In der Trauer
1
Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid
Mein eigen Bild nur könne sehen!
Ich seh durch meinen grauen Flor
Fern euere Gestalten gehen.
Und durch den starken Wellenschlag
Der See, die gegen mich verschworen,
Geht mir von euerem Gesang,
Wenn auch gedämpft, kein Ton verloren.
Und wie die müde Danaide wohl,
Das Sieb gesenkt, neugierig um sich blicket,
So schau ich euch verwundert nach,
Besorgt, wie ihr euch fügt und schicket!
2
Ich kenne dich, o Unglück, ganz und gar
Und sehe jedes Glied an deiner Kette!
Du bist vernünftig, zum Bewundern klar,
Als ob ein Denker dich geordnet hätte!
Nicht mehr noch weniger hat mir gebührt,
Mir ist gerecht die Schale zugemessen;
Und dennoch hab ich bittrer sie verspürt,
Als niemals ich getrunken noch gegessen.
Jetzt aber bring ich leichter sie zum Mund,
Als einst die müde Seele noch wird wissen;
Der quellenklare Perltrank ist gesund,
Ich lieb ihn drum mit dürstendem Gewissen!
3
Ein Meister bin ich worden,
Zu weben Gram und Leid;
Ich webe Tag und Nächte
Am schweren Trauerkleid.
Ich schlepp es auf der Straße
Mühselig und bestaubt;
Ich trag von spitzen Dornen
Ein Kränzlein auf dem Haupt
Die Sonne steht am Himmel,
Sie sieht es und sie lacht:
Was geht da für ein Zwerglein
In einer Königstracht?
Ich lege Kron und Mantel
Beschämt am Wege hin
Und muß nun ohne Trauer
Und ohne Freuden ziehn!
Melancholie
Sei mir gegrüßt, Melancholie,
Die mit dem leisen Feenschritt
Im Garten meiner Phantasie
Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!
Die mir den Mut, wie eine junge Weide,
Tief an den Rand des Lebens biegt,
Doch dann in meinem bittern Leide
Voll Treue mir zur Seite liegt!
Die mir der Wahrheit Spiegelschild,
Den unbezwungnen, hält empor,
Daß der Erkenntnis Träne schwillt
Und bricht aus dunklem Aug hervor;
Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer,
Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
Die doch an meiner Wiege saß!
Wie hängt mein Herz an eitler Lust
Und an der Torheit dieser Welt!
Oft mehr als eines Weibes Brust
Ist es von Außenwerk umstellt,
Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben,
Was leer und nichtig ist, erkannt,
Nimmst du und hast mein stolz Erheben
Zu Boden alsobald gewandt,
Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch
Des Königs, den ich oft verhöhnt,
Aus dem es, wie von Erz ein Fluch,
Daß alles eitel sei! ertönt.
Und nah und ferne hör ich dann erklingen
Gleich Narrenschellen ein Getön –
O Göttin, laß mich dich umschlingen,
Nur du, nur du bist wahr und schön! –
Noch fühl ich dich so edel nicht,
Wie Albrecht Dürer dich geschaut:
Ein sinnend Weib, von innerm Licht
Erhellt, des Fleißes schönste Braut,
Umgeben reich von aller Werke Zeichen,
Mit milder Trauer angetan;
Sie sinnt – der Dämon muß entweichen
Vor des Vollbringens reifem Plan.
Ein Berittener
Ein Häuptling ritt geehrt im Land
Gleich einem der Propheten;
Als er im Feld sich einsam fand,
Hub er den Arm, zu beten:
»Mich traf das Übel Schlag auf Schlag,
Es war ein wildes Toben;
Als schuldig ich im Staube lag,
Hab ich mich selbst erhoben!
Es wußte keiner, daß ich lag,
Als du, o Herr, dort oben!
Und für dein Schweigen diesen Tag
Will ich dich Stillen loben!«
Da hallt 'es durch den Äther rein:
»Dein Lob, nicht kann's mir taugen;
Wenn du dich schämst, ein Mensch zu sein,
So reit mir aus den Augen!«
Stutzenbart
Herrlich in der Maienzeit
Blaut des Himmels Kläre –
Halt zum Opferdienst bereit
Nun die blanke Schere!
Durch das offne Fenster ziehn
Schon des Bartes Flocken
Schimmernd weiß; ach: hin ist hin!
Singt die Norn' am Rocken.
Welch ein winterlich Gespinst
Hat sie dir gesponnen!
Und da fliegt der Reingewinst
Deiner Lebenswonnen!
Aber sieh! wie feierlich
In die Höh sie schweben,
All die Flöcklein! Will zu sich
Sie der Äther heben?
Und am Ende sollst du gar
Noch ein Heil'ger werden,
Dessen Bart- und Lockenhaar
Man verehrt auf Erden?
Jetzt, mit Blüten untermischt,
Tanzen sie im Winde;
Doch was zwitschert, pfeift und zischt
Dort für ein Gesinde?
Fink und Schwalbe, Star und Spatz
– Wie das flirrt und flattert! –
Haben bald den Silberschatz
Deines Haupts ergattert!
Fliegen mit dem teuren Gut
Heim nach allen Seiten,
Für die weichbeflaumte Brut
Schnöd das Nest zu breiten;
Und was würdig hat umwallt
Deine weisen Lippen,
Dient dem Haus- und Ehehalt
Leichter Vogelsippen!
Lächle denn durch Blüt und Blatt,
Schönster Frühlingsmorgen:
Darf ja, wer den Schaden hat,
Für den Spott nicht sorgen!
Poetentod
Der Herbstwind rauscht; der Dichter liegt im Sterben,
Die Blätterschatten fallen an der Wand;
An seinem Lager knien die zarten Erben,
Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.
Mit dunklem Purpurwein, darin ertrunken
Der letzten Sonne Strahl, netzt er den Mund;
Dann wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,
Tut er den letzten Willen also kund:
»Die ich aus luft'gen Klängen aufgerichtet,
Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit;
Ich habe ausgelebt und ausgedichtet
Mein Tagewerk und meine Erdenzeit.
Das keck und sicher seine Welt regierte,
Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus;
Der Hungerschlucker, der die Tafel zierte:
Der Ruhm, er flattert mit den Schwalben aus.
So löschet meines Herdes Weihrauchflamme
Und zündet wieder schlechte Kohlen an,
Wie's Sitte war bei meiner Väter Stamme,
Vor ich den Schritt auf dieses Rund getan!
Und was den Herd bescheidnen Schmuckes kränzte,
Was sich an alter Weisheit um ihn fand,
In Weihgefäßen auf Gesimsen glänzte,
Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:
Daß meines Sinnes unbekannter Erbe
Mit find'ger Hand, vielleicht im Schülerkleid,
Auf offnem Markte ahnungsvoll erwerbe
Die Heilkraft wider der Vernachtung Leid.
Werft jenen Wust verblichner Schrift ins Feuer,
Der Staub der Werkstatt mag zugrunde gehn!
Im Reich der Kunst, wo Raum und Licht so teuer,
Soll nicht der Schutt dem Werk im Wege stehn!
Dann laßt des Gartens Zierde niedermähen,
Weil unfruchtbar; die Lauben brechet ab!
Zwei junge Rosenbäumchen lasset stehen
Für mein und meiner lieben Frauen Grab!
Mein Lied mag auf des Volkes Wegen klingen,
Wo seine Banner von den Türmen wehn;
Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen
Wird meine Sippschaft dran vorübergehn!«
Noch überläuft sein Angesicht, das reine,
Mit einem Strahl das sinkende Gestirn;
So glüht' noch eben in dem Purpurscheine,
Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.
Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen
Von eines späten Adlers Schwingen webt,
Ist in der Todesstille zu erlauschen,
Wie eine Geisterschar von hinnen schwebt.
Sie ziehen aus, des Schweigenden Penaten,
In faltige Gewande tief verhüllt;
Sie gehn, die an der Wiege einst beraten,
Was als Geschick sein Leben hat erfüllt:
Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,
Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,
Die Phantasie und endlich ihr Gefährte,
Der Witz, mit leerem Becher, still und kalt.
An Justinus Kerner
Erwiderung auf sein Lied »Unter dem Himmel«
Morgenblatt 1845
Laßt mich in Gras und Blumen liegen
Und schaun dem blauen Himmel zu,
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,
In ihm ein Falke kreist in Ruh.
Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,
Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.
Laßt satt mich schaun in diese Klarheit,
In diesen stillen, sel'gen Raum:
Denn bald könnt werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel'ge Traum.
Dann flieht der Vogel aus den Lüften,
Wie aus dem Rhein der Salmen schon,
Und wo einst singend Lerchen schifften,
Schifft grämlich stumm Britannias Sohn.
Schau ich zum Himmel, zu gewahren,
Warum's so plötzlich dunkel sei,
Erblick ich einen Zug von Waren,
Der an der Sonne schifft vorbei.
Fühl Regen ich beim Sonnenscheine,
Such nach dem Regenbogen keck,
Ist es nicht Wasser, wie ich meine,
Wurd in der Luft ein Ölfaß leck.
Satt laßt mich schaun vom Erdgetümmel
Zum Himmel, eh es ist zu spät,
Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht.
Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,
Träumt er von solchem Himmelsgraus,
Er, den die Zeit, die dampfestolle,
Schließt von der Erde lieblos aus.
Justinus Kerner
Dein Lied ist rührend, edler Sänger,
Doch zürne dem Genossen nicht,
Wird ihm darob das Herz nicht bänger,
Das, dir erwidernd, also spricht:
Die Poesie ist angeboren,
Und sie erkennt kein Dort und Hier;
Ja, ging' die Seele mir verloren,
Sie führ zur Hölle selbst mit mir.
Inzwischen sieht's auf dieser Erde
Noch lange nicht so graulich aus,
Und manchmal scheint mir, daß das: Werde!
Ertön' erst recht dem »Dichterhaus«.
Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an:
Willst träumend du im Grase singen,
Wer hindert dich, Poet, daran?
Ich grüße dich im Schäferkleide,
Herfahrend, – doch mein Feuerdrach'
Trägt mich vorbei, die dunkle Heide
Und deine Geister schaun uns nach.
Was deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund dir tun,
Das seh ich durch die Elemente
In Geistes Dienst verwirklicht nun.
Ich seh sie keuchend glühn und sprühen,
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt,
Indes das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat.
Und wenn vielleicht in hundert Jahren
Ein Luftschiff hoch mit Griechenwein
Durchs Morgenrot käm hergefahren –
Wer möchte da nicht Fährmann sein?
Dann bög ich mich, ein sel'ger Zecher,
Wohl über Bord, von Kränzen schwer,
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlaßne Meer.
Der Kranz
Der Frühling ging durchs reiche Schwabenland
Und mit ihm Ludwig Uhland, an der Hand
Die treue Gattin; denn es kam zu wandern
Der teure Mann von einem Ort zum andern.
Mag's mit dem Recht in Stuttgart nicht gelingen,
Will lehrend er ins Herz der Jugend dringen
Zu Tübingen am alten Musensitz,
Umleuchtet noch von hellem Geisterblitz.
So wallt das Paar still und getrost dahin,
Wo Täler weiß im Schnee der Bäume blühn;
Doch sieh! beim Steine, der die Markung kündet,
Steht eine Schar von Freunden treu verbündet.
Die Kampfgenossen für des Volkes Rechte,
Sie harren sein mit einem Kranzgeflechte
Von dichtem Lorbeer, glänzend frisch und grün;
Den reichen sie dem Sänger hold und kühn.
Ein letzter Kuß! Der letzte Becher blinkt,
Und ferne schon die Hand zum Scheiden winkt;
Dem Meister glänzt das Aug, das lebenswarme,
Und Frau und Kranz führt er am rechten Arme.
Sie wandeln bald in einem lichten Walde
Von großen Eichen an der sanften Halde;
Wie steht so fest und frei der edle Hain,
Und überall blaut noch der Himmel drein!
Hoch oben kreist der Falk im Sonnenlicht,
Das durch das Gitterwerk der Zweige bricht,
Und Uhland, schreitend im geweihten Raume,
Tritt unversehns zum nächsten Eichenbaume.
Rasch hängt er auf den Kranz, und schweigend wendet
Den Schritt er weiter; nur Frau Emma sendet
Reuig den Blick zurück, doch strahlend licht
Wird drauf ihr Aug, sieht sie den Mann so schlicht.
Tief schaut sie dieses reinen Goldes Hort
In seinem Herzen – doch mit keinem Wort
Wird sie benennen ihr beglückend Wissen
Von einem Schatz, den tausend Frauen missen.
Im Waldesdämmer an dem grauen Stamme
Verlassen glimmt des Lorbeers grüne Flamme.
Vorüber zog das Wanderpaar schon lang,
Und laut erschallt im Hain der Vogelsang!
Has von Überlingen
Es war der Has von Überlingen,
Der scheut' den Märzen wie den Tod;
Denn in die Glieder fühlt' er dringen
Mit ihm des Alters leise Not.
Wann nun die Morgenlüfte wehten
Nach letzten Hornungs Mitternacht,
Sah man ihn vor die Türe treten
Wie einen Krieger auf die Wacht.
Den Krebs geschnallt um Brust und Rücken,
Auf grauem Kopf den Eisenhut,
Umschient die Glieder ohne Lücken:
Das schien ihm für den Märzen gut!
Den langen Degen an der Seite,
Die Halmbart in beschuhter Hand,
Erwartet' er den Feind zum Streite,
Bis sich erhellten See und Land.
»Hei, falscher Mars! willst du es wagen?
Dir sag ich ab und biete dir,
Auf Hieb und Stoß gerecht zu schlagen
Ums teure Leben, jetzt und hier!
Willst du an Herz und Mark mir greifen,
Du Tückebold, so komm heran!
Ich lehre dich ein Liedlein pfeifen,
Du findest einen Martismann!«
Fuhr dann dem Alten rauh entgegen
Ein Staubgewölk im Sonnenschein,
Ein Schauer auch von Schnee und Regen,
So hieb und stach er mächtig drein.
Denn in dem Duste sah er drohen
Den Gegner mit gezücktem Speer;
Drum schlug er, bis der Spuk entflohen,
Und blickte siegreich um sich her.
Ein Trunk von goldnem Rebenblute
Erquickt' ihn nach bestandnem Streit,
Und er genoß mit frohem Mute
Des Frühlings neue Herrlichkeit.
So ging es denn nach seinem Willen;
Er schlug den Märzen Jahr um Jahr,
Bis einst am ersten Tag Aprillen
Sein tapfres Herz gebrochen war.
Das Weinjahr1
Rüstet die Kelter, die Kufen und Tonnen,
Denn es verglühet ein seltenes Jahr!
Schon naht der Herbst, und es glastet die Sonne,
Wie sie geglastet den Sommer entlang!
Hört, im Gebirge, was Zeichen geschehen!
Gletscher, sie ebben wie Meere zurück,
Ihre blaugrünen Gewölbe zerschmelzen,
Grotten und Spalten so tief und so kühl!
Trocken enthüllen sich felsige Gründe,
Die seit Jahrtausenden keiner geschaut,
Und aus der tiefsten und engsten der Klüfte
Leuchten gebleichte Gebeine herauf.
Knochen des riesigen Vorweltsbären
Liegen gebrochen wie sprödes Glas,
Aber dazwischen die Rippen und Röhren
Eines in Waffen verschollenen Manns.
Und die verrostete Panzerschale,
Auch ein zerfressenes spanisches Schwert
Künden den Krieger aus traurigen Tagen
Einer in Leiden zerklüfteten Welt.
Noch mit den sämtlichen Zähnen gezieret
Starren die Kiefer im räumigen Helm,
Gleich einem Spielzeug neben des wilden
Bären gewaltigem Kopfgestell.
Sehet! unbändig schwellen die Trauben
– Rüstet die Kelter und rüstet den Krug! –
Jegliche Beer eine sonnige Klause,
Drinnen ein Glutelf brauet die Flut!
Zwei friedlose Gesellen, schlafen
Jene, in ewigen Frieden entrückt;
Aber die Wut und das Wähnen und Wagen
Hält noch die duldenden Lüfte erfüllt.
Rüstet die Tonnen! Umfanget den starken
Reisigen Wein mit eisernem Band!
Männern zerbricht er den stämmigsten Nacken,
Stürzet sie jählings in Jammer und Qual!
Füllet die Krüge, doch trinket den Frieden,
Trinket das Licht, das dem Himmel entstrahlt!
Bindet die Herzen mit eisernem Willen,
Daß ihr entrinnet dem tödlichen Fall!
Fußnoten
1 Nach dem heißen Sommer des Jahres 1865 war im rhätischen Gebirge ein Gletscher so hinabgeschmolzen, daß man auf dem Grunde Gebein und Waffen fand, welche auf einen Bergübergang ligistischer Truppen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückgeführt wurden.
Aroleid
Im Wallis liegt ein stiller Ort,
Geheißen Aroleid;
Es seufzt ein Gram im Namen fort
Seit lang entschwundner Zeit.
Ein Berghirt hing in Todsgefahr
Am steilsten Firnenrand,
Ihn stieß hinunter dort der Aar,
Wo keiner mehr ihn fand.
Auf grüner Matte saß sein Weib;
Das Kind ins Gras gelegt,
Saß sie und schaut' mit starrem Leib
Hinüber, unbewegt,
Hinüber, wo im Dämmerblau
Der Berg zur Tiefe schwand
Und mit des Gipfels Silberau
So still am Himmel stand.
Voll bittrer Sehnsucht sprang sie auf
Und ging im Mattengrün
Mit schwankem Schritt und irrem Lauf
Und heißem Augenglühn.
Da schreit ein Kind, ein Flügel saust
Wohl über ihrem Haupt –
Mit ihrem Kind zur Höhe braust
Der Aar, der es geraubt!
Noch sieht das Wickelband sie wehn
In der kristallnen Luft,
Dann sieht sie's wie ein Pünktlein stehn
Im ferneblauen Duft,
Dann nichts mehr, nie, solang sie lebt! –
Sie nahm kein Trauerkleid;
Doch von dem Leid, das dort noch webt,
Der Ort heißt Aroleid.
Der Narr des Grafen von Zimmern
Was rollt so zierlich, klingt so lieb
Treppauf und -ab im Schloß?
Das ist des Grafen Zeitvertrieb
Und stündlicher Genoß:
Sein Narr, annoch ein halbes Kind
Und rosiges Gesellchen,
So leicht und luftig wie der Wind,
Und trägt den Kopf voll Schellchen.
Noch ohne Arg, wie ohne Bart,
An Possen reich genug,
Ist doch der Fant von guter Art
Und in der Torheit klug;
Und was vergecken und verdrehn
Die zappeligen Hände,
Gerät ihm oft wie aus Versehn
Zuletzt zum guten Ende.
Der Graf mit seinem Hofgesind
Weilt in der Burgkapell,
Da ist, wie schon das Amt beginnt,
Kein Ministrant zur Stell;
Rasch nimmt der Pfaff den Narrn beim Ohr
Und zieht ihn zum Altare;
Der Knabe sieht sich fleißig vor,
Daß er nach Bräuchen fahre.
Und gut, als wär er's längst gewohnt,
Bedient er den Kaplan;
Doch wenn's die Müh am besten lohnt,
Bricht oft der Unstern an:
Denn als die heil'ge Hostia
Vom Priester wird erhoben,
O Schreck! so ist kein Glöcklein da,
Den süßen Gott zu loben!
Ein Weilchen bleibt es totenstill;
Erbleichend lauscht der Graf,
Der gleich ein Unheil ahnen will,
Das ihn vom Himmel traf.
Doch schon hat sich der Narr bedacht,
Den Handel zu versöhnen:
Die Kappe schüttelt er mit Macht,
Daß alle Glöcklein tönen!
Da strahlt von dem Ciborium
Ein goldnes Leuchten aus;
Es glänzt und duftet um und um
Im kleinen Gotteshaus,
Wie wenn des Himmels Majestät
In frischen Veilchen läge:
Der Herr, der durch die Wandlung geht –
Er lächelt auf dem Wege!«
Die Winzerin
Am sonnig weißen Gartenhaus,
Da reifet Traub an Traube,
Die sanfte Schöne tritt heraus
Und prüft die schwere Laube;
Dem blauen Blick des Weibes gleicht
Der Beeren dunkle Menge;
Wohin ihr freundlich Auge reicht,
Lacht freundliches Gedränge.
Rings lockt das noch gefangne Blut
Zu Häupten und zu Füßen,
Und sie beginnt mit stillem Mut
Zu schneiden all die süßen.
Und wie sie mit der lieben Hand
Die grünen Blätter teilet,
Hin schweifet über See und Land
Im Flug der Blick und weilet.
Gleich einer reifen Beere glänzt
Ihr feuchtes Aug hinüber,
Wo's blaut und leuchtet unbegrenzt,
So fern, so fern herüber.
Sie lässet still und ahnungsvoll
Die vollen Trauben sinken,
Bis es in Körben reizend schwoll
Mit tausendfachem Blinken.
Und auf der Laube Marmeltisch
Zu keltern sie beginnet,
Daß aus der Kelter duftig frisch
Das Blut der Traube rinnet.
Wie muß der weißen Arme Zier
Mit holder Kraft sich mühen!
Sie keltert, bis die Wangen ihr
Gleich jungen Rosen blühen.
Sie keltert, daß der Busen fliegt
Und woget ungemessen;
Umsonst, was ihr im Sinne liegt,
Das kann sie nicht vergessen!
Umsonst – wie oft die Krüge sie
Mit starkem Moste füllet,
Sie selber hat den Durst noch nie,
Das Sehnen nie gestillet.
Sie läßt den heißen Rebensaft
Mit treuer Sorge gären,
In kühler Nacht zu milder Kraft,
Zum seltnen Wein sich klären.
Den trägt sie zu den Hütten hin
Auf Höhen und im Tale;
Sie reicht der armen Wöchnerin,
Dem kranken Greis die Schale.
So keltert sie den Edelwein
Im Herbste schon seit Jahren.
Ein Segel kommt im goldnen Schein
Des Abends fern gefahren;
Im Hafen legt das Schiff sich an,
Sie hört die Schiffer singen,
Und einen hochgemuten Mann
Sieht sie ans Ufer springen.
Sie kennt ihn und sie kennt ihn nicht,
Sie starrt hinaus ins Weite,
Als es mit trauter Stimme spricht
Und grüßt schon ihr zur Seite.
Die frohen Klänge mischen sich,
Das Wort hier, dort die Lieder:
»Ratlos verließ der Knabe dich,
Nun kehrt ein Mann dir wieder!
O schau, wie leuchtet's weit und breit,
Wie klar der Tag, die Stunde!
Und reif die schönste Lebenszeit
Küßt mich von deinem Munde!«
Da ist in seine Arme hin
Sie wonnevoll gesunken,
Und weinend hat die Winzerin
Zum ersten Mal getrunken.
Geistergruß
Ich sah ein holdes Weib im Traum
Auf rotem Laube sitzen
Wohl unter einem bereiften Baum,
Der tät wie Silber blitzen.
Er blitzte wie Silber und Kristall
In lieblicher Wintersonne;
Leis rauscht' der Wind, wie Demantenfall
Perlt's von des Baumes Krone.
Und auch der Schönen wallendes Haar
Sah weiß wie Schnee ich prangen;
Denn ach, wie manches liebe Jahr
Ist schon ins Land gegangen!
Doch blühte noch ihr Antlitz fein
Gleich weißen Rosenauen,
Im Aug der alte Sternenschein
Und rot der Mund zu schauen.
»Wo kommst du her, wo gehst du hin?«
Sprach ich mit sanftem Beben;
»Bist selig? Bist du Büßerin?
Wo lebst du nun dein Leben?«
Sie lächelte mild am selben Ort,
Auch hab ich sie nicken sehen;
Sie sprach ein halb gehauchtes Wort,
Das konnt ich nicht verstehen.
Des Reifes Flocken fing sie dann,
Die fallenden, unverdrossen
Und bot mir die Juwelen an,
Die auf der Hand zerflossen.
Drauf stieg der Nebel aus dem Tal,
Empor aus Fluß und Weihern,
Verhängend rasch des Waldes Saal
Mit seinen dichten Schleiern.
Ich sah sie zwischen die Bäume hinein
Tief in den Schatten gehen
Und ihres Haares Silberschein
In Düsternis verwehen.
Noch hat es hier, noch hat es dort
Wie Augenglanz gefunkelt;
Zuletzt war die Erscheinung fort
Und auch der Traum verdunkelt.
Jung gewohnt, alt getan
Die Schenke dröhnt, und an dem langen Tisch
Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen;
Man pfeift, man lacht; Geschrei, Fluch und Gezisch
Ertönte an des Trankes trüben Wellen.
In dieser Wüste glänzt' ein weißes Brot;
Sah man es an, so ward dem Herzen besser.
Sie drehten eifrig draus ein schwarzes Schrot
Und wischten dran die blinden Schenkemesser.
Doch einem, der da mit den andern schrie,
Fiel untern Tisch des Brots ein kleiner Bissen;
Schnell fuhr er nieder, wo sich Knie an Knie
Gebogen drängte in den Finsternissen.
Dort sucht' er selbstvergessen nach dem Brot;
Doch da begann's rings um ihn zu rumoren,
Sie brachten mit den Füßen ihn in Not
Und schrien erbost: »Was, Kerl! hast du verloren?«
Errötend taucht' er aus dem dunklen Graus
Und barg es in des Tuches grauen Falten.
Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus
Und einer treuen Mutter häuslich Walten.
Nach Jahren aber saß derselbe Mann
Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann
Und in gewählten Reden floh die Stunde.
Auch hier lag Brot, weiß wie der Wirtin Hand,
Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;
Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten.
»O lassen Sie es liegen!« sagt sie schnell;
Zu spät, schon ist er untern Tisch gefahren
Und späht und sucht, der närrische Gesell,
Wo kleine seidne Füßchen stehn zu Paaren.
Die Herren lächeln, und die Damen ziehn
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;
Er taucht empor und legt das Brötchen hin,
Errötend hin auf das damastne Linnen.
»Zu artig, Herr!« dankt' ihm das schöne Kind,
Indem sie spöttisch lächelnd sich verneigte;
Er aber sagte höflich und gelind,
Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:
»Wohl einer Frau galt meine Artigkeit,
Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!
Es galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bittrem Grame.«
Am Ufer des Stromes
Graulockig ein Mann und ein blonder Kam'rad
Spazieren an fließenden Wassers Gestad;
Der Ältere kehrt sich zum Jungen und spricht:
»Was schneidest du für ein betrübtes Gesicht?« –
»Lieb fand ich ein Mädchen und hab ihm's gesagt,
Sie flüstert ein Nein, kaum daß ich gefragt,
Und alles im Nu – nun beklemmt's mir die Brust,
Daß Herz ich und Mund nicht zu halten gewußt!«
Und jener erwidert: »Des Fährmanns Magd
Siehst du, die über dem Strome ragt,
Gering und arm und der Zierde bar,
Und siehst auch mein ergrauendes Haar?
Befiel' mich ein Fünklein Lieb zu ihr,
Laut rief' ich es von der Stelle hier,
Rief's laut in der Wellen rauschenden Gang,
Mich dünkt' es der allerschönste Gesang!
Leicht schlug mir in meiner Jugend das Herz,
Und müßig schweifte der Blick allwärts;
Rasch hab ich so manches Geständnis gemacht,
Die ein' hat geweint und die andre gelacht.
Bei einer nur hab ich das Wörtchen verschluckt,
Wie sehr es auch sterbend im Busen gezuckt;
Ich glaube, sie ahnt' es und lächelte fein,
Doch wußt ich nicht: sang's in ihr ja oder nein.
Der Sommer war warm und der Winter kalt,
Die Zeit verging, und wir wurden alt;
Als ich zum letzten Mal sie sah,
Lag sie im Leichenschmucke da.
Fest waren die Augen zugetan,
Sie schauten nicht mich noch die Welt mehr an;
Doch auf dem Munde bleich und tot,
Da lächelt's noch leise wie ein Spott.
Mir lispelt's im Ohre: 'O träger Mann,
Der so mit Worten geizen kann!
Du hattest den Schlüssel zum seligen Haus,
Wo fliegen die Engel hinein und hinaus!
Du hattest den Schlüssel zum goldenen Schrein
Für alle zwei beide, nun lieg ich allein!'
Da donnert' die Orgel, da psaltert' der Chor,
Und sie trugen hinaus, was ich elend verlor!«
Ein Schwurgericht
Da liegt ein Blatt, von meiner Hand beschrieben
In Tagen, die nun lang dahingeschwunden,
So lang, daß halb verblich die flücht'ge Schrift.
Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen,
Ein wunderliches, wieder mir lebendig,
Das mich befiel in wunderlicher Zeit,
Als schnödes Abenteuer mächtig herrschte
Und frech die Welt zum Abenteuer schuf.
Was während eines Mondes kurzer Dauer
Von tollem Spuk und schrecklichem Geschehen,
Merkwürd'gem Wagnis und ruchloser Tat
Die Zeitung brachte, von versunknen Schiffen,
Mit schwerem Gold und brüllendem Volk beladen,
Von drehnden Tischen, dran die Torheit saß,
Von Schlachtenlärm und diebischen Marschällen,
Von falschem Gift, durch weiße Hand gemischt:
Das dacht ich rhythmisch wogend zu verflechten
In einen wild rhapsodischen Gesang,
Gleich einem Wandrer, der bestäubt und keuchend
Dem tobenden Gewühl mit Not entrann
Und seinen Fiebertraum voll Hast erzählt.
So schrieb ich mir auf Blätter jede Kunde,
Und nicht im Stich fürwahr ließ mich die Zeitung,
Jedoch die Lust, die mir gemach verging.
Dies gelbe Blatt nur hat sich noch erhalten.
Ein Lächeln will beim Anblick mich beschleichen,
Das wandelt aber sich sogleich in Ernst.
Es steht ein Richterspruch darauf verzeichnet
Und eine Tat so dunkel traur'ger Art,
Daß wie von selbst die Hand zum Stifte greift,
Das blut'ge Rätsel doch noch festzubannen.
In Franken war's, an stillem Sommertage,
Daß eine Frau ihr kleines liebes Bübchen
Mit Korb und Vesperbrot zum Vater sandte,
Der im Gehölze, mäßig weit, im Schweiße
Des Angesichts an seiner Arbeit stand.
Sie wußte, daß er heut ein hartes Lohnwerk
Vollbringen wollte bis zur Dunkelzeit.
Ein mütterlicher kleiner Übermut
Verlockte sie, das Wagnis zu versuchen
Und mit dem Bötlein ihren Ehkumpan
Zu überraschen dieses erste Mal;
Denn Sonntag war es morgen, und im Hause
Blieb ihr zu schaffen übrig noch genug.
Das Knäblein aber sträubte sich zu gehen,
Gewohnt nur an der Mutter stets zu hangen
Und sie um tausend Dinge zu befragen
Mit Schmeichelwörtchen, lind im Singeton.
»Geh nur«, sprach sie, »die Mundharmonika
Geb ich dir mit, mein Söhnchen, und drauf spielen
Wirst du gar herrlich auf dem ganzen Wege;
Der Vater ruft: 'Was hör ich für Musik?
Gewiß marschiert ein Regiment Soldaten!'
Wie lacht er aber, wenn sein Hänschen kommt!«
Und da sie aus dem Schrank das Instrumentchen,
Das dort zur Schonung sorglich aufgehoben,
Hervorholt, faßt es gleich der frohe Kleine
Und schreitet wacker, seinen Korb am Arm,
Ins helle Sommerland, die wen'gen Stimmchen
An seinen Lippen unverweilt erprobend
Und stets aufs neue reihend Ton an Ton.
Schon weit ist er; doch über Korn und Klee
Tönt weich und sanft, wie all der blaue Himmel,
Sein einfach Lied nun aus dem Feld herüber;
Der Kinderpuls, ein Lufthauch und die Ferne,
Sie schaffen eine rührend zarte Weise,
Die, fast verwehend jetzt, dann leise schwillt.
Und weil die Mutter hier noch steht und horcht
Und denkt: nun hat er wohl den Forst betreten,
Vernimmt der Vater drüben schon die Töne
Und kennt sein Vögelchen an dem Gesang.
Er lauscht erfreut – auf einmal bricht es ab,
Und stumm bleibt ewig dieser Kindermund!
Kein Knäblein kommt zum Vater, keines kehrt
Zur Mutter abends mit dem Müden wieder.
Nach dreien Tagen erst zog man das Kind
Mit eingeschlagnem Haupt aus einem Wasser,
Das tückisch hehlend, dunkel, unbeweglich,
Abseits vom Pfad im Waldesschatten lag.
Der Mörder auch ward bald darauf ergriffen;
Es war ein starker Bursch von achtzehn Jahren,
Fast unbekannt, der, lungernd in der Stadt,
Mißtrauisch schielend auf dem Örglein blies,
Das ihn verriet. Dann vor dem Richter stehend,
Von dessen Kunst bedrängt, erzählt' er mürrisch,
Wie er das Kind im Holze angetroffen
Und es gebeten, ihm das Ding zu leihen
Für einen Augenblick, sich dran zu laben;
Denn eine unbezwinglich starke Lust
Hab ihn schon lang gequält, auf solchem Werklein
Ein einzig Mal sich blasend zu vergnügen.
Kopfschüttelnd hab das Knäblein fortgespielt,
Er aber es mit einem Stein erschlagen.
Und weiter ward die Kunde beigebracht,
Wie daß vor Jahren schon in seiner Heimat
Der Unhold von der zarten Kinderwelt
Als Spielzeugräuber sei gefürchtet worden;
Die trauten Plätze, Flure, Hofgebreiten,
Wo sich das kleine Volk zur Lust versammelt:
Der große Range habe finster lauernd
Beschlichen sie und von dem bunten Werkzeug
Der Jugend sich gewaltsam angeeignet,
Was ihm gefiel, dann in entlegnen Winkeln,
Einsam, mit ungeschickter Hand gespielt.
Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen;
Doch aus der Untat wurde keiner klug.
Zeitlandschaft
Schimmernd liegt die Bahn im tiefen Tale,
Über Tal und Schienen geht die Brücke
Hoch hinweg, ein Turm ist jeder Pfeiler,
Kunstgekrönet in die Lüfte ragend,
Zu den Wolken weite Bogen tragend.
Wie ein Römerwerk, doch neu und glänzend,
Bindet wald'ge Berge sie zusammen;
Auf der Brücke fahren keine Wagen,
Denn kristallnes Wasser geht dort oben,
Dessen fromme Flut die Schiffer loben.
Unten auf des Tales Eisensohle
Schnurrt hindurch der Wagen lange Reihe,
Hundert unruhvolle Herzen tragend,
Straff von Nord nach Süd mit Vogels Schnelle.
Drüber streicht das Fischlein durch die Welle.
Langsam, wie ein Schwan, mit weißem Segel,
Herrlich auf des Himmels blauem Grunde
Oben fährt ein Schiff von Ost nach Westen; –
Ruhvoll lehnt der Schiffer an dem Steuer:
Ist das nicht ein schönes Abenteuer?
Das große Schillerfest
1859
Schnee und Regen floß hernieder
Auf novemberbraunen Bergen,
Trostlos rangen alle Wipfel
Mit den schweren grauen Wolken.
Von den Büschen troff es klagend,
Jeder Dorn war eine Traufe,
Die hinab von Dorn zu Dornen
Unaufhörlich floß und weinte.
Aus den dunklen Forsten wankte
Irren Schritts ein Weib hervor,
Zart gebaut, in dünnem Kleide,
Aber fruchtbeschwerten Leibes.
Zitternd und mit starren Fingern
Las sie nasses Laub und Reisig;
Mühsam sich zur Erde bückend,
Raffte sie ein zaghaft Büschel.
Und der Brombeer wirre Schlingen
Hingen sich an ihre Füße,
Daß sie strauchelt', und das Weinen
Hing an ihren Augenwimpern.
Kam ein zweites Weib gegangen,
Groß und stark und guter Hoffnung;
Schwere Hölzer auf dem Haupte,
Schritt sie aufrecht her und trotzig.
Und sie rief mit lautem Lachen:
»Ei, Gevattrin! wie zu sehen,
Sind wir beide gleich gesegnet?
Nun wahrhaftig muß ich lachen!«
Doch die andre fing urplötzlich
Bitterlich laut an zu weinen,
Und die regenschwere Schürze
Drückt' sie schluchzend an die Augen.
»Wieder soll ich nun gebären!«
Sprach sie, kummerschwer sich fassend,
»Und ich habe nicht, wovon ich
Mir ein warmes Süppchen koche!
Meinen Gatten und Ernährer
Hab ich traurig jüngst verloren,
Als er einen Stamm geschlagen,
Der ihn fallend wieder schlug.
Und ich weiß nicht, wie das endet;
Leben soll zu Leben kommen,
Und das drängt sich und das mehrt sich,
Und das Herz ist krank zum Tode!
Wie ein Tier auf wilder Heide
Schein ich mir, das ohne Gott,
Ohne Gott und ohne Sterne
Hungernd irrt und sich vermehrt.« –
»Hei, was ficht dich an, du Blöde?«
Rief die andre, heller lachend;
»Lustig baun wir unsre Wölbung
In das weite Reich hinaus!
Fäuste geb ich meinen Kindern
Und gesunde weiße Zähne!
Sieh, das jüngste hat mir neulich
Hier den Ohrlapp durchgebissen!
Meinen Mann hab ich vertrieben,
Weil er faul war und den Kindern
Alles Brot, das ich erworben,
Vor den Mäulern wegstibitzte!« –
»Du bist stark und du bist frech!«
Sagte wiederum die andre;
»Ich bin zag, und das Gewissen
Liegt mir leider in der Art!«
Also standen beide Weiber
Hohen Leibs sich gegenüber,
Und je lauter jene lachte,
Desto traur'ger wurde diese.
Und es kam der Nordlandswind
Mächtig rauschend über die Berge,
Und die Tränen der Bedrängten
Trocknete sein scharfes Wehen.
In der Höhe schwamm im Blauen
Einesmals die Spätherbstsonne,
Daß in hellem Golde flammten
Wie ein Morgenrot die Wälder.
In der Tiefe trieben wogend
Aufgejagt die zerrissenen Nebel,
Vor dem wehenden Riesenhauche
Stürmten sie verscheucht davon.
Doch ein prächtiges Festgeläute
Überklang das mächt'ge Rauschen,
Und im Glanze der blitzenden Sonne
Lag im Tal eine strahlende Stadt.
Lang hinwallende Bürgerzüge
Sah man schimmernd sich drin bewegen,
Ihnen wehte die fliegende Seide
Reich gebildeter Banner voran.
Herrlich wogte der Wind aus Norden,
Und die Glocken erschollen mit Macht;
Da ertönten auch starke Posaunen,
Helle Trompeten mit schwellender Pracht.
Und die singende Menschenstimme
Deutlich man dazwischen vernahm,
Seltsam, neu und herzerschütternd
Wie der seliggewordene Gram.
»Freude, schöner Götterfunken!«
Hallte herüber der klingende Sturm;
War kein Kirchenlied und kein Kriegslied,
Doch die Glocken schallten vom Turm.
Horchend standen die armen Frauen,
Und die Lacherin wurde still;
Und sie sprach: »Wer doch nur wüßte,
Was das alles bedeuten will?
Einer rief, den zu Tale laufen
Ich mit hastigen Schritten sah,
Daß die schönere und die größere,
Ja die bessere Zeit sei nah!
Aber komm, du zage Klagende,
Was es immer bedeuten mag,
Feiern wir in meiner Hütte
Diesen unbekannten Tag!
Bringe die weinenden, deine Kleinen,
Zu den meinigen schnell zur Stell;
Wir entfachen ein lustiges Feuer,
Schaffen die Welt uns warm und hell!
Neuen Most hab ich im Hause,
Nüsse für die junge Brut;
Und beim frohen Mütterschmause
Fassen wir einen guten Mut!«
So genossen sie unwissend
Jenes Tages Silberblick;
Mit am warmen Feuer ruhte
Still ein künftiges Geschick.
Seine unsichtbaren Hüter
Lehnten am Standartenschaft
In den goldnen Wappenröcken:
Das Gewissen und die Kraft.
.
1 comment