Gedichte
Lenau, Nikolaus
Gedichte
Nikolaus Lenau
Gedichte
Erstes Buch
Sehnsucht
An meine Rose
Frohlocke, schöne junge Rose,
Dein Bild wird nicht verschwinden,
Wenn auch die Glut, die dauerlose,
Verweht in Abendwinden.
So süßer Duft, so helle Flamme
Kann nicht für irdisch gelten;
Du prangst am stolzen Rosenstamme,
Verpflanzt aus andern Welten;
Aus Büschen, wo die Götter gerne
Sich in die Schatten senken,
Wenn sie in heilig stiller Ferne
Der Menschen Glück bedenken.
Darum mich ein Hinübersehnen
Stets inniger umschmieget,
Je länger sich in meinen Tränen
Dein holdes Antlitz wieget.
O weilten wir in jenen Lüften,
Wo keine Schranke wehrte,
Daß ich mit deinen Zauberdüften
Die Ewigkeiten nährte! –
Hier nahn die Augenblicke, – schwinden
An dir vorüber immer,
Ein jeder eilt, dich noch zu finden
In deinem Jugendschimmer;
Und ich, wie sie, muß immer eilen
Mit allem meinem Lieben
An dir vorbei, darf nie verweilen,
Von Stürmen fortgetrieben.
Doch hat, du holde Wunderblume,
Mein Herz voll süßen Bebens
Dich mir gemalt zum Eigentume
Ins Tiefste meines Lebens,
Wohin der Tod, der Ruhebringer,
Sich scheuen wird zu greifen,
Wenn endlich seine sanften Finger
Mein Welkes niederstreifen.
Reise-Empfindung
Ich sah in bleicher Silbertracht
Die Birkenstämme prangen,
Als wäre dran aus heller Nacht
Das Mondlicht blieben hangen;
Und in dem zarten Birkenhain
Sah ich ein Häuschen blinken,
Das hob gleich an, zu sich hinein
Holdfreundlich mich zu winken.
Wie da im roten Morgenstrahl
Die Fensterlein erglänzten;
Und wie so freudig Berg und Tal
Mit Rosen sich bekränzten!
Die Rebe auf zum Fenster klomm
Mit ihren goldnen Trauben;
Die Unschuld saß im Dache fromm
In stillen weißen Tauben.
Die Lerche sang und schwand dahin
Auf morgenfrohen Schwingen,
Daß mir der blaue Himmel schien
Ins Tal herabzusingen.
Da meint ich schon, das Fenster soll
Sich freundlich mir erschließen
Und aus dem Rahmen liebevoll
Mein Liebchen mich begrüßen.
Du seligste der Phantasein!
Ach, wär es mir beschieden,
Mit ihr zu leben hier allein
Im süßen Waldesfrieden!
Mit ihr im linden Frühlingshauch
Durch diesen Hain zu wallen,
Zu lauschen hier im Blütenstrauch
Dem Lied der Nachtigallen;
Mit ihr zu schaun im Herbsteswehn
Die welken Blätter fliegen,
Umrauscht vom schmerzlichen Vergehn,
Mich traut an sie zu schmiegen.
Wenn dann in rauher Winterzeit
Ein Lied mein Liebchen sänge
Und aller Himmel Seligkeit
Mir in die Stube dränge! –
Ich wagt es mich zu regen kaum
In meinem stillen Sinnen,
Besorgt, das Häuschen möcht, ein Traum,
Vor meinem Blick zerrinnen.
Doch, sieh, da öffnet sich die Tür,
Der Zauber war geschwunden,
Es trat ein Jägersmann herfür
Mit nachgesprengten Hunden.
Er grüßte mich mit raschem Blick
Und streift' waldein gar heiter;
Ich gab ihm seinen Gruß zurück,
Und traurig ging ich weiter.
Nach Süden
Dort nach Süden zieht der Regen,
Winde brausen südenwärts,
Nach des Donners fernen Schlägen,
Dort nach Süden will mein Herz.
Dort im fernen Ungarlande
Freundlich schmuck ein Dörfchen steht,
Rings umrauscht von Waldesrande,
Mild von Segen rings umweht.
An des Dörfchens stillem Saume
Ist ein Hüttlein hingestellt,
Das in seinem schmalen Raume
Wahret meine Herzenswelt.
Bäume, die dem Wald entsprungen,
Sehnend nach dem Hüttlein sich,
Halten Dach und Wand umschlungen
Mit den Zweigen inniglich.
Aus dem Fenster blickt nun schweigend
Lilla nach dem Wald hinaus,
Ihr Gesichtchen traurig neigend,
Blickt sie nach dem Laubgebraus.
Und sie siehts mit stillem Sinnen,
Und sie sieht es bang gerührt,
Wie die Wasser niederrinnen,
Wie der Wind das Laub entführt.
Lauter wogt der Bach und trüber,
Lauter wird der Lüfte Streit,
Hörbar rauscht die Zeit vorüber
An des Mädchens Einsamkeit.
Frage
Mir hat noch deine Stimme nicht geklungen,
Ich sah nur erst dein holdes Angesicht,
Doch hat der Strom der Schönheit mich bezwungen,
Der hell von dir in meine Seele bricht.
Ins Tiefste ist er mächtig mir gedrungen,
Was dort bis nun gelebt, nun lebt es nicht,
Süß sterbend ward es von der Flut verschlungen;
Das ist der Liebe himmlisches Gericht!
O daß mein kühnes Hoffen, banges Zagen
Ein milder Spruch aus deinem Munde grüßte!
Die Wellen, die so laut mein Herz durchschlagen,
Wohin doch werden sie die Seele tragen?
An der Erhörung Paradiesesküste? –
In der Verstoßung trauervolle Wüste? –
Dein Bild
Die Sonne sinkt, die Berge glühn,
Und aus des Abends Rosen
Seh ich so schön dein Bild mir blühn,
So fern dem Hoffnungslosen.
Strahlt Hesperus dann hell und mild
Am blauen Himmelsbogen,
So hat mit ihm dein süßes Bild
Die Sternenflur bezogen.
Im mondbeglänzten Laube spielt
Der Abendwinde Säuseln;
Wie freudig um dein zitternd Bild
Des Baches Wellen kräuseln! –
Es braust der Wald, am Himmel ziehn
Des Sturmes Donnerflüge,
Da mal ich in die Wetter hin,
O Mädchen, deine Züge.
Ich seh die Blitze trunkenhaft
Um deine Züge schwanken,
Wie meiner tiefen Leidenschaft
Aufflammende Gedanken.
Vom Felsen stürzt die Gemse dort,
Enteilet mit den Winden;
So sprang von mir die Freude fort
Und ist nicht mehr zu finden.
Da bin ich, weiß nicht selber wie,
An einen Abgrund kommen,
Der noch das Kind der Sonne nie
In seinen Schoß genommen.
Ich aber seh aus seiner Nacht
Dein Bild so hold mir blinken,
Wie mir dein Antlitz nie gelacht; –
Wills mich hinunterwinken? –
Ghasel
Du, schöne Stunde, warst mir hold, so hold, wie keine noch,
Ich seh dein Angesicht erglühn im Rosenscheine noch;
So sah den Engel Gottes einst mit Wangen freudenrot
Im Paradiese lächelnd nahn der Mensch, der reine noch.
Du kamst mit ihr und flohst mit ihr, und seit ich euch verlor,
Versehnt ich manchen trüben Tag in jenem Haine noch
Und fragte klagend mein Geschick: »Bewahrst in deinem Schatz
So holde Stunde du für mich nicht eine, eine noch?«
Dort mocht ich lauschen spät und früh: wohl flüsterts im Gezweig,
Doch immer schweigt noch mein Geschick – ich lausch und weine noch.
Das Mondlicht
Dein gedenkend irr ich einsam
Diesen Strom entlang;
Könnten lauschen wir gemeinsam
Seinem Wellenklang!
Könnten wir zusammen schauen
In den Mond empor,
Der da drüben aus den Auen
Leise taucht hervor.
Freundlich streut er meinem Blicke
Aus dem Silberschein
Stromhinüber eine Brücke
Bis zum stillen Hain. –
Wo des Stromes frohe Wellen
Durch den Schimmer ziehn,
Seh ich, wie hinab die schnellen
Unaufhaltsam fliehn.
Aber wo im schimmerlosen
Dunkel geht die Flut,
Ist sie nur ein dumpfes Tosen,
Das dem Auge ruht.
Daß doch mein Geschick mir brächte
Einen Blick von dir!
Süßes Mondlicht meiner Nächte,
Mädchen, bist du mir!
Wenn nach dir ich oft vergebens
In die Nacht gesehn,
Scheint der dunkle Strom des Lebens
Trauernd stillzustehn;
Wenn du über seinen Wogen
Strahlest zauberhell,
Seh ich sie dahingezogen,
Ach! nur allzuschnell!
Nächtliche Wanderung
Die Nacht ist finster, schwül und bang,
Der Wind im Walde tost;
Ich wandre fort die Nacht entlang
Und finde keinen Trost.
Und mir zur Seite, engelmild,
Und, ach! so schmerzlich traut,
Zieht mein Geleite hin, das Bild
Von meiner toten Braut.
Ihr bleiches Antlitz bittet mich,
Was mich ihr süßer Mund
So zärtlich bat und feierlich
In ihrer Sterbestund:
»Bezwinge fromm die Todeslust,
Die dir im Auge starrt,
Wenn man mich bald von deiner Brust
Fortreißet und verscharrt!«
Da unten braust der wilde Bach,
Führt reichen, frischen Tod,
Die Wogen rufen laut mir nach:
»Komm, komm und trinke Tod!«
Das klingt so lieblich wie Musik,
Wird wo ein Paar getraut:
Doch zieht vom Sprunge mich zurück
Das Wort der toten Braut.
Stets finstrer wird der Wolkendrang,
Der Sturm im Walde brüllt,
Und ferne hebt sich Donnerklang,
Der immer stärker schwillt.
O schlängle dich, du Wetterstrahl,
Herab, ein Faden mir,
Der aus dem Labyrinth der Qual
Hinaus mich führt zu ihr!
Das Posthorn
Still ist schon das ganze Dorf,
Alles schlafen gangen,
Auch die Vöglein im Gezweig,
Die so lieblich sangen.
Dort in seiner Einsamkeit
Kommt der Mond nun wieder,
Und er lächelt still und bleich
Seinen Gruß hernieder;
Nur der Bach, der nimmer ruht,
Hat ihn gleich vernommen,
Lächelt ihm den Gruß zurück,
Flüstert ihm: willkommen!
Mich auch findest du noch wach,
Lieber Mond, wie diesen,
Denn auf immer hat die Ruh
Mich auch fortgewiesen.
Mich umschlingt kein holder Traum
Mit den Zauberfäden,
Hab mit meinem Schmerze noch
Manches Wort zu reden. –
Ferne, leise hör ich dort
Eines Posthorns Klänge,
Plötzlich wird mir um das Herz
Nun noch eins so enge.
Töne, Wandermelodei,
Durch die öden Straßen;
Wie so leicht einander doch
Menschen sich verlassen!
Lustig rollt der Wagen fort
Über Stein' und Brücken;
Stand nicht wer an seinem Schlag
Mit verweinten Blicken?
Mag er stehn! die Träne kann
Nicht die Rosse halten;
Mag der rauhe Geißelschwung
Ihm die Seele spalten!
Schon verhallt des Hornes Klang
Ferne meinem Lauschen,
Und ich höre wieder nur
Hier das Bächlein rauschen.
Ich gedenke bang und schwer
Aller meiner Lieben,
Die in ferner Heimat mir
Sind zurückgeblieben;
Diese schöne Sommernacht
Muß vorübergehen
Und mein Leben ohne sie
Einsamkeit verwehen.
Mahnend ruft die Mitternacht
Mir herab vom Turme.
Ferne! denket mein! die Zeit
Eilt dahin im Sturme!
Unsre Gräber, denket mein!
Sind schon ungeduldig! –
Daß wir nicht beisammen sind,
Bin ich selber schuldig.
Bitte
Weil auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.
An die Ersehnte
Umsonst! du bist auf immer mir verloren!
Laut rufend in den dunkeln Wald des Lebens,
Hat ohne Rast die Sehnsucht dich beschworen;
Ihr Ruf durchklang die Einsamkeit vergebens.
Tief ist mein Herz erkrankt an einer Ahnung,
Von der ich nimmer wohl genesen werde,
Es flüstert mir mein Herz die trübe Mahnung:
Noch ist sie nicht geboren dieser Erde!
Die Stunden, die mit frohen Wandersängen
Das Mädchen einst durchs Erdental geleiten,
Sie schlummern in der Zukunft Schattengängen
Bei ihrer Bürde noch von Seligkeiten;
Von Seligkeiten, die mit leichten Händen
Die wachen einst entgegenstreuen allen,
An welche sie die schöne Gunst verschwenden,
Mit ihrer Königin vorbeizuwallen.
Die eine aber von den Schläferinnen
Wird locken sie zur Kühle von Zypressen
Und führen sie, versenkt in stilles Sinnen,
An deinen Hügel, moosig und vergessen.
Dann irrt dein Geist um deine Asche bange,
Dann zittern Geist und Staub, sich zu vereinen;
Das Mädchen aber wird am Grabeshange,
Geheim ergriffen, stille stehn – und weinen.
Meine Braut
An der duftverlornen Grenze
Jener Berge tanzen hold
Abendwolken ihre Tänze,
Leichtgeschürzt im Strahlengold.
Wenn ich nach den lichten Räumen
Jener Berg' hinüberseh,
Überschleicht es mich wie Träumen,
Faßt mein Herz ein dunkles Weh.
Und mir ist, als wohne drüben
Meine Braut und harr in Schmerz,
Daß ich komme, sie zu lieben,
Eh verblüht ist Wang und Herz.
Plötzlich treibt ein wildes Sehnen
Nach den Bergen mich, zu ihr,
Fluchtverstreute Wonnetränen
Stürzen aus den Augen mir.
Doch die Berge sich verdunkeln,
Und die Wolken werden Nacht;
Nicht ein Sternlein seh ich funkeln,
Und der Sturm ist aufgewacht;
Scheltend ruft er mir entgegen:
Heißer Narr, wohin? verzeuch!
Deine Braut heißt Qual, – den Segen
Spricht das Unglück über euch!
In der Wüste
Ists nicht eitel und vergebens,
Lieben Freunde, saget an!
Durch den Wüstensand des Lebens
Sich zu wühlen eine Bahn?
Streut auch unser Fuß im Staube
Spuren aus von seinem Lauf,
Gleich, wie Geier nach dem Raube,
Kommt ein Sturm und frißt sie auf.
Einsam und in Karawanen
Treibt es nach dem Land der Ruh,
Und es flattern tausend Fahnen
Hier und dort der Ferne zu.
Wir auch wandern vielverbündet
Nach der Rätselferne aus;
Doch der Strahl der Wüste zündet
Sehnsucht nach dem kühlen Haus;
Zündet heißer stets das Sehnen
In die Gruft aus diesem Land,
Wo, nie satt, nach unsern Tränen
Lechzt herauf der dürre Sand.
Schilflieder
1.
Drüben geht die Sonne scheiden,
Und der müde Tag entschlief.
Niederhangen hier die Weiden
In den Teich, so still, so tief.
Und ich muß mein Liebstes meiden:
Quill, o Träne, quill hervor!
Traurig säuseln hier die Weiden,
Und im Winde bebt das Rohr.
In mein stilles, tiefes Leiden
Strahlst du, Ferne! hell und mild,
Wie durch Binsen hier und Weiden
Strahlt des Abendsternes Bild.
2.
Trübe wirds, die Wolken jagen,
Und der Regen niederbricht,
Und die lauten Winde klagen:
›Teich, wo ist dein Sternenlicht?‹
Suchen den erloschnen Schimmer
Tief im aufgewühlten See.
Deine Liebe lächelt nimmer
Nieder in mein tiefes Weh!
3.
Auf geheimem Waldespfade
Schleich ich gern im Abendschein
An das öde Schilfgestade,
Mädchen, und gedenke dein!
Wenn sich dann der Busch verdüstert,
Rauscht das Rohr geheimnisvoll,
Und es klaget, und es flüstert,
Daß ich weinen, weinen soll.
Und ich mein', ich höre wehen
Leise deiner Stimme Klang
Und im Weiher untergehen
Deinen lieblichen Gesang
4.
Sonnenuntergang;
Schwarze Wolken ziehn,
O wie schwül und bang
Alle Winde fliehn!
Durch den Himmel wild
Jagen Blitze, bleich;
Ihr vergänglich Bild
Wandelt durch den Teich.
Wie gewitterklar
Mein' ich dich zu sehn
Und dein langes Haar
Frei im Sturme wehn!
5.
Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes grünen Kranz.
Hirsche wandeln dort am Hügel,
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.
Weinend muß mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet!
Winternacht
1.
Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!
Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.
Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heißbewegte, wilde!
Daß einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!
2.
Dort heult im tiefen Waldesraum
Ein Wolf; – wie's Kind aufweckt die Mutter,
Schreit er die Nacht aus ihrem Traum
Und heischt von ihr sein blutig Futter.
Nun brausen über Schnee und Eis
Die Winde fort mit tollem Jagen,
Als wollten sie sich rennen heiß:
Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen!
Laß deine Toten auferstehn
Und deiner Qualen dunkle Horden!
Und laß sie mit den Stürmen gehn,
Dem rauhen Spielgesind aus Norden!
Stumme Liebe
Ließe doch ein hold Geschick
Mich in deinen Zaubernähen,
Mich in deinem Wonneblick
Still verglühen und vergehen;
Wie das fromme Lampenlicht
Sterbend glüht in stummer Wonne
Vor dem schönen Angesicht
Dieser himmlischen Madonne! –
Wandel der Sehnsucht
Wie doch dünkte mir die Fahrt so lang,
O wie sehnt ich mich zurück so bang
Aus der weiten, fremden Meereswüste
Nach der lieben, fernen Heimatküste.
Endlich winkte das ersehnte Land,
Jubelnd sprang ich an den teuern Strand,
Und als wiedergrüne Jugendträume
Grüßten mich die heimatlichen Bäume.
Hold, und süßverwandt, wie nie zuvor,
Klang das Lied der Vögel an mein Ohr;
Gerne, nach so schmerzlichem Vermissen,
Hätt ich jeden Stein ans Herz gerissen.
Doch, da fand ich dich, und – todesschwank
Jede Freude dir zu Füßen sank,
Und mir ist im Herzen nur geblieben
Grenzenloses, hoffnungsloses Lieben.
O wie sehn ich mich so bang hinaus
Wieder in das dumpfe Flutgebraus!
Möchte immer auf den wilden Meeren
Einsam nur mit deinem Bild verkehren!
Erinnerung
Leichte Trübung
Woher dies plötzliche Verstummen?
Und diese Wolken kummerschwer,
Die mir dein Angesicht vermummen,
Das erst so froh gestrahlt, woher?
»Siehst du den blauen Berg dort ragen,
Der Felsen in die Lüfte hebt,
An welchen selbst die Gemsen zagen
Und der erschrockne Jäger bebt? –
Von seinem Gipfel schleudre du
Ein Steinchen spielend in die Tiefen:
Du störst der Lüfte schwanke Ruh,
Und Nebel steigen, die dort schliefen.
So warfst du, seine Kraft nicht ahnend,
Ein Wörtchen mir in meine Brust,
Ein Wörtchen, leise, aber mahnend,
Und sieh, nun stieg der trübe Wust
Von Nebelbildern alter Kränkung
Aus ihrer stillen Nachtversenkung.«
Das tote Glück
Leis umrauscht von Himmelsquellen,
Süße Sehnsucht in der Brust,
Saß ich einst die mondeshellen
Nächte da in stiller Lust.
Jene Zeit wird nicht mehr kommen;
Himmelsquellen sind versiegt,
Und die Sehnsucht ist verglommen,
Und mein Glück im Grabe liegt.
Weib, du riefst in böser Stunde
Mit dem zauberischen Blick,
Mit dem wonnereichen Munde
Schmeichelnd hin zu dir mein Glück.
Und es kam, ein Kind, und schmiegte
Flehend sich in deinen Arm,
Der es mild umschlang und wiegte,
Als ein weicher Mutterarm.
Nun das Kind in Traumeswonnen,
Hingeschlummert, sich verlor,
Nahmst du still und kaltbesonnen
Deinen Todesdolch hervor.
Scharf geschliffen am Gesteine
Deines Herzens war der Stahl,
Und das Kind, um das ich weine,
Atmete zum letztenmal.
Und du stießest leicht und munter,
Wie ein Steinchen in den Bach,
In das Grab mein Glück hinunter,
Sahst ihm ruhig, lächelnd nach.
Der trübe Wandrer
Am Strand des Lebens irr ich, starre düster
Ins Todesmeer, umhüllt von Nebelflor;
Und immer wird der Strand des Lebens wüster,
Und höher schlägt die Flut an ihm empor.
O strömt, ihr Tränen, strömt! – Im Weiterirren
Seh ich die längstverlornen Minnestunden,
Ein neckend Schattenvolk, vorüberschwirren,
Und neuer Schmerz durchglüht die alten Wunden.
Die Asche meiner Hoffnungen, die Kränze
Geliebter Toten flattern mir vorüber,
Gerissen in des Sturmes wilde Tänze,
Und immer wirds in meiner Seele trüber. –
Das Christuskreuz, vor dem in schönen Tagen
Ein Kind ich, selig betend, oft gekniet,
Es hängt hinab vom Strande nun, zerschlagen,
Darüber hin die Todeswelle zieht. –
Seltsame Stimmen mein' ich nun zu hören:
Bald kommts, ein wirres Plaudern, meinem Lauschen
Meerüber her, bald tönts in leisen Chören,
Dann wieder schweigts, und nur die Wellen rauschen. –
Ein ernster Freund, mein einziges Geleite,
Weist stumm hinunter in die dunkle Flut;
Stets enger drängt er sich an meine Seite:
Umarme mich, du stiller Todesmut!
Unmut
Die Hoffnung, eine arge Dirne,
Verbuhlte mir den Augenblick,
Bestahl mit frecher Lügenstirne
Mein junges Leben um sein Glück.
Nun ists vorüber; in den Tagen,
Als ihr Betrug ins Herz mir schnitt,
Hab ich das süße Kind erschlagen,
Und mit dem Leben bin ich quitt.
Nicht mehr zum Lustschloß umgelogen,
Scheint mir die Erde, was sie ist:
Ein schwankes Zelt, das wir bezogen –
Tod, habe Dank! – auf kurze Frist.
Zu spät!
Schon hat der Lenz verblüht und ausgesungen;
Die holden Träume, seligen Gefühle
Erstarben in der bangen Sommerschwüle,
Mit der das Tatenleben angedrungen.
»Das Roß gespornt! die Wehre frisch geschwungen!«
So heißt es nun im heißen Kampfgewühle,
Bis mir der Sabbat fächelt seine Kühle,
Wann Müden mich der stille Tod umschlungen. –
Mir wars versagt, in jenen Blütentagen,
O Mädchen meiner Sehnsucht, dich zu finden;
Es suchten dich vergebens meine Klagen! –
Noch taucht mir hier und dort aus Kampfeswogen
Dein Bild herauf, doch muß es wieder schwinden,
Bald hat die Brandung es hinabgezogen.
Vergangenheit
Hesperus, der blasse Funken,
Blinkt und winkt uns traurig zu.
Wieder ist ein Tag gesunken
In die stille Todesruh;
Leichte Abendwölkchen schweben
Hin im sanften Mondenglanz,
Und aus bleichen Rosen weben
Sie dem toten Tag den Kranz.
Friedhof der entschlafnen Tage,
Schweigende Vergangenheit!
Du begräbst des Herzens Klage,
Ach, und seine Seligkeit!
An Fr. Kleyle
Vergib, vergib, Geliebter, dem Gesange,
Der deines Schmerzes leisen Schlummer stört,
Der dir Erinnerungen, süße, bange,
Herauf aus ihrer stillen Gruft beschwört!
Gedenkst du noch des Abends, den die Götter
Auf uns herabgestreut aus milder Hand,
So blühend, leicht, wie junge Rosenblätter,
Denkst du des Abends noch am Leithastrand?
Im Haine sprang von Baum zu Baum die Röte,
Sie wiegte sich auf Wipfeln, mischte froh
Sich in den Wellentanz, der zum Geflöte
Der Nachtigallen rasch vorüberfloh.
Wir aber schritten traulich durch die Schatten,
Und, süß geschwätzig, uns zur Seite ging
Die Hoffnung, sprach vom Himmel treuer Gatten,
Wies dir von Lottchens Hand den güldnen Ring.
Schon sah mein Blick, der in die Zukunft spähte,
In langen Reihen Wonnetage ziehn;
Schon baut ich kühn mit leichtem Traumgeräte
Mein früh zerfallnes Glück an deines hin. –
Sanft senkten sich in feierliches Schweigen
Die Züge der Natur, kein Lüftchen sprach,
Sie schien ihr göttlich Angesicht zu neigen,
Als sänne still sie einer Freude nach,
Die Sterne tauchten aus dem Äthermeere,
Der Weste Hauch erwachte nun im Hain,
Die Blume trank des Himmels leise Zähre,
Und selig irrten wir im Mondenschein. – –
Doch kommt ein Sturm jetzt über meine Saiten,
Reißt wild mir von der Leier jenen Tag,
Den schönen Tag mit allen Seligkeiten,
Pocht mir ans Herz mit rauhem Flügelschlag.
Herein! herein! du finsterer Geselle!
Du bist in meiner Brust kein neuer Gast;
Ich öffne dir die trümmervolle Zelle,
In welcher dein Geschlecht schon oft gerast!
Des Abends, Freund, gedenk ich, jenes andern!
Ich seh im winterlichen Dämmerlicht
Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,
Wo die Geliebte Treu und Herz dir bricht.
Der Priester sprach den Segen ob dem Paare,
Mir schien ein Mordgewölb das Heiligtum,
Ich sah die Hoffnung fallen am Altare,
Wie ward die süße Schwätzerin so stumm! –
Beflügle dich, mein Lied, denn immer trüber
Und tränenvoller stets wird deine Bahn;
O führe schnell den Freund mir da vorüber,
Wo ihn der Schauer nächtlichste umfahn!
Vorüber, Lied, am bretternen Geschirre,
Darein der Tod gepflanzt die Rose bleich;
Fort von der Stimmen kläglichem Gewirre,
Da dumpf vernagelnd dröhnt der Hammerstreich!
Wir sind vorbei. Der Sturm lenkt sein Gefieder
Zum dunkeln Horste der Vergangenheit,
Und Wehmut sinkt an meinen Busen wieder,
Die stille Freundin meiner Einsamkeit.
Einst und jetzt
»Möchte wieder in die Gegend,
Wo ich einst so selig war,
Wo ich lebte, wo ich träumte
Meiner Jugend schönstes Jahr!«
Also sehnt ich in der Ferne
Nach der Heimat mich zurück,
Wähnend, in der alten Gegend
Finde sich das alte Glück.
Endlich ward mir nun beschieden
Wiederkehr ins traute Tal;
Doch es ist dem Heimgekehrten
Nicht zumut wie dazumal.
Wie man grüßet alte Freunde,
Grüß ich manchen lieben Ort;
Doch im Herzen wird so schwer mir,
Denn mein Liebstes ist ja fort.
Immer schleicht sich noch der Pfad hin
Durch das dunkle Waldrevier;
Doch er führt die Mutter abends
Nimmermehr entgegen mir.
Mögen deine Grüße rauschen
Vom Gestein, du trauter Bach;
Doch der Freund ist mir verloren,
Der in dein Gemurmel sprach.
Baum, wo sind die Nachtigallen,
Die hier sangen einst so süß?
Und wo. Wiese, deine Blumen,
Die mir Rosa sinnend wies? –
Blumen fort und Nachtigallen
Und das gute Mädchen auch!
Meine Jugend fort mit ihnen;
Alles wie ein Frühlingshauch!
Die Jugendträume
Der Jüngling weilt in einem Blütengarten
Und schaut mit Lust des Lebens Morgenrot;
Auf seinem Antlitz ruht ein schön Erwarten,
Die Welt ist Himmel ihm, der Mensch ein Gott.
Ein Morgenlüftchen streut ihm duftge Rosen
Mit leisem Finger in das Lockenhaar;
Sein Haupt umflattert mit vertrautem Kosen
Ein bunt Gevögel, singend wunderbar.
Seid stille, stille, daß die flüchtgen Gäste
Ihr nicht dem Jünglinge verscheucht; denn wißt:
Die Jugendträume sind es, wohl das beste,
Was ihm für diese Welt beschieden ist.
Doch, weh! ihm naht mit eisern schwerem Gange
Die Wirklichkeit, und fort auf ewig fliehn
Die Vögel, und dem Jüngling wird so bange,
Da er sie weiter sieht und weiter ziehn.
Die Felsenplatte
Dort am steilen Klippenhange,
Wo der Wildbach niederschäumt,
Lehnt beim Sonnenuntergange
Einsam still ein Mann – und träumt.
Hingesenkt das gramesmatte
Angesicht, so früh verblüht,
Starrt er auf die Felsenplatte,
Die vom Abendrote glüht.
Wie er also unabwendig
Starret auf den hellen Stein,
Werden plötzlich drauf lebendig
Seine lieben Phantasein.
Seiner Kindheit Spielgenossen
Tanzen lustig drüber hin
Mit der Unschuld süßen Possen,
Laden ein zu Spielen ihn.
Auch sein Mütterlein, die gute,
Wandelt lächelnd auf dem Stein,
Die so manches Jahr schon ruhte
In dem öden Totenschrein.
Und nun sieht er unter ihnen
Klar sein eignes Jugendbild,
Mit den frohen Fremdlingsmienen
Auf der Erde Schmerzgefild.
Und er hört das laute Klopfen
In des Jünglings heißer Brust,
Sieht vom Aug ihm niedertropfen
Tränen, selig, unbewust;
Möchte mit dem Jüngling greinen,
Daß er traut der holden Mär;
Und auch wieder bitter weinen,
Daß er nicht der Jüngling mehr. –
Im Gebirge wird es dunkel,
Im Gebirge wird es Nacht,
Doch des Steines hell Gefunkel
Hat sich heller angefacht.
Aus dem Felsengrunde sprießen
Blumen auf mit süßem Hauch,
Und, die Stelle einzuschließen,
Säuselt rings ein Blütenstrauch;
Aus dem schwanken Blütengitter
Strahlt ein Mädchenangesicht,
Wie der Mond aus dem Geflitter
Leiser Silberwellen bricht.
Mit jungfräulichem Erröten
Flüstert sie: »Bin ewig dein!«
Und von allen Zweigen flöten
Nachtigelenlieder drein. –
Doch die Blumen jetzt verblassen,
Traurig schweigt der dürre Strauch,
Und der Jüngling steht verlassen,
Und der Jüngling velket auch. – –
Donner hallen in den Lüften,
Und im hellen Wetterstrahl,
Zu den Füßen des Vertieften,
Zuckt der Stein jetzt bleich und kahl.
Nebel
Du, trüber Nebel, hüllest mir
Das Tal mit seinem Fluß,
Den Berg mit seinem Waldrevier
Und jeden Sonnengruß.
Nimm fort in deine graue Nacht
Die Erde weit und breit!
Nimm fort, was mich so traurig macht,
Auch die Vergangenheit!
An meine Gitarre
Gitarre, wie du hängst so traurig!
Die Saiten tönen nimmermehr,
Die längst zerrißnen wanken schaurig
Im Abendwinde hin und her.
Auch deine Saiten sind zerrissen,
Es schweigt dein süßer Liederklang,
Seit in des Busens Finsternissen
Mir jede frohe Saite sprang.
Mir sank der Freund voll Jugendblüte
Hinunter in die Todesflut;
Die meiner Lieb entgegenglühte,
Nun bei den kalten Toten ruht.
Doch will ich euch nun frisch besaiten,
Dich, meine Leier! dich, mein Herz!
Rückbannen die entflohnen Zeiten,
Die alte Lust, den alten Schmerz.
Hinaus ins Dunkel jener Eichen!
Dort findet sich der alte Lauf;
Dort stören wir die Liederleichen
Aus ihren stillen Gräbern auf.
Wenn erst die Lieder nur erwachen,
Dann ruft, dann zieht ihr lauter Chor
Die Lieben all in meinen Nachen
Aus dunkler Todesflut empor.
Es klingt! – doch fliehn im scheuen Fluge
Die Töne auf von meiner Hand;
So eilt, verspätet, nach dem Zuge
Das Vöglein übers Heideland.
Jetzt bin ich meines Herzens Meister!
Nun rauscht wie einst der Sturmakkord!
Schon springen die versunknen Geister
Herauf, herauf an meinen Bord!
O du, mein Freund, so treu und bieder!
Wohl mir, du bist mir wieder nah!
Dem süßes Wort auch hör ich wieder:
Mein holdes Mädchen, bist du da? –
Doch nein! mich höhnten finstre Mächte!
Wo ist der Freund? das blonde Kind?
Der Nebel reicht mir keine Rechte;
Durch blonde Disteln saust der Wind!
An einen Jugendfreund
Des Lebens holder Zauber ging vorüber.
Ich klage, daß die Jugend mir verloren;
Doch eines macht mir noch die Klage trüber:
Die Treue brach, die du mir einst geschworen.
Nicht meint ich, daß vor uns das teure Erbe
Verblichner Jugend – ihre Freundschaft sterbe.
Du eiltest im Vergessen! ungeduldig
Warfst du dem Tod aus deiner Brust entgegen,
Was du nur allzubald dem herben schuldig,
Wenns einmal aus ist mit des Herzens Schlägen.
Nicht wolltest du die Treu im Busen halten
Bis an der Gruft gebieterisch Erkalten.
Wenn du tief schlummerst unter deinem Hügel,
Nichts mehr erfährst vom holden Lenzerwachen,
Wie laue Winde dann mit leichtem Flügel
Die Rosenglut am Strauch lebendig fachen,
Wie süß dann singen in den grünen Hallen
Von Rosenduft berauschte Nachtigallen:
Dann wäre früh genug der Freund vergessen,
Den du geliebt in deinen Jugendtagen,
Des volles Herz gleich glühend, unermessen,
Dem Jugendideal und dir geschlagen.
Er hielt den Traum umarmet und dein Lieben,
Und beides sah er märchenhaft zerstieben.
Gleichwie Nachtlüfte wehn in Blütenhagen,
Wehmütig säuseln, doch kein Blatt entführen;
Wie Nachtigallen durch Gebüsche klagen,
Doch keine Rose je zu Tode rühren:
So sollte dieses Lied mit seinem Trauern
Durch deine reiche Freudenblüte schauern.
Jedoch umsonst, daß ich dem Lied geböte,
Es will nicht ahmen leiser Lüfte Zittern
Und nicht im Hain das klagende Geflöte;
Sein rauher Klang will deine Freude schüttern.
Hat doch der Frost, der mir von dir gekommen,
Von meinem Herbstgrün auch viel fortgenommen.
Das muß die sanften Klagetöne schärfen,
Seh ich den Freund, mir einst vor allen teuer,
Mein Herz in frohem Übermut verwerfen;
Und zünden muß des Stolzes zürnend Feuer.
Dies Herz war oft von Gottes Flammen helle,
Nicht der Verwerfung Staub ist seine Stelle.
Ich kann es meiner Klage nicht verwehren,
Daß sie dich führe längstverlaßne Pfade,
Und daß sie dich, vielleicht auch deine Zähren,
Zu einem trüben Abschiedsfeste lade;
Denn unsre Freundschaft will ich nun bestatten
Auf ewig in der Wehmut tiefern Schatten.
Frühling
Der Lenz
Da kommt der Lenz, der schöne Junge,
Den alles lieben muß,
Herein mit einem Freudensprunge
Und lächelt seinen Gruß;
Und schickt sich gleich mit frohem Necken
Zu all den Streichen an,
Die er auch sonst dem alten Recken,
Dem Winter, angetan.
Er gibt sie frei, die Bächlein alle,
Wie auch der Alte schilt,
Die der in seiner Eisesfalle
So streng gefangen hielt.
Schon ziehn die Wellen flink von dannen
Mit Tänzen und Geschwätz
Und spötteln über des Tyrannen
Zerronnenes Gesetz.
Den Jüngling freut es, wie die raschen
Hinlärmen durchs Gefild,
Und wie sie scherzend sich enthaschen
Sein aufgeblühtes Bild.
Froh lächelt seine Mutter Erde
Nach ihrem langen Harm;
Sie schlingt mit jubelnder Gebärde
Das Söhnlein in den Arm.
In ihren Busen greift der Lose
Und zieht ihr schmeichelnd keck
Das sanfte Veilchen und die Rose
Hervor aus dem Versteck.
Und sein geschmeidiges Gesinde
Schickt er zu Berg und Tal:
»Sagt, daß ich da bin, meine Winde,
Den Freunden allzumal!«
Er zieht das Herz an Liebesketten
Rasch über manche Kluft
Und schleudert seine Singraketen,
Die Lerchen, in die Luft.
Liebesfeier
An ihren bunten Liedern klettert
Die Lerche selig in die Luft;
Ein Jubelchor von Sängern schmettert
Im Walde, voller Blüt und Duft.
Da sind, so weit die Blicke gleiten,
Altäre festlich aufgebaut,
Und all die tausend Herzen läuten
Zur Liebesfeier dringend laut.
Der Lenz hat Rosen angezündet
An Leuchtern von Smaragd im Dom;
Und jede Seele schwillt und mündet
Hinüber in den Opferstrom.
Der Gefangene
Was trug er auch sein Haupt so frei, so stolz!
Wollt edler sich als seine Treiber fühlen!
›Der Hirsch‹ von Schleifer.
Der Frühling ist zu Berg und Tal gekommen,
Sein Freudenruf ist durch die Luft erklungen;
Kaum hat die Erd im Schlafe ihn vernommen,
Hat sie vom Traume sich emporgerungen,
Der ihren Busen deckte schwer und kalt.
In alle Fernen ist der Ruf gedrungen
Mit freundlicher, süßlockender Gewalt,
Daß ihres Nests die Schwalbe nun gedenket,
Weit übers Meer zur trauten Hütte wallt,
Daß seinen Flug der Storch nun heimwärts lenket,
Verlassend schnell das Schilf im fernen Süden.
Die Blume blüht, der bunte Falter senket
Auf sie die Flügel hin, die wonnemüden;
Mit Blüten haben sich geschmückt die Bäume,
Daß sie zu Lieb und Sang die Sänger lüden.
Schon singt und bringt uns Paradiesesträume
Im Blütenstrauche dort die Nachtigall;
Melodisch zieht der Bach durch Waldesräume,
Der Hirte flötet und der Widerhall;
Zur grünen Alpe kehrt die Herde wieder,
Weithin ertönt ihr froher Glockenschall.
Der Wildbach stürzt vom Klippenhange nieder,
Ein Freudentränenstrom, dem Lenz entgegen;
Froh sonnen sich der Alpe Felsenglieder
Im warmen Schein, der Frühling klimmt verwegen
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach:
Der schüttelt sich den Winter ab, den trägen,
Und schleudert ihm Lawinendonner nach.
Voll Sehnsucht harrt er schon der Alpenrose,
Der holden Freundin, die der Lenz versprach,
Die jährlich ihn beschleicht auf weichem Moose. –
So zieht der Lenz herum in allen Gauen,
Verschwendend rings die schönen Freudenlose.
Doch einen weiß ich, der ihn darf nicht schauen
Und nicht, was Gott durch ihn gesandt, genießen,
Weil finstre Kerkerwände ihn umgrauen
Und rauhe Fesseln ehern ihn umschließen.
Nicht hört er Vogelsang im Walde tönen,
Nicht sieht er, wie so schön die Blumen sprießen.
Er hört nur seinen eignen Jammer stöhnen;
Für Nachtigallensang und Taubengirren
Hört er die Wand sein Klagen widerhöhnen
Und, regt er sich, die Eisenkette klirren.
Kein Strahl des Frühlings konnte mit Erbarmen,
Ein milder Tröster, sich zu ihm verirren;
Er darf an Gottes Sonne nicht erwarmen;
Die Nacht allein, das schwarze Ungeheuer,
Hat man mit eingesperrt zu diesem Armen.
In seinem Herzen brennt ein wildes Feuer
Von Rache, Schmerz, von unverdienter Schande,
Von Sehnsucht nach so manchem, was ihm teuer.
Oft springt er auf, gejagt vom innern Brande,
Er flucht, er sucht sein Schwert, er will hinaus:
Doch Hohngelächter rasseln seine Bande,
Und felsenfest verschlossen bleibt das Haus.
Ermattet sinkt er auf das faule Stroh,
Und bittrer Wehmut weicht des Zornes Braus;
Dumpfschweigend sitzt er da und starret so
Das schwarze Ungeheuer an, die Nacht.
Ob Stunde, Mond und Jahr vorüberfloh,
Er konnte dessen haben keine Acht;
Ihm wird in seiner dunkeln Haft die Zeit,
Die Glücklichen enteilt mit Sturmesmacht,
Zur gliederlosen, starren Ewigkeit.
Soll zählen er sie wohl nach seinen Tränen?
Und messen, wie sie noch vom Grabe weit,
Nach dem Unendlichen, nach seinem Sehnen? –
Er wird sein hart Geschick nicht überdauern,
Und hofft er dies, es ist ein eitles Wähnen;
Denn »sterben soll er in den Kerkermauern!«
So klangen seines Richters grause Worte,
Des Mannes ohne Mitleid und Bedauern.
Sein Flehen schlägt vergebens an die Pforte;
»Gib mir, o Gott, bevor das Herz mir bricht,
Nur einen Schritt aus diesem Qualenorte,
Nur noch ein Auge voll von deinem Licht!
Dann laß mich sterben immerhin zur Stelle,
Ich klage meiner Todesstunde nicht!
Mag dann mein Leichnam auf der Kerkerschwelle,
O Herr, an deinem Lichte noch sich sonnen!
So wie der müde Wandrer an der Quelle,
Schlaf ich an deinem süßen Strahlenbronnen
Und träume, was ich sterbend noch empfunden,
O Freiheit! Freiheit! alle deine Wonnen!« – –
Warum hat der ein solches Los gefunden? –
Er fleht umsonst, er hat zu viel verbrochen,
Hat sich des Allzukühnen unterwunden:
Hat Wahrheit dem Tyrannen laut gesprochen
Und ihm erzählt der Menschheit bangen Fluch;
Er hat gerüttelt an den blutgen Jochen.
Darauf verhänget der Gesetze Buch
Den Tod, – der Zwingherr hat es selbst geschrieben –
Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch!
Und daß der Kühne lebend noch geblieben,
Dankt er allein des Herrschers milder Gnade;
Sie will zu schonen manchmal auch belieben,
Sie tötet ihn nicht plötzlich und gerade. –
Der Tor! er wollte Menschenliebe wagen
Und wußte doch, daß sie den Donner lade,
Der in die Nacht sein Haupt nun hingeschlagen. –
Unheimlich wird dem Mörder dann zumute,
Bringt ihm ein Mahner aus vergangnen Tagen
Das Kleid des Toten mit der Spur vom Blute
Und hält ihm vor das bleiche Angesicht,
Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte.
Also behagt' es dem Tyrannen nicht,
Daß es gewagt der edle, kühne Tor,
Mit ihm zu gehen zürnend ins Gericht,
Die blutge Wahrheit ihm zu halten vor,
Das Kleid, das einst die schöne Freiheit trug,
Als sie geführt den vollen Freudenchor,
Eh des Tyrannen Faust sie frech erschlug. – –
Da weckt mich einer Quelle nahes Rauschen
Zurück vom nächtlichen Gedankenflug.
Ich seh das schlanke Reh im Dickicht lauschen;
Nun schrickt es auf, und fort ist seine Spur.
Süß mahnt mich, meinen Schmerz um Lust zu tauschen,
Mit Blüten und Gesängen die Natur;
Doch kann ichs meiner Seele nimmer wehren,
Daß sie verfolge Trauerszenen nur
Und sich statt Blumen sammle bittre Zähren
Und in den Kerker dort zu jenem wandre,
Dem Dulder, bis der Tod, sein heiß Begehren,
Aus einer Nacht ihn senket in die andre.
Asyl
Hohe Klippen, ringsgeschlossen,
Wenig kümmerliche Föhren,
Trübe flüsternde Genossen,
Die hier keinen Vogel hören;
Nichts vom freudigen Gesange
In den schönen Frühlingszeiten;
Geiern wird es hier zu bange,
In so dunkeln Einsamkeiten.
Weiches Moos am Felsgesteine,
Schwellend scheint es zu begehren:
Komm, o Wolke, weine, weine
Mir zu die geheimen Zähren!
Winde hauchen hier so leise,
Rätselstimmen tiefer Trauer;
Hier und dort die Blumenwaise
Zittert still im Abendschauer.
Und kein Bach nach diesen Gründen
Darf mit seinem Rauschen kommen,
Darf der Welt verratend künden,
Was er Stilles hier vernommen;
Denn die rauhen Felsen sorgen,
Daß noch eine Stätte bliebe,
Wo ausweinen kann verborgen
Eine unglückliche Liebe.
Trauer
Blumen, Vögel, duftend, singend,
Seid doch nicht so ausgelassen,
Ungestüm ans Herz mir dringend;
Laßt allein mich ziehn die Straßen!
Vieles ist vorübergangen,
Seit wir uns zuletzt begegnet,
Und es hat von meinen Wangen
Meines Glückes Herbst geregnet.
Winter kam hereingeschlichen
In mein Herz, die Tränen starben,
Und schneeweiß sind mir verblichen
Alle grünen Hoffnungsfarben.
Blumen, Vögel, rings im Haine,
All ihr frohen Bundsgenossen,
Mahnt mich nicht, daß ich alleine
Bin vom Frühling ausgeschlossen!
Frühlingsblick
Durch den Wald, den dunkeln, geht
Holde Frühlingsmorgenstunde,
Durch den Wald vom Himmel weht
Eine leise Liebeskunde.
Selig lauscht der grüne Baum,
Und er taucht mit allen Zweigen
In den schönen Frühlingstraum,
In den vollen Lebensreigen.
Blüht ein Blümlein irgendwo,
Wirds vom hellen Tau getränket,
Das einsame zittert froh,
Daß der Himmel sein gedenket.
In geheimer Laubesnacht
Wird des Vogels Herz getroffen
Von der großen Liebesmacht,
Und er singt ein süßes Hoffen.
All das frohe Lenzgeschick
Nicht ein Wort des Himmels kündet;
Nur sein stummer, warmer Blick
Hat die Seligkeit entzündet;
Also in den Winterharm,
Der die Seele hielt bezwungen,
Ist ein Blick mir, still und warm,
Frühlingsmächtig eingedrungen.
Frühlingsgedränge
Frühlingskinder im bunten Gedränge,
Flatternde Blüten, duftende Hauche,
Schmachtende, jubelnde Liebesgesänge
Stürzen ans Herz mir aus jedem Strauche.
Frühlingskinder mein Herz umschwärmen,
Flüstern hinein mit schmeichelnden Worten,
Rufen hinein mit trunkenem Lärmen,
Rütteln an längst verschlossenen Pforten.
Frühlingskinder, mein Herz umringend,
Was doch sucht ihr darin so dringend?
Hab ichs verraten euch jüngst im Traume,
Schlummernd unter dem Blütenbaume?
Brachten euch Morgenwinde die Sage,
Daß ich im Herzen eingeschlossen
Euren lieblichen Spielgenossen,
Heimlich und selig – ihr Bildnis trage?
Liebe und Vermählung
Erste Stimme
Sieh dort den Berg mit seinem Wiesenhange,
Die Sonne hat verzehrend ihn durchglüht,
Und Strahl auf Strahl noch immer niedersprüht;
Wie sehnt er nach der Wolke sich so bange!
Dort schwebt sie schon in ihrem luftgen Gange,
Auf deren Kuß die Blumenfreude blüht;
Wie flehend sich um ihre Neigung müht
Der Berg, daß sie sein Felsenarm umfange!
Sie kommt, sie naht, sie wird herniedersinken,
Er aber die Erquickungsreiche tief
Hinab in seinen heißen Busen trinken.
Und auferblühn in wonniger Beseelung
Wird, was an schönen Blüten in ihm schlief,
Ein treues Bild der Liebe, der Vermählung!
Zweite Stimme
Sieh hier den Bach, anbei die Waldesrose.
Sie mögen dir vom Lieben und Vermählen
Die wandelbaren, täuschungsvollen Lose
Getreuer viel, als Berg und Wölk, erzählen.
Die Rose lauscht ins liebliche Getose,
Umsungen von des Haines süßen Kehlen,
Und ihr zu Füßen weint der Ruhelose,
Der immer naht, ihr immer doch zu fehlen.
Ein schönes Spiel! solang der Frühling säumt,
Die Rose hold zum Bach hinunter träumt,
Solang ihr Bild in seinen Wellen zittert.
Wenn Sommersgluten sie vom Strauche jagen,
Wenn sie vom Bache wird davongetragen,
Dann ist sie welk, der Zauber ist verwittert!
Der Baum der Erinnerung
Ja, du bist es, blütenreicher
Baum, das ist dein süßer Hauch!
Ich auch bins, nur etwas bleicher,
Etwas trauriger wohl auch.
Hinter deinen Blütenzweigen
Tönte Nachtigallenschlag,
Und die Holde war mein eigen,
Die an meinem Herzen lag.
Und wir meinten selig beide,
Und ich meint es bis zur Stund,
Daß so herrlich du vor Freude
Blühtest über unsern Bund.
Treulos hat sie mich verlassen;
Doch du blühst wie dazumal,
Kannst dich freilich nicht befassen
Mit der fremden Liebesqual.
»Allzulieblich scheint die Sonne,
Weht der linde Maienwind,
Und das Blühen und die Wonne
Allzubald vorüber sind!«
Mahnend säuseln mir die Lehre
Deine frohen Blüten zu;
Doch ungläubig fließt die Zähre,
Und mein Herz verlor die Ruh.
Frühlings Tod
Warum, o Lüfte, flüstert ihr so bang?
Durch alle Haine weht die Trauerkunde,
Und störrisch klagt der trüben Welle Gang:
Das ist des holden Frühlings Todesstunde!
Der Himmel, finster und gewitterschwül,
Umhüllt sich tief, daß er sein Leid verhehle,
Und an des Lenzes grünem Sterbepfühl
Weint noch sein Kind, sein liebstes, Philomele.
Wenn so der Lenz frohlocket, schmerzlich ahnt
Das Herz sein Paradies, das uns verloren,
Und weil er uns zu laut daran gemahnt,
Mußt ihn der heiße Sonnenpfeil durchbohren.
Der Himmel blitzt, und Donnerwolken fliehn,
Die lauten Stürme durch die Haine tosen;
Doch lächelnd stirbt der holde Lenz dahin,
Sein Herzblut still verströmend, seine Rosen.
Herbst
Herbstgefühl
Mürrisch braust der Eichenwald,
Aller Himmel ist umzogen,
Und dem Wandrer, rauh und kalt,
Kommt der Herbstwind nachgeflogen.
Wie der Wind zu Herbsteszeit
Mordend hinsaust in den Wäldern,
Weht mir die Vergangenheit
Von des Glückes Stoppelfeldern.
An den Bäumen, welk und matt,
Schwebt des Laubes letzte Neige,
Niedertaumelt Blatt auf Blatt
Und verhüllt die Waldessteige;
Immer dichter fällt es, will
Mir den Reisepfad verderben,
Daß ich lieber halte still,
Gleich am Orte hier zu sterben.
Herbstklage
Holder Lenz, du bist dahin!
Nirgends, nirgends darfst du bleiben!
Wo ich sah dein frohes Blühn,
Braust des Herbstes banges Treiben.
Wie der Wind so traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeseufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.
Wieder ist, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahingeschwunden.
Fragend rauscht es aus dem Wald:
›Hat dein Herz sein Glück gefunden?‹
Waldesrauschen, wunderbar
Hast du mir das Herz getroffen!
Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welkes Hoffen.
Scheiden
Dahin sind Blüten jetzt und Nachtigallen,
Und durch den kahlen, sangverlaßnen Strauch
Weht nun des Herbstes einsam kühler Hauch;
Mein Glück ist mit dem Laube abgefallen!
Das ist der Hain, wo ich mit dir oft weilte,
Das ist der Büsche wonnigliche Haft,
Wo uns am Flehen süßer Leidenschaft
Unfesselbar die Zeit vorübereilte.
Du wanderst fort, du willst die Welt durchmessen;
Hier ist der Pfad, so schlangenkrumm und kalt,
Der dich, Geliebter, locket mit Gewalt
Und fortführt in die Fremde, ins Vergessen! –
»Das Schiff bewegt mit seinem Reisedrange
Und stört empor die See aus glatter Ruh;
Doch ist es fort, schließt sich die Welle zu,
Gleichgültig wallt sie fort im alten Gange.
Siehst du von jenem Baum den Raben fliegen?
Von seinem Fortschwung wankt und bebt der Ast
Ein Weilchen noch und kehrt zur alten Rast;
Und deine Klagen werden bald versiegen!«
Die Wurmlinger Kapelle
Luftig, wie ein leichter Kahn,
Auf des Hügels grüner Welle
Schwebt sie lächelnd himmelan,
Dort die friedliche Kapelle.
Einst bei Sonnenuntergang
Schritt ich durch die öden Räume,
Priesterwort und Festgesang
Säuselten um mich wie Träume.
Und Marias schönes Bild
Schien vom Altar sich zu senken,
Schien in Trauer, heilig mild,
Alter Tage zu gedenken.
Rötlich kommt der Morgenschein,
Und es kehrt der Abendschimmer
Treulich bei dem Bilde ein;
Doch die Menschen kommen nimmer.
Leise werd ich hier umweht
Von geheimen, frohen Schauern,
Gleich als hätt ein fromm Gebet
Sich verspätet in den Mauern.
Scheidend grüßet hell und klar
Noch die Sonn in die Kapelle,
Und der Gräber stille Schar
Liegt so traulich vor der Schwelle.
Freundlich schmiegt des Herbstes Ruh
Sich an die verlaßnen Grüfte;
Dort, dem fernen Süden zu,
Wandern Vögel durch die Lüfte.
Alles schlummert, alles schweigt,
Mancher Hügel ist versunken,
Und die Kreuze stehn geneigt
Auf den Gräbern – schlafestrunken.
Und der Baum im Abendwind
Läßt sein Laub zu Boden wallen,
Wie ein schlafergriffnes Kind
Läßt sein buntes Spielzeug fallen. –
Hier ist all mein Erdenleid
Wie ein trüber Duft zerflossen;
Süße Todesmüdigkeit
Hält die Seele hier umschlossen.
Sommerfäden
Mädchen, sieh, am Wiesenhange,
Wo wir oft gewandelt sind,
Sommerfäden, leichte, lange,
Gaukeln hin im Abendwind.
Deine Worte, laut und munter,
Flattern in die kühle Luft;
Keines mehr, wie sonst, hinunter
In des Herzens Tiefe ruft.
Winter spinnet los und leise
An der Fäden leichtem Flug,
Webt daran aus Schnee und Eise
Bald den Leichenüberzug.
Künden mir die Sommerfäden,
Daß der Sommer welk und alt,
Merk ich es an deinen Reden,
Mädchen, daß dein Herz wird kalt!
Herbst
Nun ist es Herbst, die Blätter fallen,
Den Wald durchbraust des Scheidens Weh;
Den Lenz und seine Nachtigallen
Versäumt ich auf der wüsten See.
Der Himmel schien so mild, so helle,
Verloren ging sein warmes Licht;
Es blühte nicht die Meereswelle,
Die rohen Winde sangen nicht.
Und mir verging die Jugend traurig,
Des Frühlings Wonne blieb versäumt;
Der Herbst durchweht mich trennungschaurig,
Mein Herz dem Tod entgegenträumt.
Herbstentschluß
Trübe Wolken, Herbstesluft,
Einsam wandl ich meine Straßen,
Welkes Laub, kein Vogel ruft –
Ach, wie stille! wie verlassen!
Todeskühl der Winter naht;
Wo sind, Wälder, eure Wonnen?
Fluren, eurer vollen Saat
Goldne Wellen sind verronnen!
Es ist worden kühl und spät,
Nebel auf der Wiese weidet,
Durch die öden Haine weht
Heimweh; – alles flieht und scheidet.
Herz, vernimmst du diesen Klang
von den felsentstürzten Bächen?
Zeit gewesen wär es lang,
Daß wir ernsthaft uns besprächen!
Herz, du hast dir selber oft
Wehgetan und hast es andern,
Weil du hast geliebt, gehofft;
Nun ists aus, wir müssen wandern!
Auf die Reise will ich fest
Ein dich schließen und verwahren,
Draußen mag ein linder West
Oder Sturm vorüberfahren;
Daß wir unsern letzten Gang
Schweigsam wandeln und alleine,
Daß auf unsern Grabeshang
Niemand als der Regen weine!
Phantasien
Die Zweifler
Zwei Freunde traten schweigend ein
In einen blütenvollen Hain.
Die Sonne ließ den Strahl im Neigen
Erzittern auf den Erlenzweigen,
Und Leben, Lieben überall
Schien schwellend sich hervorzudrängen.
Aus Büschen ruft die Nachtigall
Hervor in schmerzlich süßen Klängen,
Als ob die Sängerin aus Eden
Den Tod sanft möchte überreden
Mit ihrem Liede zaubervoll,
Daß er den Lenz nicht rauben soll.
Die Freunde schwiegen, nur der Bach
In das Geflöte murmelnd sprach;
Viel Blumen standen bunt herum
Und wiegten ihre Häupter stumm,
In das geschwätzig muntre Rauschen
Des Baches froh hinabzulauschen,
Wie Kinder lauschen, frohgespannt,
Dem Wandrer, der von fernem Land,
Von schönen Wundern viel erzählt
Auf seiner Irrfahrt durch die Welt. –
O Nachtigall! du rufst vergebens
Um Dauer dieses Wonnelebens!
Bald glüht dein letztes Abendrot,
In seinem Durste wird der Tod
Hinweg dein süßes Lied auch trinken,
Du wirst vom stillen Aste sinken!
Ihr lieben Blümlein! trauet nicht
Dem Märchen, das der Wandrer spricht;
Seht, seht, schon schwillt er brausend an,
Im Walde schon die Stürme nahn;
Der Donner kommt, und voller schwillt
Der Bach, der immer lauter brüllt;
Er faßt euch an, er reißt euch los
Aus eurer Mutter grünem Schoß!
Wie dort die Rosenstaude bebt,
Nun sich zu ihr der Wilde hebt!
Sie schwankt in ihrem Blütenkleid,
Da sie der Strom frohlockend wiegt:
So wiegt der Bursche seine Maid,
Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt. –
Der eine von den Freunden sann
Hinunter in den Wogendrang,
Und seine Stimme nun begann
Zu tönen, ernst, wie Grabgesang:
Vergänglichkeit! wie rauschen deine Wellen
Dahin durchs Lebenslabyrinth so laut!
In deine Wirbel flüchten alle Quellen,
Kein Damm, kein Schutz sich dir entgegenbaut!
Es wächst dein Strom mit jeglicher Minute,
Stets lauter klagt der dumpfe Wellenschlag;
Doch wie die Flut auch unaufhaltsam flute,
Ist mancher doch, der sie nicht hören mag.
Wenn auch die Wellen ihre Ufer fressen
Und du zum Meer hinwucherst, unermessen,
Doch stehn an deinem Ufer frohe Toren,
In ihren Traum ›Unsterblichkeit‹ verloren.
Am Ufer? – nein! es ist von deinem Bronnen
Tiefinnerst jede Kreatur durchronnen;
Es braust in meines Herzens wildem Takt,
Vergänglichkeit, dein lauter Katarakt!
Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,
Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,
Aufsehnend mich mit zitterndem Verlangen,
Daß rettend meinen Geist sie einst empfangen:
Ich habe mich getäuscht! ich seh erbleichen
Die Sterne selbst und zitternd rückwärts weichen;
Sie hören, wie die Woge braust, sie ahnen,
Daß sie nicht sicher sind auf ihren Bahnen;
Sie schauen, wie es wächst, das grause Meer,
Und fürchten wohl: – mir sagts ihr zitternd Blinken –
Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer,
Ein müdes Schwalbenvolk, heruntersinken.
Dann brütet auf dem Ozean die Nacht,
Dann ist des Todes großes Werk vollbracht;
Dann stockt und starrt zu Eis die grause Flut,
Worin der Wunsch des finstern Gottes ruht;
Er wandelt auf der Fläche und ermißt,
Wie alles nun so still, so dunkel ist;
Er lächelt dann voll selbstzufriedner Freude
In seine Welt, in seine Nacht hinein,
Und es erglänzt des Eises stille Heide
Nur noch von seines Lächelns Widerschein! –
Der andre sprach: mir gilt es gleich,
Ob Leben – Tod – im Schattenreich!
Strahlt jenseits auch ein mildes Licht,
So fehlt gewiß der Donner nicht,
Der, was das Licht in Liebe hegt,
Mit seinem Zorne niederschlägt.
Denn glauben kann ich nimmermehr,
Es habe sich das ganze Heer
Von Qualen, die gebar Natur,
Gelagert auf die Erde nur;
Daß sie von dieser Welt nicht wandern
Mit uns hinüber in die andern,
Die doch in unsrer Brust voll Wunden
So traute Herberg stets gefunden. –
Solang dies Herz auf Erden schlug,
Hab ich erlebt genug, genug,
Um ein Vergehen, ein Verschwinden –
Ein Los der Sehnsucht wert zu finden.
Und schlaf ich einst im Grab so tief,
Und tiefer, denn als Kind ich schlief,
So mag der Tod sich immerhin
Davor als Wächter stellen hin:
Er steht am stillen Grabverlies,
Ein Engel vor dem Paradies. –
Doch ist es anders mir beschlossen,
Soll drüben neu mein Leben sprossen:
Werd ich gelassen, ohne Zagen,
Auch meine Ewigkeit ertragen.
Glauben. Wissen. Handeln
Ein allegorischer Traum
Schon ist der Berge Purpurglut verglommen,
Und zitternd flieht des Tages letzter Strahl
Der Nacht schon aus dem Wege. Sei willkommen,
O Dunkelheit, im ernsten Eichental! –
Hier zünd ich nachts mein Herz zum hellen Feuer
Des Schmerzes an und starre stumm hinein;
Und schwillt die Flamme, wird sie ungeheuer,
Ich steh dabei und starre stumm hinein.
Gelockt vom Scheine, schwirren dann in Scharen,
Wie Mücken auf der Lüfte lauer Flut,
Erinnerungen her aus fernen Jahren
Und werfen dürre Reiser in die Glut.
Sie singen mir, ums Feuer dicht gekauert,
Viel längstverklungne Melodien vor,
Wie einst gejubelt ich und wie getrauert,
Und wie der Seele Frieden ich verlor.
Sie singen mir von meinen Jugendträumen,
Wie mir das Leben einst so hold, so traut,
Umsäuselt von Hesperiens Blütenbäumen,
Entgegentrat als eine schöne Braut.
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umschlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entsprungen,
Flog mir ans Herz, das ihm entgegendrang.
Die schöne Braut gab mir die Hand zur Reise,
Und selig schritten wir und rasch dahin;
Wir sahn am Himmel goldne Wolken ziehn,
Voreilend trat die Freude uns die Gleise.
Wir wallten durch des Glaubens Paradiese,
Wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt,
Wo uns von ihm jed Blümchen auf der Wiese,
Ein Liebeszeichen froh entgegenhält;
Wo die beschwingte Sehnsucht Philomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schwester, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unsrer Brust erwacht,
Erwacht und Gottes süßen Namen singt
Und aus der Brust zu ihm hinüberdringt. –
Wo der Sturm, ein trunkener Sänger Gottes, dahinbraust,
Mit fliegender Locke, mit rauschendem Nachtgewand,
Die Harfe schlagend, im feurigen Fluge dahinbraust
Durch Tal und Gebirg, durch Meer und Wüstensand.
Wie zwingt er die Donnerakkorde hervor aus den Saiten!
Wie sucht sein strahlender Blick nach Gott durch die Weiten!
Ihn hören die Wogen des Meeres berauscht und springen
Vom schaukelnden Schoße des Schlummers zu Gott empor
Und taumeln entzückt in die Arme sich und singen:
›Allmächtiger Gott!‹ im tausendstimmigen Chor;
Ihn hören die Berg', und seine gewaltigen Lieder,
Sie tönen von ihrem erschütterten Busen wieder;
Tief seufzen die Wälder und neigen ihr Angesicht,
Die Ufer fassen den Jubel der Ströme nicht;
Sehnsuchtergriffen, stürzen vom Fels sich herab
Die Tannen und suchen im Wonnetumult ihr Grab.
Des Sturmes Gesang durchtönt die glühende Wüste,
Der grimmige Leu, vom heiligen Klang umweht,
Läßt fahren die Beut, es schweigt sein blutig Gelüste,
Er flieht zur Höhl und zittert sein Gebet.
Dem Menschen entstürzt der Tränen seliger Schwall,
Und lauter ruft im Busen die Nachtigall. –
Doch zogen fort wir aus dem Paradiese,
Wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt,
Wo uns von ihm jed Blümchen auf der Wiese
Ein Liebeszeichen froh entgegenhält;
Wo eine Blum, aus allen Blumen ragend,
Prangt, hold umstrahlt vom ewgen Morgenlicht,
Die schönste Liebesblüte Gottes tragend,
Des toten Heilands lächelnd Angesicht.
Und in der Forschung Wälder trat, ein Tor, ich
Aus jenem gottbeseelten Paradies,
Und all des Herzens fromme Lust verlor ich,
Seit ich des Glaubens treue Spur verließ.
Im Labyrinthe floß in kargen Tropfen
Durchs Laubgewölb das Licht, Staubregen kaum;
Mich aber trieb mein Herz mit lautem Klopfen,
Zu suchen der Erkenntnis hohen Baum.
Scheu floh der Pfad die ungeweihten Tritte,
Entschlüpfend in des Dickichts wirre Nacht;
Doch hascht ich ihn, bis in des Waldes Mitte
Vor mir aufragt' in wunderbarer Pracht
Der Baum, nach dem mein lautes Herz sich sehnte,
Des Gliederbau sich rings in stolzem Drang
Unübersehbar in die Lüfte dehnte; –
Ich stand entzückt und lauscht erwartungsbang:
Da hört ich leise rätselhaftes Flüstern
Im dunkeln Laub, rasch flog von Ast zu Ast
Mein Blick empor und fragte jeden lüstern:
Trägst du vielleicht der Früchte süße Last?
Nun sah ich sie an hohen Zweigen blinken,
Und meine Seele seufzte heiß empor,
Der goldnen Frucht erquickend Süß zu trinken;
Da sprach es aus der Blätternacht hervor:
›Wohl siehst du hier die goldnen Früchte ragen;
Doch zarte, schwanke Zweige halten sie,
Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,
Drum klimme nicht, du pflückst die Früchte nie!‹
Und trauernd wandt ich meinen Schritt von dannen;
Rückfiel mein Blick auf meine liebe Braut,
Und meines Schmerzes erste Tränen rannen,
Als ich ins bleiche Antlitz ihr geschaut.
Am Fußgesträuch des Baumes blieb er hangen,
Der Schleier, der so lieblich sie umfangen,
Und ihr entsanken alle Reize, tot,
Wie, frostverhaucht, der Ros ihr welkes Rot.
»Zurück, zurück, mein Liebchen, laß uns fliehen«, –
So rief ich, – »wo die Wunderblume blüht!
Wir wollen fromm vor ihr im Staube knien,
Vielleicht, daß dort dein Auge wieder glüht,
Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,
Die Schönheit frisch auf deiner Wange keimt,
Die du verlorst am unheilvollen Strauche!«
Doch all der Trost war leider nur geträumt;
Denn wie wir auch im Labyrinthe suchten,
Wir fanden nimmermehr den Weg zurück. – –
Als wir entronnen endlich jenen Schluchten,
Hob sich ein stolzer Bau vor unserm Blick.
Eintraten wir in eine weite Halle:
Da trieb in lautem Wirbel ohne Rast
Ein Menschenschwarm herum, Wettkämpfer alle,
Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glast.
Dort saß erhöht in einer Nische, schweigend,
Ein Weib, ehrwürdiger Gestalt, und schien,
Ihr Haupt hinab zur lauten Bühne neigend,
Zu lauschen dem entbrannten Kampfesmühn.
Schnell lief durchs wirre Volk ein Jubelklang,
Und, sieh! ein Mann der Schlachten trat hervor,
Von Leichendunst hoch aufgebläht, und schwang
Zur Nische seinen Eichenkranz empor:
»Für dich, o Mutter, hab ich ihn gebrochen,
Und blutig bist, Germania, du gerochen!«
Doch hörte man die Frau kein Wörtchen sagen,
Als nahm sie's hin mit ruhigem Behagen.
Dann trat begeistert auf und feierlich
Ein Sängerchor und sang zum Harfenspiele:
»Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!«
Doch diese schwieg, ob solches ihr gefiele.
Zur Nische streckten viele noch die Arme,
Frohlockend: »Heil der großen Mutter, Heil!«
Und Zepter taucht' und Inful aus dem Schwarme,
Und klirrend tauchten Ketten auf und Beil.
Noch immer saß das Weib in stummer Spähe,
Da trat ich forschend zu in ihre Nähe:
Tot war sie, tot! – In ihrer Züge Schatten
Stand noch des Grames stille Siedelei,
Fort war die Seele zu den dunkeln Matten
Der Vorzeit, wo der Seelen heilge Drei
Nun irrt: die hohe Roma, stumm und düster,
Die schöne Hellas, bang mit Klaggeflüster,
Und, ihren Schwestern traulich sich vereinend,
Germania, die gute, leise weinend.
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