.
Die Waage wackelt hin und her.
Das Schwert – mein Gott – es ist aus Pappe,
sie trägt es scherzhaft als Attrappe,
ein eisernes ist ihr zu schwer.
Sie richtet so! O ja – man siehts!
die schwarzen, hohen Stöckelschuhe
zertrampeln alles – schaffen Ruhe.
So tänzelt Fräulein Streikjustiz.
Es raschelt des Talars Frou-Frou . . .
– »Du trugst doch früher eine Binde?«
– »Die hab ich noch! Dem, den ich finde,
schnür ich damit die Kehle zu!« –
Kurt Tucholsky
Meditation, zum Coupéfenster hinaus
Wie die langen Telegrafenstangen
jene schwarzen, dünnen Drähte, die
grad sich zu erheben angefangen,
immer wieder niedergehen, wie
diese dunkeln regelmäßigen Stäbe,
die das Auf und Ab und Auf und Ab
stetig kontrollierend in der Schwebe
halten –:
also von der Wiege bis zum Grab
drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben
(seist du Amme, Kanzler, Redakteur),
drückt auch dich, o Mensch, im ganzen Leben,
nieder, nieder, nieder –
das Malheur.
Kurt Tucholsky
Fröhliche Ostern
Da seht aufs neue dieses alte Wunder:
Der Osterhase kakelt wie ein Huhn
und fabriziert dort unter dem Holunder
ein Ei und noch ein Ei und hat zu tun.
Und auch der Mensch reckt frohbewegt die Glieder –
er zählt die Kinderchens: eins, zwei und drei . . .
Ja, was errötet denn die Gattin wieder?
Ei, ei, ei
ei, ei
ei!
Der fleißige Kaufherr aber packt die Ware
ins pappne Ei zum besseren Konsum:
Ein seidnes Schnupftuch, Nadeln für die Haare,
die Glitzerbrosche und das Riechparfuhm.
Das junge Volk, so Mädchen wie die Knaben,
sucht die voll Sinn versteckte Leckerei.
Man ruft beglückt, wenn sies gefunden haben:
Ei, ei, ei
ei, ei
ei!
Und Hans und Lene Steckens in die Jacke,
das liebe Osterei – wen freut es nicht?
Glatt, wohlfeil, etwas süßlich im Geschmacke,
und ohne jedes innre Gleichgewicht.
Die deutsche Politik . . . Was wollt ich sagen?
Bei uns zu Lande ist das einerlei –
und kurz und gut: Verderbt euch nicht den Magen!
Vergnügtes Fest! Vergnügtes Osterei!
Kurt Tucholsky
Nicht! noch nicht!
Ein leichter Suff umnebelt die Gedanken.
Verdammt! Der Frühling kommt zu früh.
Der Parapluie
steht tief im Schrank – die Zeitbegriffe schwanken.
Was wehen jetzt die warmen Frühlingslüfte?
Ein lauer Wind umsäuselt still
mich im April –
die Nase schnuppert ungewohnte Düfte.
Du lieber Gott, da ist doch nichts dahinter!
Und wie ein dicker Bär sich murrend schleckt,
zu früh geweckt,
so zieh ich mich zurück und träume Winter.
Ich bin zu schwach. Ich will am Ofen hocken –
die Animalität ist noch nicht wach.
Ich bin zu schwach.
Laternenschimmer will ich, trübe Dämmerung und
dichte Flocken.
Kurt Tucholsky
Kleines Gespräch mit unerwartetem Ausgang
Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? Sieh da, das is 'n
Aeroplan.
Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd.
»Gestatten! Schwaben Nummer Vier!«
– und die Propeller surren fächelnd –
»Wir sind nu hier! –
Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? Wir brauchen das zum Kriege . . . «
»Zum Krieg? Zum Mord!«
»Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich . . . «
»Und wer gab euch das viele Geld – ?«
»Das Volk! Das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt.«
»Das Volk? Hat es so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?«
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.
Kurt Tucholsky
Vaterländische Ritornelle
Wer nimmt es mit mir auf in Ritornellen?
Im Vorrat hab ich noch sechs Pferdelasten.
Wer schönere weiß als ich, der mag sich stellen.
Ligurisch
Du bunter Blumenstrauß!
Hier, Leser, steck die Nase in die Pflanzen,
beriech sie, und die schönsten such heraus!
Blühende Geranien!
Ihr seid wohlfeil und ein billiger Schmuck
wie Königsthrone in dem Land Albanien.
Bescheidenes Veilchen!
Und wenn du denkst, ein neues Wahlrecht kommt –
wir sind in Preußen . . . warte noch ein Weilchen!
Jelängerjelieber!
Ja, über unsern Kanzler und den Gardeflügelmann –
da geht nichts drieber.
Ihr Rosen, Tulpen und Narzissen!
Die Hitze ließ uns auf der Wiese rasten . . .
Dort üben die Soldaten . . . Horch, wer ruft?
»Einjähriger Rosenbaum, drei Tage Kasten!«
Du welkes Blatt!
Wenn du im trocknen Laube raschelst, muß ich denken,
daß unser Kanzler was geredet hat.
Süß duftende Banane!
Der Säugling heult. Die Misses legt ihn trocken.
Als Windel dient die Votes-for-womens-Fahne.
Vaterländisches Gartenland!
Ein fetter Humus, doch was wächst, ist ohne Reiz.
Fehlt wohl des guten Gärtners leichte Hand?
Da lohnte sich, es besser zu begießen
(mit Spucke nicht, mit Wasser!) – dann gedeihts.
Und tausend schönre Blumen werden darauf sprießen!
Kurt Tucholsky
Memento
Uns Junge hat es umgerissen –
wir stehen draußen so im Feld,
wir glaubten schon, zu halten und zu wissen –
und da versank die ganze Welt.
»Die Welt ist falsch!« Sie ist doch kein Exempel,
wozu der Lehrer seine Lösung hat –
sie ist real und warf uns alle Tempel
und, was wir lieb gehabt, um – wie ein Kartenblatt.
Ihr mahnt den Jüngling, tapfer durchzuhalten.
Gewiß, das scheint ja seine Pflicht –
doch was da in ihm war vom guten, alten,
das gibts in Zukunft alles nicht?
Der neue Wert, die neue Stufenleiter,
der oben und der unten – seltsam Spiel:
Hier gilt die Faust, der Säbel und der Reiter –
das was wir ehren, gilt nicht viel.
Muß das so sein? So darfs nicht bis zur Neige,
nicht bis zum Ende gehn. Wir bleiben rein.
Wir halten durch – es scheint mir gar nicht feige:
Soldat und doch ein Bürger sein!
Sprecht euerm Jungen von der Kriegertugend,
doch davon auch, wenn hart der Panzer klirrt:
Daß er den Träumen seiner Jugend
soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird!
Kurt Tucholsky
Der alte Pojaz spricht
Mein Kind, ich bin schon lange fern der Schminke,
gern denk ich dran, das war die bunte Zeit!
Ich gab dem Personal die letzten Winke,
dann trat ich auf; zwei Meter zwanzig breit,
auf meinem Hut sang ein Kanaripärchen,
auf Rollen zog ich nach ein kleines Licht . . .
Und doch: betracht ich mir die letzten Jährchen –
Nein! solche Purzelbäume schlug ich nicht!
Ich war gewiß mal eine dolle Nummer,
trieb meinen besten Freunden Nägel in den Bauch
und sang mir häufig meinen Liebeskummer
in einen präparierten Gartenschlauch.
Nun bin ich alt und bürgerlich geworden,
ich seh mich um, was hier zu Hause ficht,
seh mir die Leute an mit Titeln und mit Orden –
Nein! solche Purzelbäume schlug ich nicht!
Wenn ich die Ausschußpolitik betrachte,
dies Reklamiertenmundwerk – bin ich starr.
Denn, was ich auch in meiner Jugend machte:
ich war ein Clown, doch war ich niemals Narr.
Ich ließ die Pritsche und Pistole krachen,
ich tanzte manchen Wackelpolkaschritt . . .
Doch was die neuen Clowns für Sprünge machen:
Grüß Gott, mein Kind, da kann ich nicht mehr mit!
Kurt Tucholsky
Berliner Gerüchte
Herr Meyer, Herr Meyer – und hörst du es nicht,
das wilde, das grause, das dumpfe Gerücht:
Ein Licht!
Ein Licht in der russischen Botschaft!
Und da, wo ein Licht, da ist auch ein Mann,
und der sitzt an einem Vertrage dran,
beim Licht in der russischen Botschaft.
Und das Licht geht manchem Politiker auf;
es strömet das Volk, es rennet zuhauf
zum Licht in der russischen Botschaft.
Und einer zum andern geheimnisvoll spricht:
»Da ist was im Gange – ja, sehn Sies denn nicht,
das Licht in der russischen Botschaft?«
Es erbrausen die Linden! »Berennet die Tür!«
Ein Schutzmann hält seinen Bauch dafür
vor das Licht,
das Licht in der russischen Botschaft.
Sogar ein Geheimer Studienrat
sagt die Information, die er bei sich hat,
vom Licht in der russischen Botschaft.
Und drin spricht der Klempner im öden Saal:
»Du hör mal, Maxe, du kannst mir mal
die Ölkanne ribajehm!«
Dann gehen die beiden geruhig nach Haus,
nach dem Stralauer Tor – und das Licht löscht aus,
das Licht in der russischen Botschaft.
Kurt Tucholsky
Wenn erst . .
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