmt!

 

 

22

2

Wer ohne Schmerz, der ist auch ohne Liebe,

Wer ohne Leid, der ist auch ohne Treu,

Und dem nur wird die Sonne wolkenfrei,

Der aus dem Dunkel ringt mit heißem Triebe.

 

Bei euch ist nichts als lärmendes Geschiebe,

In wildem Tummel trollt ihr euch herbei

Und meßt das Erdreich ohne heil'ge Scheu,

Als ob zu hoffen kein Kolumb mehr bliebe!

 

Euch ist der eigne Leichnam noch nicht klar,

Ihr kennet kaum den Wurm zu euren Füßen,

Die Blume nicht, die sproßt aus eurem Grab.

 

Doch hüpfet ihr und krönt mit Stroh das Haar,

Gedankenlos als Götter euch zu grüßen;

Der Zweifel fehlt – und das bricht euch den Stab!

 

 

23

3

Es ist nicht Selbstsucht und nicht Eitelkeit,

Was sehnend mir das Herz grabüber trägt;

Ich glaub, was mir die schöne Brücke schlägt,

Ist wohl der Stolz, der mich vom Staub befreit.

 

Sie ist so kurz, die grüne Erdenzeit,

Unendlich aber, was den Geist bewegt!

's muß wenig sein, was ihr im Busen hegt,

Da ihr hier gar so satt vergnüglich seid.

 

Und wenn auch einst die Freiheit ist errungen,

Die Menschheit hoch wie eine Rose blüht,

Auch nicht vom kleinsten Dorne mehr umschlungen:

 

So ist's ein Funke nur, der ärmlich sprüht,

Vom Feuer der Unsterblichkeit bezwungen,

Das in des Kindes kleinem Herzen glüht.

 

 

24

4

Wenn ein Poet ein Stück vom ew'gen Leben

Im Herzen trägt schon hier als Morgengabe,

Wenn in Verklärung alle Dinge schweben,

Die er berührt mit seinem Zauberstabe,

 

Und er den Blick nach dem, was überm Grabe,

Unsterblichkeitgetränkt, nicht mag erheben:

Oh, was er auch im Rausch gesungen habe –

Euch soll es drum kein gültig Zeugnis geben.

 

Wenn, sonnend sich auf seinem Maienthron,

Buntschillernd eine Schlange sich erhebt,

So ist sie mit den Blumen Poesie:

 

Jedoch der Atheist von Profession,

Der nur vom Atheismus-Knochen lebt,

Ist eine eingefleischte Blasphemie.

 

 

25

Reformation

Im Bauch der Pyramide tief begraben,

In einer Mumie schwarzer Totenhand

War's, daß man alte Weizenkörner fand,

Die dort Jahrtausende geschlummert haben.

 

Und prüfend nahm man diese seltnen Gaben

Und sät' sie in lebendig Ackerland;

Und sieh da, eine goldne Saat erstand,

An der sich Herz und Auge konnten laben!

 

So blüht die Frucht dem späten Enkelkinde,

Die mit den Ahnen schlief in Grabesschoß –

Das Sterben ist ein endlos Auferstehn!

 

Wer hindert nun, daß wieder man entwinde

Der Kirche Mumienhand, was sie verschloß:

Das Wort des Lebens! wieder es zu sän?

 

 

Siebenundzwanzig Liebeslieder

 

An meine Dame

Die in den Sternen strahlt, auf Meeren ruht,

Im Schmetterling von Blum' zu Blume schwebt

Und heiß aufatmet in des Ätna Glut!

 

Die wagend mit dem Aar zur Sonne strebt,

Die feurig in des Jünglings Adern wallt

Und sehnend in der Jungfrau Busen bebt!

 

Von meiner Heimat Bergen freudig schallt,

Wie auch im Tal der böse Feind mag toben;

In Deutschlands Eichen leise widerhallt!

 

Die unablässig alle Völker loben

Und schmählich doch verraten jeden Tag,

Jedoch von Gott getreulich aufgehoben,

 

Bis dich einst jeglich Herz erfassen mag,

O schönste Dame, die ich nicht will nennen,

Doch der da zittert meines Blutes Schlag:

 

Ich will vor dir ein Myrtenreis verbrennen,

Ein abgedorrtes aus der Jugendzeit,

Dir meinen zarten Morgentraum bekennen!

 

Wem hätt ich besser auch dies Lied geweiht

Als dir, du Gotteskind, das man mit Recht

Dem Lieblichsten, den Frauen, angereiht?

 

Nicht weiß ich wahrlich, ob der Fraun Geschlecht

Dich zieret oder du ihm Zierde bist:

Doch immer bin ich euer beider Knecht,

Und euch vereint mein Lied gesungen ist!

 

 

1

Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,

Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,

Wo die Silbersaite, angeschlagen,

Klar, doch bebend, gab den ersten Ton,

Der mein Leben lang,

Erst heut noch, widerklang,

Ob die Saite längst zerrissen schon!

 

Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde,

Blank wie Schnee, rein vor der Sonne lag;

Wo dem Kinderauge noch die Binde

Lind verbarg den blendend hellen Tag!

Du entschwundne Welt,

Klingst über Wald und Feld

Hinter mir, wie ferner Wachtelschlag!

 

Wie so fabelhaft ist hingegangen

Jene Zeit voll zarter Frühlingspracht,

Wo, von Mutterliebe noch umfangen,

Schon die Jugendliebe leis erwacht',

Wie, vom Sonnenschein

Durchspielt, ein Edelstein,

Den ein Glücklicher ans Licht gebracht.

 

Und die weiße Rose in der Mitte,

Tat sich auf der ganze Blumenflor,

Blühte und erstarkte jede Sitte,

Und die Hoffnung stand am Lebenstor.

Alles wundert' sich,

Ich aber freute mich,

Bis den Talisman ich selbst verlor!

 

Wenn ich scheidend einst muß überspringen

Jene Kluft, die keine Brücke trägt,

Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen,

Das bekannt und ahnend mich erregt?

O die Welt ist weit!

Ob nicht die Jugendzeit

Irgendwo noch an das Herz mir schlägt?

 

Träumerei! Was sollten jene hoffen,

Die nicht sahn der Jugend Herrlichkeit?

Die ein unnatürlich Los getroffen,

Frucht zu bringen ohne Blütenzeit!

Ach, was man nicht kennt,

Darnach das Herz nicht brennt

Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit!

 

In den Waldeskronen meines Lebens

Säusle fort, du kühles Morgenwehn!

Leuchte hell, o Sonne meines Strebens,

Ich will treu in deinem Scheine gehn!

Rankend Immergrün

Soll meinen Stab umblühn,

Doch noch einmal will ich rückwärts sehn!

 

 

2

Durchs Frührot zog das Wolkenschiff

vor einem hellen Frühlingstag,

Als ich, ein träumend Schülerkind,

im morgenstillen Felde lag;

Ein Falter streifte meine Stirn,

und vor mir eine Lilie stand;

Ich aber schaute drüber hin

ins tiefe blaue Morgenland.

 

Das ganze Erdreich schwoll empor

in tausendfacher Blütenlust;

Doch mächtiger schwoll Traum an Traum

und Bild an Bild aus meiner Brust:

Das war die duftige Kinderwelt,

an deren Scheide ich mich fand,

Die wie die erste Blüte sich,

am Lebensbaume, mir entwand!

 

Sie baute sich noch einmal auf,

mit letztem Glanz, im letzten Flor;

Ein lieblich wunderlicher Bau,

ein Feentempel stieg empor

Von hundert Säulchen, zart wie Glas,

Altärlein, Nischen – Bildchen drin,

Bepriestert war das Wunderhaus

nach mystisch heil'gem Kindersinn.

 

Und mitten in dem Tempel stand,

durchsichtig, ein kristallner Sarg,

Der eine rosenrote Frau,

auf Feuerlilien schlafend, barg.

Vier Riesen lagen um den Schrein

mit schlummernden Falken auf der Faust;

Sie nickten oft im Morgenwind,

der ihnen um die Schläfe braust'.

 

Da ging die Sonne flammend auf

und schmolz den Tempel auf den Grund,

Nur in der wehenden Asche noch

der Schrein mit seinen Hütern stund;

Worauf der wärmste Sonnenstrahl

den Deckel von Kristall erschloß,

So daß der rosigen Schläferin

der Tag sich in die Augen goß.

 

Und auch die Riesen wachten auf

die sandten ihre Falkenzucht

Aus in den goldenen Morgenschein

nach aller Winde fröhlicher Flucht.

Sie stiegen auf ins Ätherblau

und brachten in einem Augenblick

Der Dame im kristallnen Sarg

eine scheue weiße Taube zurück.

 

Halb Kind, halb Jüngling, träumend noch,

fand ich die Liebe im Morgentau;

Ich trug sie singend in der Brust,

heimkehrend von der funkelnden Au.

Ein neuer Mensch, trat ich ins Haus

und fand das lockige Mädchen da,

Das schüchtern mir und ungewohnt,

wegfliehend in die Augen sah.

 

O süße Stunde, die das Herz

vom Herzen voller Sehnsucht reißt!

O Trennung, die schon im Entstehn

auf schrankenlos Vereinen weist!

Zieht ein mit eurem ganzen Hof,

o Liebesweh, o Seligkeit!

Zieht klingend ein, hier ist für euch

ein offnes Feld und gute Zeit!

 

 

3

Sitzt man mit geschloßnen Augen

Einsam in dem dunklen Zimmer,

Blitzt oft durch die zarten Lider

Plötzlich roter Kerzenschimmer;

Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen

Durch die Augendeckel dringen

Und in flimmernden Gebilden

Sich um unsre Seele schlingen.

 

Also saß ich in der Dämmrung,

Müd von Erdenlärm und Staube,

Eingelullt vom Abendrote,

Schlummernd in der grünen Laube:

Da begann von Licht und Blumen

Gar ein seltsam schimmernd Weben

Und ein Ranken um die Augen

Wie von goldnen Zauberreben.

 

Rote Rosen, weiße Rosen,

Primeln, Tulpen und Narzissen,

Dahlien von hundert Farben

Sah ich durcheinander sprießen!

Purpur, Gold, Azur und Silber

Flimmerten in Wechseltönen,

Lila, Rosa, heitres Meergrün

Mußten Glanz mit Glanz versöhnen!

 

O das war ein prächt'ger Reigen,

Wie die Farben all ihn tanzten,

Wie die Btütenstern' und -glocken

Ringelnd sich in Beete pflanzten! –

Aber in den Wundergarten

Senkte eine Jakobsleiter

Von zwei Strahlen sanft sich nieder

Aus zwei Sternen, bläulich heiter!

 

Kleine blonde Liebesengel

Schwebten daran auf und nieder,

Stiegen in den Sternenhimmel,

Kehrten in mein Herze wieder;

Weckten andre hübsche Knaben,

Die darinnen träumend schliefen

Und darauf mit ihnen spielend,

Kosend durch die Blumen liefen.

 

Und die aus dem Himmel kamen,

Wollten meines Herzens Kinder

Ringend mit sich aufwärts ziehen;

Aber diese auch nicht minder

Hielten stand und kämpften wacker,

Als sie jene dicht umschlangen,

Hielten sie in meines Herzens

Tiefstem Grunde bald gefangen!

 

Oben an der Himmelsleiter

Eine klare Seele schwebte,

Die halb zornig, halb mit Lächeln

Sie zurückzulocken strebte;

Doch es schien mir im Gefängnis

Ihnen leidlich zu gefallen;

Denn ich sah, der Herrin trotzend,

Bunt sie durcheinanderwallen!

 

Und sie mußte sich bequemen,

Endlich selbst herabzusteigen,

Sah sich plötzlich dann gefangen

Mitten in dem frohen Reigen.

Doch für all den Liebesjubel

Ward mein Herz zu eng und nieder:

Klingend sprangen auf die Pforten,

Sprangen auf die Augenlider!

 

Sieh! da standest du, auf meine

Schläferaugen schweigsam schauend,

Vorgebogen, unbefangen,

Auf den festen Schlaf vertrauend;

Wurdest rot und flohst vorüber,

Ungeschickt ein Liedlein summend

Und vergeblich dein Geheimnis

In der Dämmerung vermummend!

 

Fliehe nur, verratne Seele,

Trostlos durch des Gartens Blüten!

Such dir beßre Zauberdrachen,

Deines Busens Schatz zu hüten!

Töricht Kind! nun magst du immer

Dreifach mir dein Herz verschließen:

Unerbittlich seh ich innen

Für mich rote Rosen sprießen!

 

 

4

Nun in dieser Frühlingszeit

Ist mein Herz ein klarer See,

Drin versank das schwere Leid,

Draus verdampft das leichtre Weh.

 

Spiegelnd mein Gemüte ruht,

Von der Sonne überhaucht,

Und mit Lieb umgießt die Flut,

Was sich in dieselbe taucht.

 

Aber aus dem Grunde sprüht

Überdies ein Quell hervor,

Welcher heiß lebendig glüht

Durch die stille Flut empor.

 

Und im Quelle badest du,

Eine Nix mit goldnem Haar!

Oben deckt den Zauber zu

Das Gewässer, glatt und klar.

 

 

5

Viele Wochen sind entflohn,

Seit ich dich gesehen;

Hab auch lange Tage schon

Keine Blum' gesehen!

 

Keine Blumen und kein Lieb –

Ach was soll das werden?

Was soll aus dem Frühlingstrieb

In mir innen werden?

 

Zwar noch stets der Lenz erschien,

Seiner bin ich sicher;

Wüßt ich nur, was ich dir bin,

Wär ich doppelt sicher!

 

Eine Rose und ein Blick

Deiner lieben Augen

Wäre wohl ein zartes Glück

Mir für Herz und Augen!

 

 

6

Wohl ist die Lilie wunderbar,

Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,

In ihrem Kelche sonnenklar

Langsam der Morgentau versiegt;

Doch mag ich gehn und wandern,

So weit nur Lilien stehn:

Ist keine vor der andern

Mit höherm Schmuck versehn!

 

Von Glanz und Lust und Klarheit voll

Ist alle diese reiche Welt;

Weiß nicht, wo ich mich wenden soll,

Daß Schönheit nicht sich vor mich stellt.

Nur du, nur du alleine

In all der Zier und Pracht

Gleichst noch dem Mondenscheine

In heitrer Sternennacht!

 

O lieblichste Vollkommenheit,

Die niemand, als mein Herz, erkennt!

Wer hat dies stille Licht geweiht,

Das nur für mich im Weltall brennt?

Ich fühl es stärker immer,

Daß dieser reine Strahl,

Daß dieser eigne Schimmer

Nicht ist zum zweiten Mal!

 

Das ist nicht Zufall, nicht Natur,

Was aus den blauen Augen strahlt!

Das ist der Gottheit Sonnenspur,

Die sich in dieser Seele malt!

Ich ahn es licht und lichter,

Mein Herz, nun gib es zu:

Hier ist ein andrer Dichter

Und mächtiger als du!

 

 

7

Von heißer Lebenslust entglüht,

Hab ich das Sommerland durchstreift;

Drob ist der Tag schön abgeblüht

Und zu der schönsten Nacht gereift.

Ich trete auf des Berges Rücken

Einsam ins offne Waldestor

Und beuge mich mit trunknen Blicken

Hoch in die stille Landschaft vor.

 

Am andern Hügel drüben steht

Im Sternenschein das liebe Haus;

Aus seinem offnen Fenster weht

Ein Vorhang in die Nacht hinaus.

Das ist fürwahr ein luftig Gitter,

Das mir mein Fräulein dort verschließt!

Nur schade, daß mir armem Ritter

Der Talstrom noch dazwischen fließt!

 

Zieh du für mich, mein leichter Sang,

Hinüber an der Liebsten Brust!

Vielleicht trägt ihr dein ferner Klang

Zu Herzen meine Dichterlust!

Ja, ich will ihr ein Ständchen bringen,

Das weithin durch die Lüfte schallt:

So spiele du zu meinem Singen,

O Sommernacht, auf Tal und Wald!

 

Dein Saitenspiel im Tale liegt,

Die feinen Silberbrünnlein all;

Den Tann, der auf den Höhn sich wiegt,

Laß rauschen drein, wie Orgelschall!

Das Elfensummen und das Kosen,

Das schwellend alle Kelche regt,

Vereine mit des Stromes Tosen,

Der seine Wogen talwärts trägt!

 

Im Süden zieht ein Wetter auf,

Schnell werb ich's für mein Ständchen an;

Doch nehm es fernhin seinen Lauf,

Daß ich es übertönen kann!

Die Mühlen sind die Hackbrettschläger

Zuhinterst in des Tales Grund,

Die Sterne meine Fackelträger,

Sie leuchten mir im weiten Rund!

 

Nun will ich singen überlaut

Vor allem Land, das grünt und blüht!

Es ist kein Baum so hoch gebaut,

Darüberhin mein Sang nicht zieht;

Will eine Liederbrücke schlagen

Aus meiner Brust in ihre Brust:

Herz! wandle drauf, bis es will tagen,

Und wecke sie zu gleicher Lust!

 

 

8

O Leib meiner Dame, du köstlicher Schrein,

Wo Gott seine köstlichste Perl' legt' hinein!

Nun ruhst du und schläfst du, doch in dir erstrahlt

Die träumende Perle im sonnigsten Schein!

Den zartesten Liliengeist bergender Kelch,

Des reinsten Gedankens still blühendes Sein:

O wär ich, du Kleinod, dein Schatzmeister nur,

Dürft ich mich, du Blume, zum Gärtner dir weihn!

Mit Liebe umschließen dich innig und fest,

Wie treu schützend Gold einen funkelnden Stein!

Dann trüg ich die Erde, den Himmel, die Welt

Beisammen als Herzschmuck, geläutert und rein;

Dann tränk ich die klareste Seele aus dir,

Du zierlicher Becher, wie perlenden Wein!

Schlaf sanft und schlaf selig, du köstlicher Leib,

Indessen ist träumend die Seele ja mein!

 

 

9

Es bricht aus mir ein bunter Faschingszug

Und zieht dahin mit tönendem Gepränge;

Talüber wallt im luftigen Gedränge

Ein Bilderreigen, mein Gedankenflug!

 

Wie spielend sie die Luft hinübertrug,

So ranken sich, ein üppig Laubgehänge,

Bis auf zum Giebel, meine Nachtgesänge

Rings um ihr Haus, ein zauberischer Trug!

 

Es rauscht und schwillt und bricht ins Schlafgemach

Und singt und klingt die reine Seele wach,

Betäubt tritt sie in meine Blumenschlingen!

 

Nun ist es Zeit, mein Herz! mach dich hinzu!

Nachtwandelnd weiß sie's nicht und lauscht in Ruh:

Kannst alles, alles ihr zu Ohren bringen!

 

 

10

Hör an, mein Kind, was ich dir kosend sage,

Wie mich ein Traum betrog so wunderbar:

Es war an einem stillen Feiertage,

Als ich mit dir bei Gott im Himmel war.

Er schaute eben noch vom Taubenschlage

Aus in die Sonntagswelt, so weit und klar,

Und ob dem fernen Glockenklang allmählich

Entschlief er auf ein Stündchen sanft und selig.

 

Man hörte kaum die Menschen unten singen,

Im Himmel aber war es still und leer;

Nur an der Sternenuhr das Pendelschwingen

Klang langsam und gemessen hin und her,

Und mäuschenstill, in seligem Umschlingen,

Sah ich in deines Augs urtiefes Meer;

Da hatte plötzlich ich den Mut gefunden:

Bat um den ersten Kuß dich unumwunden!

 

»Um dreie von den Sternen, die dort schweben,

Geb ich dir, Lieber, meinen ersten Kuß!«

So sagtest lächelnd du, mein süßes Leben;

Ich aber eilte, schon im Vorgenuß,

Die Goldnen aus den Angeln zu erheben,

Und brachte sechse dir zum Überfluß;

Du aber drauf: »Wie mich die Dinger laben!

Um noch zwölf andre sollst den Kuß du haben!«

 

So ging es fort; verdoppelt immer wieder

Erhöhtest du den teuren Liebespreis;

Und zwiefach dürstend holte ich hernieder

Dir Stern um Stern aus ihrer Brüder Kreis.

Du schmücktest emsig deine schönen Glieder,

Verlachend heimlich meinen heißen Fleiß;

Und zu erkaufen meine höchste Wonne,

Blieb mir am Ende nur noch Mond und Sonne!

 

Ich brachte sie; und um die Stirne hingest

Die helle Sonne du mit stolzer Lust,

Mit Sternen du den Schwanenhals umfingest,

Der Mond erstrahlte mild an deiner Brust;

Dann himmelauf und -ab du dich ergingest,

All deiner Schönheit siegreich dir bewußt!

Von dir allein nun strömte alle Helle,

Ich lag vor dir als vor des Lichtes Quelle!

 

Der Himmel ruhte noch im tiefsten Schweigen,

Wie vor dem Jüngsten Tag ein stilles Grab;

Und eben wolltest du dich selig neigen,

Gerührt, bezwungen, sanft auf mich herab,

Die süße Gunst mir endlich zu erzeigen,

Wofür ich Sterne, Sonn und Mond dir gab:

Da brach ein Angstschrei durch des Himmels Hallen,

Als wollt die Welt aus ihren Fugen fallen.

 

Indem ich dir den Sternenschmuck errungen,

Hatt ich die Welt um Licht und Zeit gebracht;

Des hatte sich die Klage aufgeschwungen,

Und schreiend lag die Erde in der Nacht.

Der erst so friedlich in den Schlaf gesungen,

Gott Vater ist da zornig aufgewacht,

Verweisend mich an meiner Schulter rüttelnd;

Du flohst davon, den Schimmer von dir schüttelnd!

 

Du flohst davon und lachtest mit Behagen,

Indessen ich mit saurem Schweiß begann,

Die Sterne wieder alle fortzutragen,

Und sie zu ordnen mühsam mich besann.

So hatte sich der Handel schon zerschlagen,

Von welchem ich so bösen Lohn gewann!

Heut ist an dir das Träumen und das Dichten:

Willst du mir nun die süße Schuld entrichten?

 

 

11

Ich ging am grünen Berge hin,

wo sich der Weih im Äther wiegt

Und reisemüd der Sonnenstrahl

ausruhend auf der Quelle liegt,

Wo wilde Rosen einsam blühn,

die Föhre hoch den Gipfel kränzt

Und drüberhin noch eine Burg

von weißen Sommerwolken glänzt.

 

Ich dacht an dich, mein süßes Kind!

an unsrer Herzen stillen Schlag,

An unser heimlich Liebesband

und was daraus noch werden mag.

Ich dachte noch gar mancherlei,

was sehnend mir die Brust bewegt

Und was auch jetzt im Traum vielleicht

dein spiegelklar Gemüt erregt!

 

Und wie in solcher Weihezeit

mein Gott schon manchmal zu mir trat,

Erschien er jetzo in des Bergs

frisch jugendgrüner Eichensaat.

Der jungen Stämme schlanke Schar

umschwankte säuselnd seine Knie:

So groß und herrlich ging er her

vor meiner regen Phantasie!

 

Sein Haupthaar war wie Morgengold

und wallte gar so reich und schwer,

Und in den klaren Augen ruht'

ein ätherblaues Liebemeer;

Ein Regenbogen zog um ihn

als Gurt die edle Farbenlust;

Er trug 'nen weißen Blütenstrauß

von jungen Linden an der Brust.

 

Es traf mich seines Auges Strahl

wie warmer Sonnenschein im Mai,

Und als er meinen Namen sprach,

erhob mein Haupt ich stolz und frei:

Ich wuchs und blühte rasch empor,

daß ich mir selbst ein Wunder schien,

Und wandelte mit leichtem Schritt

an Gottes hoher Seite hin.

 

Und plaudernd nun erzählte ich

Gott all mein irdisch Tun und Sein:

Doch alles dies besteht ja nur

aus dir, du feines Kind, allein!

Aus vollem Herzen sprach ich drum

von dir; von dir die ganze Zeit.

Er aber spiegelt' lächelnd sich

in meiner frohen Seligkeit.

 

Dann trug ich ihm auch klagend vor,

wie ich so gar ein armes Blut,

Und bat darauf um Haus und Hof,

um Bett und Schrein, um Geld und Gut,

Um Garten, Feld und Rebenland,

um eine ganze Heimat traut,

Darin ich dich empfangen könnt

als reichgeschmückte werte Braut.

 

Es mußte doch einmal geschehn,

drum schilt mich nicht und werd nicht rot!

Hör an, wie mir der Herr für dich

gar eine schöne Mitgift bot!

Er sprach: »Zuwenig und zuviel

hast du verlangt, mein lieber Sohn,

Drum tu ich dir noch viel dazu

und nehm ein wenig auch davon!

 

Ich gebe euch nicht Haus und Hof,

doch meine ganze reiche Welt,

Darinnen ihr euch lieben könnt,

wie's euren Herzen wohlgefällt!

Zwei jungen Seelen ist zu eng

das größte Haus, sei's noch so weit:

Doch finden sie noch eben Raum

in meiner Schöpfung Herrlichkeit!

 

Der ganze Lenz soll euer sein,

so weit nur eine Blume blüht,

Doch nicht das allerkleinste Beet,

um das sich eine Hecke zieht!

Ich gebe euch kein Prunkgemach,

kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,

Weil sich ob silbernem Bronnenschall

euch Stern an Stern zum Kranze flicht.

 

Und alles soll besonders blühn

und schöner für euch, wo ihr geht,

Dieweil euch in mein Paradies

ein eigen Pförtlein offensteht.

So führe deine junge Braut

getrost in deine Heimat ein;

Brautführer soll mein lieblichster

und allerschönster Frühling sein!

 

Die Armut sei die Ehrendam'

bei deines Herzens Königin,

Ihr hübscher, zarter Page sei

ein immergrüner Jugendsinn!

Zum Haushofmeister geb ich euch

ein leicht und fröhlich Gottvertraun,

Es ist ein klug erfahrner Mann,

dürft auf ihn wie auf Felsen baun!«

 

Ist unser Haus nicht gut bestellt

und auserlesen das Gesind?

So zaudre nun nicht länger mehr

und folge mir, du blödes Kind!

Ich glaub, auf deinen Wangen spielt

vom Morgenrot ein Widerschein:

Sobald die Sonn am Himmel steht,

will ich als Freier bei dir sein!

 

 

12

Die Sonne fährt durchs Morgentor

Goldfunkelnd über den Bergen,

Und, wie zwei Veilchen im frühen Mai,

Zwei blaue Augen, klar und frei,

Die lachen auf ihren Wegen

Geöffnet ihr entgegen!

 

Glück auf! mein Liebchen ist erwacht

Mit purpurroten Wangen!

Ihr Fenster glitzert im Morgenstrahl,

Und alle Blumen in Garten und Tal

Erwarten sie mit Sehnen,

Die Äuglein voller Tränen.

 

Es ist nichts Schöneres in der Welt

Als diese grüne Erde:

Wenn man darauf ein Schätzlein hat,

Das still und innig, früh und spat

Für einen lebt und blühet,

Ein heimlich Feuerlein, glühet!

 

Hallo, du schläfriger Jägersmann,

Wie reibst du deine Augen!

Ich hab die ganze Nacht durchschwärmt

Und mich am Mondenschein gewärmt

Und steige frisch und munter

Von meinem Berg herunter!

 

Mein Mädchen durch den Garten geht

Und singt halblaute Weisen;

Mich dünkt, ich kenne der Lieder Ton:

Was gilt's, ich habe sie alle schon

Heut nacht dort oben gesungen?

Sie sind herübergeklungen!

 

 

13

Du willst dich freventlich emanzipieren

Und aufstehn wider mich mit keckem Sinn,

Aufs eigne Fäustchen deine Wirtschaft führen,

Du schöne kleine Jakobinerin?

 

Zur Politik nun auch dein Wörtlein sagen,

Aus trauter Kammer in den Ratsaal fliehn?

Wohl gar mit weicher Hand die Trommel schlagen,

Wann einst wir gegen die Tyrannen ziehn?

 

Berufest dich auf meine eignen Lehren

Von Freiheit, Gleichheit und von Menschenrecht?

O laß, mein Kind, mit Küssen dich bekehren,

Dies eine Mal errietest du mich schlecht!

 

Mir, mir, mein Schatz! mußt du dich nun verpflichten,

Dein Liebster und dein Herr ist für dich frei!

Auf ihn sollst du die blauen Augen richten,

Daß er allein dein siegreich Banner sei!

 

Die Ketten all, von denen ich entbinden

Die Völker möchte, o Geliebte mein!

Als Blumenketten eng dir umzuwinden

Soll einzig dann mein Tun und Trachten sein!

 

Ein fest Gefängnis will ich dir erbauen

Von Rosen, Lilien, Myrten, duftend, weich;

Draus sollst du nur des Himmels Sterne schauen

Und mich, den Kerkermeister, froh und reich.

 

Ich will zur Kurzweil süße Lieder singen,

Darinnen du dich lachend spiegeln magst;

In Liedern dir die Welt zu Füßen bringen,

Wenn über Einsamkeit du dich beklagst.

 

Doch wann die lieben Nachtigallen schlagen

Und wann das Abendrot verglommen ist:

Sollst du als Königin die Krone tragen,

Solange Luna ihre Bahn durchmißt!

 

 

14

Gestern eine Aventür'

Hatt ich, die mir weh getan;

Allerliebste, denke dir!

Einen Burschen traf ich an,

Jung und fein und glattgestrichen,

Der dir auf ein Haar geglichen,

Wie der Tulp' die Tulipan!

 

Ja, dein Antlitz trug er dreist,

Deine Züge frech zur Schau;

Doch, was mich noch allermeist

Ärgerte, o zarte Frau!

War das dunkle Gold der Haare

Und dein Rot, das wunderbare,

War der Augen süßes Blau.

 

Aber was mir stets an dir

War von unschätzbarem Wert,

Ward mir unerträglich hier

In das Gegenteil verkehrt.

Jede Zierde deiner Züge

Schien hier eine schnöde Lüge,

Ja verspottet und entehrt!

 

Weibisch war der Haare Licht;

Deine Linien, zart und fein,

Sind zum Schneiderangesicht

Worden, unbedeutend, klein.

Deiner Augen Sternenschimmer

Ward zum wässerigen Flimmer,

Blöden Geistes Widerschein.

 

Seines Mundes Freundlichkeit

War beleidigend für mich:

Was mich freute jederzeit,

Gestern war's mir widerlich;

Schier hätt ich dein Bild geschlagen,

Ja! ihn aus der Welt zu jagen,

Wünscht ich angelegentlich.

 

 

15

Wie ein Fischlein in dem Netz

Hat der Dom mich eingefangen,

Und da bin ich festgebannt –

Warum bin ich hingegangen?

Ach! wie unter Kürbisblüten

Morgenfeucht ein Röslein blitzt:

Zwischen breiten Bürgersfrauen

Dort mein feines Liebchen sitzt!

 

Die Gemeinde schläft und schnarcht,

Wie das Laub im Walde rauschet,

Und der Bettler an der Tür

Wie ein Räuber auf sie lauschet.

Doch ein freundlich Wiesenbächlein

Murmelnd durchs Gebüsche flieht:

So die lange, dünne Predigt

Schlängelnd um die Pfeiler zieht!

 

Eichenbäume, alt und schlank,

All die gotischen Pfeiler ragen,

Hoch ein zierlich Blätterdach

Ihre breiten Äste tragen;

Drunter durch spielt hin und wieder

In den Dämmer der Sonnenschein –

Wachend sind in dieser Stille

Nur mein Lieb und ich allein.

 

Zwischen uns spinnt sich ein Netz

Buntgefärbter Sonnenstrahlen,

Die den Taufstein mittendrin

Feenhaft ganz übermalen.

Rosenketten, Liebesgötter

Flattern um den alten Knauf,

Darob wacht in unsren Herzen

Eine heiße Sehnsucht auf!

 

Weit hinaus, ins Morgenland,

Komm, mein Schatz, und laß uns fliehen!

Wo die Palmen schwanken am Meer,

Rosen hoch wie Feuer glühen,

Flutend um die große Sonne

Grundlos tief die Himmel blaun:

Angesichts der freien Wogen

Frei und ewig uns zu traun!

 

 

16

Schon war die letzte Schwalbe fort

Und längst seit vielen Wochen auch

Die letzte Lilie abgedorrt,

Nach altem Erdenbrauch.

 

Es flimmerte der Buchenhain

Wie Rauschgold rot im Abendlicht –

Herbstsonne gibt gar sondren Schein,

Der stets ins Herz mir sticht.

 

Ich traf sie da im Walde an,

Nach der allein mein Herz begehrt,

Mit weißen Kleidern angetan,

Vom goldnen Schein verklärt.

 

Sie war allein; doch grüßt ich sie

Nur ehrfurchtsvoll im Weitergehn,

Weil ich sie, seit ich liebte, nie

So still und schön gesehn!

 

Doch schaut' aus ihrem Angesicht

Ein fremdes Etwas kalt hervor;

Es lag vor ihrer Augen Licht

Wie leichter, dunkler Flor.

 

Es war, als ob dicht hinter ihr

Ein Schatten schwebt' im Abendstrahl,

Der gaukelnd, lachend gegen mir,

Ihr folgte durch das Tal.

 

»Mir ist ein Rival aufgewacht!«

Sprach ich und sah ins Abendrot,

Bis es erlosch und bis die Nacht

Die kalte Hand mir bot!

 

 

17

Ein lustiger Mediziner

War dazumal mein Freund;

Wir saßen bei vollem Glase

Um Mitternacht vereint.

 

Ich sprach ihm von meiner Liebe,

Indessen er zecht' und sang,

Und meine Worte verhallten

Im wilden Gläserklang.

 

Doch sprach ich immer und stärker

Mit höherer Liebesglut;

Ich wollte damit dämmen

Mein bange wallendes Blut.

 

Da wurde er ungeduldig

Und sagte mit barschem Ton:

»Ich kenne deine Geliebte

Und rate dir ab davon!

 

Ich rate dir ab, sonst bist du

Ein Witwer im nächsten Mai,

Denn dann liegt sie im Sarge,

'ne Leiche frank und frei.

 

Die Rosen sind eitel Hektik

Auf ihrem schmalen Gesicht;

Ich hörte sie heute husten,

Und das gefällt mir nicht!

 

Wohl ist sie ein feines Wesen,

Doch eben nur allzufein!

Laß fahren den sterblichen Engel,

Sonst trifft dich Kummer und Pein!«

 

Die rohen Worte schnitten

Mir tief in die Seele ein,

Und darum weil leicht was Wahres

An ihnen konnte sein.

 

Jedoch mein armes Liebchen

Gewann einen Zauber mehr; –

Nein, nein, sie kann nicht sterben,

Wir lieben uns allzusehr!

 

Am Morgen ward ich ruhig,

Als die Sonne ins Zimmer fiel;

Ich sah durchs Fenster fröhlich

Der jagenden Wolken Spiel.

 

Ich rief: »Er sprach's im Rausche,

Und ich war gestern ein Tor!

Es lebe das rosige Leben

Und meine Liebe zuvor!«

 

 

18

Es schneit und eist den ganzen Tag,

Der Frost umfängt mich scharf und blank;

Und wie ich mich gebärden mag –

Nun liegt sie wirklich ernsthaft krank!

 

Verödet ist das Paradies,

Das sonst auf ihrem Angesicht;

Nur zitternd blieb und ungewiß

Der Augen mildes Sternenlicht.

 

Nur wenn ich alle Tag einmal

An ihrem Krankenlager bin,

So fällt ein heitrer, klarer Strahl

Auf meine feuchten Augen hin.

 

Und wenn wir so beisammen sind,

Dann lieb ich still sie anzuschaun

Und träumend ob dem lieben Kind

Den Frühling wieder aufzubaun!

 

Noch ziert den Mund ein leichtes Rot

Und immer eines Kusses wert –

Sie läßt's geschehen, weil die Not

Die Menschenkinder beten lehrt.

 

»Ich lieb nicht deinen feinen Mund,

Nur deine Seele ganz allein –

Im Frühling wollen wir gesund

Und beide wieder fröhlich sein!«

 

Und wenn der Arzt kommt, lügen wir

Ihn tröstlich voller Hoffnung an;

Doch hab ich heimlich neben ihr

Zu Gott manch heiß Gebet getan.

 

Das ist der erste Kummer, so

Mir schwer und ernst ins Leben bricht;

Wie werd ich wieder leicht und froh,

Wenn ihm der Lenz das Urteil spricht!

 

 

19

Unverhofft nach trüben Tagen

Ist der heitre Lenz erschienen,

Und die aufgewachte Erde

Überhaucht ein zartes Grünen;

Und mit bunten Sonnenschirmen

Mädchen in den Gärten gehen,

Wanderer vorüberziehend

Nach den schönen Blumen spähen.

 

Unter all den hellen Fenstern,

Die der Sonne offen stehen,

Ist ein einziges verschlossen

Vor dem lauen Frühlingswehen.

Eine Hyazinthe duftet

Vor den blendenden Gardinen;

Aber eine kranke Jungfrau

Atmet bange hinter ihnen.

 

Ihr zu Häupten sitzt die Mutter

Und die Schwester ihr zu Füßen,

So, verhaltend bittre Tränen,

Einen Dritten leis sie grüßen.

Und in ihren Blicken liest er,

Daß der Herbst hat wahr gesprochen,

Daß die Hoffnung ist vernichtet

Und die Lilie gebrochen! –

 

So den stillen Tod zu sehen

In den lichten, himmelblauen

Augen eines kranken Liebchens:

Wahrlich, 's ist ein seltsam Schauen,

Wenn die weißen Todesrosen

Gar so stolz und sieghaft prangen

Auf der Liebsten ausgeglühten,

Bleichen, bleichen Marmorwangen!

 

Blühe, milde Grabesblume!

Blühe und verblühe selig!

Noch ein kurzer, heißer Sommer,

Und auch ich bin überzählig!

Wie die linden Maienlüfte

Deine Blüte sanft entblättern,

So wird meine Krone fallen

In des Herbstes rauhen Wettern!

 

 

20

Durch den Garten, in die Felder

Irre ich mit dunkeln Augen,

Achte nicht, wie tausend Kelche

Licht und Äther um mich saugen.

Muß der Mai mit holdem Lachen

Mir denn eine Leiche geben,

Während meine Freunde haschen

Neue Liebe, warmes Leben?

 

Aber sagt, wie kommt es mir denn,

Daß durch meines Grames Schatten

Doch die Sonnenstrahlen dringen

Und sich mit den Schmerzen gatten?

Daß der Lenz mit seinen Reizen

Mir noch zehnmal üpp'ger scheinet

Und mit seinem alten Schmucke

Eine neue Schönheit einet?

 

Ja, die todeskranke Liebe

Einen Geisterabglanz gießet

Über all die Lenzesfülle,

Die da drängt und blüht und sprießet!

Hunderttausend Blumen wollen

Ihr die letzte Ehre geben,

Und noch viel mehr Knospen eilen,

Solche Feier zu erleben.

 

Sehet da, die weißen Lilien

Sind vor ihrer Zeit gekommen,

Als sie von der Blumentrauer

Rings im weiten Land vernommen;

Ihre Schwester zu begleiten,

Blühen sie in langen Reihen,

Während sie aus ihren Kelchen

Weihrauch in die Lüfte streuen.

 

Und die Abendröte schlingt sich

Schön in rosigen Girlanden

Um die hohen Silberberge,

Die noch eben sonnig standen;

Und der Hesperus dort funkelt

Als der Zeremonienmeister,

Rufend in die weiten Sphären

Alle guten Sternengeister!

 

Alle Silberbronnen klingen,

Alle Nachtigallen schlagen –

Jetzt seh ich die Blumenleiche

Schwankend über die Auen tragen;

Morgenröten, Abendröten,

Wetterleuchten, Regenbogen,

Alles Schöne kommt der Bahre

Trauerfunkelnd nachgezogen!

 

Sagt, wann wird der Täuschung Schleier

Endlich mir vom Aug gehoben?

Unverwüstlich sind die Dichter,

Alles wird zum Traum verwoben;

Selbst der nahe Tod wird spielend

Noch mit Schein und Tand umschlungen –

Oh, ich glaube, er ist eben

Eisig in ein Herz gedrungen!

 

 

21

Ich habe sie gesehen

Auf Blumen in einem Sarg;

Das bleiche, traute Antlitz

Ein weißes Tüchlein barg.

 

Ich hob es in die Höhe

Und legte meine Hand

Auf ihre dunklen Augen,

Auf ihre kalte Hand!

 

Auf ihre verschloßnen Lippen –

Fahr wohl, du blühendes Rot! –

O weh mir, ich mußte sagen:

Nun wahrlich ist sie tot!

 

Da liegt die edle Rose,

Die einst so purpurn gelacht!

Es hat ein fremder Künstler

Eine weiße aus ihr gemacht.

 

Da liegt sie so starr und traurig,

Als hätte sie nie gelebt;

Ach Gott, es nimmt mich wunder,

Wo ihre Seele schwebt!

 

Kein Laut, kein Hauch, kein Ahnen,

Kein Flüstern um mich her!

Der Leib und ich in der Kammer –

Sonst alles still und leer!

 

Ich habe gespielt mit dem Leben

Und habe den Tod verlacht,

Nun ist er über mich kommen

Ganz höhnisch über Nacht!

 

 

22

Ich fahre mit den Winden,

Die fächelnd vor dem Sommer wehn;

Wo Klang und Duft sich finden,

Kann man mich immer sehn!

 

Des Lebens süßes Schmeicheln

Gewann mich neu in seinen Bund,

Und nimmer mag ich heucheln:

Ich fühle mich gesund.

 

Durch fremde Städt und Auen

Trag ich mein Herz voll Sang und Klang;

Die Blumen und die Frauen

Blühn mir den Weg entlang.

 

Die Blumen brech ich gerne,

Sooft mir's eine angetan;

Doch sicher aus der Ferne

Schau ich die Frauen an.

 

Ich lieb sie insgemeine

Wie einen vollen Rosenkranz,

's wär schade, wenn ich eine

Entzöge solchem Glanz!

 

Doch fallen hin und wieder

Im Wind den Rosen Blätter ab,

Die sinken in mich nieder

Auf ein verborgen Grab.

 

Da liegt von welkem Schimmer

Und Blütenschutt ein dichter Flor,

Draus ragt das Grabmal immer

Und lieblicher hervor!

 

 

23

Ja, das ist der alte Kirchhof,

Der in blauer Flut sich spiegelt,

Und in seiner dunkeln Erde

Liegt mein Heiligstes versiegelt;

Hier das Beet voll roter Rosen,

Dicht und üppig aufgesprossen:

Drunter liegt die weiße Lilie,

Eng im Blumenschrein verschlossen!

 

Durch die Rosen, durch die Erde,

Durch die Bretter dringt mein Sehnen;

Dort, wie eben erst gestorben,

Will mein Herz sie schlummernd wähnen!

Schläfst du, schläfst du noch, mein Liebchen?

Zuckt kein Strahl durch deine Leiche,

Weil auf deinem stillen Grabe

Nun dein Buhle irrt, der bleiche?

 

Fährt kein Stern in deine Augen?

Hebt dein Herz nicht an zu schlagen?

Quellen nicht von deinen Lippen

Frische, süße Liebesklagen?

Zieht kein roter Morgenschimmer

Über deine weißen Wangen,

Weil daran die Lebensgluten

Meiner heißen Blicke hangen?

 

Eitler Traum! um eine Leiche,

Um den Tod hab ich geworben!

Nun, so sei auch meine Liebe

Fürhin tot und abgestorben!

Zitternd reiß ich aus dem Busen

Noch die letzten zarten Blüten,

Gebe sie dem toten Liebchen

Bis zum Jüngsten Tag zu hüten.

 

Schwarzer Gärtner, Totengräber!

Laß, o laß das Grab verwildern!

Seine wermutbittern Schauer

Soll kein Lenz mehr freundlich mildern!

Binde nicht mehr diese Zweige,

Pflege nicht mehr diese Rosen,

Und mit dem verdorrten Kranze

Mag der kalte Nordwind kosen!

 

 

24

Fahret wohl, ihr schönen Gräber,

Klirre zu, du morsches Gitter!

Lachend kehr ich euch den Rücken,

Lilienstolz und Rosenflitter!

Abgetan ist nun die Liebe –

Hei! wie bin ich nun so munter!

Und in dem befreiten Herzen

Geht es lustig drauf und drunter!

 

Gegen Morgen, gegen Morgen

Schau ich trotzig in die Sonne;

Wie scheint sie so wild und feurig,

Lächelnd in Gewitterwonne!

Sich gewappnet um die Heldin

Kühne Wetterwolken scharen,

Wie auf stolzem Ozeane

Drohende Armaden fahren.

 

Vor mir liegt das reiche Leben,

Schlägt die Zeit die hohen Wogen,

Kreist die Welt mit ihren Sternen:

Fröhlich bin ich ausgezogen,

Biete Stirn und Herz den Stürmen,

Lasse meine Wimpel wehen,

Und beim wilden Kreuzen denk ich

Kaum noch an ein Wiedersehen!

 

 

25

Wie ich fahr in stiller Nacht

Auf den Silberwellen,

Fängt mein Weh mit aller Macht

Wieder an zu schwellen.

 

Sieben Jahre sind dahin,

Sind dahingeschwunden –

Und noch immer glühn und blühn

Meine alten Wunden!

 

Fast klingt es wie bittrer Hohn,

Ich sei jung an Jahren:

Da so lang die Liebste schon

Mir dahingefahren!

 

Wohl ergeh es, Engel, dir!

Werde licht und lichter!

Ach! dein Knabe wurde hier

Unterdes ein Dichter –

 

Muß nun reimen früh und spat

Um sein täglich Leben! –

Willst du einen guten Rat

Dann und wann ihm geben?

26

 

Wie sie sich da drehn im Tanze,

Puppen aus geschnitztem Holz!

Eitles Volk im Kerzenglanze,

Leben heuchelnd, steif und stolz!

 

Schlüsselbeine, Schulterblätter

Stoßen schamlos hart mich an;

Alte Tanten, grau vom Wetter,

Klatschen längs der tollen Bahn.

 

Die dem Tode längst verfallen,

Treibt der Wahnsinn hier im Kreis!

Und ich schleiche durch die Hallen,

Einsam schlägt mein Herz und leis.

 

Dein gedenkt es, zarte Blüte!

O mein rosiger Morgentraum!

Daß dich Gott mir treu behüte

Fern am grünen Wogensaum!

 

Fern am Wogensaum, im Grabe

Schläft, was Lust und Leben war! –

Dieses Bechers Feuergabe

Bring der Schläferin ich dar!

 

Wie ein Schild von frischen Rosen,

Wie ein Schwert von Sonnenstrahl

Schützt dein Bild mich Freundeslosen

Hier vor dieser öden Qual!

 

Jung geblieben ist mein Lieben,

Und noch heute rosenrot;

Auch mein Liebchen jung geblieben:

Dank dafür, du milder Tod!

 

 

27

Sieh! kaum glimmt des Stromes Spiegel

Silbermatt im Dämmerlicht,

Und schon schlägt die Sammetflügel

Mir ein Falter ins Gesicht!

 

Sieh den Abendstern dort blinken

Ungewöhnlich schön und hell!

Lieblich ist und klar zu trinken

Dieser Nachtluft kühler Quell.

 

Komm heraus, du junges Leben!

Komm, so leis dein Fuß dich trägt!

Recht in Lieb und Traum zu schweben

Wär ich jetzo aufgelegt.

 

Und ich habe dir zu Ehren

Einen guten Freund gebracht:

Er will uns die Minne lehren

Durch die kurze Sommernacht.

 

Liebeslieder sollen schallen,

Die vor siebzig Jahren schon

Unsern Mütterlein gefallen;

Rein klingt ihrer Weise Ton.

 

Laß uns einmal rückwärts fliegen

In die Zeit, die still und fern!

Dieser Laune dich zu schmiegen,

Weiß ich, tust du zwiefach gern! –

 

– »Sie kommt nicht?« fragt mein Begleiter,

»Und schon wird es morgenrot!« –

Ach, 's ist wahr! so sag ich weiter,

Denn sie ist, wie du, schon tot!

 

Armer Hölty! Du kannst gehen!

Traurig such dein kühles Haus!

Sieh, das frische Morgenwehen

Lacht uns alte Kinder aus!

 

 

Gedanken eines Lebendig-Begrabenen

 

1

Ei, wie das kracht! – Abscheuliches Geroll

Von Schutt und Erde, polternden Gebeinen!

Ich kann nicht lachen und kann auch nicht weinen –

Es nimmt mich wunder, wie das enden soll!

 

Nun wird es still. – Sie trollen sich nach Haus

Und lassen mich hier sieben Fuß tief liegen;

Nun, Phantasie! laß deine Adler fliegen,

Hier schwingen sie wohl nimmer mich heraus!

 

Das ist jetzt eine wunderliche Zeit!

Im dunklen Grab kein Regen und kein Rühren,

Indes der Geist, als Holzwurm, mag spazieren

Im Tannenholz – ist das die Ewigkeit?

 

Die Menschen sind ein lügnerisch Geschlecht,

Sie haben selbst den Erdboden belogen,

Den ernsten Moder schnöd mit mir betrogen –

Weh, daß die Lüge an sich selbst sich rächt!

 

Die Lügner gehn von hinnen ungestraft,

Ach, aber ich, die Lüge, ich muß bleiben,

Daß sich erbost der Tod an mir kann reiben,

In Tropfen trinkend meines Lebens Saft!

 

 

2

Da lieg ich nun, ohnmächtiger Geselle,

Geschieden von der ganzen, weiten Welt!

Versprengter Tropfen von der Lebensquelle,

Ein Baum, noch grünend, ist er auch gefällt!

 

Wohlan! ich will, was kommen soll, erwarten;

Still und behaglich ist's im Grabe hier,

Ich fühle nicht die Glieder, die erstarrten;

Doch hell und heiter glimmt die Seele mir.

 

Hätt ich nun einen ewigen Gedanken,

An dem man endlos sich erproben mag,

So möcht ich liegen in den engen Schranken,

Still und behaglich, bis zum Jüngsten Tag.

 

Vielleicht, wer weiß, wüchs er zu solcher Größe,

Zu solcher Stärke, daß er, ein Vulkan,

Im Flammenausbruch dieses Grab erschlösse,

Vorleuchtend mir auf neuer Lebensbahn.

 

Wie wundersam, wenn über meinem Haupte

Der Abendtau die matten Blumen kühlt:

Ob wohl, lustwandelnd dann, der Pfarrherr glaubte,

Daß unter ihm ein Wetterleuchten spielt?

 

Daß, glänzend in des eignen Geistes Strahlen,

Hier unten eine Menschenseele denkt?

Vielleicht sind dieses der Verdammung Qualen:

Heimlich zu leuchten, ewiglich versenkt.

 

 

3

Ha! was ist das? Die Sehnen zucken wieder,

Wie Frühlingsbronn quillt auferweckt das Blut,

Es dehnen sich die aufgetauten Glieder,

Und in der Brust schwillt junger Lebensmut!

 

Nun ist's geschehn – nun bricht herein der Jammer!

Ich überschau mein grausiges Geschick!

Ich messe tappend meine Totenkammer,

Die Späne knirschen unter dem Genick.

 

Halt an, o Wahnsinn; denn noch bin ich Meister

Und bleib es bis zum letzten Odemzug!

So scharet euch, ihr, meine Lebensgeister,

Zu kämpfen mit dem wilden Sinnentrug!

 

So öffnet euch, krampfhaft geballte Fäuste,

Und faltet euch ergeben auf der Brust!

Wenn zehnfach mir die Qual die Stirn umkreiste:

Fest will ich bleiben und mir selbst bewußt!

 

Von Erdenduldern ein verlorner Posten,

Will ich hier streiten an der Hölle Tor!

Den herbsten Kelch des Leidens will ich kosten:

Halt mir den Becher, göttlicher Humor!

4

 

Sie haben mir, als sie der Tod belogen,

Wie's scheint, die Sonntagsweste angezogen:

In ihren Taschen fand ich einen alten

Zahnstocher und ein Bleistift aufbehalten.

 

Einst gab es Tage, wo man zum Geleite

Den Toten Schwert und Pfeile legt' zur Seite: –

Schmählich Jahrhundert du, das seinen Leichen

Zahnstocher nur und Bleistift weiß zu reichen!

 

 

5

Ins Innre jedes Sarges sollte man

Hell von Metall 'nen Spiegel schlagen an,

Der, wie man sagt, in tiefster Dunkelheit

Getreu die Leichenzüge konterfeit.

 

Das wär ein Schatzfund, wenn aus Gras und Kraut

Man grauend diese Bilder dann erschaut',

Wie hingehaucht, vom Rost leicht überwebt,

Unheimlich hell vom Sonnenlicht belebt!

 

Die man lebendig einst zu Grabe trug,

Gesunden Herzens in die Erde schlug:

Mit den zerrißnen Zügen wären sie

Die Perlen einer Totengalerie.

 

Wenn irgendwo ein reicher König praßt,

Der Licht und Leben und die Jugend haßt,

Doch heuchlerisch um tote Musen freit:

Ihm wär ein solcher Kunstschatz dann geweiht!

 

 

6

Horch! Stimmen und Geschrei, doch kaum zu hören,

Dumpf und verworren tönt es, wie von ferne,

Und ich erkenn sie, die allnächtlich stören

Der Toten Schlaf, den stillen Gang der Sterne.

 

Der trunkne Küster, aus dem Schank gekommen,

Setzt sich noch in den Mondschein vor dem Hause,

Kräht einen Psalm; doch kaum hat sie's vernommen,

So stürzt sein Weib hervor mit Zorngebrause,

 

Heißt ihn hereingehn und beschilt ihn grimmig,

Hell kräht zum Mond indessen der Geselle:

So mischet sich, erbost und eulenstimmig,

Ihr Zanken in sein trunkenes Gebelle.

 

Sie muß ganz nah sein, da ich es kann hören,

Die überkommne, alte Pfründerhöhle;

Laß sehn, ob das Gesindel ist zu stören:

Schrei, was du kannst, angstvoll gepreßte Kehle!

 

Die Tür schlägt zu – der Lärm hat sich verloren,

Es hülfe nichts, wenn ich zu Tod mich riefe;

Sie stopfen furchtsam ihre langen Ohren

Vor meinem Hilferufen aus der Tiefe.

 

 

7

Läg ich, wo es Hyänen gibt, im Sand,

Wie wollt ich hoffnungsvoll die Nacht erharren,

Bis eine käme hungrig hergerannt,

Mich heulend aus der lockern Gruft zu scharren!

 

Wie wollt ich freudig mit dem wilden Tier

Dann um mein Leben, unermüdlich, ringen!

Im Sande balgt' ich mich herum mit ihr,

Und weiß gewiß, ich würde sie bezwingen.

 

Und auf den Rücken schwäng die Bestie ich

Und spräng im Leichentuch, wie neugeboren,

Und singend heimwärts und schlüg wonniglich

Dem Arzt den Totengräber um die Ohren.

 

 

8

Als endlich sie, nach langem, schwankem Lauf,

Am Grab noch hoben diesen Deckel auf:

In jenem Augenblick hab ich gesehn,

Wie just die Sonne schied im Untergehn.

 

Erleuchtet von dem abendroten Strahl

Sah ich all die Gesichter noch einmal,

Den Turmknopf oben in der goldnen Ruh –

Es war ein Blitz, sie schlugen wieder zu.

 

Ich sah auch zwischen Auf- und Niederschlag,

Daß Märzschnee dicht auf allen Gräbern lag;

Das Wetter muß seither gebrochen sein,

Denn feucht dringt es durch diesen engen Schrein.

 

Ich hör ein Knistern, wie wenn, mählich, leis,

Sich Schollen lösen aus des Winters Eis;

Ich hör ein feines Rieseln, wie wenn sacht

Das Erdreich aus dem starren Schlaf erwacht.

 

O wehe, wehe mir! nun darf es kühn

Hinaus in Gottes freien Himmel blühn!

O wehe mir! ich bin ja auch erwacht

Und kann nicht regen mich in Grabesnacht!

 

Wie jedes Samenkorn sich mächtig dehnt,

Der junge Halm nach jungem Licht sich sehnt,

So reck ich meinen armen, armen Leib –

Oh, 's ist ein fruchtlos grimmer Zeitvertreib!

 

Hört man nicht klopfen laut da obenwärts

Hier mein lebendiges begrabnes Herz?

O wüßten sie, wie es da unten tut!

Fluch über die gedankenlose Brut!

 

Wie munter quillt der kühle Erdensaft!

Lösch aus nur meines Lebens Fieberkraft!

Zu allen Fugen rinnt es mir herein,

Und oben ist's nun warmer Frühlingsschein.

 

 

9

Tief im Gehirne brennt mich diese Stille!

Wenn ich verzweifelnd einen Augenblick

Geruht, wie mir befahl mein schwacher Wille,

So kehrt die Angst verdoppelt mir zurück.

 

Und vor den Augen stets die schwarze Hülle,

Sie tun mir weh, so offen starren sie.

Wie brennt mich im Gehirne diese Stille –

Ihr Nachbarn! schreit ihr denn im Schlafe nie?

 

Horch – endlich zittert es an meine Bretter!

Was für ein geisterhaft metallner Klang,

Was ist das für ein unterirdisch Wetter,

Das mir erschütternd in die Ohren drang?

 

Jach unterbrach es meine bangen Klagen,

Ich fuhr zusammen, still, fast hoffnungsvoll –

Eilf – zwölf – wahrhaftig, es hat zwölf geschlagen,

Das war die Turmuhr, die soeben scholl.

 

Die große Glocke ist's im hohen Stuhle,

Die klingt ins tiefste Fundament herab,

Bahnt sich den Weg in diesem Leichenpfuhle

Und singt ihr Lied in mein verlaßnes Grab.

 

Das ist gewiß, gesteh's nur, armer Racker!

Wohl so poetisch, wie wenn vordem ich

Am Mittag oft vom fernen Frühlingsacker

Bei diesem Klang vergnügt nach Hause schlich.

 

Gewiß sind jetzt die Dächer warm beschienen

Vom sonn'gen Lenz, vom jungen Ätherblau;

Nun kräuselt sich der Rauch aus den Kaminen,

Die Leute lockend von der grünen Au.

 

Was höhnst du mich, o Glockenton, im Grabe

Und mehrest meine namenlose Qual?

Entdeckst mir plötzlich, daß ich Hunger habe

Und nicht kann hin zum ärmlich stillen Mahl?

 

Ich hab mein Teil gehungert doch dort oben,

Und nun im Grabe wieder hungert's mich –:

Ist dieser Stern aus Hunger denn gewoben,

Und mehrt der Hunger mit der Tiefe sich?

 

Halt aus, mein Herz! wir müssen ihn bezwingen,

Es ist ein feiger, schmählich gift'ger Feind!

Auf dem Geworfnen laß uns grimmig ringen

Mit andern, die sich gegen uns vereint!

 

 

10

Zwölf hat's geschlagen – warum denn Mittag?

Vielleicht der Mitternacht ja galt der Schlag,

Daß oben nun die stillen Sterne gehn;

Ich weiß es nicht, ich kann es ja nicht sehn!

 

Ha, Mitternacht! Ein heller Hoffnungsstrahl!

Der nächtlich schon so manches Grab bestahl:

Der Totengräber schleicht nun wohl herbei

Und macht erschrocken mich Lebend'gen frei! –

 

Doch was für Kleinod sollt er suchen hier?

Er weiß zu gut: er findet nichts bei mir!

Ein golden Ringlein nun erlöste mich –

Du bittre Armut, jetzt verfluch ich dich!

 

 

11

O ich mag rufen, schreien, wie ich will,

Es wird mein Angstruf nimmermehr vernommen;

Da oben bleibt es, wie da unten, still,

Wer sollte auch zu diesem Hügel kommen?

 

Denn meine Mutter ist romantisch nicht,

Und, alt und schwach, bleibt einsam sie zu Hause;

Wenn ihr das Herz ob meinem Tode bricht,

Sie birgt's und weint in der verschloßnen Klause.

 

Ja hätt ich ein verlaßnes Liebchen nun,

Das vor dem Morgenrot zu klagen käme,

Auf meiner kühlen Erde auszuruhn,

Und meinen Jammer wonnevoll vernähme!

 

Warum hab ich's der einen nicht gesagt,

Daß junge Liebe mir im Herzen sprosse?

Ich hab gezaudert und es nicht gewagt –

Die Krankheit kam und diese tolle Posse.

 

 

12

Wenn einsam sie vielleicht und ungeliebt,

Nachdenklich manchmal ihre Augen senkt,

O wüßte sie dann, daß ein Herz es gibt,

Das hier im Grab lebendig an sie denkt!

 

 

13

Da hab ich gar die Rose aufgegessen,

Die man mir in die starre Hand gegeben!

Daß ich noch einmal Rosen würde essen,

Ich hab es nie geahnt in meinem Leben.

 

Ich möcht nur wissen, ob es eine weiße,

Ob eine rote Rose das gewesen?

Am letzten Blatt, das spielend ich zerreiße,

Möcht ich es fühlend mit den Fingern lesen.

 

Wie vielen Gärten voller Knospenprangen

Bin ich gedankenlos vorbeigezogen!

Voll Geigen hat der Himmel mir gehangen –

Nur fand ich nicht den rechten Fiedelbogen.

 

Blühn wohl auch Rosen an des Himmels Bächen? –

Was kümmert's mich? Noch will ich es nicht wissen!

Will erst noch dieser Erde Rosen brechen!

He! laßt mich los aus diesen Finsternissen!

 

Ich will nicht sterben! Jung sind meine Sehnen

Und rasch noch die Gelenke meiner Knochen;

Ahnt niemand meine zornig-heißen Tränen?

Auf! holla! schlechter Kasten, sei zerbrochen!

 

– Wie Felsen halten diese Bretterstücke,

Und keine Fuge weicht, wie ich mich dehne;

Erschöpft und keuchend lehn ich mich zurücke,

Die nassen Haare voller Hobelspäne.

 

 

14

Viel besser wär's, zerschnittner Tannenbaum,

Du ragtest als ein schlanker Mast empor,

Bewimpelt, in den blauen Himmelsraum,

Vor einem sonnig heitren Hafentor!

 

Da, müssen wir einmal beisammen sein,

Lehnt' ich an dich im schwanken Bretterhaus;

Du aus dem Schwarzwald, jenseits ich vom Rhein,

Kamraden, reisten wir ins Meer hinaus.

 

Und bräch das Schiff zu Splittern auseinand,

Geborsten du und über Bord gefällt,

Umfaßt' ich dich mit eisenfester Hand:

So schwämmen beide wir ans End der Welt.

 

Am besten wär's, du stündest hoch und frei

Im Tannenwald, das Haupt voll Vogelsang:

Ich aber schlenderte an dir vorbei,

Wohin ich wollt', den grünen Berg entlang!

 

 

15

Der erste Tannenbaum, den ich gesehn,

Das war ein Weihnachtsbaum im Kerzenschimmer;

Noch seh ich heiter strahlend vor mir stehn

Das grüne Wunder im erhellten Zimmer.

 

Da war ich täglich mit dem frühsten wach,

Den Zweigen gläubig ihren Schmuck zu rauben;

Doch als die letzte süße Frucht ich brach,

Ging es zugleich an meinen Wunderglauben.

 

Dann aber, als im Lenz zum ersten Mal

Ich mich in einen Nadelwald verirrte,

Mich durch die hohen, stillen Maste stahl,

Bis sich der Hain zu jungem Schlag entwirrte:

 

O Freudigkeit! wie ich da, ungesehn,

In einem Wald von Weihnachtsbäumchen steckte,

Dicht um mein Haar ihr zartes Wipfelwehn,

Das überragend kaum die Stirn mir deckte.

 

Ein kleiner Riese in dem kleinen Tann,

Sah ich vergnügt die Weihnachtsbäume sprießen;

Ich faßte keck ein junges Tännlein an

Und bog es kindlich ringend mir zu Füßen.

 

Und über mir war nichts als blauer Raum;

Doch als ich mich dicht an die Erde schmiegte,

Sah unten ich durch dünner Stämmchen Saum,

Wie Land und See im Silberduft sich wiegte.

 

Wie ich so lag, da rauscht' und stob's herbei,

Daß mir der Luftdruck durch die Locken sauste,

Aus tiefer Luft schoß senkrecht her ein Weih,

Daß seiner Flügel Schlag im Ohr mir brauste.

 

Als schwebend er dicht ob dem Haupt mir stand,

Funkelt' sein Aug gleich dunklen Edelsteinen,

Und ringsum an der Schwingen dünnem Rand

Sah ich die Sonne durch die Kiele scheinen.

 

Auf meinem Angesicht sein Schatten ruht'

Und ließ die glühen Wangen mir erkalten;

Ob welchem Inderfürst von heißem Blut

Ward solch ein Sonnenschirm emporgehalten?

 

Wie ich so lag, erschaut ich plötzlich, nah,

Wie eine Eidechs mit neugier'gem Blicke

Vom nächsten Zweig ins Aug mir niedersah,

Wie in die Flut ein Kind von schwanker Brücke.

 

Nie hab ich mehr solch klugen Blick gesehn

Und so lebendig-ruhig, fein und glühend;

Hellgrün war sie, ich sah den Odem gehn

In zarter Brust, blaß, wie ein Röslein, blühend.

 

Ob sie mein blaues Aug wohl niederzog?

Sie ließ vom Zweig sich auf die Stirn mir nieder,

Schritt abwärts, bis sie um den Hals mir bog,

Ein bunt Geschmeide, ruhend, ihre Glieder.

 

Ich hielt mich still und fühlt mit lindem Druck

Den feinsten Puls auf meinem Halse schlagen;

Das war der schönste und der reichste Schmuck,

Den ich in meinem Leben je getragen.

 

Damals war ich ein kleiner Pantheist

Und ruhte selig in den jungen Bäumen:

Doch nimmer ahnte mir zu jener Frist,

Daß in denselben – solche Bretter keimen.

 

 

16

Der schönste Tannenbaum, den ich gesehn,

Das war ein Freiheitsbaum von fünfzig Ellen,

Am Schützenfest, im Wipfel Purpurwehn,

Aus seinem Stamme flossen klare Wellen.

 

Vier Röhren gossen den lebend'gen Quell

In die granitgehaune, runde Schale;

Die braunen Schützen drängten sich zur Stell

Und schwenkten jauchzend silberne Pokale.

 

Unübersehbar schwoll die Menschenflut,

Von allen Enden tönten Männerchöre;

Vom Himmelszelt floß Julisonnenglut,

Erglühnd ob meines Vaterlandes Ehre.

 

Dicht im Gedräng, dort an des Beckens Rand,

Sang laut ich mit, ein fünfzehnjähr'ger Junge;

Mir gegenüber an dem Brunnen stand

Ein braunes Mädchen von roman'scher Zunge.

 

Sie war zuhinterst vom Misokkertal,

Trug Alpenrosen in den schwarzen Flechten;

Sie füllte ihres Vaters Siegpokal,

Drein schien ihr Aug gleich Sommersternennächten.

 

Sie ließ in kindlich unbefangner Ruh

Vom hellen Quell den Becher überfließen;

Indessen wallten flatternd ab und zu

Die Fahnenzüg' mit buntem Wehn und Grüßen.

 

Als sie mich sah, warf sie mir wohlgemut

Aus ihrem Haar ein Röslein in den Bronnen,

Schlug gegen mich in Wellen schlau die Flut,

Bis ich erfreut den Blumengruß gewonnen.

 

Ich fühlte da die junge Freiheitslust,

Des Vaterlandes Lieb im Herzen keimen;

Es wogt' und rauscht' in meiner Knabenbrust

Wie Orgelsturm von ries'gen Tannenbäumen.

 

 

17

Ich muß ein Weilchen wohl geschlafen haben,

Denn wie aus Träumen schein ich mir erwacht;

Bin ich leibhaftig, wirklich denn begraben?

Noch immer diese enge, schwarze Nacht?

 

Mein Atem ist wohl heftig, rasch gegangen,

Indes der Traum die Wirklichkeit mir barg;

Ich fühl den Tau an meinen Schläfen hangen,

Die Luft ist heiß und dumpf in diesem Sarg.

 

O traurig, übertrauriges Erwachen!

O Augenauftun ohne Morgenlicht,

Wo keine Wolken durch die Fenster lachen,

Sich keine Reb um klare Scheiben flicht!

 

Doch wohl mir, daß ich heiße Tränen finde,

Da ich auch gar hier so verlassen bin!

O Kindestränen, fließet, fließet linde,

O Heimatsquell, ström unaufhaltsam hin!

 

 

18

Ich bin befreit, mein Weh hat sich gewendet,

Und ich empfind es: ich bin nicht allein; –

Der seine Strahlen durch das Weltall sendet,

Er strahlt mich an durch diesen Totenschrein.

 

Getrennt bin ich von meinem herben Leiden,

Ich bändige den Leib mit starkem Mut;

Wie wildes Meer, von dem ich mich will scheiden,

Laß brausen ich mein krank und siedend Blut.

 

Ja, toset nur, ihr ungetreuen Wogen!

Ich übersing euch, wie ein Ferg am Strand!

Lange genug bin ich mit euch gezogen:

Nun tausch ich euch an festes Blütenland.

 

Es ist noch gut geworden, und geschlagen

Hat mich der Herr mit einem Rosenstab;

Geläutert will ich meine Seele tragen

Zu ihm empor aus diesem Erdengrab.

 

Weil ich so sehr geliebt die grüne Erde,

Lebt ich so bang und tief in sie hinein; –

Wie ich in ihrem Schoß noch leiden werde:

Sie soll mein lieblichstes Gedenken sein!

19

 

O teure Luft! Mit jedem Odemzug

Vergeud ich sie, die unentbehrlich ist!

Fern bin ich euch, Berghöhen, Wolkenflug,

Wo man dies Gut nicht achtet und nicht mißt.

 

Hier eingeschlossen mit der Todesqual,

Der unsichtbaren, Stirn an Stirn gepreßt,

Umschlingt sie mir Haupt, Glieder, Herz zumal

Mit Schlangenringen, unbarmherzig fest.

 

Nun geht's ans Sterben – strenge Seelenzucht,

Der ich mich scheidend unterwerfen soll!

Mein Denken schwindet mir in dunkler Flucht –

Matt schlägt das Herz – bald bricht's – erwartungsvoll –

 

 

Feuer-Idylle

 

1

Wild hallt der Schrei der Glocken durch die Nacht,

Und Schüsse dröhnen von des Berges Wacht;

In allen Gassen tönt's: es brennt! es brennt!

Und jeder angstvoll an sein Fenster rennt.

 

Der erste Blick: Ist es in unserm Haus?

Der zweite mindert schon den Schreck und Graus,

Wenn weit, o weit die wunderschöne Glut

Behaglich dort am fernen Himmel ruht!

 

Nun strömt der Neugier Bächlein ungehemmt,

Und ungewaschen wohl und ungekämmt,

Der ohne Strümpfe, jener ohne Schuh',

Läuft alles nun dem seltnen Schauspiel zu.

 

Und manchem ehrlichen Philister bangt,

Es könnte enden, eh er angelangt;

Auch der Poet, er watschelt mit hinaus

Und sendet seinen Kennerblick voraus.

 

Da wallt vom Berg mit ungebrochnem Lauf

Die eine Flamme hell zum Himmel auf;

Von Feuerlilien ein gewalt'ger Strauß:

So blüht und sprüht das alte Bauernhaus.

 

Es ist die allerschönste Maiennacht;

Von Gold durchwirkt, tiefblau der Himmel lacht.

Eng zwischen Gärten voller Frühlingsflor

Klimmt der Poet zur Feuerstätt empor.

 

Da sitzt der helle Geist auf seinem Raub

Und macht den morschen Kram zu Asch und Staub;

Umsonst belästigt ihn der Menschenschwarm,

Er wehrt ihn ruhig ab mit glühem Arm.

 

Es brennt der Hof dem reichen Bauersmann,

Der nie genug sehn und erhalten kann;

Längst hat der Sohn ein neues Haus begehrt,

Wogegen sich der Alte stets gewehrt.

 

Nun steht er da und schlottert jämmerlich,

Weiß nicht zu raten noch zu helfen sich;

Doch alle sind in guter Sicherheit,

Kein Nachbarhaus gefährdet weit und breit.

 

Drum laßt uns keck ein wenig näher gehn,

Die heiße Wirtschaft besser zu besehn,

Zu lesen in des Feuers Angesicht

Und was es heimlich mit den Sternen spricht!

 

 

2

Von Holz und Reisig eine hohe Wand

Seit langen Jahren um die Scheune stand,

Schon vieles ward vom Regen unbrauchbar,

Doch jeder Herbst bringt neue Lasten dar.

 

Der letzte Winter brachte große Not,

Und manche arme Witwe, frierend, bot

Ihr armes Geld dem Mann für wenig Holz;

Er gab's nicht her in seinem Bauernstolz.

 

Nun flammt es auf im wilden Feuerflug,

Mit Scheun und Stall, Pferd, Wagen, Vieh und Pflug;

Die armen Weiber stehn und schaun es an

Und wärmen lächelnd ihre Hände dran.

 

Dies Lächeln mag die bleichste Blume sein,

Die einstens ziert des Mannes Totenschrein –

Weh dem, der solchen Blütenflor gesät,

Wenn einst die Saat in reifen Knospen steht!

 

 

3

Seit alter Zeit her war des Hauses Wand

Von wuchernd dichtem Efeu überspannt;

Den liebt' der Bauer, sonst so liebeleer,

Weil er so gierig, alt und zäh wie er!

 

Nun brennt das dunkle Unkraut lichterloh

Und flackert in die Luft wie leichtes Stroh;

Wer glaubte, daß der alte, schwere Kranz

So lustig hielte seinen Totentanz?

 

Ei, was fliegt da für Ungeziefer aus!

In ganzen Schwärmen flieht die Fledermaus;

Kreuzspinnen, Käfer, was da kriechen mag,

Kommt sterbend in der hellen Glut zu Tag.

 

Was von Gespenstern und von Koboldsbrut,

Von alten Sünden auf dem Hause ruht,

Und was es sonst für Spuk und Sagen gab,

Brennt mit den alten Efeuranken ab.

 

Was mag wohl schimmern dort, und, seh ich recht?

Was löst sich aus dem brennenden Geflecht

Und poltert da zu meinen Füßen her?

Ein tüchtig Kruzifix, von Golde schwer!

 

Einst riß der Ahn, vor manchem Hundertjahr,

Das Kreuz als Bilderstürmer vom Altar;

Es blieb im grünen Rankenwerk versteckt,

Nun endlich hat's das Feuer aufgedeckt!

 

Zwar munkelt man, daß in verschloßner Brust

Die Enkel jederzeit davon gewußt;

Sie hätten's nächtlich auf den Tisch gesetzt

Und sich an dem Geflunker oft ergetzt.

 

Eins tut mir leid: manch zierlich Schwalbennest

Hing traulich in den wirren Ranken fest;

Wenn nun die liebe Schwalbe wiederkehrt,

So findet sie ihr kleines Haus verheert.

 

Doch tröste dich, o Schwalbe zart und traut!

Ist erst der neue Giebel aufgebaut:

G'nug Winkel noch und Ecken findest du,

Daran du bauen kannst in guter Ruh!

 

 

4

Da ist ein Buch, geschwärzt und halb verbrannt,

Wonach der Mann in Todesangst gesandt;

Ein Jüngling wagte dran sein junges Blut

Und trug's mit keckem Arme aus der Glut.

 

Und gierig stürzt der Mann sich auf das Buch

Und – wirft es weg mit einem derben Fluch!

Sein dickes Schuldnerbuch hatt er gemeint!

Nun liegt – die Bibel vor dem guten Freund.

 

Wie arg und undankbar ist diese Welt!

Wie schmählich nun der alte Mann sich stellt!

Erinnert ihn die Bibel nicht mehr dran,

Wie gütlich er sich oft an ihr getan?

 

Wenn er am Sonntagabend vor ihr saß

Und schmunzelnd dann von dem Kamele las,

Dem Nadelöhre und dem Himmelreich,

Wie ward ihm das Gemüt da froh und weich!

 

Wie manchen Bettler, hungerig und matt,

Macht' er mit schönen Bibelsprüchen satt,

Beteurend hoch und feierlich dabei,

Daß dies sein reichster Trost und Hausschatz sei!

 

Nun liegt das alte Buch zertreten hier,

Im Feuer blieb der Ecken Silberzier;

Zerrißnen Angesichtes liegt im Kot

Das einst so hoch gepriesne Lebensbrot.

 

 

5

Ich denke dran mit wehmutsvollem Schmerz,

Wie rettungslos ein königliches Herz,

Indes das Haus in Rauch und Schutt verfliegt,

Tief unter ihm in schnöden Banden liegt.

 

Goldfarbner Löwe, seufzt' der edle Wein

Seit Jahr und Tag im dunklen Eichenschrein,

Und ob ihm trampelte der graue Wicht,

Ließ keinen Tropfen an das Tageslicht.

 

Wenn still der Sonnenschein das Haus umfing

Und singend ein Gesell vorüberging,

Ein fröhlich dürstender, mit heißem Blut,

Dann wallt' es unten auf mit süßer Wut:

 

»O laßt mich an des Tages goldnen Blick,

Ich bring euch Freiheit, Freude, Lieb und Glück!

Laßt schäumend mich entgegensprühn dem Lied,

Das aus der hellen Menschenkehle zieht!«

 

Umsonst versprach er reichen Minnelohn,

Gefesselt blieb der goldne Sonnensohn!

Nicht wahr, ihr alle, die ihr Herrscher heißt,

Es ruht sich süß auf unterdrücktem Geist?

 

Nun wankt und stürzt das morsche Sündenhaus;

Doch unter seinen Trümmern atmet aus,

Vergessen, was so lang das Licht gesucht –

Heil unsrer jungen Reben süßer Frucht!

 

 

6

Ein Apfelbaum in voller Blüte steht,

Ein leichter West in seinen Zweigen weht;

Er schaut, verklärt vom blutig roten Schein,

Verwundert auf den wilden Brand herein.

 

Es ist, als ob der helle Glanz ihn freut',

Weil Blütenblätter in die Glut er streut;

Er atmet ein des Feuers heißen Hauch,

Um seine Krone spielend zieht der Rauch.

 

Da plötzlich langt herüber aus dem Brand

In seine Äste tief die Flammenhand:

Zu Kohlen brennt der schöne Blütenbaum –

Hin ist ein dichterlicher Lebenstraum!

 

 

7

Dort gegen Westen, traulich unterm Dach,

Liegt hoch und abgeschieden das Gemach,

Das sich des Hauses Töchter jederzeit

Zum stillen Allerheiligsten geweiht.

 

Es ist ein eng und niedrig Kämmerlein

Mit runden Scheiben und uraltem Schrein,

Drin Bänder, Kettlein, Herzchen aller Art

In mannigfachen Kästlein wohlverwahrt.

 

Am Fenster steht das Spinnrad und davor

Der zartgepflegte bunte Blumenflor,

Gelbveiglein, Nelken, Rosen ohne End,

Und wie man all das liebe Zeug benennt!

 

Manch nächtlich Lied hat hier heraufgetönt,

Und diese Fensterlein sind dran gewöhnt,

Geräuschlos blinkend, heimlich aufzugehn,

Geöffnet ganze Nächte durch zu stehn.

 

Und manche Leiter wurde aufgetürmt

Und auf die Liebeswarte kühn gestürmt;

Ob stets das Rosengitter widerstand,

Gehört zu den Geheimnissen im Land.

 

Auch jetzt ist eine Leiter angelegt,

Die einen Schwarm geschwärzter Männer trägt;

Im roten Mantel stürmet in die Tür

Ein Freiersmann mit flammendem Panier.

 

Und vor ihm fährt ein Knäuel, wirr und kraus,

Erschreckter Liebesgötter fliehend aus;

Das flattert irrend in der Frühlingsluft,

Verfliegend wie verbrannter Ambraduft.

 

Das ganze Fenstergärtlein stürzt herab

Und findet in der Glut sein feurig Grab.

Ob all die stille, schöne Liebeswelt

Wohl rettungslos damit in Asche fällt?

 

Mir ist nicht bang; ist neu das Haus erbaut,

Man sicher wieder dran ein Fenster schaut

Mit Rosen, Gelbveiglein und Nelkenzier;

Denn solches muß man haben für und für!

 

 

8

Welch lieblich Wunder nimmt mein Auge wahr!

Dort fließt ein Brünnlein, gar so frisch und klar,

Ein holzgeschnitzter Meergott gießt den Trank

In eine ausgehöhlte Eichenbank.

 

Der Westwind hat die Glut herangeweht,

Der alte Gott in vollen Flammen steht,

Und aus der Feuersäule quillt der Schwall,

Des Wasserstrahls lebendiger Kristall.

 

Wie fröhlich tönt der schöne Silberstrang,

Gleich jenem Kleeblatt, das im Feuer sang!

Du klares Leben, ew'ger Wellenschlag,

Wer sendet aus der Tiefe dich zu Tag?

 

Ich glaubt, ein Brunnenhaus sei feuerfest –

Nun ist ein Häuflein Kohlen hier der Rest;

Die Quelle aber rieselt frisch und rein

Auch über Kohlen in die Welt hinein.

 

Wer weiß, wie lange schon der Bergquell springt?

Wer weiß, wie lang er noch zum Lichte dringt?

Auf! schnitzelt einen neuen Brunnenmann,

Der wieder hundert Jahr ihn fassen kann!

9

 

Zu loben ist der Männer kühner Mut,

Womit sie ringen mit der heißen Glut,

Zu retten, was man irgend retten kann;

Doch ist nicht redenswert, was man gewann.

 

Das Beste ist ein alter Totenkranz,

Erinnerung an hohen Jugendglanz,

An irgendeinen früh gestorbnen Sohn,

An einen längst verhallten Harfenton.

 

Mit welken Blättern liegt er in der Au,

Und auf ihn fällt der milde Maientau;

Die blassen Bänder wehn im Morgenwind,

Daneben zitternd wacht ein schwaches Kind!

 

Wie leicht und dürr der alte Kranz mag sein,

Man wird ihm wieder eine Stelle weihn

Im neuen Bau, hoch an der Stubenwand,

Als des Vergangnen letztem welkem Pfand.

 

Da wird er still aufs junge Leben sehn

Und dieses ehrend ihm vorübergehn,

Bis auch sein letztes leichtes Blatt zerstiebt

Und man den nackten Reif dem Feuer gibt!

10

 

Die Flamm ist tot, der Krater ist verglüht,

Die Himmelsrose drüber aufgeblüht;

Sie glänzt auf Kohlen, wo die Wohnung stand,

Verschwunden ist das morsche Werk der Hand.

 

Woran der Mensch die Totenhände legt

Und was er diebisch scheu zusammenträgt:

Hin ist nun alles, was nach Richt und Maß,

Gefügt, gebunden, aufeinander saß.

 

Doch ihr erglänzet mir unwandelbar,

Ihr Morgenlande, wonniglich und klar,

Ihr Berg' und Täler voller Knospendrang,

Voll Quellenrauschen und voll Frühlingssang!

 

O Überfülle, die zum Lichte schwillt,

O Blütenwirbel, der da überquillt

Und überwuchert, wo die Sünderhand

Ihr Maß will legen auf das reiche Land!

 

Das ist die Nachhut, die den Rücken deckt;

Drum auf zum Werke, Menschheit, unerschreckt!

Bau auf, reiß nieder und bau wieder auf:

Das Jahr geht immer seinen Segenslauf!

 

 

Vermischte Gedichte

 

Schweizerisches

1. An mein Vaterland

O mein Heimatland! O mein Vaterland!

Wie so innig, feurig lieb ich dich!

Schönste Ros', wenn jede mir verblich,

Duftest noch auf meinem öden Strand!

 

Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich,

Königsglanz mit deinen Bergen maß,

Thronenflitter bald ob dir vergaß:

Wie war da der Bettler stolz auf dich!

 

Als ich fern dir war, o Helvetia!

Faßte manchmal mich ein tiefes Leid;

Doch wie kehrte schnell es sich in Freud,

Wenn ich einen deiner Söhne sah!

 

O du Schweizerland, all mein Gut und Hab!

Wann dereinst mein banges Stündlein kommt

– Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt –,

Nicht versage mir ein stilles Grab!

 

Werfe ich von mir einst mein Staubgewand,

Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:

»Lasse strahlen deinen schönsten Stern

Nieder auf mein irdisch Vaterland!«

 

 

2. Waldstätte

Es sind vier Länder gelegen

Um einen urtiefen See,

Die mir das Herze bewegen

Mit noch viel tieferem Weh!

 

Sie sind der Stolz gewesen,

Die Zierde vom Schweizerland;

Nun kehrt man kaum mit Besen

Hinaus die blutige Schand!

 

Sie nähren sich noch zur Stunde

Vom alten Ruhme mit List,

Der doch auf der Wasser Grunde

Schon lange versunken ist!

 

Noch leuchtet in der Sonnen

Der Berge silberner Dom –

Die Täler hat übersponnen

Die alte Spinne von Rom!

 

Da liegen sie, wie vier Leichen,

Von Alpenrosen umblüht,

Und über die Todesbleichen

Hohnlachend der Böse zieht.

 

Wer hebt mir die Edelsteine,

Die vier, aus dem Schlamm und Sand?

Wer setzt sie mit neuem Scheine

In die Krone dem Vaterland?

 

 

3. Jesuitenlied

Hussa! Hussa! die Hatz geht los!

Es kommt geritten klein und groß;

Das springt und purzelt gar behend,

Das kreischt und zetert ohne End –

Sie kommen, die Jesuiten!

 

Da reiten sie auf Schlängelein

Und hintennach auf Drach und Schwein;

Was das für muntre Bursche sind!

Wohl graut im Mutterleib dem Kind:

Sie kommen, die Jesuiten!

 

Huh! wie das krabbelt, kneipt und kriecht!

Und wie's so infernalisch riecht!

Jetzt fahre hin, du gute Ruh!

Geh, Grete, mach das Fenster zu!

Sie kommen, die Jesuiten!

 

Von Kreuz und Fahne angeführt,

Den Giftsack hinten aufgeschnürt,

Der Fanatismus als Profoß,

Die Dummheit folgt als Betteltroß:

So kommen die Jesuiten!

 

O Schweizerland, du schöne Braut,

Du bist dem Teufel angetraut!

Ja, weine nur, du armes Kind!

Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind –

Sie kommen, die Jesuiten!

 

 

4. Pietistenwalzer

Nun stimmet die Harfen und salbet die Geigen

Und gebt euch die Händlein zum himmlischen Reigen,

Ein Weiblein, ein Männlein,

Ein Hühnlein, ein Hähnlein,

Je zwei und zwei, wie sich's am besten schickt

Und man sich am frömmsten zu Herzen drückt.

 

Sind alle da? Ei, so verschließet den Himmel,

Laßt draußen das sündige Pack und Gewimmel,

Verberget die Kniffe,

Die lüsternen Griffe,

Wir haben den Geist uns zu Fleische gemacht

Und feiern subtil die urewige Nacht!

 

Zu wecken die schlaffen, wollüstigen Gluten,

Bestreicht uns der Satan den Hintern mit Ruten;

Die heilige Völle

Durchwürze die Hölle!

Nun löschet die Lichter von ungefähr;

Das Töchterlein tanzt mit dem Missionär!

 

O süßliches Grunzen, o seliges Dunkel,

Begehrliches Suchen und tappend Gemunkel!

Mich fasset ein Schwindel!

Bacchantisch Gesindel!

O heilige, himmlische Windbeutelei –

Hinschmelz ich und sied ich im seligsten Brei!

 

 

5. Apostatenmarsch

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Schnürt den Sack und macht linksum!

Abgeweidet ist die Matte,

Spute dich, du Wanderratte!

Hungern ist kein Gaudium.

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

Sind wir nicht ein schöner Zug,

Galgenfroher Rabenflug?

Hinter uns die guten Tröpfe

Stehn und brechen sich die Köpfe

Ob dem lustigen Betrug.

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

Hohn und schriller Pfeifenklang

Folgen uns den Weg entlang;

Weiter, weiter in dem Kote!

Weiße, süße Gnadenbrote

Lohnen uns den sauren Gang.

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

Aus dem Busen reißt das Herz,

Werft es fluchend hinterwärts!

Fauler Schlamm, o kühle, spüle

Weg die heißen Hochgefühle!

Ei, es war nur Bubenscherz!

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

Nieder mit dem Jungfernkranz!

Ausgelöscht der Ehre Glanz!

Abgeleugnet jede Wahrheit!

Angespien der Sonne Klarheit!

In den Staub mit dem Popanz!

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

Tod am Strick – ein dummer Tod –

Schäme dich, Ischariot!

Du magst baumeln! Unsereiner

Schwimmt mit Würde stets als reiner

Goldfisch oben auf dem Kot.

Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:

Bum! Bum! Bim, bam, bum!

 

 

6. Auf Martin Distelis Tod

Sie haben Ruh, die Kutten braun und schwarz,

Die Flattermäuse, Eulen, blauen Kröpfe,

Die Spieße, die Philister und die Zöpfe,

All das verbrannte, zähe Pech und Harz!

 

Er hat sie scharf gepeitscht und arg gegeißelt

Die faulen Bäuche und die krummen Rücken,

Er hat aus tausend giftgeschwollnen Mücken

Sich gar ein seltsam Monument gemeißelt!

 

Schaut her, ihr draußen, denen im Genick

Geharnischte Tyrannen tödlich lasten,

Schaut dies Gewimmel ohne Ruh und Rasten,

Den Bodensatz in einer Republik!

 

Solch einen Abschaum wohlgemut zu zeichnen,

Braucht es fürwahr ein gutes, starkes Herz!

Ihm lohnt es auch des Vaterlandes Schmerz,

Und seinen Namen wird es dankbar eignen!

 

 

7. Bei Robert Steigers Befreiung und Ankunft in Zürich

am 20. Juni 1845

 

Mit deinem Adelsbriefe wohl versehen,

Dem Todesurteil mit dem argen Riß,

Sehn wir dich jugendlich und stark erstehen

Aus deines Grabes kalter Finsternis.

Des Unglücks Feuertaufe auf dem Haupte,

Den letzten Kettenring noch an der Hand:

So schreitest du durch dieses jungbelaubte

Und doch so tief gebeugte Vaterland!

 

Und wo du gehst, da weckst du auf den Bergen

Die hellen Freudenfeuer ohne Zahl!

Doch hinter dir, da stehn die röm'schen Schergen,

Geblendet noch vom unverhofften Strahl:

Der Apostat, des Name nun zertreten

Im Staube an des Volkes Sohlen klebt,

Indes den deinen es mit lautem Beten

Und kindlich dankbar zu den Sternen hebt!

 

Es grüße dich das goldne Licht der Sonne,

Dich grüßt die Freiheit und das Vaterland!

Es grüßen dich mit heißem Schlag der Wonne

Viel tausend Herzen, freudig zugewandt!

Nimm hin in vollem Maß des Volkes Liebe

Und seinen Dank, den es den Helden zollt:

Der Männer Lärm und jubelndes Getriebe,

Des Weibes Träne, die im stillen rollt!

 

Nimm hin die Lieder und die Festgesänge!

Es lauscht ein heil'ger, starker Zorn darin!

Die bittre Klage in dem Lustgedränge,

Den Dorn, den diese Rose birgt, nimm hin!

Denn was dem müden Volk das Herz durchzittert,

Legt's heimlich in die Grüße mit hinein;

Ob's nun in Freude oder Leid gewittert:

Es wird nicht minder ein Gewitter sein!

Überall!

 

Freiheit mit den schwarzen Augen,

Wachst du auf am Tiberstrande?

Freiheit mit den blauen Augen,

Schläfst du noch im deutschen Lande?

Holde trikolore Dirne,

Schürze wieder dich zum Tanze!

O du Schweizer Gletscherfirne,

Strahle neu im Morgenglanze!

 

Und du, schlanke Nereide,

Tauch aus deinen grünen Wogen!

Hat dich nicht dein Sklavenfriede,

Arme Hellas, arg betrogen?

War es dir auch schlecht zu Mute

Und gebrochen das Gefieder?

Weißer Aar im roten Blute,

Rausche, rausche, rausche wieder!

 

Hebt den Schild, ihr Schutzpatrone

Aller Völker, nun zum Streite!

Flechtet eine Myrtenkrone

Die sich über alle breite!

Streifet ab die alten Sünden,

Denn geläutert und gereinigt

Sollt ihr euch zum Feste finden,

Das nur Würdigste vereinigt!

 

 

Wanderlied

Nun will ich gehn und wandern

Früh bis zum Abend spät,

So weit auf dieser Erde

Die Sonne mit mir geht!

 

Ich nehme nichts mit als den Becher,

Mein leichtes Saitengetön;

Ich wundre mich über die Maßen,

Wie's überall so schön!

 

Die Ebne ist oft schöner

Als meine Berge noch,

Und wo kein blauer Himmel,

Gibt's rote Wolken doch.

 

Wo keine schmachtenden Lotos,

Wächst blühendes Heidekraut,

Wo keine gotischen Dome,

Sind jonische Tempel gebaut.

 

Und bin ich des Griechischen müde,

Mich lockt die luft'ge Moschee:

Ich kleide in maurische Schnörkel

Mein europäisches Weh!

 

Nur eine süße Blüte,

Die mangle ich überall,

Von einem süßen Namen

Den reinen Silberschall.

 

Hallo, du muntrer Jäger!

Sag an, du Bergmann traut!

Hast du, o stiller Fischer,

Mein Liebchen nicht geschaut?

 

Mein Liebchen ist die Freiheit,

Ich suche sie kreuz und quer –

Sie ist doch nicht ertrunken

Im alten falschen Meer?

 

 

Der Freiheitsbaum

Ein Tannenbaum im Schwarzwald steht,

Der wächst schon manches Jahr;

Sein Wipfel hoch ins Blaue geht,

Drin fliegt sein grünes Haar.

 

Die Wurzel hat den Erdengrund

Gar innig angefaßt,

Und darum bleibt der Baum gesund,

Wie auch der Nordwind rast!

 

Doch alles, was auf Erden ist,

Muß haben seine Zeit:

Der Tannenbaum zu seiner Frist

Zum Fällen ist bereit!

 

Dann schmückt man ihn, dann führt man ihn

Den hellen Rhein entlang,

Bis mitten in die Stadt Berlin,

Mit lautem Sang und Klang!

 

O Maienlust, o Freiheitsbaum,

So jugendlich und grün!

Wie wirst du, alter Menschentraum,

Dann ewig, ewig blühn!

Stein- und Holz-Reden

 

Auf der Lüneburger Heiden,

Da steht ein alter Stein,

Dabei eine alte Eiche,

Die mag wohl tausendjährig sein!

 

Es ziehn vorüber Gesellen

Zwei oder drei mit Sang,

Die singen von deutscher Freiheit,

Auf weiter Heid' verhallt der Klang!

 

Da spricht der Stein zur Eiche,

Als wie erwacht vom Traum:

»Ging nicht die Freiheit vorüber?

Wach auf! wach auf, du deutscher Baum!«

 

Und durch die Krone fahre

Ein lauter Saus und Braus,

Es schlagen die moosigen Zweige

In tausend grüne Blätter aus.

 

Die Gesellen sind gezogen

Schon fern durchs Heidekraut!

Und die Eiche hat ihnen

Gar bang und traurig nachgeschaut!

 

Es kreischen ein paar Möwen

Verdächtig hin und her,

Die machen der grauen Eichen

Das Herz so düster und so schwer!

 

»Nun will ich wiederum schlafen«,

Spricht sie zum alten Stein,

»Du wunderlicher Träumer,

Sollst mir nun einmal ruhig sein!«

 

 

Auf der Landstraße

Zieht eine arme Pilgerin,

Gebückt und schwach, am Bettelstab,

Zur gnadenreichen Jungfrau hin;

Der Rosenkranz rollt auf und ab,

Obwohl er sie nicht hindern kann

Auch ihres Leibes zu gedenken

Und auf den rüst'gen Wandersmann

Demütig ihren Blick zu lenken.

 

»Mein junger Herr! erbarmet Euch,

Wie Gott Euch mög barmherzig sein!

Er geb Euch einst sein Himmelreich

Und seinen Segen obendrein!« –

»Ich glaube nicht an deinen Gott,

Für den dort deine Kugeln rollen!

Drum schien' es selbst mir arger Spott,

Würd ich dir eine Gabe zollen.«

 

Doch weiter ihrer Rede Lauf:

»Gott segne Euer junges Haupt

Und heb Euch seinen Segen auf,

Bis Ihr allendlich an ihn glaubt!«

Und dankend nimmt sie meinen Sold

Und betet fort auf ihren Wegen –

Ich habe mich davongetrollt

Mit ihrem christkathol'schen Segen.

 

Bei allen Göttern dieser Welt

Leg ich ein kleines Sümmlein an:

Sagt, wenn dereinst der Würfel fällt,

Ob es mir wohl noch fehlen kann?

Und leugnen alle einst die Schuld,

Ich weiß gewiß, es hat mein Lieben

Der wahre Gott in seiner Huld

Mir zahlbar dann und gut geschrieben!

 

Ein schrankenloser Leichtsinn soll

In diesem Streit mein Schildknapp sein!

So leb ich mut- und freudenvoll,

Solang nur Herz und Sinne rein.

Ich lieb es, so mir halb bewußt

Am offnen Abgrund hinzustreifen;

Und über mir laß ich mit Lust

Das Aug ins grundlos Blaue greifen!

 

 

Meer

Der Himmel hängt, wie Blei so schwer,

Dicht auf dem wildempörten Meer;

Ein englisch Segel, fast die Quer,

Schießt wie ein Pfeil darüber her.

 

Ein Messer, so das Meer sich schliff,

Da starrt ein blankes Felsenriff

Und schlitzt das Engelländerschiff –

Das Meer tut einen guten Griff.

 

Viel tausend Bibeln sind die Fracht,

Die sinken in die Wassernacht;

Schon hat in düstrer Schuppenpracht

Das Seevolk sich herbeigemacht.

 

Da wimmelt es von Schlang und Fisch,

Sie sitzen am Korallentisch;

Her schießt der Leviathan risch:

»Was ist das für ein Flederwisch?«

 

Die Meerschlang, als die Königin,

Kommt auch und blättert her und hin;

Sie alle lesen emsig drin

Und forschen nach dem dunkeln Sinn.

 

Sie ziehn den Missionär empor

Und halten ihm die Bibel vor;

Doch der zu schweigen sich verschwor –

Das Meer durchbraust sein totes Ohr.

 

 

Die Spinnerin

1

Rinne sanft, du weiche Welle,

Schöner Flachs, durch meine Hände,

Daß ich dich mit stiller Schnelle

Fein zum goldnen Faden wende!

 

Du Begleiter meiner Tage,

Wirst nun bald zum Tuch erhoben,

Dem ich all mein Lust und Klage

Singend, betend eingewoben!

 

Wie so schwer bist du von Tränen,

Schwer von Sagen und von Träumen,

Schwer von jungfräulichem Sehnen

Und durchblüht von Myrtenbäumen!

 

Ahnt er wohl, du traute Linne,

Welch geheimnisvolle Dinge,

Einen Schatz urtiefster Minne

Ich mit dir ins Haus ihm bringe?

 

Kühler Schnee auf seine Wunden

Sollst du werden, mein Gewebe!

Wohl ihm, daß er mich gefunden

Unter dieses Gartens Rebe!

 

Wie durchdringt mich das Bewußtsein,

Daß so ganz sein Glück ich werde

Und das Kleinod seiner Brust sein

Und sein Himmel auf der Erde!

2

 

Nur diesen letzten Rocken

Noch spinnt mein reger Fleiß;

Dann schmiegt euch, blonde Locken,

Dem grünen Myrtenreis!

 

Ich habe lang gesponnen

Und lange mich gefreut,

Zum Bleichen an der Sonnen

Liegt meine Jugendzeit!

 

Hat er wohl auch das Seine

Mit treuem Mut getan?

Betreten schon die eine

Und lichte Ehrenbahn?

 

Hat innig er begriffen

Die Arbeit seiner Zeit?

Hat er sein Schwert geschliffen

Und ist zum Kampf bereit?

 

Weh ihm, wenn er nicht rechten

Für unsre Freiheit will!

Weh ihm, wenn er nicht fechten

Für unsre Ehre will!

 

Dann mag mein Liebster minnen

Wohl auf und ab im Land,

Und dies mein bräutlich Linnen

Wird dann ein Grabgewand!

Frau Rösel

 

Frau Rösel ist eine gute Frau, wie liebt sie ihren König!

Den König und sein ganzes Haus! und ißt und trinkt so wenig!

Die gute arme Frau Rösel!

 

Frau Rösel hat ihren einz'gen Sohn dem König übergeben,

Er steht und gafft am Schilderhaus, sie nährt mit Spinnen ihr Leben!

Die gute arme Frau Rösel!

 

Und als es hieß, der liebe Prinz wird seine Braut heimführen,

Da sprach der Vogt: »Frau Rösel mein, ihr müßt euer Haus verzieren!«

Die gute arme Frau Rösel!

 

Nun hat Frau Rösel dick zu tun, wie trippelt sie und wie lauft sie!

Baumwollenfahnen und Goldpapier und frische Rosen kauft sie,

Die gute arme Frau Rösel.

 

Sie geht zu Wald und sammelt Moos, beim Nachbar bettelt sie Schnüre

Und alte Nägel und solchen Quark, beim Schuster Kleister und Schmiere!

Die gute arme Frau Rösel.

 

Dann keucht und schafft sie den ganzen Tag und sinnt und klopft und klittert,

Bis daß das Häuslein um und um behangen und beflittert.

Die gute arme Frau Rösel!

 

Herr Bunzelmann, der alles kann, hilft ihr studieren und kleben,

Macht Wappen und Kron und Namenszug, sauft zehn Maß Bier daneben.

Die gute arme Frau Rösel.

 

Und aus dem letzten Groschen kauft sie Brot und frische Butter

Und sitzt vergnügt und harrt in Ruh auf die neue Landesmutter!

Die gute arme Frau Rösel!

 

Wie wird es mir so weinerlich, wenn ich dies Häuslein schaue,

So flimmerlich und schimmerlich, und drin die alte graue,

Die gute arme Frau Rösel!

 

Und eh sie sich recht umgeschaut, sind schon vorbei die Wagen!

Und wie das Pärlein ausgesehn, muß sie die Nachbarn fragen,

Die kurzsichtige Frau Rösel!

 

So schlage doch der Teufel drein! ich kann nicht mehr spaßen und narren!

Wie lange willst du stettig noch in deiner Blindheit verharren,

Du dummes Weib! du Frau Rösel?

 

 

Der Kürassier

»Für Gott, König und Vaterland!«

 

Ich spute mich nach Hause in kalter Regennacht:

Da stehet düster schimmernd und lautlos auf der Wacht

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Er flüstert leis: »Mich hungert, ein Kreuzer, Herr, zu Brot!«

Ich stehe still, erschrocken, und werde für ihn rot.

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier!

 

Doch wie ich meinen Bettel will teilen mit ihm drauf,

Da rasselt die Karosse vorbei im schnellen Lauf.

Auf, schlanker und blanker, du schwerer Kürassier!

 

Drin sitzt ein abgeflattert, blutlos Ministerweib:

Der Reiter läßt erklirren den starren Riesenleib,

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Dann nimmt er meine Gabe und bittet demutsvoll,

Daß ich doch unsern Handel niemanden sagen soll –

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

So steht er noch ein Stündlein und grübelt sonder Harm,

Etwa: Im Königssaale, da ist es wohl recht warm.

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Bis einsmals er im Fieber von seinem Posten geht –

Drauf heißt es: »Nummer Neune liegt tot im Lazareth.«

Der schlanke, der kranke, der arme Kürassier!

 

Es wird an seiner Treue zuschanden jeder Spott;

Er starb ja für den König, für Vaterland und Gott!

Der schlanke, der tote, der arme Kürassier! –

 

 

Kronprinzen

Hoffnungsblumen, Morgenröten,

Die am dunkeln Himmel blühn!

Und das Volk in seinen Nöten

Schaut erwartend ihr Erglühn.

Harrt ergeben auf die Sonne,

Die da auferstehen soll,

Und von beßrer Zeiten Wonne

Wird sein Wermutbecher voll.

 

Horch! was flüstert in den Gassen

Und was zischelt im Palast?

Herolde durchziehn die Straßen,

Rufend mit gedämpfter Hast!

Hei, der König ist gestorben!

Hei, der alte Kauz ist tot,

Ist gestorben und verdorben,

Und zu End ist unsre Not!

 

Bald verhallt der dumpfe Klang von

Trauerglocken durch das Land,

Festtrompeten harren lang schon,

Zu erschallen durch das Land.

Heil ihm, er hat sich gebildet

Lang mit Männern weis und alt!

Heil uns, nun sind wir geschildet

Gegen Willkür und Gewalt!

 

Morgenjubel ist verklungen,

Wetter hielt sich leidlich gut,

Und die Alten und die Jungen

Schlendern heimwärts wohlgemut.

Doch schon tropft es auf die Nase –

Spute sich, wer laufen mag!

's kommt nach all dem frohen Spaße

Gar ein langer Regentag.

 

 

Trinklied

Die grünen Römer blinken,

Wir trinken draus mit Lust:

Das ist ein fröhlich Leben,

Das hebt die junge Brust!

 

Die Sonne spielet lieblich

Durch all den klaren Wein,

Sie spiegelt hin und wider

In unsern Äugelein!

 

Was liegt denn an der Schwelle

Dort für ein bleiches Weib?

Geschlagen und gebunden

Den wunderschönen Leib?

 

Wie kommt so kranke Dirne

Denn unserm Jubel nah? –

Oh, schleudert weg die Becher!

Das ist Germania!

 

Wir nehmen still die Hüte

Und schleichen aus dem Schank,

Wie einer, der ein Räuschchen

Sich am Karfreitag trank.

Meergedanken

 

O wär mein Herz das tiefe Meer

Und meine Feinde die Schiffe:

Wie schleudert' es sie hin und her

An meines Hasses Riffe!

 

Und endlich schläng es unter sie,

Hinunter in die Tiefe,

Daß drüber glänzend spät und früh

Der Meeresfrieden schliefe!

 

So aber ist's 'ne Welle kaum,

Von tausenden nur eine,

Doch nagt und wäscht ihr leichter Schaum

Am morschen Schiffsgebeine!

 

Wir Wellen brausen treu vereint,

Und eine folgt der andern!

Wir haben all den gleichen Feind,

Nach dem wir spähn und wandern.

 

Das Unglück ist der Wirbelwind,

Der peitscht uns, bis wir schäumen

Und bis wir wach geschlagen sind

Von unsern Wasserträumen.

 

Und endlich sinkt im Trümmerfall,

Was wir so lang getragen –

Heil uns, wenn wir mit sattem Schwall

Dann oben zusammenschlagen!

 

 

Denker und Dichter

1

Wohlan, ihr neunmal Weisen!

Ich fordre euch heraus!

Baut ihr aus Stahl und Eisen

Und Marmor euer Haus:

Bau ich aus Rosendüften

Und Mondschein mir ein Schloß;

Drin biete ich euch allen Hohn

Und eurem Schülertroß!

 

Die goldnen Sonnenstrahlen

Sind meine Lanzen scharf;

Die Blumen in den Talen

Sind all mein Schießbedarf!

Die Tannen auf den Bergen

Sind meine Wächtersleut,

Des Himmels Sterne allzumal

Mein glänzend Heer zum Streit.

 

Mein Oberstfeldzeugmeister

Ist meine Phantasie,

Denn ihre guten Geister

Verließen mich noch nie;

Und meine Kriegeskasse

Der Quellen Silberschaum,

Mein lustig säuselnd Lagerzelt

Des Waldes grüner Baum!

 

Und meine Siegsstandarte,

Die ist das Morgenrot!

Und meine Feldherrnkarte,

Die ist das Abendrot!

Mein Tambour ist der Donner,

Der in den Bergen rollt,

Trompeter ist der wilde Sturm,

Der auf den Meeren grollt.

 

Die Wolken sind Trabanten,

Die meine Stimme ruft,

Und meine Adjutanten

Die Adler in der Luft.

Die fliegen und die spähen

Hinaus in alle Welt.

Mein Dichterherz ist Feldmarschall,

Das ist ein guter Held.

 

Ich schicke dir entgegen,

O Feind! die Nachtigall:

Die bringt mit ihren Schlägen

Dich alsogleich zu Fall.

Ich werde lassen spielen

Mein duftendes Geschütz,

Und euer Eis vergehen soll

An meiner Waffen Blitz.

 

Gott hat zu seinem Zeugen

Erschaffen den Gesang,

Der wird nun nimmer schweigen

Die Ewigkeit entlang.

In seinen Zauberwellen

Versinkt der letzte Spott!

Solange noch ein Dichter singt,

So lange lebt auch Gott!

 

 

2

Nein! – zwischen uns soll Friede sein,

Ich stell die weiße Fahne auf,

Daß in geharnischtem Verein

Wir fahren einen Siegeslauf!

Voran! voran! ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Wir aber ziehen hintendrein

Mit klar gestimmten Zithern!

 

Ihr seid die feuerschwangre Kraft,

Die Luft und Erde reinigt,

Sprengt den entlaubten Eichenschaft,

Der dorrend überm Abgrund steht.

Doch funkelnd aufgezogen

Sind wir der Regenbogen,

Der nach dem Sturm am Himmel lacht,

Wenn aller Dunst verflogen.

 

Ihr seid des Winters kalter Graus,

Verjagt das schwüle Heidentum,

Ihr jätet Dorn und Distel aus

Und pflügt den starren Acker um.

Doch wir auf Lenzesschwingen,

Mit Spielen und mit Singen,

Wir müssen in die Furche dann

Den neuen Samen bringen!

 

Ihr seid die Vorhut und die Wacht,

Die sengt und brennt in Feindes Land,

Und ihr durchkreuzt die schwarze Nacht

Mit gleißend rotem Fackelbrand.

Von der Posaunen Schallen

Ist Jericho gefallen:

Vor eurem Hauche stürzen selbst

Des Himmels hohe Hallen!

 

Dann aber folgt die Dichterschar,

Die einen neuen Himmel baut,

Darinnen man im Lichttalar

Den alten Gott der Liebe schaut.

Voran, voran, ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Wir ziehen heilend, segnend nach

Mit klar gestimmten Zithern.

Am Vorderrhein

 

Wie ist er rauschend ausgezogen,

Der junge Held, aus Kluft und Stein!

Wie hat er gierig eingesogen

Die Milch der Freiheit, frisch und rein!

Nun wallt der Glückliche hinnieder,

Hin in mein zweites Heimatland:

O grüß mir alle deutschen Brüder,

Die herrlichen, längs deinem Strand!

 

Und grüß mir alle deutschen Frauen

Mit deinem besten Ritterbrauch,

Und wenn du wirst die Dome schauen,

Die lieben Käuze, grüß sie auch!

Sonst wüßt ich niemand mehr zu grüßen

Als etwa noch die Lorelei

Und deiner Reben freudig Sprießen! –

Den Dreißig ströme stolz vorbei!

 

Es taucht ein Aar ins Wolkenlose

Hoch über mir im Sonnenschein.

Ich werfe eine Alpenrose

Tief unten in den wilden Rhein!

Führ nieder sie, führ sie zu Tale,

Du schöner Strom, bis an das Meer,

Und weis dem Volk im Eichensaale,

Dem harrenden, dies Zeichen schwer!

 

 

Einkehr unterhalb des Rheinfalls

Da rauscht das grüne Wogenband

Des Rheines Wald und Au entlang:

Jenseits mein lieb Badenserland,

Und hier schon Schweizer Felsenhang!

 

Da zieht er hin, aus tiefer Brust

Mit langsam stolzem Odemzug;

Und über ihm spielt Sonnenlust

Und Eichenrauschen, Falkenflug!

 

Kein Schloß, kein Dom ist in der Näh,

Nur Wälder schauen in die Flut;

Von Deutschland schwimmt ein zitternd Reh

Herüber, wo es – auch nicht ruht!

 

Und in der Stromeseinsamkeit

Vergeß ich all den alten Span,

Versenke den verjährten Streit

Und hebe hell zu singen an:

 

»Wohl mir, daß ich dich endlich fand,

Du stiller Ort am alten Rhein,

Wo ungestört und ungekannt

Ich Schweizer darf und Deutscher sein!

 

Wo ich hinüber rufen mag,

Was freudig mir das Herz bewegt,

Und wo der klare Wellenschlag

Den Widerhall zurück mir trägt!

 

O steigt zum Himmel, Lied und Wort!

Schwebt jubelnd ob dem tiefen Rhein!

Hier ist ein stiller Freiheitsport,

Hier sind wir mit dem Rhein allein!«

 

Da raschelt's drüben, und der Scherg

Lauscht zweigefärbt durchs dunkle Grün –

Ich fliehe schnell hinan den Berg:

Du stiller Ort am Rhein – fahr hin!

 

 

An das Herz

Willst du nicht dich schließen,

Herz! du offnes Haus,

Worin Freund' und Feinde

Stürmen ein und aus?

 

Schau, wie sie verletzen

Dir das Hausrecht stets!

Fühllos auf und nieder,

Polternd, lärmend geht's!

 

Keiner putzt die Schuhe,

Keiner sieht sich um!

Staubig brechen alle

Dir ins Heiligtum;

 

Trinken aus den goldnen

Kelchen des Altars,

Stehlen Müh und Segen

Dir des ganzen Jahrs;

 

Werfen die Penaten

Wild vom Herde dir,

Pflanzen drauf mit Toben

Ihr zerfetzt Panier;

 

Und wenn zu verwüsten

Sie nichts finden mehr,

Lassen sie im Scheiden

Dich, mein Herz, so leer!

 

Nein! und wenn nun alles

Still und tot in dir:

Oh, noch halt dich offen,

Offen für und für!

 

Laß die Sonne scheinen

Heiß in dich herein,

Stürme dich durchfahren

Und den Wetterschein!

 

Wenn durch deine Hallen

So die Windsbraut zieht,

Laß aus deinen Glocken

Schallen Lied um Lied!

 

Denn noch kann's geschehen,

Daß auf irrer Flucht

Eine treue Seele

Bei dir Obdach sucht.

 

Dann ist's Zeit, zu schließen

Endlich Tür und Tor,

Dann blüh dir im Innern

Neu der Lenz hervor!

 

 

Aus ihrem Leben:

Dichtung und Wahrheit

1. Gasel

Seht den Poet, der immerdar erzählt von Lerchensang,

Wie er nun bald drei Dutzend schon gebratner Lerchen schlang!

Bei Sonnenaufgang, als der Tag in Blau und Gold erglüht',

Da war es, daß sein Morgenlied vom Lob der Lerchen klang;

Und nun bei Sonnenuntergang mit seinem Gabelspieß

Er sehnend in die Liederbrust gebratner Lerchen drang!

Das heiß ich die Natur verstehn, allseitig, tief und kühn,

Wenn also auf und nieder sich sein Tag mit Lerchen schwang!

 

 

2. Konditor und Poet

Kennt ihr den Kleinkinderhimmel,

Wo als Gott der Zuckerbäcker

Waltet süß und hoch und herrlich

In den Augen kleiner Schlecker?

 

O zur Weihnachtszeit, wie flimmert,

Duftet es rings an den Wänden!

Welchen Schatz von Herrlichkeiten

Schüttet er aus vollen Händen!

 

Läßt erblühen süße Blumen,

Weise streut er die Gewürze;

Schön stehn ihm die hohe, weiße

Zipfelmütze, Wams und Schürze.

 

Doch wonach die guten Kinder

Schmachtend vor dem Laden stehen,

Muß dem Reichen, Allgewalt'gen

Reizlos durch die Hände gehen!

 

Kaum einmal des Jahres ißt er,

Aus Zerstreuung in dem Handel,

Flüchtig eine Zuckererbse

Und verächtlich eine Mandel.

 

Aber auch den andern Himmel,

Den der Poesie, wohl kennt ihr,

Der sich mit der Maizeit öffnet,

Drin den Dichter König nennt ihr!

 

Zipfelmütze, weiße Schürze,

O wie nüchtern glänzet ihr!

Und wie mahnt ihr mich an weißes

Reinliches Konzeptpapier!

Erwiderung auf Justinus Kerners Lied

»Unter dem Himmel«

 

Siehe Morgenblatt 1845

 

Laßt mich in Gras und Blumen liegen

Und schaun dem blauen Himmel zu,

Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,

In ihm ein Falke kreist in Ruh.

 

Die blaue Stille stört dort oben

Kein Dampfer und kein Segelschiff,

Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,

Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.

 

Laßt satt mich schaun in diese Klarheit,

In diesen stillen, sel'gen Raum:

Denn bald könnt werden ja zur Wahrheit

Das Fliegen, der unsel'ge Traum.

 

Dann flieht der Vogel aus den Lüften,

Wie aus dem Rhein der Salmen schon,

Und wo einst singend Lerchen schifften,

Schifft grämlich stumm Britannias Sohn.

 

Schau ich zum Himmel, zu gewahren,

Warum's so plötzlich dunkel sei,

Erblick ich einen Zug von Waren,

Der an der Sonne schifft vorbei.

 

Fühl Regen ich beim Sonnenscheine,

Such nach dem Regenbogen keck,

Ist es nicht Wasser, wie ich meine,

Wurd in der Luft ein Ölfaß leck.

 

Satt laßt mich schaun vom Erdgetümmel

Zum Himmel, eh es ist zu spät,

Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel

Die Poesie still trauernd geht.

 

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,

Träumt er von solchem Himmelsgraus,

Er, den die Zeit, die dampfestolle,

Schließt von der Erde lieblos aus.

 

Justinus Kerner

 

 

Dein Lied ist rührend, stiller Sänger!

Doch zürne dem Genossen nicht,

Wird ihm darob das Herz nicht bänger,

Das, dir erwidernd, also spricht:

 

Die Poesie ist angeboren,

Und sie erkennt kein Dort und Hier;

Ja, ging' die Seele mir verloren,

Sie führ zur Hölle selbst mit mir.

 

Inzwischen sieht's auf dieser Erde

Noch lange nicht so graulich aus;

Und manchmal ist mir, Gottes: Werde!

Ertön' erst recht dem »Dichterhaus«.

 

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen

Und spannt Eliaswagen an –

Willst träumend du im Grase singen,

Wer hindert dich, Poet, daran?

 

Ich grüße dich im Schäferkleide

Und lächle – doch mein Feuerdrach'

Trägt mich vorbei, die dunkle Heide

Und deine Geister schaun uns nach!

 

Was deine alten Pergamente

Von tollem Zauber kund dir tun,

Das seh ich durch die Elemente

In Geistes Dienst verwirklicht nun.

 

Ich seh sie keuchend sprühn und glühen,

Stahlschimmernd bauen Land und Stadt,

Indes das Menschenkind zu blühen

Und singen wieder Muße hat!

 

Und wenn vielleicht, nach fünfzig Jahren,

Ein Luftschiff voller Griechenwein

Durchs Morgenrot käm hergefahren –

Wer möchte da nicht Fährmann sein?

 

Dann bög ich mich, ein sel'ger Zecher,

Wohl über Bord, von Kränzen schwer,

Und gösse langsam meinen Becher

Hinab ins still verlaßne Meer!

 

Ein bißchen Hunger wohl noch nähret

Vorher die üpp'ge Phantasie;

Doch hat man uns nicht längst gelehret,

Der Hunger auch sei Poesie?

An Lenau

 

Welk lag meines Herzens Garten,

Und sein Springquell war versiegt,

Und das Liedervolk in Zweigen

Saß in dumpfen Schlaf gewiegt.

 

Starr und klanglos schien mir alles

Und der frische Duft entflohn!

Selbst die fremden Lieblingsweisen

Hatten für mich keinen Ton.

 

Wie es oftmals geht im Leben,

Das so seltsam webt und flicht:

Längst schon kannt ich deinen Namen,

Aber deine Lieder nicht.

 

Und nun las ich sie; auf einmal

In so öder Winterzeit

Ging mir auf ein neuer, reicher

Lenz in seiner Herrlichkeit!

 

Und in deinen Geistesblüten

Warst du wie ein Nekromant,

Der für meinen eignen Zauber

Wieder mir das Schlagwort fand.

 

Rasch entfesselt sprang der Bronnen!

Alle Lauben voller Sang!

Und in den geheimsten Gängen

War es wieder Duft und Klang.

 

Damals wünscht ich, daß ich möchte

Ein begabter Sänger sein,

Um dir recht ein weich und lindernd,

Ein vergeltend Lied zu weihn!

 

 

An Freiligrath

bei seinem Eintritt in die Schweiz

 

im Frühling 1845

 

Sobald ein Dichterkind mit holdem Siege

Die Augen aufschlägt hier im Erdentale,

Stehn schon zwei Genien an seiner Wiege:

 

Hell von Kristall hält dieser eine Schale,

Voll bis zum Rand von feuergoldnem Wein,

Belebt, durchwebt vom reinsten Sonnenstrahle;

 

Des andern Schal' ist dunkler Edelstein,

Rubin, und faßt des Mohnes dunkeln Saft,

Durchwoben von des Mondes Zitterschein.

 

In beiden Schalen ruht die Lebenskraft,

Die ihm die treuen Genien rastlos schenken,

Die ihn durchwallt und seine Lieder schafft.

 

Aus beiden Schalen strömt sein Sein und Denken,

Sein Blühn und Sehnen, fließen Tag und Nacht,

Ein sonnig Schaun, ein träumerisch Versenken

 

In seine Seele, wie sie träumt und wacht.

Und Preis dem Dichter, wenn die Lebensbecher

Ihm reich erfunkeln und in gleicher Pracht!

 

Doch Halbpoet nur ist der trunkne Zecher,

Der aus dem einen überwiegend trinkt;

Sein Herz wird krank, sein Lied alltäglich schwächer. –

 

Oh, wenn die Nacht mit ihren Sternen winkt,

Dann leer die dunkle Schale bis zum Grunde,

Daß der uralte Zauber in dich sinkt!

 

Doch naht mit heil'gem Wehn die Morgenstunde,

Laß dem Kristall den klaren Trank entquellen

Und führ, wie sie, der Wahrheit Gold im Munde!

 

Tu auf dein Aug des Lichtes goldnen Wellen!

Laß liegen, die im tödlichen Rausch versunken,

Die ewig auch den Tag zur Nacht gesellen! –

 

So hast auch du die Zauberflut getrunken,

O Freiligrath! daß Berg und Tal erklungen

Und sich die Elfen fröhlich zugewunken!

 

Vom Morgenland hast ahnend du gesungen;

Denn als der Morgen leuchtend vor dir stand,

Da hast du aus den Rosen dich geschwungen

 

Frisch und gesund; und sieh! das Morgenland

Lag ausgebreitet da zu deinen Füßen:

Kamele, Tiger, Sklaverei und Sand!

 

Doch mitten aus der Wüste Finsternissen

Erblüht' der »Morgen, und vom Rhein« erklang's

Entgegen dir von hellen Freiheitsgrüßen!

 

Und jeder Mund im deutschen Lande sang's:

»Der Freiligrath hat sich zu uns geschlagen!«

Und jedes Ohr in fernen Gaun verschlang's,

 

So weit die deutsche Kunde ward getragen.

Doch manchem wohl erklang dein Taglied schrill,

Denn bald sah man die Schergen nach dir jagen.

 

Die sonst so nächtlichsanft und muckerstill,

Es brach die preußische Romantik los,

Die Mohn und Mohn und wieder Mohnsaft will. –

 

So grüß ich dich in dieses Landes Schoß!

Zwar eben ist's in unsern Bergen düster

Bei heiterm Frühlingshimmel; heut noch floß

 

Ein blutig Rieseln, und ein Klaggeflüster

Durchzieht den Bergwald; es erdröhnt das Land

Vom wüsten Schrei der Pfaffen und Philister.

 

Wir reichen dir die pulvergeschwärzte Hand,

Der Trommelschlag verschlingt die Freundesgrüße,

Und ringsum loht des Hasses roter Brand.

 

Auf starre Leichen stoßen deine Füße!

Hier liegen sie mit ausgestochnen Augen,

Dort schiffen sie hinab die blauen Flüsse.

 

Sieh, wo dir mag ein stilles Plätzlein taugen!

Du trittst hier in der Freiheit Werkstatt ein,

Wo zornig ihre Essen sprühn und rauchen.

 

Doch mag hier noch der beste Boden sein,

Wo harrend du dir deine Warte baust;

Wallt doch nach deinem vielgeliebten Rhein

 

Ein jedes Wässerlein, in das du schaust!

Da lasse deine Lieder abwärts schwimmen,

Da wirf hinein die »Späne, die du haust!«

 

Und hier, wie dort, die Hoffnungssterne glimmen;

Bis du wirst drin den Tag der Heimkehr schauen,

Kannst du derweil zum Sieg die Saiten stimmen.

Mich dünkt, du wirst darüber nicht ergrauen!

 

Ein Tagwerk

1

Jüngst stand ich mit dem ersten Frühlicht auf

Und nahm hinaus ins Freie meinen Lauf,

Wo silbergrau die Morgendämmrung lag,

Umflorend noch den rosenroten Tag.

Mich einmal satt zu gehen auf den Feldern

Vom Morgen früh bis in die späte Nacht,

Ein bleibend Lied zu holen in den Wäldern,

Hatt ich zum festen Vorsatz mir gemacht!

 

Rein war der Morgen, bald zum Tag erhellt;

Der volle Liebespuls schlug durch die Welt,

Die Lüfte wehten und der Vogel sang,

Die Eichen wuchsen und die Quelle sprang,

Die Blumen blühten und die Früchte reiften,

Ein jeglich Gras tat seinen Odemzug,

Die Berge standen und die Wolken schweiften,

Und fächelnd mich des Lebens Schwinge trug.

 

Ich schlenderte den lieben Tag entlang,

Im Herzen schlummerte der Hochgesang;

Es brach sich Bahn der Wachtel leichter Schlag,

Jedoch mein Lied – es rang umsonst zu Tag!

Es ward Mittag; ich lag an Silberflüssen

Und sucht die Sonne in der klaren Flut:

Ich durfte nicht von Angesicht sie grüßen,

Der ich allein in all dem Drang geruht!

 

Die Sonne sank und ließ die Welt der Ruh,

Die Abendnebel gingen ab und zu.

Ich lag auf Bergeshöhen, matt und müd,

Tief in der Brust das ungesungne Lied:

Da nickten, spottend mein, die schlanken Tannen,

Und höhnisch sah der Erde Moos empor

Mit seinen Würmern, die darüber spannen,

Und lachend brach das Firmament hervor!

 

Von Osten wehte rein und scharf der Wind:

»Was suchst du hier, armselig Menschenkind!

Du stumme Pfeife in dem Orgelchor,

Du Schlemihl, der da Raum und Zeit verlor?

Dir ward das Leichteste, das Lied, gegeben,

Das, selbst sich bauend, aus der Kehle bricht:

Du aber legst dein unbeholfen Leben,

Wie einen Stein, ihm auf den Weg zum Licht!«

 

So sprach der Wind? – O nein, so sprach der Schmerz,

Der mir wie Ketten hing ums dunkle Herz.

Ein fremder Körper, ohne Form und Schall,

So, deucht' mir, lag ich im lebend'gen All!

Und Wind und Tannen, Berge, Moos und Sterne,

Sie schlangen lächelnd ihren weiten Kranz;

Wie an der Insel in der Meeresferne

Brach sich an mir der friedlich milde Glanz.

 

 

2

Aber ein kleiner silberner Stern

Sang und klang mir in die Ohren:

Tröste dich nur, dein Lied ist fern,

Fern bei uns und nicht verloren!

 

Und du wirst es zu seiner Zeit

Lieblich tönend wiederfinden,

Wenn du die strahlende Ewigkeit

Wirst durchfurchen in tiefsten Gründen.

 

Findest du nicht oft einen Klang,

Wie zu früh herübergeklungen?

Also hat dein heutiger Sang

Heimlich sich hinübergeschwungen!

Poetentod

 

Der Herbstwind zieht, der Dichter liegt am Sterben,

Die Wolkenschatten jagen an der Wand;

An seinem Lager knien die zarten Erben,

Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.

 

Darin ein flücht'ger Abendstrahl ertrunken,

Mit dunklem Purpurwein netzt er den Mund;

Und wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,

Tut er den letzten Willen also kund:

 

»Die ich aus Wunderklängen aufgerichtet,

Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit!

Ich habe ausgelebt und ausgedichtet

Mein blühend Lied, dich, meine Erdenzeit!

 

Das stolz und mächtig diese Welt regierte,

Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus!

Der Gastfreund, der die edlen Hallen zierte,

Der Ruhm wallt mit dem Leichenzug hinaus.

 

Dann löschet meines Herdes helle Flamme

Und zündet wieder stille Kohlen an,

Wie's Sitte war bei meiner Väter Stamme,

Eh ich den Schritt auf dieses Rund getan.

 

Und was den Herd in schönen Formen zierte,

Was sich an alter Weisheit um ihn fand,

Die heil'gen Schriften, die ich bei mir führte,

Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:

 

Daß meines Geistes namenloser Erbe

Mit klarem Aug, im leichten Schülerkleid,

Auf offnem Markt sich ahnungsvoll erwerbe,

Was ich in Sternennächten eingeweiht.

 

Nur meine Rosengärten lasset stehen,

Bis auch mein herrliches Poetenweib

Im nächsten Lenze wird zur Ruhe gehen,

Den Blumen schenkend ihren schönen Leib.

 

Dann aber mäht die Rosenbüsche nieder

Und brechet meine grünen Lauben ab!

Der Boden trage Kohl und Rüben wieder –

Nur eine Rose laßt auf meinem Grab!

 

Mein Lied wird siegreich durch die Lande klingen,

Ein Banner, von den Höhn der Erde wehn;

Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen

Wird meine Sippe dran vorübergehn.

 

Drum sollt ihr meinem Sohn das Leben gründen,

Gebt ihm ein Handwerk oder auch ein Schwert,

Und meine Tochter laßt den Freier finden,

Der sie in Lieb und Treuen redlich nährt.

 

Gebt jenen Band verblichner Schrift den Flammen,

's ist meiner Jugend greller Widerschein;

Die Asche und mein Lorbeerreis zusammen

Legt mir zu Häupten dann im Totenschrein!

 

Arm, wie ich kam, soll man hinaus mich tragen!

Den Lorbeer nur will ich mit Zaubermacht

Als Wünschelrute an die Sterne schlagen

Nach neuen Klängen aus der Strahlenpracht!« –

 

Noch überläuft sein Angesicht, das reine,

Mit einem Strahl das sinkende Gestirn –

So glühte eben noch im Rosenscheine,

Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.

 

Und wie das Schneegebirg, erlöscht, verblichen,

Zum Himmel raget zwischen Tag und Nacht,

Der letzte Nachhall übers Tal gestrichen,

Dann tiefe Stille auf den Landen wacht:

 

Die ganze Größe dieses schönen Spieles

Liegt in der engen Totenkammer nun,

Wo Weib und Kinder, stumm, voll Wehgefühles,

Verlassen um die Dichterleiche ruhn!

 

Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen

Von eines späten Adlers Flügeln weht:

Ist in der Totenstille zu erlauschen,

Wie eine Geisterschar von hinnen geht.

 

Sie ziehen aus, des Seligen Penaten,

In reiche Prachtgewänder tief verhüllt;

Sie gehn, die an der Wiege schon beraten,

Was er in Liedern dann so schön erfüllt.

 

Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,

Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,

Die Phantasie, und endlich ihr Gefährte,

Der Witz, mit leerem Becher, stolz und kalt.

 

 

Lied vom Schuft

Ein armer Teufel ist der Schuft!

Er weiß: es kennt ihn jedes Kind;

Er wandelt, wie ein Träumender,

Wo unverdorbne Menschen sind.

 

Ein dummer Teufel ist der Schuft,

Weil er doch der Geprellte ist,

Wenn ihn ein rein, einfältig Herz

Mit großen, klaren Augen mißt.

 

Er geht einher im Silberhaar

Und keimt schon in des Knaben Blick,

Er bleibt sich auch im Kot getreu

Und sonnet sich im hellsten Glück.

 

Bald sitzt er auf dem Königsthron

Und ist von Gottes Gnaden Schuft,

Bald wieder fault und modert er

In eines Bettlers Hundegruft.

 

Doch immer müht und quält er sich

Und tut, als wär er sehr gescheit!

Wenn man an ihm vorübergeht,

So pfeift er aus Verlegenheit.

 

Laßt pfeifen sie und nagen nur,

Wie Ratten, im dunkeln Erdenhaus!

So Gott will, kommt ein Sonnentag,

Wo auch die Schufte sterben aus!

 

 

Modernster Faust

Ich bin ein ganzer Held! Den Mantel umgeschlagen

– Romantisch schwarzer Samt erglänzt an Kleid und Kragen –

Stürm ich dahin in eitlem Wahn!

Ob Samt? ob nur Kattun? es war ein langes Zanken

Mit meinem Mütterlein; doch fest und ohne Wanken

Erstritt ich Samt, und niemand sieht mir's an.

 

Leichtsinnig, hohen Muts mach ich die Morgenrunde;

Die Wintersonne scheint, Cigarro brennt im Munde,

Den ich dem Kaufmann schuldig bin;

Die Wintersonne scheint, kalt ist ihr Silberflimmer,

Und kalt ist mir das Herz, kalt meiner Augen Schimmer

Und trüb, befangen immerhin.

 

Da treff ich einen Freund auf meiner irren Bahn,

Wir halten mit Geklatsch ein halbes Stündchen an;

Wie wenn zwei alte Hexen schelten,

So bricht von Bosheit nun und Neid ein ganzer Chor

Von Zoten, schlechtem Witz und Haß aus uns hervor,

Daß mir verschämt die eignen Ohren gellten.

 

Da kommt ein Handwerksbursch, bleich, mit zerrißnen Sohlen,

Mütz in der Hand, geduckt, ein Gäblein sich zu holen;

Mit einem Kreuzer wär ihm wohlgetan.

Doch weil ich diesen nicht in leerer Tasche trage

Und doch nicht freundlich ihm es zu gestehen wage,

Fahr ich ihn rauh abweisend an.

 

Ob mir das kühle Herz in rascher Scham erglüht,

Ob auch ein blut'ger Schnitt mir durch die Seele zieht:

Man sieht es nicht in meinen Blicken;

Ich habe ja gelernt, mit höhnisch leichtem Spiel

Den halberfrornen Lenz, das innere Gefühl,

Wenn es erblühen will, zu unterdrücken!

 

O ich war treu, wie Gold, begeistert, klar und offen;

Ein Blatt ums andre fiel von meinem grünen Hoffen,

Und taube Nüsse tauscht ich ein!

Schmach über dich, o Welt! du hast mich ganz beladen

Mit deinem Schlamm und Staub! O könnt ich rein mich baden

Im wilden Meer, sollt's auch ein Sterben sein!

 

Kokett ist dies Gedicht, Naivetät erlogen

Und nur das Schnöde wahr! Ich hab euch arg betrogen,

Denn zwei geworden sind mir Herz und Mund!

Ich bin ganz euer Bild: selbstsüchtig, falsch und eitel

Und unklar in mir selbst; vom Fuße bis zur Scheitel

Ein europäisch schlechter Hund!

 

 

Grillen

Die Poesie ist wie ein Kind,

Das einsam Kränze windet,

Bald lacht und plaudert mit dem Wind,

Bald einen Schwank erfindet

Und wunderliche Märchen spinnt,

Dann innehält und traurig sinnt.

 

Als ich vergangne Mitternacht

In düsterm Sinnen schwebte,

Da hab ich still und bang gedacht:

Wie, wenn nicht mehr erlebte

Ich nun den Morgenglockenschlag?

Wer weiß denn, was geschehen mag?

 

Da schrieb ich einen langen Brief

An alle, die mich lieben;

Was mir im Herzen wacht' und schlief,

Hab ich hineingeschrieben,

Damit beim Scheiden aus der Welt

Mein Haus, mein Herz sei wohl bestellt.

 

Ich schrieb mein ganzes Leben auf

Und auch mein ganzes Wissen;

Irrtümer wuchsen mir zu Hauf,

Ich zählte sie beflissen;

Folgt auch des Guten schönrer Spur,

Doch war's fast eine Nachschrift nur!

 

Den Lieblingsdichter legt ich hin,

Daneben aufgeschlagen,

Als wär das Fehlende darin

Für Freunde zu erfragen;

Und den und jenen guten Spruch

Bezeichnet ich in manchem Buch.

 

Darauf verbrannt ich viel Papier

Und räumte in den Schränken,

Stürzt um mein leeres Trinkgeschirr,

Und auf den Fensterbänken,

Wo ein paar magre Sträucher blühn,

Legt ich gebrochne Knospen hin.

 

Drin ich in Tagen, rauh und mild,

Bald sang und wieder weinte:

Ich schuf mein Zimmer so zum Bild,

Wie ich zu sein vermeinte;

So war ich endlich konterfeit

Nach tief geheimster Eitelkeit.

 

Mit grauendem Gedankenspiel

Legt ich mich sodann nieder;

Doch bald versanken tief im Pfühl,

Entschlafen, Haupt und Glieder.

Die Todesphantasie, ein Schaum,

Zerfloß im trivialsten Traum.

 

Und auch der Traum floh vor dem Tag;

Und ich erschrak, erwachend,

Als ich da schnell besonnen lag,

Das Leben mich umlachend.

Wie war mir wunderlich und fremd

Im angemaßten Leichenhemd!

 

Das Zimmer war voll Sonnenschein

Und von der Drossel Schmettern,

Ein Hagel schlug zum Fenster ein

Von weißen Blütenblättern;

Der Frühlingsschimmer überflog

Den Totenkram, den ich erlog.

 

Und auch der Brief, den ich gemacht,

War glänzend überzogen;

Ich las nun wieder mit Bedacht

Den vollgeschriebnen Bogen;

Am Ende aber, klar und rein,

Noch ein paar Zeilen Sonnenschein:

 

»Du magst noch fürder unentwegt

In dieser Lenzluft hauchen:

Wie jetzt dein Leben Wogen schlägt,

Ist's drüben nicht zu brauchen.

Es bricht kein Herz so arm und klein,

Es muß dem Tod gewachsen sein.

 

Doch baue nicht zu sehr darauf!

Gott wird uns Tage senden,

Die mit verdoppelt schnellem Lauf

Die schwerste Arbeit enden,

Wo mancher Geist, der sinnt und schweift,

Im Sturm dem Tod entgegenreift.«

 

 

An einer Kindesleiche

Er hat geweht, der Wind, den niemand sieht

Und niemand hört; er hat den Baum geschwungen,

Des Wurzelwerk die Erde überzieht,

In dessen Krone ich dies Lied gesungen.

Das jüngste Blatt, das gestern dran geblüht,

Hat über Nacht sich leise losgerungen

Und fiel; und niemand gab wohl weiter acht

Als ich, der da zunächst dabei gewacht

 

So bist erlöscht du, lieblich junges Licht,

Das mir erquickend in das Herz gezündet?

Noch sprach drei Worte deine Zunge nicht,

Doch hat dein Lallen mir soviel verkündet!

Das Sehnen, das die feinsten Bande flicht,

Es hat mich innig auch mit dir verbündet.

Ja, vor viel Großem unter dieser Sonnen

Hab ich dich, Kleiner, wert und lieb gewonnen!

 

Ob ich gen Himmel sah ins blaue Meer,

Ob in dein Aug, es war das gleiche Schauen:

Es leuchtete aus diesen Sternen her

Ursprünglich reines Licht von schönern Auen.

Wie oft senkt ich den Blick, von Mühsal schwer,

Erfrischend tief in dies verklärte Blauen!

Wie war das Lachen deines Munds so fein!

Wie heimlich unsre Freundschaft, still und rein!

 

Nie hab an deine Zukunft ich gedacht,

Die Gegenwart war ja so schön und heiter!

Du hast wie eine Blume mir gelacht,

Und an die Sommerfrucht dacht ich nicht weiter;

Ob einst vielleicht ein Held in dir erwacht',

Wie hoch du steigest auf der großen Leiter:

Du lieblich Kind warst in dir selbst vollkommen –

Was sollte dir und mir die Sorge frommen?

 

Zu der du wiederkehrst, grüß mir die Quelle,

Des Lebens Born, doch besser: grüß das Meer,

Das eine Meer des Lebens, dessen Welle

Hoch flutet um die dunkle Klippe her,

Darauf er sitzt, der traurige Geselle,

Der Tod – verlassen, einsam, tränenschwer,

Wenn ihm die frohen Seelen, kaum gefangen,

Mit lautem Jubel wieder auf die See gegangen!

 

 

Am Sarg eines neunzigjährigen Landmanns vom Zürichsee

So bist du eine Leiche!

So ist die alte Eiche

Doch endlich abgedorrt!

Es ist ein lang Stück Leben,

Das wir dem Staube geben,

Ein ausgeklungen Gotteswort.

 

Da wir vor zwanzig Jahren

Als Kinder um dich waren,

Standst du schon silberweiß:

Und noch ein Jünglingsleben,

Ein zwanzigjähriges eben,

Trankst du begierig, durst'ger Greis!

 

Des Mittelalters Schwingen,

Mit letztem, bebendem Klingen,

Umfachten die Wiege dir:

Jetzt, voll von Sturmesahnen,

Umrauschen die dunklen Fahnen

Der neuen Welt dein Bahrtuch hier.

 

Darin wir uns vertieften,

Die aberhundert Schriften,

Was uns erfüllt die Brust:

Das zog dir all vorüber,

Dämmernd heran, hinüber,

Du aber hast es nicht gewußt.

 

In jenen fernen Tagen

– Ich hör die Finken schlagen –,

Als durch den grünen Wald

Herr Geßner las im Brockes:

Ins Herz des Föhrenstockes

Hat deiner Jugend Axt geschallt.

 

Hast du dem deutschen Sänger,

Dem edlen Schlittschuhgänger,

Den Stahlschuh hier gereicht? –

Du hast vor fünfzig Jahren

Den See hinauf gefahren

Den fünfzigjährigen Goethe vielleicht?

 

Vorüber deiner Leiche

Flieht heut der zornesbleiche

Poet den See entlang;

Verschwunden sind die Spuren,

Wo heitre Dichter fuhren,

Und anders tönt des Flüchtlings Sang!

 

Die Scherben stolzer Kronen,

Zwei Revolutionen,

Die haben dich umklirrt;

Erdbeben und Kometen,

Sturmglocken und Schlachtdrommeten

Sind deiner Stirn vorbeigeschwirrt.

 

Der unsre Welt gewendet

Wie seine Hand, geendet

Im Meere still und fern:

Mit seinem ehrnen Tritte

Fiel just er in die Mitte

Des Lebens dir, ein irrer Stern.

 

Du sahst auf deinem Felde

Erstaunt die fremden Zelte,

Die Flucht durchs Saatengrün

Und, als sie abgezogen,

Zum alten Sternenbogen

Der Väter Haus in Flammen sprühn!

 

Doch alles ist, in trüben

Gebilden, dir fern geblieben,

Ein Rätsel dir und Traum;

Auch die vorüberjagten,

Sowenig nach dir fragten

Als dort nach deinem Apfelbaum.

 

Doch in dir hell erglühte

Das Urlicht und erblühte

Ein grünes Urwaldreis:

Oft sah ich dein Auge scheinen,

Als ob's in heiligen Hainen

Noch ruht' auf der Runensteine Kreis.

 

Du hast den Stier gezwungen,

Du hast das Beil geschwungen,

Daß Dorn und Eiche fiel:

Wer diese harte Erde

Mit eiserner Pflugschar kehrte,

Erlernt' auch leicht des Krieges Spiel.

 

Es schliefen heimliche Sagen

Von grauen Heidentagen

Auf deines Gemütes Grund;

Du sangst noch hin und wieder

Verschollne Schwänk und Lieder,

– Freund Uhland wohl ein guter Fund.

 

Vom Weltend die vier Winde

Durch deiner Heimat Gründe

Sahst wallen du und wehn:

Doch jener nahen Firnen,

Die ragen zu den Gestirnen,

Hast selber den Fuß du nie gesehn.

 

Und dennoch ist's das echte,

Das bleibende Volk, das rechte,

Das auf der Scholl erblaßt,

Auf der es ward geboren!

Das Schifflein geht verloren,

Des Anker diesen Grund nicht faßt.

 

Propheten, lernt euch neigen!

Nicht auf zu euch soll steigen

Der Kronen kalte Pracht:

Hernieder laßt uns dringen,

Demütigen Herzens bringen

Licht in der engsten Hütte Nacht!

 

 

Am Himmelfahrtstag

1846

 

Ausgestorben scheint die Stadt,

Weil, was Freude fühlt und Leben

Und ein gläubig Herz sich heben,

Sich hinaus begeben hat

Auf den See und auf die Berge;

Angefüllt wird jedes Tal;

Rühren muß sich Wirt und Ferge

In dem warmen Maienstrahl.

 

Von des Daches Giebel schau

Ich hinaus, o welch Gewimmel!

Ja, die Erde trägt gen Himmel

Menschenherz und grüne Au!

Siehe, wie lebend'ge Fahnen

Flattern dort am Berggeländer

Kinder, bunte Lenzgewänder,

Unter grünenden Platanen!

 

Einsam wehen hier die Linden

Dieser Stadt um stille Dächer –

Ach, wie einen leeren Becher

Muß ich die verlaßne finden,

Einen Becher, dessen Schein

Wird geflohn von jedem Munde

Und auf dessen dunklem Grunde

Ich der letzte Tropfen Wein!

 

In die kühle Dämmernacht

Meines Hauses steig ich nieder,

Wo mir meine jungen Lieder

Schlummern, bis ihr Tag erwacht;

Wo ein Strauß von Blütenzweigen

Drüber nickt mit stillem Neigen,

Mit erwartungsvollem Schweigen

Junge Rosen halten Wacht.

 

Was ich lange zögernd mied:

Nun in tiefer Einsamkeit

Schreib ich dieses letzte Lied,

Schlußton meiner Jugendzeit.–-

Und der Hoffnung sei's geweiht,

Was ich hoffe, hofft die Welt!

Preis ihr, wenn sie endlich hält

Sich zur Himmelfahrt bereit!

 

O sie braucht nicht weit zu fahren,

Die den Himmel in sich wahrt:

Selbst sich einmal offenbaren,

Ist die ganze Himmelfahrt!

Sie ist wie ein Heil'genschrein:

Außen lieblich bunt bemalet,

Doch verdeckt im Innern strahlet

Pures Gold und Edelstein.

 

Tu dich auf, o schöner Schrein,

Lasse deine Schätze funkeln!

Laß sie, blitzend hell, verdunkeln

Der Märtyrer blaß Gebein! –

Freiheitschwanger sind die Lüfte:

Flieg hinaus, mein Schwalbenzug!

Flattre hin, mein Liederflug,

Klingend durch die Frühlingsdüfte!

 

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