Doch wähnet nicht, daß dies ihn tröste! Nein,

Den künft'gen Engel, greulich haßt er ihn;

Er magert ab, er schlottert im Gebein,

Er wird daran ersticken jedenfalls.

Doch eh ihm ganz die Kehle zugeschnürt,

Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;

Die Rede, die er brütend ausstudiert,

Womit vor seinem letzten Atemzug,

Jedwedes Wort ein Schwert, auf einen Schlag

Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,

Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln

Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.

Das alles weiß er, und es macht ihn toll;

Er geht umher und fluchet innerlich.

Ja, manches Mal im hellsten Sonnenschein

Durchfährt es ihn, als stürz er in das Grab.

Es war sein Weib, sie sprach ein sanftes Wort;

Und zitternd blickt er auf: »Oh, Gott sei Dank,

Noch nicht, noch nicht das Engelsangesicht!«

 

 

Stoßseufzer

Am Weihnachtsonntag kam er zu mir,

In Jack' und Schurzfell, und roch nach Bier

Und sprach zwei Stunden zu meiner Qual

Von Zinsen und von Kapital;

Ein Kerl, vor dem mich Gott bewahr!

Hat keinen Festtag im ganzen Jahr.

 

 

In der Frühe

Goldstrahlen schießen übers Dach,

Die Hähne krähn den Morgen wach;

Nun einer hier, nun einer dort,

So kräht es nun von Ort zu Ort.

Und in der Ferne stirbt der Klang –

Ich höre nichts, ich horche lang.

Ihr wackern Hähne, krähet doch!

Sie schlafen immer, immer noch.

 

 

Aus der Marsch

Der Ochse frißt das feine Gras

Und läßt die groben Halme stehen;

Der Bauer schreitet hinterdrein

Und fängt bedächtig an zu mähen.

 

Und auf dem Stall zur Winterszeit,

Wie wacker steht der Ochs zu kauen!

Was er als grünes Gras verschmäht,

Das muß er nun als Heu verdauen.

 

 

Am Aktentisch

Da hab ich den ganzen Tag dekretiert;

Und es hätte mich fast wie so manchen verführt:

Ich spürte das kleine dumme Vergnügen,

Was abzumachen, was fertigzukriegen.

 

 

Sturmnacht

Im Hinterhaus, im Fliesensaal

Über Urgroßmutters Tisch' und Bänke,

Über die alten Schatullen und Schränke

Wandelt der zitternde Mondenstrahl.

Vom Wald kommt der Wind

Und fährt an die Scheiben;

Und geschwind, geschwind

Schwatzt er ein Wort,

Und dann wieder fort

Zum Wald über Föhren und Eiben.

 

Da wird auch das alte verzauberte Holz

Da drinnen lebendig;

Wie sonst im Walde will es stolz

Die Kronen schütteln unbändig,

Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,

Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,

Mit den Blättern in Übermut rauschen,

Beim Tanz im Flug

Durch Wolkenzug

Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.

 

Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,

Den Rokokofuß will das Kanapee strecken,

In der Kommode die Schubfächer drängen

Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;

Der Eichschrank unter dem kleinen Troß

Steht da, ein finsterer Koloß.

Traumhaft regt er die Klauen an,

Ihm zuckt's in der verlornen Krone;

Doch bricht er nicht den schweren Bann. –

Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne

Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht,

Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,

Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,

Klitschend gegen die rasselnden Fenster.

Die glupen dumm neugierig hinein –

Da drinn' steht voll der Mondenschein.

 

Aber droben im Haus

Im behaglichen Zimmer

Beim Sturmgebraus

Saßen und schwatzten die Alten noch immer,

Nicht hörend, wie drunten die Saaltür sprang,

Wie ein Klang war erwacht

Aus der einsamen Nacht,

Der schollernd drang

Über Trepp' und Gang,

Daß drin in der Kammer die Kinder mit Schrecken

Auffuhren und schlüpften unter die Decken.

 

Waldweg

Fragment

 

Durch einen Nachbarsgarten ging der Weg,

Wo blaue Schlehn im tiefen Grase standen;

Dann durch die Hecke über schmalen Steg

Auf eine Wiese, die an allen Randen

Ein hoher Zaun vielfarb'gen Laubs umzog;

Buscheichen unter wilden Rosenbüschen,

Um die sich frei die Geißblattranke bog,

Brombeergewirr und Hülsendorn dazwischen;

Vorbei an Farrenkräutern wob der Eppich

Entlang des Walles seinen dunklen Teppich.

Und vorwärtsschreitend störte bald mein Tritt

Die Biene auf, die um die Distel schwärmte,

Bald hörte ich, wie durch die Gräser glitt

Die Schlange, die am Sonnenstrahl sich wärmte.

Sonst war es kirchenstill in alle Weite,

Kein Vogel hörbar; nur an meiner Seite

Sprang schnaufend ab und zu des Oheims Hund;

Denn nicht allein wär ich um solche Zeit

Gegangen zum entlegnen Waldesgrund;

Mir graute vor der Mittagseinsamkeit. –

Heiß war die Luft, und alle Winde schliefen;

Und vor mir lag ein sonnig offner Raum,

Wo quer hindurch schutzlos die Steige liefen.

Wohl hatt ich's sauer und ertrug es kaum;

Doch rascher schreitend überwand ich's bald.

Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen;

Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald,

In dem schon herbstlich rot die Blätter hingen.

Und drüberher, hoch in der blauen Luft,

Stand beutesüchtig ein gewalt'ger Weih,

Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft;

Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei.

Herbstblätterduft und Tannenharzgeruch

Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege,

Und dort im Walle schimmerte der Bruch,

Durch den ich meinen Pfad nahm ins Gehege.

Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle

Ans Laubgewölb die Tannenstämme sich;

Dann war's erreicht, und wie an Kirchenschwelle

Umschauerte die Schattenkühle mich.

 

 

Eine Frühlingsnacht

Im Zimmer drinnen ist's so schwül;

Der Kranke liegt auf dem heißen Pfühl.

 

Im Fieber hat er die Nacht verbracht;

Sein Herz ist müde, sein Auge verwacht.

 

Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand;

Er hält die Uhr in der weißen Hand.

 

Er zählt die Schläge, die sie pickt,

Er forschet, wie der Weiser rückt;

 

Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht,

Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht.

 

Die Wartfrau sitzt geduldig dabei,

Harrend, bis alles vorüber sei. –

 

Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tod;

Und draußen dämmert das Morgenrot.

 

An die Fenster klettert der Frühlingstag.

Mädchen und Vögel werden wach.

 

Die Erde lacht in Liebesschein,

Pfingstglocken läuten das Brautfest ein;

 

Singende Bursche ziehn übers Feld

Hinein in die blühende, klingende Welt. –

 

Und immer stiller wird es drin;

Die Alte tritt zum Kranken hin.

 

Der hat die Hände gefaltet dicht;

Sie zieht ihm das Laken übers Gesicht.

 

Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer;

Und drinnen wacht kein Auge mehr.

 

 

Der Zweifel

Der Glaube ist zum Ruhen gut,

Doch bringt er nicht von der Stelle;

Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust,

Der sprengt die Pforten der Hölle.

 

 

Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,

Von roten Knospen übersäumt;

Die Wiegen sind's, worin der Frühling

Die schlimme Winterzeit verträumt.

 

 

März

Und aus der Erde schauet nur

Alleine noch Schneeglöckchen;

So kalt, so kalt ist noch die Flur,

Es friert im weißen Röckchen.

 

 

April

Das ist die Drossel, die da schlägt,

Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Das Leben fließet wie ein Traum –

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

 

 

Mai

1.

Die Kinder schreien »Vivat hoch!«

In die blaue Luft hinein;

Den Frühling setzen sie auf den Thron,

Der soll ihr König sein.

2.

 

Die Kinder haben die Veilchen gepflückt,

All, all, die da blühten am Mühlengraben.

Der Lenz ist da; sie wollen ihn fest

In ihren kleinen Fäusten haben.

Juli

 

Klingt im Wind ein Wiegenlied,

Sonne warm herniedersieht,

Seine Ähren senkt das Korn,

Rote Beere schwillt am Dorn,

Schwer von Segen ist die Flur –

Junge Frau, was sinnst du nur?

 

 

August

Inserat

 

Die verehrlichen Jungen, welche heuer

Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,

Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen

Wo möglich insoweit sich zu beschränken,

Daß sie daneben auf den Beeten

Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

 

 

Im Garten

Hüte, hüte den Fuß und die Hände,

Eh sie berühren das ärmste Ding!

Denn du zertrittst eine häßliche Raupe

Und tötest den schönsten Schmetterling.

 

 

Komm, laß uns spielen

Wie bald des Sommers holdes Fest verging!

Rauh weht der Herbst; wird's denn auch Frühling wieder?

 

Da fällt ein bleicher Sonnenstrahl hernieder –

Komm, laß uns spielen, weißer Schmetterling!

 

Ach, keine Nelke, keine Rose mehr;

Am Himmel fährt ein kalt Gewölk daher!

 

Weh, wie so bald des Sommers Lust verging –

O komm! Wo bist du, weißer Schmetterling?

 

 

Herbst

1.

Schon ins Land der Pyramiden

Flohn die Störche übers Meer;

Schwalbenflug ist längst geschieden,

Auch die Lerche singt nicht mehr.

 

Seufzend in geheimer Klage

Streift der Wind das letzte Grün;

Und die süßen Sommertage,

Ach, sie sind dahin, dahin!

 

Nebel hat den Wald verschlungen,

Der dein stillstes Glück gesehn;

Ganz in Duft und Dämmerungen

Will die schöne Welt vergehn.

 

Nur noch einmal bricht die Sonne

Unaufhaltsam durch den Duft,

Und ein Strahl der alten Wonne

Rieselt über Tal und Kluft.

 

Und es leuchten Wald und Heide,

Daß man sicher glauben mag,

Hinter allem Winterleide

Lieg' ein ferner Frühlingstag.

2.

 

Die Sense rauscht, die Ähre fällt,

Die Tiere räumen scheu das Feld,

Der Mensch begehrt die ganze Welt.

3.

 

Und sind die Blumen abgeblüht,

So brecht der Äpfel goldne Bälle;

Hin ist die Zeit der Schwärmerei,

So schätzt nun endlich das Reelle!

Hinter den Tannen

 

Sonnenschein auf grünem Rasen,

Krokus drinnen blau und blaß;

Und zwei Mädchenhände tauchen

Blumen pflückend in das Gras.

 

Und ein Junge kniet daneben,

Gar ein übermütig Blut,

Und sie schaun sich an und lachen –

O wie kenn ich sie so gut!

 

Hinter jenen Tannen war es,

Jene Wiese schließt es ein –

Schöne Zeit der Blumensträuße,

Stiller Sommersonnenschein!

 

 

Vor Tag

1.

Wir harren nicht mehr ahnungsvoll

Wie sonst auf blaue Märchenwunder;

 

Wie sich das Buch entwickeln soll,

Wir wissen's ganz genau jetzunder.

 

Wir blätterten schon hin und her

– Denn ruchlos wurden unsre Hände –,

Und auf der letzten Seite sahn

Wir schon das schlimme Wörtlein Ende.

2.

 

Und geht es noch so rüstig

Hin über Stein und Steg,

Es ist eine Stelle im Wege,

Du kommst darüber nicht weg.

3.

 

Schlag erst die Stunde, wo auf Erden

Dein holdes Bildnis sich verlor,

Dann wirst du niemals wieder werden,

So wie du niemals warst zuvor.

 

4.

 

Da diese Augen nun in Staub vergehen,

So weiß ich nicht, wie wir uns wiedersehen.

Zur Taufe

 

Ein Gutachten

 

Bedenk es wohl, eh du sie taufst!

Bedeutsam sind die Namen;

Und fasse mir dein liebes Bild

Nun in den rechten Rahmen.

Denn ob der Nam' den Menschen macht,

Ob sich der Mensch den Namen,

Das ist, weshalb mir oft, mein Freund,

Bescheidne Zweifel kamen;

Eins aber weiß ich ganz gewiß:

Bedeutsam sind die Namen!

So schickt für Mädchen Lisbeth sich,

Elisabeth für Damen;

Auch fing sich oft ein Freier schon,

Dem Fischlein gleich am Hamen,

An einem ambraduftigen,

Klanghaften Mädchennamen.

 

 

Morgane

An regentrüben Sommertagen,

Wenn Luft und Flut zusammenragen

Und ohne Regung schläft die See,

Dann steht an unserm grauen Strande

Das Wunder aus dem Morgenlande,

Morgane, die berufne Fee.

 

Arglistig halb und halb von Sinne,

Verschmachtend nach dem Kelch der Minne,

Der stets an ihrem Mund versiegt,

Umgaukelt sie des Wandrers Pfade

Und lockt ihn an ein Scheingestade,

Das in des Todes Reichen liegt.

 

Von ihrem Zauberspiel geblendet,

Ruht manches Haupt in Nacht gewendet,

Begraben in der Wüste Schlucht;

Denn ihre Liebe ist Verderben,

Ihr Hauch ist Gift, ihr Kuß ist Sterben,

Die schönen Augen sind verflucht.

 

So steht sie jetzt im hohen Norden

An unsres Meeres dunklen Borden,

So schreibt sie fingernd in den Dunst;

Und quellend aus den luft'gen Spuren

Erstehn in dämmernden Konturen

Die Bilder ihrer argen Kunst.

 

Doch hebt sich nicht wie dort im Süden

Auf rosigen Karyatiden

Ein Wundermärchenschloß ins Blau;

Nur einer Hauberg graues Bildnis

Schwimmt einsam in der Nebelwildnis,

Und keinen lockt der Hexenbau.

 

Bald wechselt sie die dunkle Küste

Mit Libyens sonnengelber Wüste

Und mit der Tropenwälder Duft;

Dann bläst sie lachend durch die Hände,

Dann schwankt das Haus, und Fach und Wände

Verrinnen quirlend in die Luft.

 

 

Ostern

Es war daheim auf unserm Meeresdeich;

Ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,

Zu mir herüber scholl verheißungsreich

Mit vollem Klang das Osterglockenläuten.

 

Wie brennend Silber funkelte das Meer,

Die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,

Die Möwen schossen blendend hin und her,

Eintauchend in die Flut die weißen Flügel.

 

Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand

War sammetgrün die Wiese aufgegangen;

Der Frühling zog prophetisch über Land,

Die Lerchen jauchzten und die Knospen sprangen. –

 

Entfesselt ist die urgewalt'ge Kraft,

Die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,

Und alles treibt, und alles webt und schafft,

Des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.

 

Der Flut entsteigt der frische Meeresduft;

Vom Himmel strömt die goldne Sonnenfülle;

Der Frühlingswind geht klingend durch die Luft

Und sprengt im Flug des Schlummers letzte Hülle.

 

O wehe fort, bis jede Knospe bricht,

Daß endlich uns ein ganzer Sommer werde;

Entfalte dich, du gottgebornes Licht,

Und wanke nicht, du feste Heimaterde! –

 

Hier stand ich oft, wenn in Novembernacht

Aufgor das Meer zu gischtbestäubten Hügeln,

Wenn in den Lüften war der Sturm erwacht,

Die Deiche peitschend mit den Geierflügeln.

 

Und jauchzend ließ ich an der festen Wehr

Den Wellenschlag die grimmen Zähne reiben;

Denn machtlos, zischend schoß zurück das Meer –

Das Land ist unser, unser soll es bleiben!

 

 

Nach Reisegesprächen

Vorwärts lieber laß uns schreiten

Durch die deutschen Nebelschichten,

Als auf alten Träumen reiten

Und auf römischen Berichten!

Denn mir ist, als säh ich endlich

Unter uns ein Bild entfalten;

Dunkel erst, doch bald verständlich

Sich erheben die Gestalten;

Hauf an Haufen im Getümmel,

Nun zerrissen, nun zusammen;

An dem grauverhangnen Himmel

Zuckt es wie von tausend Flammen.

Hört ihr, wie die Büchsen knallen?

Wutgeschrei durchfegt die Lüfte;

Und die weißen Nebel wallen,

Und die Brüder stehn und fallen –

Hoher Tag und tiefe Grüfte!

 

 

Im Herbste 1850

Und schauen auch von Turm und Tore

Der Feinde Wappen jetzt herab,

Und rissen sie die Trikolore

Mit wüster Faust von Kreuz und Grab;

 

Und müßten wir nach diesen Tagen

Von Herd und Heimat bettelnd gehn –

Wir wollen's nicht zu laut beklagen;

Mag, was da muß, mit uns geschehn!

 

Und wenn wir hülfelos verderben,

Wo keiner unsre Schmerzen kennt,

Wir lassen unsern spätsten Erben

Ein treu besiegelt Testament;

 

Denn kommen wird das frische Werde,

Das auch bei uns die Nacht besiegt,

Der Tag, wo diese deutsche Erde

Im Ring des großen Reiches liegt.

 

Ein Wehe nur und eine Schande

Wird bleiben, wenn die Nacht verschwand:

Daß in dem eignen Heimatlande

Der Feind die Bundeshelfer fand;

 

Daß uns von unsern eignen Brüdern

Der bittre Stoß zum Herzen drang,

Die einst mit deutschen Wiegenliedern

Die Mutter in den Schlummer sang;

 

Die einst von deutscher Frauen Munde

Der Liebe holden Laut getauscht,

Die in des Vaters Sterbestunde

Mit Schmerz auf deutsches Wort gelauscht.

 

Nicht viele sind's und leicht zu kennen –

O haltet ein! Ihr dürft sie nicht

In Mitleid noch im Zorne nennen,

Nicht in Geschichte noch Gedicht.

 

Laßt sie, wenn frei die Herzen klopfen,

Vergessen und verschollen sein,

Und mischet nicht die Wermutstropfen

In den bekränzten deutschen Wein!

 

 

Gräber an der Küste

Mit Kränzen haben wir das Grab geschmückt,

Die stille Wiege unsrer jungen Toten;

Den grünsten Efeu haben wir gepflückt,

Die spätsten Astern, die das Jahr geboten.

 

Hier ruhn sie waffenlos in ihrer Gruft,

Die man hinaustrug aus dem Pulverdampfe;

Vom Strand herüber weht der Meeresduft,

Die Schläfer kühlend nach dem heißen Kampfe.

 

Es steigt die Flut; vom Ring des Deiches her

Im Abendschein entbrennt der Wasserspiegel;

Ihr schlafet schön! Das heimatliche Meer

Wirft seinen Glanz auf euren dunklen Hügel.

 

Und rissen sie die Farben auch herab,

Für die so jung ihr ginget zu den Bleichen,

Oh, schlafet ruhig! Denn von Grab zu Grab

Wehn um euch her der Feinde Wappenzeichen.

 

Nicht euch zum Ruhme sind sie aufgesteckt;

Doch künden sie, daß eure Kugeln trafen,

Daß, als ihr euch zur ew'gen Ruh gestreckt,

Den Feind ihr zwanget, neben euch zu schlafen.

 

Ihr aber, denen ohne Trommelschlag

Durch Feindeshand bereitet ward der Rasen,

Hört dieses Lied! und harret auf den Tag,

Daß unsre Reiter hier Reveille blasen! –

 

Doch sollte dieser heiße Lebensstreit

Verlorengehn wie euer Blut im Sande

Und nur im Reiche der Vergangenheit

Der Name leben dieser schönen Lande:

 

In diesem Grabe, wenn das Schwert zerbricht,

Liegt deutsche Ehre fleckenlos gebettet!

Beschützen konntet ihr die Heimat nicht,

Doch habt ihr sterbend sie vor Schmach gerettet.

 

Nun ruht ihr, wie im Mutterschoß das Kind,

Und schlafet aus auf heimatlichem Kissen;

Wir andern aber, die wir übrig sind,

Wo werden wir im Elend sterben müssen!

 

Schon hatten wir zu festlichem Empfang

Mit Kränzen in der Hand das Haus verlassen;

Wir standen harrend ganze Nächte lang,

Doch nur die Toten zogen durch die Gassen.-

 

So nehmet denn, ihr Schläfer dieser Gruft,

Die spätsten Blumen, die das Jahr geboten!

Schon fällt das Laub im letzten Sonnenduft –

Auch dieses Sommers Kranz gehört den Toten.

 

 

Ein Epilog

Ich hab es mir zum Trost ersonnen

In dieser Zeit der schweren Not,

In dieser Blütezeit der Schufte,

In dieser Zeit von Salz und Brot.

 

Ich zage nicht, es muß sich wenden,

Und heiter wird die Welt erstehn,

Es kann der echte Keim des Lebens

Nicht ohne Frucht verlorengehn.

 

Der Klang von Frühlingsungewittern,

Von dem wir schauernd sind erwacht,

Von dem noch alle Wipfel rauschen,

Er kommt noch einmal, über Nacht!

 

Und durch den ganzen Himmel rollen

Wird dieser letzte Donnerschlag;

Dann wird es wirklich Frühling werden

Und hoher, heller, goldner Tag.

 

Heil allen Menschen, die es hören!

Und Heil dem Dichter, der dann lebt

Und aus dem offnen Schacht des Lebens

Den Edelstein der Dichtung hebt!

1. Januar 1851

 

Sie halten Siegesfest, sie ziehn die Stadt entlang;

Sie meinen, Schleswig-Holstein zu begraben.

Brich nicht, mein Herz! Noch sollst du Freude haben;

Wir haben Kinder noch, wir haben Knaben,

Und auch wir selber leben, Gott sei Dank!

 

 

Im Zeichen des Todes

Noch war die Jugend mein, die schöne, ganze,

Ein Morgen nur, ein Gestern gab es nicht;

Da sah der Tod im hellsten Sonnenglanze,

Mein Haar berührend, mir ins Angesicht.

 

Die Welt erlosch, der Himmel brannte trübe;

Ich sprang empor entsetzt und ungestüm.

Doch er verschwand; die Ewigkeit der Liebe

Lag vor mir noch und trennte mich von ihm.

 

Und heute nun – im sonnigen Gemache

Zur Rechten und zur Linken schlief mein Kind;

Des zarten Atems lauschend, hielt ich Wache,

Und an den Fenstern ging der Sommerwind.

 

Da sanken Nebelschleier dicht und dichter

Auf mich herab; kaum schienen noch hervor

Der Kinder schlummerselige Gesichter,

Und nicht mehr drang ihr Atem an mein Ohr.

 

Ich wollte rufen; doch die Stimme keuchte,

Bis hell die Angst aus meinem Herzen schrie.

Vergebens doch; kein Schrei der Angst erreichte,

Kein Laut der Liebe mehr erreichte sie.

 

In grauer Finsternis stand ich verlassen,

Bewegungslos und schauernden Gebeins;

Ich fühlte kalt mein schlagend Herz erfassen,

Und ein entsetzlich Auge sank in meins.

 

Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen

Und faßte mühsam meines Auges Kraft;

Dann überkam vorahnend mich Vertrauen

Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft.

 

Und als ich fest den Blick zurückgegeben,

Lag plötzlich tief zu Füßen mir die Welt;

Ich sah mich hoch und frei ob allem Leben

An deiner Hand, furchtbarer Fürst, gestellt.

 

Den Dampf der Erde sah empor ich streben

Und ballen sich zu Mensch- und Tiergestalt;

Sah es sich schütteln, tasten, sah es leben

Und taumeln dann und schwinden alsobald.

 

Im fahlen Schein im Abgrund sah ich's liegen

Und sah sich's regen in der Städte Rauch;

Ich sah es wimmeln, hasten, sich bekriegen

Und sah mich selbst bei den Gestalten auch.

 

Und niederschauend von des Todes Warte,

Kam mir der Drang, das Leben zu bestehn,

Die Lust, dem Feind, der unten meiner harrte,

Mit vollem Aug ins Angesicht zu sehn.

 

Und kühlen Hauches durch die Adern rinnen

Fühlt ich die Kraft, entgegen Lust und Schmerz

Vom Leben fest mich selber zu gewinnen,

Wenn andres nicht, so doch ein ganzes Herz. –

 

Da fühlt ich mich im Sonnenlicht erwachen;

Es dämmerte, verschwebte und zerrann;

In meine Ohren klang der Kinder Lachen,

Und frische, blaue Augen sahn mich an.

 

O schöne Welt! So sei in ernstem Zeichen

Begonnen denn der neue Lebenstag!

Es wird die Stirn nicht allzusehr erbleichen,

Auf der, o Tod, dein dunkles Auge lag.

 

Ich fühle tief, du gönnetest nicht allen

Dein Angesicht; sie schauen dich ja nur,

Wenn sie dir taumelnd in die Arme fallen,

Ihr Los erfüllend gleich der Kreatur.

 

Mich aber laß unirren Augs erblicken,

Wie sie, von keiner Ahnung angeweht,

Brutalen Sinns ihr nichtig Werk beschicken,

Unkundig deiner stillen Majestät.

 

 

Weihnachtabend

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,

Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.

Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl

Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

 

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,

Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:

»Kauft, lieber Herr!« Ein magres Händchen hielt

Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

 

Ich schrak empor, und beim Laternenschein

Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;

Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,

Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.

 

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,

Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:

»Kauft, lieber Herr!« den Ruf ohn Unterlaß;

Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

 

Und ich? – War's Ungeschick, war es die Scham,

Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?

Eh meine Hand zu meiner Börse kam,

Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

 

Doch als ich endlich war mit mir allein,

Erfaßte mich die Angst im Herzen so,

Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein

Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.

 

 

Abschied

Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,

Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;

Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,

Es ist die Fahrt der Heimat abgekehrt.

 

Geht immerhin – denn eure Tat ist euer –

Und widerruft, was einst das Herz gebot;

Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu teuer,

Dafür euch in der Heimat euer Brot!

 

Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,

In Schmerz verstummte Klagen mißverstehn;

Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,

Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn.-

 

Du, deren zarte Augen mich befragen –

Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!

Laß nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,

Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.

 

Es strömt die Luft – die Knaben stehn und lauschen,

Vom Strand herüber dringt ein Möwenschrei;

Das ist die Flut! Das ist des Meeres Rauschen!

Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.

 

Von meinem Arm in dieser letzten Stunde

Blickt einmal noch ins weite Land hinaus,

Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,

Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.

 

Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde

Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;

Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde

Für Fremde nur und was den Fremden dient.

 

Doch ist's das flehendste von den Gebeten,

Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,

Mit festem Fuß auf diese Scholle treten,

Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! –

 

Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege

Auch noch auf diesem teuren Boden stand,

Hör mich! – denn alles andere ist Lüge –

Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!

 

Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,

Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,

So soll es wie ein Schauer dich berühren

Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

 

 

Für meine Söhne

Hehle nimmer mit der Wahrheit!

Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;

Doch, weil Wahrheit eine Perle,

Wirf sie auch nicht vor die Säue.

 

Blüte edelsten Gemütes

Ist die Rücksicht; doch zuzeiten

Sind erfrischend wie Gewitter

Goldne Rücksichtslosigkeiten.

 

Wackrer heimatlicher Grobheit

Setze deine Stirn entgegen;

Artigen Leutseligkeiten

Gehe schweigend aus den Wegen.

 

Wo zum Weib du nicht die Tochter

Wagen würdest zu begehren,

Halte dich zu wert, um gastlich

In dem Hause zu verkehren.

 

Was du immer kannst, zu werden,

Arbeit scheue nicht und Wachen;

Aber hüte deine Seele

Vor dem Karrieremachen.

 

Wenn der Pöbel aller Sorte

Tanzet um die goldnen Kälber,

Halte fest: du hast vom Leben

Doch am Ende nur dich selber.

 

 

Crucifixus

Am Kreuz hing sein gequält Gebeine,

Mit Blut besudelt und geschmäht;

Dann hat die stets jungfräulich reine

Natur das Schreckensbild verweht.

 

Doch die sich seine Jünger nannten,

Die formten es in Erz und Stein,

Und stellten's in des Tempels Düster

Und in die lichte Flur hinein.

 

So, jedem reinen Aug ein Schauder,

Ragt es herein in unsre Zeit;

Verewigend den alten Frevel,

Ein Bild der Unversöhnlichkeit.

 

 

Auf dem Segeberg

Hier stand auch einer Frauen Wiege,

Die Wiege einer deutschen Frau;

Die schaut mich an mit Augen blau,

Und auf dem Felsen, drauf ich liege,

Schließt sie mich plötzlich an die Brust.

Da werd ich mir des Glücks bewußt;

Ich seh die Welt so unvergänglich,

Voll Schönheit mir zu Füßen ruhn;

Und alle Sorgen, die so bänglich

Mein Herz bedrängten, schweigen nun.

Musik! Musik! Die Lerchen singen,

Aus Wies' und Wäldern steigt Gesang,

Die Mücken in den Lüften schwingen

Den süßen Sommerharfenklang.

Und unten auf besonnter Flur

Seh ich des Kornes Wellen treiben,

In blauen Wölkchen drüber stäuben

Ein keusch Geheimnis der Natur. –

Da tauchen an des Berges Seite

Zwei Köpfchen auf aus dem Gestein;

Zwei Knaben steigen durchs Gekräute;

Und sie sind unser, mein und dein.

Sie jauchzen auf, die Felsen klingen;

Mein Bursche schlank, mein Bursche klein!

Schau, wie sie purzeln, wie sie springen,

Und jeder will der erste sein.

In Kinderlust die Wangen glühen;

Die Welt, die Welt, o wie sie lacht!

Nun hängen sie an deinen Knien,

Nun an den meinen unbedacht;

Der Große hier, und hier der Kleine,

Sie halten mich so eng umfaßt,

Daß in den Thymian der Steine

Mich hinzieht die geliebte Last.

Die Schatten, die mein Auge trübten,

Die letzten, scheucht der Kindermund;

Ich seh der Heimat, der geliebten,

Zukunft in dieser Augen Grund.

 

 

Trost

So komme, was da kommen mag!

Solang du lebest, ist es Tag.

 

Und geht es in die Welt hinaus,

Wo du mir bist, bin ich zu Haus.

 

Ich seh dein liebes Angesicht,

Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.

 

 

Gedenkst du noch?

Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht

Aus unserm Kammerfenster wir hernieder

Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll

Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?

Der Sternenhimmel über uns so weit,

Und du so jung; unmerklich geht die Zeit.

 

Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei

Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;

Und über unsrer Bäume Wipfel sahn

Wir schweigend in die dämmerigen Lande.

Nun wird es wieder Frühling um uns her,

Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.

 

Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,

Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.

Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,

Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!

Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:

Doch eines blieb – wir gehen Hand in Hand.

 

 

Du warst es doch

In buntem Zug zum Walde ging's hinaus;

Du bei den Kindern bliebst allein zu Haus.

Und draußen haben wir getanzt, gelacht,

Und kaum, so war mir, hatt ich dein gedacht. –

Nun kommt der Abend, und die Zeit beginnt,

Wo auf sich selbst die Seele sich besinnt;

Nun weiß ich auch, was mich so froh ließ sein,

Du warst es doch, und du nur ganz allein.

 

 

Am Geburtstage

Es heißt wohl: Vierzig Jahr ein Mann!

Doch Vierzig fängt die Fünfzig an.

 

Es liegt die frische Morgenzeit

Im Dunkel unter mir so weit,

 

Daß ich erschrecke, wenn ein Strahl

In diese Tiefe fällt einmal.

 

Schon weht ein Lüftlein von der Gruft,

Das bringt den Herbst-Resedaduft.

 

 

Schlaflos

Aus Träumen in Ängsten bin ich erwacht;

Was singt doch die Lerche so tief in der Nacht!

 

Der Tag ist gegangen, der Morgen ist fern,

Aufs Kissen hernieder scheinen die Stern'.

 

Und immer hör ich den Lerchengesang;

O Stimme des Tages, mein Herz ist bang.

 

 

Gartenspuk

Daheim noch war es; spät am Nachmittag.

Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums

Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh;

Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch,

Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief.

Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet

Im Garten drüben kam der Abendduft;

Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch

Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn,

Gedankenlos, und sah den Steig hinab;

Und wieder sah ich – und ich irrte nicht –

Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht,

Langsam ein Kind im hohen Grase gehen;

Ein Knabe schien's, im grauen Kittelchen.

Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal

Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild;

Die Abendstille schien es herzubringen,

Doch näher tretend fand man es nicht mehr.

Nun ging es wieder, stand und ging umher,

Als freu es sich der Garteneinsamkeit. –

Ich aber, diesmal zu beschleichen es,

Ging leise durch den Hof und seitwärts dann

Im Schatten des Holunderzauns entlang,

Sorgsam die Schritte messend; einmal nur

Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich,

Die durch den Weg hinausgelaufen war.

Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch;

Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort,

Und mit den Händen mußt ich's greifen können.

Umsonst! – Als ich den letzten Schritt getan,

Da war es wieder wie hinweggetäuscht.

Still stand das Gras, und durch den grünen Raum

Flog surrend nur ein Abendschmetterling;

Auch an den Linden, an den Fliederbüschen,

Die ringsum standen, regte sich kein Blatt.

Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin

Und suchte töricht nach der Füßchen Spur

Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt;

Dann endlich trat ich aus der Gartentür,

Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag

Mit einem Gang im Abendwind zu schließen.

Doch als ich schon die Pforte zugedrückt,

Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß,

Der in der Planke war, ins Auge mir;

Und fast unachtsam lugte ich hindurch.

Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon;

Und sieh! Da war es wieder, unweit ging's,

Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt;

Ich sah es deutlich... In sein blaß Gesichtchen

Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht,

Sie blickten erdwärts, gern, so schien's, betrachtend,

Was dort geschah; doch lächelte der Mund.

Und nun an einem Eichlein kniet' es hin,

Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah

– Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht –,

Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit

Und strich liebkosend mit der Hand daran.

Darauf – kaum nur vermocht ich's zu erkennen;

Denn Abend ward es, doch ich sah's genau –

Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf,

Bis endlich er das höchste Blatt erreicht;

Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen

Und rüstete sich nun zum Abendflug.

Rückwärts die Händchen ineinanderlegend,

Behutsam sah das Kind auf ihn herab.

Schon putzte er die Fühler, spannte schon

Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und

Nun flog er fort. Da nickt' es still ihm nach.

 

Ich aber dachte: ›Rühre nicht daran!‹

Hob leis die Stirn und ging den Weg hinab,

Den Garten lassend in so holder Hut.

Nicht merkt ich, daß einsam die Wege wurden,

Daß feucht vom Meere strich die Abendluft;

Erfüllet ganz von süßem Heimgefühl,

Ging weit ich in die Dunkelheit hinaus.

 

Da fiel ein Stern; und plötzlich mahnt' es mich

Des Augenblicks, da ich das Haus verließ,

Die Hand entreißend einer zarteren,

Die drin im Flur mich festzuhalten strebte;

Denn schon selbander hausete ich dort. –

Nun ging ich raschen Schritts den Weg zurück;

Und als ich spät, da schon der Wächter rief,

Heimkehrend wieder durch den Garten schritt,

Hing stumm die Finsternis in Halm und Zweigen,

Die Kronen kaum der Bäume rauschten leis.

Vom Hause her nur, wo im Winkel dort

Der Nußbaum vor dem Kammerfenster steht,

Verstohlen durch die Zweige schien ein Licht.

Ein Weilchen noch, und sieh! ein Schatten fiel,

Ein Fenster klang, und in die Nacht hinaus

Rief eine Stimme: »Bist du's?« – »Ja, ich bin's!«

 

Die Zeit vergeht; längst bin ich in der Fremde,

Und Fremde hausen, wo mein Erbe steht.

Doch bin ich einmal wieder dort gewesen;

Mir nicht zur Freude und den andern nicht.

Einmal auch in der Abenddämmerung

Geriet ich in den alten Gartenweg.

Da stand die Planke; wie vor Jahren schon

Hing noch der Linden schön Gezweig herab;

Von drüben kam Resedaduft geweht,

Und Dämmrungsfalter flogen durch die Luft.

Ging's noch so hold dort in der Abendstunde? –

Fest und verschlossen stand die Gartentür;

Dahinter stumm lag die vergangne Zeit.

Ausstreckt ich meine Arme; denn mir war,

Als sei im Rasen dort mein Herz versenkt. –

Da fiel mein Aug auf jenen Sonnenriß,

Der noch, wie ehmals, ließ die Durchsicht frei.

Schon hatt ich zögernd einen Schritt getan;

Noch einmal blicken wollt ich in den Raum,

Darin ich sonst so festen Fußes ging.

Nicht weiter kam ich. Siedend stieg mein Blut,

Mein Aug ward dunkel; Grimm und Heimweh stritten

Sich um mein Herz; und endlich, leidbezwungen,

Ging ich vorüber. Ich vermocht es nicht.

 

 

Immensee

Aus diesen Blättern steigt der Duft des Veilchens,

Das dort zu Haus auf unsern Heiden stand,

Jahraus und -ein, von welchem keiner wußte,

Und das ich später nirgends wieder fand.

 

 

»Ein grünes Blatt«

Verlassen trauert nun der Garten,

Der uns so oft vereinigt hat;

Da weht der Wind zu euern Füßen

Vielleicht sein letztes grünes Blatt.

 

 

Notgedrungener Prolog

zu einer Aufführung des »Peter Squentz« von Gryphius

 

Der Pickelhering tritt auf

 

Hier mach ich euch mein Kompliment!

Der Pickelhering bin ich genennt.

War einst bei deutscher Nation

Eine wohlansehnliche Person;

Hatt mich in Schlössern und auf Gassen

Nicht Schimpf noch Sprung verdrießen lassen

Und mit manch ungefügem Stoß

Mein' sauren Ruhm gezogen groß.

Doch, Undank ist der Welt ihr Lohn!

Seit war ich lang vergessen schon;

Verschlief nun in der Rumpelkammer

All Lebensnot und Erdenjammer;

Da haben sie mich über Nacht

Plötzlich wieder ans Licht gebracht.

Wollen ein alt brav Stück tragieren,

Drin meine Kunst noch tut florieren,

Ein Stück, darinnen sich von zwei

Nationen zeiget die Poesei!

Ein Engländer Shakespeare hat es ersonnen

– Hab sonst just nichts von ihm vernommen –,

Dann aber hat es Herr Gryphius,

Der gelahrte Poete und Syndikus,

In rechten Schick und Schlag gebracht

Und den deutschen Witz hineingemacht.

Da hört ihr, wie ein ernster Mann

Auch einmal feste spaßen kann.

 

Doch, Lieber, sag mir, wenn's gefällt

– Ich war so lang schon außen der Welt –,

Herr Professor Gottsched ist doch nicht zugegen? –

Ich gehe demselben gern aus den Wegen;

Es ist ein gar gewaltsamer Mann

Und hat mir übel Leids getan;

Meinen guten Vetter Hans Wursten hat er

Zu Leipzig gejaget vom Theater,

Weil er zu kräftiglich tät spaßen.

Hätte ja mit sich handeln lassen!

Wir – haben unsre Kurzweil auch;

Doch, Lieber, alles nach Fug und Brauch!

Denn sonders vor dem Frauenzimmer

Muß man subtile reden immer;

Sie zeuchen das Sacktuch sonst vors Gesicht,

Und da schauen sie die Komödia nicht.

Dies aber wär schad überaus;

Denn es ist ein ganzer Blumenstrauß!

Tulipanen und Rosmarin,

Auch Kaiserkronen sind darin;

Die Vergißmeinnichte, so es zieren,

Werden euch sanft das Herze rühren;

Mitunter ist dann auch etwan

Ein deutscher Kohl dazugetan;

Und sollt eine Saudistel drinnen sein,

Das wollt ihr mildiglich verzeihn!

Und nun, Lieber, hab guten Mut,

Und merke, was sich zutragen tut!

Denke: Ein Maul ist kein Rachen,

Eine Kröt ist kein Drachen,

Ein Fingerlein ist kein Maß –

Aber ein Spaß ist alleweil ein Spaß!

 

 

Knecht Ruprecht

Von drauß' vom Walde komm ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Allüberall auf den Tannenspitzen

Sah ich goldene Lichtlein sitzen;

Und droben aus dem Himmelstor

Sah mit großen Augen das Christkind hervor,

Und wie ich so strolcht durch den finstern Tann,

Da rief's mich mit heller Stimme an.

»Knecht Ruprecht«, rief es, »alter Gesell,

Hebe die Beine und spute dich schnell!

Die Kerzen fangen zu brennen an,

Das Himmelstor ist aufgetan,

Alt' und Junge sollen nun

Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;

Und morgen flieg ich hinab zur Erden,

Denn es soll wieder Weihnachten werden!«

Ich sprach: »O lieber Herre Christ,

Meine Reise fast zu Ende ist;

Ich soll nur noch in diese Stadt,

Wo's eitel gute Kinder hat.«

– »Hast denn das Säcklein auch bei dir?«

Ich sprach: »Das Säcklein, das ist hier;

Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern

Fressen fromme Kinder gern.«

– »Hast denn die Rute auch bei dir?«

Ich sprach: »Die Rute, die ist hier;

Doch für die Kinder nur, die schlechten,

Die trifft sie auf den Teil, den rechten.«

Christkindlein sprach: »So ist es recht;

So geh mit Gott, mein treuer Knecht!«

Von drauß' vom Walde komm ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Nun sprecht, wie ich's hierinnen find!

Sind's gute Kind, sind's böse Kind?

 

 

Einer Braut am Polterabend

Mit einem Album und dem Brautkranz

 

Ich bringe dir ein leeres weißes Buch,

Die Blätter drin noch ohne Bild und Spruch.

 

Sie sollen einst, wenn sie beschrieben sind,

Dir bringen ein Erinnern hold und lind;

 

An liebe Worte, die man zu dir sprach,

An treue Augen, die dir blickten nach. –

 

Drauf log ich dir von dunklem Myrtenreis

Den grünen Kranz, der aller Kränze Preis.

 

Nimm ihn getrost! Denn muß ich auch gestehn,

Er wird wie alles Laub dereinst vergehn,

 

So weiß ich doch, wenn Tag um Tag verschwand,

Hältst du den Zweig mit Früchten in der Hand.

 

 

Blumen

Dem Augenarzt von seinen Kranken

 

Sie kommen aus dem Schoß der Nacht;

Doch wären unten sie geblieben,

Wenn nicht das Licht mit seiner Macht

Hinauf ins Leben sie getrieben.

 

Holdselig aus der Erde bricht's

Und blüht nun über alle Schranken;

Du bist der Freund des holden Lichts;

Laß dir des Lichtes Kinder danken!

 

 

Mein jüngstes Kind

Ich wanderte schon lange,

Da kamest du daher;

Nun gingen wir zusammen,

Ich sah dich nie vorher.

 

Noch eine kurze Strecke

– Das Herz wird mir so schwer –,

Du hast noch weit zu gehen,

Ich kann nicht weiter mehr.

 

 

Ein Ständchen

In lindem Schlaf schon lag ich hingestreckt,

Da hat mich jäh dein Geigenspiel erweckt.

Doch, wo das Menschenherz mir so begegnet,

Nacht oder Tag, die Stunde sei gesegnet!

 

 

Das Edelfräulein seufzt

Es ist wohl wahr,

Die Menschen stammen von einem Paar!

Der doppelte Adam, so süß er wäre,

Ich halte ihn dennoch für eine Schimäre!

 

 

Ein Sterbender

Am Fenster sitzt er, alt, gebrochnen Leibes,

Und trommelt müßig an die feuchten Scheiben;

Grau ist der Wintertag und grau sein Haar.

Mitunter auch besieht er aufmerksam

Der Adern Hüpfen auf der welken Hand.

Es geht zu Ende; ratlos irrt sein Aug

Von Tisch zu Tisch, drauf Schriftwerk aller Art,

Sein harrend, hoch und höher sich getürmt.

Vergebens! Was er täglich sonst bezwang,

Es ward ein Berg; er kommt nicht mehr hinüber.

Und dennoch, wenn auch trübe, lächelt er

Und sucht wie sonst noch mit sich selbst zu scherzen;

Ein Aktenstoß, in tücht'gen Stein gehauen,

Es dünket ihn kein übel Epitaph.

Doch streng aufs neue schließet sich sein Mund;

Er kehrt sich ab, und wieder mit den grellen

Pupillen starrt er in die öde Luft

Und trommelt weiter an die Fensterscheiben.

 

Da wird es plötzlich hell; ein bleicher Strahl

Der Wintersonne leuchtet ins Gemach

Und auf ein Bild genüber an der Wand.

Und aus dem Rahmen tritt ein Mädchenkopf,

Darauf wie Frühtau noch die Jugend liegt;

Aus großen, hold erstaunten Augen sprüht

Verheißung aller Erdenseligkeit.

Er kennt das Wort auf diesen roten Lippen,

Er nur allein. Erinnrung faßt ihn an;

Fata Morgana steigen auf betörend;

Lau wird die Luft – wie hold die Düfte wehen!

Mit Rosen ist der Garten überschüttet,

Auf allen Büschen liegt der Sonnenschein.

Die Bienen summen; und ein Mädchenlachen

Fliegt süß und silbern durch den Sommertag.

Sein Ohr ist trunken. »Oh, nur einmal noch!«

Er lauscht umsonst, und seufzend sinkt sein Haupt.

»Du starbst – Wo bist du? – Gibt es eine Stelle

Noch irgendwo im Weltraum, wo du bist? –

Denn daß du mein gewesen, daß das Weib

Dem Manne gab der unbekannte Gott –

Ach dieser unergründlich süße Trunk,

Und süßer stets, je länger du ihn trinkst,

Er läßt mich zweifeln an Unsterblichkeit;

Denn alle Bitternis und Not des Lebens

Vergilt er tausendfach; und drüberhin

Zu hoffen, zu verlangen weiß ich nichts!«

In leere Luft ausstreckt er seine Arme:

»Hier diese Räume, wo du einst gelebt,

Erfüllt ein Schimmer deiner Schönheit noch;

Nur mir erkennbar; wenn auch meine Augen

Geschlossen sind, von keinem dann gesehn.«

 

Vor ihm mit dunklem Weine steht ein Glas,

Und zitternd langet seine Hand danach;

Er schlürft ihn langsam, aber auch der Wein

Erfreut nicht mehr sein Herz. Er stützt das Haupt.

»Einschlafen, fühl ich, will das Ding, die Seele,

Und näher kommt die rätselhafte Nacht!« – –

Ihm unbewußt entfliehen die Gedanken

Und jagen sich im unermeßnen Raum. –

Da steigt Gesang, als wollt's ihn aufwärts tragen;

Von drüben aus der Kirche schwillt der Chor.

Und mit dem innern Auge sieht er sie,

So Mann als Weib, am Stamm des Kreuzes liegen.

Sie blicken in die bodenlose Nacht;

Doch ihre Augen leuchten feucht verklärt,

Als sähen sie im Urquell dort des Lichts

Das Leben jung und rosig auferstehn.

»Sie träumen«, spricht er – leise spricht er es –

»Und diese bunten Bilder sind ihr Glück.

Ich aber weiß es, daß die Todesangst

Sie im Gehirn der Menschen ausgebrütet.«

Abwehrend streckt er seine Hände aus:

»Was ich gefehlt, des einen bin ich frei;

Gefangen gab ich niemals die Vernunft,

Auch um die lockendste Verheißung nicht;

Was übrig ist – ich harre in Geduld.«

Mit klaren Augen schaut der Greis umher;

Und während tiefer schon die Schatten fallen,

Erhebt er sich und schleicht von Stuhl zu Stuhl,

Und setzt sich noch einmal dort an den Tisch,

Wo ihm so manche Nacht die Lampe schien.

Noch einmal schreibt er; doch die Feder sträubt sich;

Sie, die bisher dem Leben nur gedient,

Sie will nicht gehen in den Dienst des Todes;

Er aber zwingt sie, denn sein Wille soll

So weit noch reichen, als er es vermag.

 

Die Wanduhr mißt mit hartem Pendelschlag,

Als dränge sie, die fliehenden Sekunden;

Sein Auge dunkelt; ungesehen naht,

Was ihm die Feder aus den Fingern nimmt.

Doch schreibt er mühsam noch in großen Zügen,

Und Dämmrung fällt wie Asche auf die Schrift:

»Auch bleib der Priester meinem Grabe fern;

Zwar sind es Worte, die der Wind verweht,

Doch will es sich nicht schicken, daß Protest

Gepredigt werde dem, was ich gewesen,

Indes ich ruh im Bann des ew'gen Schweigens.«

 

 

Der Lump

Und bin ich auch ein rechter Lump,

So bin ich dessen unverlegen;

Ein frech Gemüt, ein fromm Gesicht,

Herzbruder, sind ein wahrer Segen!

 

Links nehm von Christi Mantel ich

Ein Zipfelchen, daß es mir diene,

Und rechts – du glaubst nicht, wie das deckt –,

Rechts von des Königs Hermeline.

 

 

Sprüche

1

Der eine fragt: Was kommt danach?

Der andre fragt nur: Ist es recht?

Und also unterscheidet sich

Der Freie von dem Knecht.

 

2

Vom Unglück erst

Zieh ab die Schuld;

Was übrig ist,

Trag in Geduld!

 

 

Gräber in Schleswig

Nicht Kranz noch Kreuz; das Unkraut wuchert tief;

Denn die der Tod bei Idstedt einst entboten,

Hier schlafen sie, und deutsche Ehre schlief

Hier dreizehn Jahre lang bei diesen Toten.

 

Und dreizehn Jahre litten jung und alt,

Was leben blieb, des kleinen Feindes Tücken,

Und konnten nichts als, stumm die Faust geballt,

Den Schrei des Zorns in ihrer Brust ersticken.

 

Die Schmach ist aus; der ehrne Würfel fällt!

Jetzt oder nie! Erfüllet sind die Zeiten,

Des Dänenkönigs Totenglocke gellt;

Mir klinget es wie Osterglockenläuten!

 

Die Erde dröhnt; von Deutschland weht es her,

Mir ist, ich hör ein Lied im Winde klingen,

Es kommt heran schon wie ein brausend Meer,

Um endlich alle Schande zu verschlingen! – –

 

Törichter Traum! – Es klingt kein deutsches Lied,

Kein Vorwärts schallt von deutschen Bataillonen;

Wohl dröhnt der Grund, wohl naht es Glied an Glied;

Doch sind's die Reiter dänischer Schwadronen.

 

Sie kommen nicht. Das Londoner Papier,

Es wiegt zu schwer, sie wagen's nicht zu heben.

Die Stunde drängt. So helft, ihr Toten hier!

Ich rufe euch und hoffe nichts vom Leben.

 

Wacht auf, ihr Reiter! Schüttelt ab den Sand,

Besteigt noch einmal die gestürzten Renner!

Blast, blast, ihr Jäger! Für das Vaterland

Noch einen Strauß! Wir brauchen Männer, Männer!

 

Tambour, hervor aus deinem schwarzen Schrein!

Noch einmal gilt's, das Trommelfell zu schlagen;

Soll euer Grab in deutscher Erde sein,

So müßt ihr noch ein zweites Leben wagen! –

 

Ich ruf umsonst! ihr ruht auf ewig aus;

Ihr wurdet eine duldsame Gemeinde.

Ich aber schrei es in die Welt hinaus:

Die deutschen Gräber sind ein Spott der Feinde!

 

 

Es gibt eine Sorte

Es gibt eine Sorte im deutschen Volk,

Die wollen zum Volk nicht gehören;

Sie sind auch nur die Tropfen Gift,

Die uns im Blute gären.

 

Und weil der lebenskräftige Leib

Sie auszuscheiden trachtet,

So hassen sie nach Vermögen ihn

Und hätten ihn gern verachtet.

 

Und was für Zeichen am Himmel stehn,

Licht oder Wetterwolke,

Sie gehen mit dem Pöbel zwar,

Doch nimmer mit dem Volke.

 

 

Der Beamte

Er reibt sich die Hände: »Wir kriegen's jetzt!

Auch der frechste Bursche spüret

Schon bis hinab in die Fingerspitz',

Daß von oben er wird regieret.

 

Bei jeder Geburt ist künftig sofort

Der Antrag zu formulieren,

Daß die hohe Behörde dem lieben Kind

Gestatte zu existieren!«

 

 

Wir können auch die Trompete blasen

Wir können auch die Trompete blasen

Und schmettern weithin durch das Land;

Doch schreiten wir lieber in Maientagen,

Wenn die Primeln blühn und die Drosseln schlagen,

Still sinnend an des Baches Rand.

 

 

Beginn des Endes

Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,

Nur ein Gefühl, empfunden eben;

Und dennoch spricht es stets darein,

Und dennoch stört es dich zu leben.

 

Wenn du es andern klagen willst,

So kannst du's nicht in Worte fassen.

Du sagst dir selber: »Es ist nichts!«

Und dennoch will es dich nicht lassen.

 

So seltsam fremd wird dir die Welt,

Und leis verläßt dich alles Hoffen,

Bis du es endlich, endlich weißt,

Daß dich des Todes Pfeil getroffen.

 

 

Tiefe Schatten

So komme, was da kommen mag!

Solang du lebest, ist es Tag.

 

Und geht es in die Welt hinaus,

Wo du mir bist, bin ich zu Haus.

 

Ich seh dein liebes Angesicht,

Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.

 

 

1.

In der Gruft bei den alten Särgen

Steht nun ein neuer Sarg,

Darin vor meiner Liebe

Sich das süßeste Antlitz barg.

 

Den schwarzen Deckel der Truhe

Verhängen die Kränze ganz;

Ein Kranz von Myrtenreisern,

Ein weißer Syringenkranz.

 

Was noch vor wenig Tagen

Im Wald die Sonne beschien,

Das duftet nun hier unten:

Maililien und Buchengrün.

 

Geschlossen sind die Steine,

Nur oben ein Gitterlein;

Es liegt die geliebte Tote

Verlassen und allein.

 

Vielleicht im Mondenlichte,

Wenn die Welt zur Ruhe ging,

Summt noch um die weißen Blüten

Ein dunkler Schmetterling.

2.

 

Mitunter weicht von meiner Brust,

Was sie bedrückt seit deinem Sterben;

Es drängt mich, wie in Jugendlust,

Noch einmal um das Glück zu werben.

 

Doch frag ich dann: Was ist das Glück?

So kann ich keine Antwort geben

Als die, daß du mir kämst zurück,

Um so wie einst mit mir zu leben.

 

Dann seh ich jenen Morgenschein,

Da wir dich hin zur Gruft getragen;

Und lautlos schlafen die Wünsche ein,

Und nicht mehr will ich das Glück erjagen.

3.

 

Gleich jenem Luftgespenst der Wüste

Gaukelt vor mir

Der Unsterblichkeitsgedanke;

Und in den bleichen Nebel der Ferne

Täuscht er dein Bild.

 

Markverzehrender Hauch der Sehnsucht,

Betäubende Hoffnung befällt mich;

Aber ich raffe mich auf,

Dir nach, dir nach;

Jeder Tag, jeder Schritt ist zu dir.

 

Doch, unerbittliches Licht dringt ein;

Und vor mir dehnt es sich,

Öde, voll Entsetzen der Einsamkeit;

Dort in der Ferne ahn ich den Abgrund;

Darin das Nichts. –

 

Aber weiter und weiter

Schlepp ich mich fort;

Von Tag zu Tag,

Von Mond zu Mond,

Von Jahr zu Jahr;

 

Bis daß ich endlich,

Erschöpft an Leben und Hoffnung,

Werd hinstürzen am Weg

Und die alte ewige Nacht

Mich begräbt barmherzig,

Samt allen Träumen der Sehnsucht.

4.

 

Weil ich ein Sänger bin, so frag ich nicht,

Warum die Welt so still nun meinem Ohr;

Die eine, die geliebte Stimme fehlt,

Für die nur alles andre war der Chor.

5.

 

Und am Ende der Qual alles Strebens

Ruhig erwart ich, was sie beschert,

Jene dunkelste Stunde des Lebens;

Denn die Vernichtung ist auch was wert.

6.

 

Der Geier Schmerz flog nun davon,

Die Stätte, wo er saß, ist leer;

Nur unten tief in meiner Brust

Regt sich noch etwas, dumpf und schwer.

 

Das ist die Sehnsucht, die mit Qual

Um deine holde Nähe wirbt,

Doch, eh sie noch das Herz erreicht,

Mutlos die Flügel senkt und stirbt.

Waisenkind

 

Ich bin eine Rose, pflück mich geschwind!

Bloß liegen die Würzlein dem Regen und Wind.

 

Nein, geh nur vorüber und laß du mich los!

Ich bin keine Blume, ich bin keine Ros'.

 

Wohl wehet mein Röcklein, wohl faßt mich der Wind;

Ich bin nur ein vater- und mutterlos Kind.

 

 

Verirrt

Ein Vöglein singt so süße

Vor mir von Ort zu Ort;

Weh, meine wunden Füße!

Das Vöglein singt so süße,

Ich wandre immerfort.

 

Wo ist nun hin das Singen?

Schon sank das Abendrot;

Die Nacht hat es verstecket,

Hat alles zugedecket –

Wem klag ich meine Not?

 

Kein Sternlein blinkt im Walde,

Weiß weder Weg noch Ort;

Die Blumen an der Halde,

Die Blumen in dem Walde,

Die blühn im Dunkeln fort.

 

 

Spruch des Alters

1.

Vergessen und Vergessenwerden! –

Wer lange lebt auf Erden,

Der hat wohl diese beiden

Zu lernen und zu leiden.

2.

 

Dein jung Genoß in Pflichten

Nach dir den Schritt tät richten.

 

Da kam ein andrer junger Schritt,

Nahm deinen jung Genossen mit.

 

Sie wandern nach dem Glücke,

Sie schaun nicht mehr zurücke.

Frauen-Ritornelle

 

Blühende Myrte –

Ich hoffte süße Frucht von dir zu pflücken;

Die Blüte fiel; nun seh ich, daß ich irrte.

 

Schnell welkende Winden –

Die Spur von meinen Kinderfüßen sucht ich

An eurem Zaun, doch konnt ich sie nicht finden.

 

Muskathyazinthen –

Ihr blühtet einst in Urgroßmutters Garten;

Das war ein Platz, weltfern, weit, weit dahinten.

 

Dunkle Zypressen –

Die Welt ist gar zu lustig;

Es wird doch alles vergessen.

 

 

Begrabe nur dein Liebstes!

Begrabe nur dein Liebstes! Dennoch gilt's

Nun weiterleben; – und im Drang des Tages,

Dein Ich behauptend, stehst bald wieder du.

– So jüngst im Kreis der Freunde war es, wo

Hinreißend Wort zu lauter Rede schwoll;

Und nicht der Stillsten einer war ich selbst.

Der Wein schoß Perlen im kristallnen Glas,

Und in den Schläfen hämmerte das Blut; –

Da plötzlich in dem hellen Tosen hört ich

– Nicht Täuschung war's, doch wunderbar zu sagen –,

Aus weiter Ferne hört ich eine Stille;

Und einer Stimme Laut, wie mühsam zu mir ringend,

Sprach todesmüd, doch süß, daß ich erbebte:

»Was lärmst du so, und weißt doch, daß ich schlafe!«

 

 

Verloren

Was Holdes liegt mir in dem Sinn,

Das ich vor Zeit einmal besessen;

Ich weiß nicht, wo es kommen hin,

Auch, was es war, ist mir vergessen.

Vielleicht – am fernen Waldesrand,

Wo ich am lichten Junimorgen

– Die Kinder klein und klein die Sorgen –

Mit dir gesessen Hand in Hand,

Indes vom Fels die Quelle tropfte,

Die Amsel schallend schlug im Grund,

Mein Herz in gleichen Schlägen klopfte

Und glücklich lächelnd schwieg dein Mund;

In grünen Schatten lag der Ort –

Wenn nur der weite Raum nicht trennte,

Wenn ich nur dort hinüberkönnte,

Wer weiß! – vielleicht noch fänd ich's dort.

 

 

Es ist ein Flüstern

Es ist ein Flüstern in der Nacht,

Es hat mich ganz um den Schlaf gebracht;

Ich fühl's, es will sich was verkünden

Und kann den Weg nicht zu mir finden.

 

Sind's Liebesworte, vertrauet dem Wind,

Die unterwegs verwehet sind?

Oder ist's Unheil aus künftigen Tagen,

Das emsig drängt sich anzusagen?

 

 

An Klaus Groth

Wenn't Abend ward,

Un still de Welt un still dat Hart;

Wenn möd up't Knee di liggt de Hand,

Un ut din Husklock an de Wand

Du hörst den Parpendikelslag,

De nich to Woort keem över Dag;

Wenn't Schummern in de Ecken liggt,

Un buten all de Nachtswulk flüggt;

Wenn denn noch eenmal kiekt de Sünn

Mit golden Schiin to't Finster rin,

Un, ehr de Slap kümmt un de Nacht,

Noch eenmal allens lävt un lacht –

Dat is so wat vör't Minschenhart,

Wenn't Abend ward.

 

 

Über die Heide

Über die Heide hallet mein Schritt;

Dumpf aus der Erde wandert es mit.

 

Herbst ist gekommen, Frühling ist weit –

Gab es denn einmal selige Zeit?

 

Brauende Nebel geisten umher;

Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.

 

Wär ich hier nur nicht gegangen im Mai!

Leben und Liebe – wie flog es vorbei!

 

 

Lyrische Form

Poeta laureatus:

 

Es sei die Form ein Goldgefäß,

In das man goldnen Inhalt gießt!

 

Ein anderer:

 

Die Form ist nichts als der Kontur,

Der den lebend'gen Leib beschließt.

 

 

Geh nicht hinein

Im Flügel oben hinterm Korridor,

Wo es so jählings einsam worden ist

– Nicht in dem ersten Zimmer, wo man sonst

Ihn finden mochte, in die blasse Hand

Das junge Haupt gestützt, die Augen träumend

Entlang den Wänden streifend, wo im Laub

Von Tropenpflanzen ausgebälgt Getier

Die Flügel spreizte und die Tatzen reckte,

Halb Wunder noch, halb Wissensrätsel ihm

– Nicht dort; der Stuhl ist leer, die Pflanzen lassen

Verdürstend ihre schönen Blätter hängen;

Staub sinkt herab; – nein, nebenan die Tür,

In jenem hohen dämmrigen Gemach

– Beklommne Schwüle ist drin eingeschlossen –,

Dort hinterm Wandschirm auf dem Bette liegt

Etwas – geh nicht hinein! Es schaut dich fremd

Und furchtbar an.

Vor wenig Stunden noch

Auf jenen Kissen lag sein blondes Haupt;

Zwar bleich von Qualen, denn des Lebens Fäden

Zerrissen jäh; doch seine Augen sprachen

Noch zärtlich, und mitunter lächelt' er,

Als säh er noch in goldne Erdenferne.

Da plötzlich losch es aus; er wußt es plötzlich

– Und ein Entsetzen schrie aus seiner Brust,

Daß ratlos Mitleid, die am Lager saßen,

In Stein verwandelte –, er lag am Abgrund;

Bodenlos, ganz ohne Boden. – »Hilf!

Ach Vater, lieber Vater!« Taumelnd schlug

Er um sich mit den Armen; ziellos griffen

In leere Luft die Hände; noch ein Schrei –

Und dann verschwand er.

Dort, wo er gelegen,

Dort hinterm Wandschirm, stumm und einsam liegt

Jetzt etwas; – bleib, geh nicht hinein! Es schaut

Dich fremd und furchtbar an; für viele Tage

Kannst du nicht leben, wenn du es erblickt.

»Und weiter – du, der du ihn liebtest –, hast

Nichts weiter du zu sagen?«

Weiter nichts.

 

 

An Agnes Preller

Als ich abends einen Rosenstrauß auf meinem Zimmer fand

 

Die Tage sind gezählt, vorüber bald

Ist alles, was das Leben einst versüßt;

Was will ich mehr, als daß vorm Schlafengehn

Die Jugend mich mit frischen Rosen grüßt!

 

 

Die neuen Fiedellieder

1.

Lang und breit war ich gesessen

Überm schwarzen Kontrapunkt;

Auf ein Haar dem Stadttrompeter

Gaben sie mich zum Adjunkt.

 

Hei, da bin ich ausgerissen;

Schöne Welt, so nimm mich nun!

Durch die Städte will ich schweifen,

An den Quellen will ich ruhn.

 

Nur die Fiedel auf dem Rücken;

Vorwärts über Berg und Strom!

Schon durchschreit ich deine Hallen,

Hoher kühler Waldesdom.

 

Und ich streich die alte Geige,

Daß es hell im Wandern klingt;

Schaut der Fink vom Baum hernieder:

»Ei, Herr Vetter, wie das singt!«

 

Doch am Horizonte steiget

Eines Städtchens Turm empor! –

Welchen kleinen Lilienohren

Geig ich dort mein Stücklein vor?

2.

 

Wenn mir unterm Fiedelbogen

Manche Saite auch zersprang,

Neue werden aufgezogen,

Und sie geben frischen Klang.

 

Auf dem Schützenplatz am Tore

Strich ich leis mein Spielwerk an;

Wie sie gleich die Köpfe wandten,

Da ich eben nur begann!

 

Und es tönt und schwillt und rauschet,

Wie im Sturz der Waldesbach;

Meine Seele singt die Weise,

Meine Geige klingt sie nach.

 

Trotzig hadern noch die Burschen;

Bald doch wird es still im Kreis;

Erst ein Raunen, dann ein Schweigen,

Selbst die Bäume säuseln leis.

 

Zauber hat sie all befangen;

Und ich weiß, wie das geschah!

Dort im Kranz der blonden Frauen

Stehst du selbst, Frau Musika!

3.

 

Glaubt ich doch, sie wär es selber

–Was nur das Gedanken sind! –,

Die Frau Musika vom Himmel;

Und nun ist' s ein Erdenkind!

 

Gestern, da sie stand am Brunnen,

Zog ich flink den Hut zum Gruß;

Und sie nickt' und sprach in Züchten:

»Grüß dich Gott, Herr Musikus!«

 

Zwar ich wußt, Marannle heißt sie,

Und sie wohnt am Tore nah;

Doch ich hätt's nicht können lassen,

Sprach: »Grüß Gott, Frau Musika!«

 

Was sie da für Augen machte!

Und was da mit mir geschah!

Stets nun klingt's mir vor den Ohren:

Musikus und Musika!

4.

 

In den Garten eingestiegen

Wär ich nun mit gutem Glück –

Wie die Fledermäuse fliegen!

Langsam weicht die Nacht zurück.

 

Doch indes am Feldessaume

Drüben kaum Aurora glimmt,

Hab ich unterm Lindenbaume

Hier die Fiedel schon gestimmt.

 

Sieh, dein Kammerfenster blinket

In dem ersten Morgenstrahl;

Heller wird's, die Nacht versinket;

Horch! Da schlug die Nachtigall!

 

Schlaf nicht mehr! Die Morgenlüfte

Rütteln schon an deiner Tür;

Rings erwacht sind Klang und Düfte,

Und mein Herz verlangt nach dir.

 

Zu des Gartens Schattendüster

Komm herab, geliebtes Kind!

Nur im Laub ein leis Geflüster –

Und verschwiegen ist der Wind.

5.

 

Sind wir nun so jung beisammen

In der holden Morgenfruh,

Süßes, rosenrotes Mündchen,

Plaudre, plaudre immerzu!

 

Organiste sollt ich werden

An dem neuen Kirchlein hier? –

Kind! wer geigte dann den Finken

Feiertags im Waldrevier?

 

Doch du meinest, Amt und Würden,

Eigner Herd sei goldeswert! –

Machst du mich doch schier beklommen;

So was hab ich nie begehrt.

 

Was? Und auch der Stadttrompeter

Starb vergangne Woche nur?

Und du meinst, zu solchem Posten

Hätt ich just die Positur? –

 

Hei! Wie kräht der Hahn so grimmig!

Schatz, ade! Gedenk an mich!

Mach den Hahn zum Stadttrompeter!

Der kann's besser noch als ich!

6.

 

Musikanten wollen wandern;

Ei, die hielte mich wohl fest!

Noch 'nen Trunk, Herr Wirt, vom Roten;

Dann ade, du trautes Nest!

 

Hoch das Glas! Zu neuen Liedern

Geb es Kraft und Herzenswonne!

Ha, wie lieblich in die Adern

Strömt der Geist der Heimatsonne! –

 

Wie dort hoch die Wolken ziehen!

Durch die Saiten fährt der Wind;

Und er weht die leichten Lieder

In die weite Welt geschwind.

 

Musikanten wollen wandern!

Schon zur Neige ging der Wein;

Ziehn die Lieder in die Weite,

Muß der Spielmann hinterdrein.

7.

 

Weiter geht's und immer weiter!

Sieh, da kommt auf müdem Fuß

Noch ein Wandrer mir entgegen.

»Bring dem Städtchen meinen Gruß!

 

Und am Tore, wenn des Zöllners

Blonde Tochter schaut herfür,

Bring ihr diese wilde Rose,

Grüß sie einmal noch von mir!« –

 

Weiter geht's und immer weiter!

Da schweigen alle Vögel bald

Vor mir stehn im Duft die Wälder,

Rückwärts brennt der Abendschein.

 

Einsam werden Weg' und Stege,

Ganz alleine wandr' ich bald;

Einen Falken seh ich kreisen –

Über mir schon rauscht der Wald.

8.

 

Nun geht der Mond durch Wolkennacht,

Nun ist der Tag herum;

Ach, noch immer denk ich dein!

Im Walde um und um.

 

Die Heidelerch' noch oben singt

Ein Stück zu allerbest;

Die Amsel schlägt den letzten Ton

Und fliegt zu Nest, zu Nest.

 

Da nehm auch ich zu guter Nacht

Zur Hand die Geige mein;

Das ist ein klingend Nachtgebet

Und steigt zum Himmel ein.

9.

 

Morgen wird's! Am Waldesrande

Sitz ich hier und spintisier;

Ach, jedweder meiner Schritte

Trug mich weiter fort von dir!

 

Vielen ging ich schon vorüber;

Nimmer wünscht ich mich zurück;

Warum flüstern heut die Lüfte:

Diesmal aber war's das Glück!

 

Von den Bäumen Tauestropfen

Fallen auf mein heiß Gesicht –

Sankt Cäcilia! Solch Paar Augen

Sah ich all mein Lebtag nicht!

 

Stadttrompeter, Organiste!

Wär's denn wirklich gar so dumm? –

Holla hoch, ihr jungen Beine,

Macht euch auf! Wir kehren um.

 

Ruf nur, Kuckuck, dort im Walde!

Siehst so bald mich nun nicht mehr,

Denn in Puder und Manschetten

Schreit ich ehrenfest einher.

 

Golden spielt der Staub der Straßen –

Herz, Geduld! bald bist du da.

Hei! wie lieblich soll es klingen:

Musikus und Musika!

10.

 

Am Markte bei der Kirchen,

Da steht ein klingend Haus;

Trompet und Geige tönen

Da mannigfalt heraus.

 

Der Lind'baum vor der Türe

Ist lust'ger Aufenthalt;

Vom Wald die Finken kommen

Und singen, daß es schallt.

 

Und auf der Bank darunter,

Die mit dem Kindlein da,

Das ist in alle Wege

Die blond' Frau Musika.

 

Der jung' frisch' Stadttrompeter

Bläst eben grad vom Turm;

Er bläst, daß nun vergangen

All Not und Wintersturm.

 

Die Schwalb ist heimgekommen,

Lind weht des Lenzen Hauch!

Das bläst er heut vom Turme

Nach altehrwürd'gem Brauch.

 

Herr Gott, die Saaten segne

Mit deiner reichen Hand,

Und gib uns Frieden, Frieden

Im lieben deutschen Land!

Märchen

 

Ich hab's gesehn und will's getreu berichten;

Beklagt euch nicht, wenn ich zuwenig sah!

Nur sommernachts passieren die Geschichten;

Kaum graut die Nacht, so rückt der Morgen nah,

Kaum daß den Wald die ersten Strahlen lichten,

Entflieht mit ihrem Hof Titania;

Auf Weg und Steg spazieren die Philister,

Das wohlbekannte leidige Register.

 

Kein Zauber wächst für fromme Bürgersleute,

Die tags nur wissen, wie die Glocke geht.

Die gründlich kennen gestern, morgen, heute,

Doch nicht die Zeit, die mittendrin besteht;

Ich aber hörte wohl das Waldgeläute,

Ein Sonntagskind ist immer der Poet;

So laßt euch denn in blanken Liederringen

Von Reim zu Reim ins Land der Märchen schwingen.

 

 

In Bulemanns Haus

Es klippt auf den Gassen im Mondenschein;

Das ist die zierliche Kleine,

Die geht auf ihren Pantöffelein

Behend und mutterseelenallein

Durch die Gassen im Mondenscheine.

 

Sie geht in ein alt verfallenes Haus;

Im Flur ist die Tafel gedecket,

Da tanzt vor dem Monde die Maus mit der Maus,

Da setzt sich das Kind mit den Mäusen zu Schmaus,

Die Tellerlein werden gelecket.

 

Und leer sind die Schüsseln; die Mäuslein im Nu

Verrascheln in Mauer und Holze;

Nun läßt es dem Mägdlein auch länger nicht Ruh,

Sie schüttelt ihr Kleidchen, sie schnürt sich die Schuh,

Dann tritt sie einher mit Stolze.

 

Es leuchtet ein Spiegel aus goldnem Gestell,

Da schaut sie hinein mit Lachen;

Gleich schaut auch heraus ein Mägdelein hell,

Das ist ihr einziger Spielgesell;

Nun wolln sie sich lustig machen.

 

Sie nickt voll Huld, ihr gehört ja das Reich;

Da neigt sich das Spiegelkindlein,

Da neigt sich das Kind vor dem Spiegel zugleich,

Da neigen sich beide gar anmutreich,

Da lächeln die rosigen Mündlein.

 

Und wie sie lächeln, so hebt sich der Fuß,

Es rauschen die seidenen Röcklein,

Die Händchen werfen sich Kuß um Kuß,

Das Kind mit dem Kinde nun tanzen muß,

Es tanzen im Nacken die Löcklein.

 

Der Mond scheint voller und voller herein,

Auf dem Estrich gaukeln die Flimmer:

Im Takte schweben die Mägdelein,

Bald tauchen sie tief in die Schatten hinein,

Bald stehn sie in bläulichem Schimmer.

 

Nun sinken die Glieder, nun halten sie an

Und atmen aus Herzensgrunde;

Sie nahen sich schüchtern und beugen sich dann

Und knien voreinander und rühren sich an

Mit dem zarten unschuldigen Munde.

 

Doch müde werden die beiden allein

Von all der heimlichen Wonne;

Sehnsüchtig flüstert das Mägdelein:

»Ich mag nicht mehr tanzen im Mondenschein,

Ach, käme doch endlich die Sonne!«

 

Sie klettert hinunter ein Trepplein schief

Und schleicht hinab in den Garten.

Die Sonne schlief, und die Grille schlief.

»Hier will ich sitzen im Grase tief,

Und der Sonne will ich warten.«

 

Doch als nun morgens um Busch und Gestein

Verhuschet das Dämmergemunkel,

Da werden dem Kinde die Äugelein klein;

Sie tanzte zu lange bei Mondenschein,

Nun schläft sie bei Sonnengefunkel.

 

Nun liegt sie zwischen den Blumen dicht

Auf grünem, blitzendem Rasen;

Und es schauen ihr in das süße Gesicht

Die Nachtigall und das Sonnenlicht

Und die kleinen neugierigen Hasen.

 

 

Tannkönig

 

1.

Am Felsenbruch im wilden Tann

Liegt tot und öd ein niedrig Haus;

Der Efeu steigt das Dach hinan,

Waldvöglein fliegen ein und aus.

 

Und drin am blanken Eichentisch

Verzaubert schläft ein Mägdelein;

Die Wangen blühen ihr rosenfrisch,

Auf den Locken wallt ihr der Sonnenschein.

 

Die Bäume rauschen im Waldesdicht,

Eintönig fällt der Quelle Schaum;

Es lullt sie ein, es läßt sie nicht,

Sie sinket tief von Traum zu Traum.

 

Nur wenn im Arm die Zither klingt,

Da hell der Wind vorüberzieht,

Wenn gar zu laut die Drossel singt,

Zuckt manches Mal ihr Augenlid.

 

Dann wirft sie das blonde Köpfchen herum,

Daß am Hals das güldene Kettlein klingt;

Auf fliegen die Vögel, der Wald ist stumm,

Und zurück in den Schlummer das Mägdlein sinkt.

2.

 

Hell reißt der Mond die Wolken auf,

Daß durch die Tannen bricht der Strahl;

Im Grunde wachen die Elfen auf,

Die Silberhörnlein rufen durchs Tal.

 

»Zu Tanz, zu Tanz am Felsenhang,

Am hellen Bach, im schwarzen Tann!

Schön Jungfräulein, was wird dir bang?

Wach auf und schlag die Saiten an!«

 

Schön Jungfräulein, die sitzt im Traum;

Tannkönig tritt zu ihr herein,

Und küßt ihr leis des Mundes Saum

Und nimmt vom Hals das Güldkettlein.

 

Da schlägt sie hell die Augen auf –

Was hilft ihr Weinen all und Flehn!

»Tannkönig, laß mich ziehn nach Haus,

Laß mich zu meinen Schwestern gehn.«

 

»In meinem Walde fing ich dich«,

Tannkönig spricht, »so bist du mein!

Was hattest du die Mess' versäumt?

Komm mit, komm mit zum Elfenreihn!« –

 

»Elf! Elf! das klingt so wunderlich,

Elf! Elf! mir graut vor dem Elfenreihn;

Die haben gewiß kein Christentum,

Oh, laß mich zu Vater und Mutter mein!«

 

»Und denkst du an Vater und Mutter noch,

Sitz aber hundert Jahr allein!«

Die Elfen ziehn zu Tanz, zu Tanz;

Er hängt ihr um das Güldkettlein.

 

 

Zweites Buch

Ältere Gedichte

 

Die Herrgottskinder

Von oben sieht der Herr darein;

Ihr dürft indes der Ruhe pflegen:

Er gibt der Arbeit das Gedeihn

Und träuft herab den Himmelssegen.

Und wenn dann in Blüte die Saaten stehn,

So läßt er die Lüftlein darüber gehn,

Auf daß sich die Halme zusammenbeugen

Und frisch aus der Blüte das Korn erzeugen,

Und hält am Himmel hoch die Sonne,

Daß alles reife in ihrer Wonne.

Gottvater hat auch seinen Teil daran;

Das alles in ihre Scheuern zu laden!

Gott Vater hat auch seinen Teil daran;

Den will er vergaben nach seiner Gnaden.

Da ruft er die jüngsten Kinder sein;

Die nährt er selbst aus seiner Hand,

Die Rehlein, die Häslein, die Würmlein klein

Und alles Getier in Luft und Land;

Das flattert herbei und kreucht und springt,

Ist fröhlich all zu Gottes Ehr

Und all genügsam, was er bringt.

Des freut sich der Herrgott mächtig sehr,

Er breitet weit die Arme aus

Und spricht in Liebe überaus:

»All, was da lebet, soll sich freun,

Seid alle von den Kindern mein;

Und will euch drum doch nicht vergessen,

Daß ihr nichts könnt als springen und fressen,

Hat jedes seinen eignen Ton!

Ihr sollt euch tummeln frisch im Grünen;

Doch mündig ist der Mensch, mein Sohn;

Drum mag er selbst sein Brot verdienen!«

 

 

Käuzlein

Da sitzt der Kauz im Ulmenbaum

Und heult und heult im Ulmenbaum.

Die Welt hat für uns beide Raum!

Was heult der Kauz im Ulmenbaum

Von Sterben und von Sterben?

 

Und übern Weg die Nachtigall,

Genüber pfeift die Nachtigall.

O weh, die Lieb ist gangen all!

Was pfeift so süß die Nachtigall

Von Liebe und von Liebe?

 

Zur Rechten hell ein Liebeslied,

Zur Linken grell ein Sterbelied!

Ach, bleibt denn nichts, wenn Liebe schied,

Denn nichts als nur ein Sterbelied

Kaum wegbreit noch hinüber?

 

 

Das Mädchen mit den hellen Augen

Das Mädchen mit den hellen Augen,

Die wollte keines Liebste sein;

Sie sprang und ließ die Zöpfe fliegen,

Die Freier schauten hinterdrein.

 

Die Freier standen ganz von ferne

In blanken Röcken lobesam.

»Frau Mutter, ach, so sprecht ein Wörtchen

Und macht das liebe Kindlein zahm!«

 

Die Mutter schlug die Händ' zusammen,

Die Mutter rief: »Du töricht Kind,

Greif zu, greif zu! Die Jahre kommen,

Die Freier gehen gar geschwind!«

 

Sie aber ließ die Zöpfe fliegen

Und lachte alle Weisheit aus;

Da sprang durch die erschrocknen Freier

Ein toller Knabe in das Haus.

 

Und wie sie bog das wilde Köpfchen,

Und wie ihr Füßchen schlug den Grund,

Er schloß sie fest in seine Arme

Und küßte ihren roten Mund.

 

Die Freier standen ganz von ferne,

Die Mutter rief vor Staunen schier:

»Gott schütz dich vor dem ungeschlachten,

Ohn Maßen groben Kavalier!«

 

 

An die Freunde

Wieder einmal ausgeflogen,

Wieder einmal heimgekehrt;

Fand ich doch die alten Freunde

Und die Herzen unversehrt.

 

Wird uns wieder wohl vereinen

Frischer Ost und frischer West?

Auch die losesten der Vögel

Tragen allgemach zu Nest.

 

Immer schwerer wird das Päckchen,

Kaum noch trägt es sich allein;

Und in immer engre Fesseln

Schlinget uns die Heimat ein.

 

Und an seines Hauses Schwelle

Wird ein jeder festgebannt;

Aber Liebesfäden spinnen

Heimlich sich von Land zu Land.

 

 

Myrten

Sie brach ein Reis vom Hochzeitskranz

Und pflanzt' es gläubig ein:

»Nun trage mir ein Kränzlein grün

Fürs künftige Töchterlein!«

 

Sind sechzehn Jahre wohl herum;

Das Reislein wuchs heran,

Hier sitzt das wackre Töchterlein –

Fehlt nur der Freiersmann.

 

 

Nelken

Ich wand ein Sträußlein morgens früh,

Das ich der Liebsten schickte;

Nicht ließ ich sagen ihr, von wem,

Und wer die Blumen pflückte.

 

Doch als ich abends kam zum Tanz

Und tat verstohlen und sachte,

Da trug sie die Nelken am Busenlatz,

Und schaute mich an und lachte.

 

 

Damendienst

Die Schleppe will ich dir tragen,

Ich will deinem Wink mich weihn,

An Festen und hohen Tagen

Sollst du meine Königin sein!

 

Deiner Launen geheimste und kühnste

Gehorsam erfüll ich dir;

Doch leid ich in diesem Dienste

Keinen andern neben mir.

 

Solang ich dir diene in Ehren,

Gehöret dein Lächeln mein;

Deinen Hofstaat will ich vermehren;

Doch der Erste will ich sein.

 

 

Ständchen

Weiße Mondesnebel schwimmen

Auf den feuchten Wiesenplanen;

Hörst du die Gitarre stimmen

In dem Schatten der Platanen?

 

Dreizehn Lieder sollst du hören,

Dreizehn Lieder, frisch gedichtet;

Alle sind, ich kann's beschwören,

Alle nur an dich gerichtet.

 

An dem zarten schlanken Leibchen

Bis zur Stirne auf und nieder,

Jedes Fünkchen, jedes Stäubchen,

Alles preisen meine Lieder.

 

Wahrlich, Kind, ich hab zuzeiten

Übermütige Gedanken!

Unermüdlich sind die Saiten,

Und der Mund ist ohne Schranken.

 

Vom geheimsten Druck der Hände

Bis zum nimmersatten Küssen!

Ja, ich selber weiß am Ende

Nicht, was du wirst hören müssen.

 

Laß dich warnen, laß mich schweigen,

Laß mich Lied um Liebe tauschen;

Denn die Blätter an den Zweigen

Wachen auf und wollen lauschen.

 

Weiße Mondesnebel schwimmen

Auf den feuchten Wiesenplanen;

Hörst du die Gitarre stimmen

In dem Schatten der Platanen?

 

 

Zur silbernen Hochzeit

Aus einem Festzuge

 

Gott Amor

 

Wieder führ ich heut den Zug

Wie beim ersten Feste;

Amor bleibt die Hauptperson

In der Zahl der Gäste.

 

In mein Antlitz bringt die Zeit

Fältchen nicht noch Falte;

Doch wie jung ich immer bin,

Bin ich doch der Alte.

 

Zwei Kinder

 

Erstes

 

Wir sind zwei Kinder hier vom Haus

Und folgen mit Bedachte

Dem kleinen Gotte, der Mama

So unendlich glücklich machte.

 

Zweites

 

Ja, lachet nur! Wir kommen auch

In seinen Rosentempel.

Die ältste Schwester hat schon gezeigt,

Die Kinder nehmen Exempel.

 

Ein Bettelkind

 

Zürnt mir nicht, verehrte Frau,

Daß auch ich Euch gratuliere!

Armut ist ein schlechter Gast,

Furchtsam tret ich in die Türe.

 

Draußen stand ich, und ich sah

Alle Fenster hell erleuchtet;

Und ich dachte, wie so oft

Ihr mir milde Gabe reichtet.

 

Gönnt nur einen Augenblick,

Mich an Eurem Glück zu weiden!

Schwester weint zu Haus nach Brot –

Ach, wir haben wenig Freuden.

 

Der Bettelvogt

Zum Jubilar

 

Verzeihen Sie, Herr Bürgermeister!

So sehr man seine Pflichten kennt,

Das Bettelvolk wird immer dreister,

Sosehr man vigiliert und rennt.

 

Soeben sah ich solchen Rangen

Verdächtig schleichen an den Treppen;

Wenn es vergönnt, ihn einzufangen,

Werd ich ihn sacht zu Loche schleppen.

 

Der Narr

 

Der Narr macht seine Reverenz,

Der gute derbe Geselle!

Ihr hörtet wohl von weitem schon

Das Rauschen seiner Schelle.

 

Als alter Hausfreund bin ich ja

Notwendig bei dem Feste;

Denn hörtet ihr die Klapper nicht,

Euch fehlte doch das Beste.

 

Ein tücht'ger Kerl hat seinen Sparrn!

Das ist unwiderleglich;

Und hat das Haus nicht seinen Narrn,

So wird es öd und kläglich.

 

Hier war ich manchen guten Tag

Gastfreundlich aufgenommen;

Heil diesem vielbeglückten Haus,

Wo auch der Narr willkommen!

 

 

Bettlerliebe

O laß mich nur von ferne stehn

Und hangen stumm an deinem Blick;

Du bist so jung, du bist so schön,

Aus deinen Augen lacht das Glück.

 

Und ich so arm, so müde schon,

Ich habe nichts, was dich gewinnt.

O wär ich doch ein Königssohn

Und du ein arm verlornes Kind!

 

 

Vier Zeilen

1

Du weißt doch, was ein Kuß bekennt?

Sonst hör du auf zu küssen!

Ich dächt, er sei ein Sakrament,

Das alle Völker wissen.

 

2

Und weißt du, warum so trübe,

So schwer mir das Herz muß sein?

Du hast mich geküßt ohne Liebe,

Das wolle dir Gott verzeihn!

 

3

Die Lieb ist wie ein Wiegenlied;

Es lullt dich lieblich ein;

Doch schläfst du kaum, so schweigt das Lied,

Und du erwachst allein.

 

 

Das Harfenmädchen

Das war noch im Vaterstädtchen;

Da warst du gar zierlich und jung,

Ein süß schwarzäugiges Dirnlein,

Zur Liebe verständig genung.

 

Und wenn dir die Mutter zu singen

Und Harfe zu spielen gebot,

So scheutest du dich vor den Leuten

Und klagtest mir heimlich die Not.

 

»Wann treff ich dich wieder und wo doch?« –

»Am Schlosse, wenn's dunkel ist.«

Und abends bin ich gekommen

Und habe dich fröhlich geküßt.

 

Sind sieben Jahr vergangen,

Daß ich dich nicht gesehn;

Wie bleich doch sind deine Wangen,

Und waren so blühend und schön!

 

Wie greifst du so keck in die Saiten

Und schaust und äugelst umher!

Das sind die kindlich scheuen,

Die leuchtenden Augen nicht mehr.

 

Doch kann ich den Blick nicht wenden,

Du einst so reizende Maid;

Mir ist, als schaut ich hinüber

Tief, tief in vergangene Zeit.

 

 

Weihnachtsabend

An die hellen Fenster kommt er gegangen

Und schaut in des Zimmers Raum;

Die Kinder alle tanzten und sangen

Um den brennenden Weihnachtsbaum.

 

Da pocht ihm das Herz, daß es will zerspringen;

»Oh«, ruft er, »laßt mich hinein!

Was Frommes, was Fröhliches will ich euch singen

Zu dem hellen Kerzenschein.«

 

Und die Kinder kommen, die Kinder ziehen

Zur Schwelle den nächtlichen Gast;

Still grüßen die Alten, die Jungen umknien

Ihn scheu in geschäftiger Hast.

 

Und er singt: »Weit glänzen da draußen die Lande

Und locken den Knaben hinaus;

Mit klopfender Brust, im Reisegewande

Verläßt er das Vaterhaus.

 

Da trägt ihn des Lebens breitere Welle –

Wie war so weit die Welt!

Und es findet sich mancher gute Geselle,

Der's treulich mit ihm hält.

 

Tief bräunt ihm die Sonne die Blüte der Wangen,

Und der Bart umsprosset das Kinn;

Den Knaben, der blond in die Welt gegangen,

Wohl nimmer erkennet ihr ihn.

 

Aus goldenen und aus blauen Reben

Es mundet ihm jeder Wein;

Und dreister greift er in das Leben

Und in die Saiten ein.

 

Und für manche Dirne mit schwarzen Locken

Im Herzen findet er Raum; –

Da klingen durch das Land die Glocken,

Ihm war's wie ein alter Traum.

 

Wohin er kam, die Kinder sangen,

Die Kinder weit und breit;

Die Kerzen brannten, die Stimmlein klangen,

Das war die Weihnachtszeit.

 

Da fühlte er, daß er ein Mann geworden;

Hier gehörte er nicht dazu.

Hinter den blauen Bergen im Norden

Ließ ihm die Heimat nicht Ruh.

 

An die hellen Fenster kam er gegangen

Und schaut' in des Zimmers Raum;

Die Schwestern und Brüder tanzten und sangen

Um den brennenden Weihnachtsbaum.« –

 

Da war es, als würden lebendig die Lieder

Und nahe, der eben noch fern;

Sie blicken ihn an und blicken wieder;

Schon haben ihn alle so gern.

 

Nicht länger kann er das Herz bezwingen,

Er breitet die Arme aus:

»Oh, schließet mich ein in das Preisen und Singen,

Ich bin ja der Sohn vom Haus!«

 

 

Junge Liebe

Aus eignem Herzen geboren,

Nie besessen, dennoch verloren.

 

Ihr Aug ist blau, nachtbraun ihr lockicht Haar,

Ein Schelmenmund, wie jemals einer war,

Ein launisch Kind; doch all ihr Widerstreben

Bezwingt ihr Herz, das mir so ganz ergeben.

 

Schon lange sitzt sie vor mir, träumerisch

Mit ihren Beinchen baumelnd, auf dem Tisch;

Nun springt sie auf; an meines Stuhles Lehne

Hängt sie sich, schmollend ob der stummen Szene.

 

»Ich liebe dich!« – »Du bist sehr interessant.«

»Ich liebe dich!« – »Ach, das ist längst bekannt!

Ich lieb Geschichten, neu und nicht erfunden –

Erzählst du nicht, ich bin im Nu verschwunden.«-

 

»So hör! Jüngst träumte mir« – – »Das ist nicht wahr!« –

»Wahr ist's! Mir träumt', ich sähe auf ein Haar

Dich selbst straßauf und -ab in Prachtgewändern

An eines Mannes Arm gemächlich schlendern;

 

Und dieser Mann« – – »der war?« – »der war nicht ich!« –

»Du lügst!« – »Mein Herz, ich sah dich sicherlich –

Ihr senktet Aug in Auge voll Entzücken,

Ich stand seitab, gleichgültig deinen Blicken.«

 

»Der Mutter sag ich's!« ruft das tolle Kind

Und springt zur Tür.