Perlen der Weisheit sind mir deine Zähne!

Perlen der Weisheit sind mir deine Zähne!

Wie stets ich mich nach ihrem Scheine sehne!

Denn über dem Bemühn, sie zu erblicken,

Vertrocknet mir die letzte kleine Träne.

Indem ich dich zu holdem Lachen reize,

Vergeß ich ganz der Welt unreine Späne;

Doch um dein schönstes Lächeln zu gewinnen,

Verlieren sich in Torheit meine Pläne!

 

 

7. Ich halte dich in meinem Arm

Ich halte dich in meinem Arm, du hältst die Rose zart,

Und eine junge Biene tief in sich die Rose wahrt;

So reihen wir uns perlenhaft an einer Lebensschnur,

So freun wir uns, wie Blatt an Blatt sich an der Rose schart.

Und glüht mein Kuß auf deinem Mund, so zuckt die Flammenspur

Bis in der Biene Herz, das sich dem Kelch der Rose paart!

 

 

8. Berge dein Haupt, wenn ein König vorbeigeht

Berge dein Haupt, wenn ein König vorbeigeht,

Tief an der Brust des Geliebten, der frei steht;

Aber dem Betteljung laß es erglänzen,

Welchen das Elend des Lebens vorbeiweht!

 

 

9. Mich tadelt der Fanatiker

Mich tadelt der Fanatiker, in deinen Armen weich zu ruhn,

Und heischt, indem zum Streit er eilt, zu lärmen und ihm gleichzutun;

In tollen Sätzen springt er fort und peitscht die Luft mit seinem Stahl

Und schwört: es geb kein größer Heil, als auf dem Schlachtfeld bleich zu ruhn!

Laß laufen ihn, den Närrischen, und küsse mich noch hundertmal!

Ich denke doch beizeiten noch vor ihm den ersten Streich zu tun!

 

 

10. Verbogen und zerkniffen war

Verbogen und zerkniffen war der vordre Rand an meinem Hut,

Und rötlich färbte er sich auch, wie es des Trinkers Nase tut;

Und wenn ich auf der Straße ging, so fiel ich in der Spötter Schlingen;

Das füllte mich mit Ärger, der Chapeau war doch im ganzen gut.

Drum dreht ich ihn, bis hinter mir des Würdigen gelähmte Schwingen,

Und, vorn den wohlerhaltnen Rand, trat ich einher mit frischem Mut.

Doch weh! an meinem Rücken nun die tausend schlimmen Augen hingen,

Ich hörte zischeln hinter mir, und in den Kopf stieg mir das Blut

Und zwang mich, den verdammten Filz flugs wieder vorn herum zu bringen,

Denn lieber vor als hinter mir mag ich der Tadler stille Wut.

In seinen Schatten neige dich, Schlußton von allem meinem Singen,

Mein treues Lieb, und tröste mich mit deiner Lippen süßer Glut!

Panard und Galet1

 

1

Sie kamen von der Tränke,

Sie wankten aus der Schenke

Mit einer Zecherschar,

Als es Karfreitag morgen

Und grabesstille war.

 

Von heißen Stirnen nicken

Und stäuben die Perücken,

Wie Wolke birgt den Blitz;

Die spitze Kling am Degen

Zuckt wie geschliffner Witz.

 

Sie taumelten und sangen,

Vom Mund wie Stöpsel sprangen

Die Verse, Schlag auf Schlag;

Da schrie Panard: »O fühlet

Den furchtbar großen Tag!

 

Das Universum trauert,

Die dunkle Sonne schauert,

Die Erde wankt und bebt,

Daß unter unsern Füßen

Der hohle Boden schwebt!

 

Unsicher ist's, zu stehen,

Und ratsam nicht, zu gehen!

Kehrt um zu unsrem Wirt!« –

Und alsbald kroch die Herde

Zurück zu ihrem Hirt.

 

Dort blieben sie verborgen

Bis an den dritten Morgen

Tief und geheimnisvoll,

Bis in der goldnen Frühe

Die Osterglocke scholl.

 

Als die verjüngte Sonne

In Auferstehungswonne

Durchschritt des Frühlings Tor,

Da stiegen aus der Höhle

Weinselig sie hervor.

 

 

2

Auf seinem Bette liegt Galet,

Weglachend seines Todes Weh.

 

Er schickt Panard den Morgengruß,

Sechs neue Lieder zum Genuß.

 

»Erst wollt ich reimen, liebes Kind!

So viele, als Apostel sind.

 

Doch hab ich's nur auf sechs gebracht,

Weil schon der Totengräber wacht.

 

Der Totengräber an der Tür

Mit seinem Spaten lauscht herfür.

 

Der hackt mich mit den andern sechs

Bald unter grünes Grasgewächs.

 

Leb wohl, mich dünkt, nun muß es sein,

Der beste Reim ist Rhein und Wein!«

 

 

3

Es klagt Panard: »Habt ihr gesehn

Die Stätte, wo er ruht?

So könnt ihr meinen Schmerz verstehn

Und meines Herzens Wut!

 

Der keiner Quelle, noch so rein,

Beim größten Durst genaht,

Ihn, dem kein schnödes Wässerlein

Die Lippe je betrat,

 

Ihn haben sie nun hingelegt,

Wo graus vom Turm herab

Die Traufe ihm zu Häupten schlägt

Und plätschert auf dem Grab!

 

Ich selbst bin nun ein Wasserfaß,

Dran keine Daube schließt,

Da stets ein unglückselig Naß

Mir aus den Augen schießt.

 

Es regnet meiner Tränen Fluß

Wie toll zu jeder Stund,

Daß mit der Hand ich decken muß

Das Glas an meinem Mund!

 

Die süße Traube sank zur Ruh

Vom Stocke, der ich bin;

O Winzer Tod, nun schneide du

Mich selber bald dahin!«

 

 

Fußnoten

1 Französische Poeten des 18. Jahrhunderts.

 

 

Ungemischt

Daß ich nicht ein jedes Atom von Wein

Mit einer Flut von Blödigkeiten büße,

Schenke mir das blühende Gold vom Rhein

Unvermischt in seiner würz'gen Süße!

 

Deine Augen laß frei von Tränen sein,

Daß die lieblichen Sterne nicht versiegen;

Weich genug droht schon der bläuliche Schein

Wie ein zartes Traumbild zu verfliegen!

 

Frühlingstage, Stunden der Seligkeit,

Wie sie lind in unsre Seelen rinnen!

Und wir sollten die köstliche Neige Zeit

Mit dem Gedanken der Ewigkeit verdünnen?

 

 

Geübtes Herz

Weise nicht von dir mein schlichtes Herz,

Weil es schon so viel geliebet!

Einer Geige gleicht es, die geübet

Lang ein Meister unter Lust und Schmerz.

 

Und je länger er darauf gespielt,

Stieg ihr Wert zum höchsten Preise;

Denn sie tönt mit sichrer Kraft die Weise,

Die ein Kundiger ihren Saiten stiehlt.

 

Also spielte manche Meisterin

In mein Herz die rechte Seele;

Nun ist's wert, daß man es dir empfehle,

Lasse nicht den köstlichen Gewinn!

 

 

Doppelgleichnis

O ein Glöcklein klingelt mir früh und spät

Silbernen Schalles in die Seele herein,

Zart wie ein Luftlied, welches von Westen weht,

Unermüdlich plaudernd, so lieb und fein!

 

Aber wandl' ich es um zum Becherlein,

Kehr ich es um und häng es an meinen Mund,

Trinke daraus den allersüßesten Wein:

Schweigt das Becherglöckelchen zur Stund,

 

Hält sich stille, solang ich trinken mag,

An meinen durstigen Lippen verhallt sein Rand,

Tönet jedoch wieder mit hellem Schlag,

Kaum ich es der innigen Haft entband.

 

Kelch und Glöcklein ist, mein Engelchen,

Mir dein Mündchen ohne Rast und Ruh,

Und das Zünglein drin das Schwengelchen,

Das nie schweigt, als wenn ich dich küssen tu.

 

 

Mit einer Reißkohle

Gefächelt von der Lüfte Schwingen,

Zeigt's deines Mundes hohe Rosenglut

Und knistert leis, wie deine Lippen singen,

Wenn ein geheimer Traum bewegt dein Blut.

 

Nun schweigt das Knistern, stirbt die Röte,

In tiefe Nacht versinkt der Fünklein Tanz;

Nun ist es tot und schwarz – was überböte

Die Schwärze als dein Haar im Morgenglanz?

 

Noch warm, nehm ich die zarte Leiche

Und schreib auf deines Flurs besonnten Stein

Ihr art'ges Leben, dem das deine gleiche,

So hoch erglühend und so schlicht und rein:

 

»Ich war ein Bäumlein auf den Rainen,

Mein Mark war weich und weiß, die Blättlein grün;

Ich sah die Sonne feurig niederscheinen,

Dann brannt ich selber, selig im Verglühn!

 

Was von mir blieb, zeigt noch die Triebe

Der Adern und der Jahresringe Lauf;

Schreib froh mit mir, Poet, den Preis der Liebe

Und brauch mich ganz zu deinem Liede auf!«

Die Aufgeregten

 

Welche tief bewegten Lebensläufchen,

Welche Leidenschaft, welch wilder Schmerz!

Eine Bachwelle und ein Sandhäufchen

Brachen gegenseitig sich das Herz!

 

Eine Biene summte hohl und stieß

Ihren Stachel in ein Rosendüftchen,

Und ein holder Schmetterling zerriß

Den azurnen Frack im Sturm der Mailüftchen!

 

In ein Tröpflein Tau am Butterblümchen

Stürzt' sich eine kleine Käferfrau,

Und die Blume schloß ihr Heiligtümchen

Sterbend über dem verspritzten Tau!

 

 

Lacrimae Christi

Wie des Rauches Silbersäumchen

Vom Vesuv den Himmel sucht!

Feigenbäumlein, Feigenbäumchen,

Und wie süß ist deine Frucht!

Und ein kühlender Zephir fächelt

Über den warmen Lavagrund,

Drauf die Madonna niederlächelt

Mit dem feingeschnitzten Mund.

 

Kommt ein lustiger Mönch gegangen

Mit dem vollen Tränenkrug;

Kommt ein Weib mit Purpurwangen

Und mit nächtlichem Lockenflug;

Schön ist's unter dem Feigenbaum,

Wo der Berg in Liebe brennt!

Drüben leuchten, wie ein Traum,

Ischia, Capri und Sorrent.

 

Sind ihre Locken die dunkle Nacht,

Ist seine Glatze der Mondenschein,

Und es können die Sternenpracht

Ihre glühenden Augen sein.

Also schaffen am hellen Tag

Sie die heimliche stille Nacht;

Was doch alles geschehen mag,

Wenn man's klug und sinnig macht!

 

Nur die hölzerne Madonne

Schmachtet in der heißen Sonne;

Daß auch sie genieße der Ruh,

Wirft das Weib ihr den Schleier zu.

Lachend über die See her blinken

Ischia, Capri und Sorrent –

Süß und selig ist zu trinken,

Was man Christi Tränen nennt!

 

 

Landwein

Am Hügel wohnt der alte Bauersmann,

Der hat sein Gut von neuer Hand gegründet,

Daß all sein Land im weitgezognen Bann

Des Eigners feste Willenskraft verkündet;

Was harter Fleiß der Erd entlocken kann,

Hat er zu immergrüner Pracht entzündet;

Und in der Mitte steht sein stattlich Haus,

Die Fenster schimmern in das Land hinaus.

 

Das ist das ganze Jahr ein wechselnd Blühn,

Geteilt in Streifen und in allen Farben

Dehnt es sich aus, vom hellen Saatengrün

Bis zum gediegnen Gold der schweren Garben.

Des Mohnes traumerfüllte Kelche glühn,

Wenn kaum des Flachses blaue Blüten starben;

Vereinigt leuchtet aller Farben Flor

Im Blumengarten vor des Hauses Tor.

 

Vom fernen Berge aus dem eignen Wald

Hat er zum Hof den Brunnen hergeleitet,

Und von des Forstes felsiger Gestalt

Aus eignem Stein des Hauses Grund gebreitet.

Man sieht, wie neben mächt'ger Eiche bald,

Bald neben der gefällten Tann er schreitet,

Die blanke Axt fest in den Stamm gehauen,

Dem langen Zug den richt'gen Weg zu schauen.

 

Vom Morgengrauen bis zum Wehn der Nacht

Kann man ihn sehn durch Flur und Felder streifen,

So weit noch seines Halmes Blüte lacht,

Treu seine Bienen Pflug und Stier umschweifen;

Selbst von der Lüfte sonnig heitrer Pracht

Die Tauben seines Hofs Besitz ergreifen.

Und auch die Lerche, Wachtel, Eul und Rabe

Sind heimatliche Kinder seiner Habe.

 

Jedoch sein Herzfleck ist ein jäher Rain,

Der sich erhebt aus weiten Ackergründen,

Da wo am vollsten ruht der Sonne Schein

Und abgewandt des Nordens rauhen Winden;

Da zieht der Landmann seinen Labewein,

Da ist er manchen langen Tag zu finden,

Wie Arbeit er und Müh mit Lust verschwendet,

Der Rebe wählrisch Schoß zum Lichte wendet.

 

Doch zieht er nicht die Traube zum Erwerb,

Mit seinen Söhnen trinkt er selbst den Saft,

Der nicht wie Honig süß, doch frisch und herb

Der Männer Blut erhält mit tücht'ger Kraft;

Auch Brot und Leib und Leben sind ja derb

Dem Volke, das in brauner Scholle schafft;

Nur wenn ein heißes Weinjahr ist auf Erden,

Kann auch sein Wein ein rechter Festwein werden.

 

Wie oftmals, wenn der kühle Herbst gekehrt,

Gelungen war des Jahrs mühsel'ger Plan,

Die Speicher hoch mit reicher Frucht beschwert,

Der neue Wein in seine Haft getan,

Hat er das erste Glas davon geleert –

Nie setzt' er eines ruhig wohler an!

So saß der Mann inmitten seiner Sippe

Und trank den jungen Wein mit froher Lippe.

 

Wenn dieser so im Glas zu gären schien,

Im Innersten nach Klarheit heiß zu ringen,

Dann sprach der Mann wie träumend vor sich hin,

Als hört' er wo ein fernes Lied erklingen:

»Gott hat's gegeben, und wir preisen ihn!

Wir loben ihn, wenn wir es wieder bringen!

Denn wie er's geben kann, mag er es nehmen,

Und unser ist ein mutiges Bequemen!

 

Wohl hört man ihn durch Tann und Schlüchte fahren,

Wer aber weiß, von wannen kommt der Wind?

So drängen sich der Menschheit schwere Scharen,

Die selber sich ein tief Geheimnis sind,

Das aber endlich sich soll offenbaren

Den Lebensklugen, die nicht taub und blind.

Indes zur Übung, Stärkung unserm Streben

Ward dieser harte Ackergrund gegeben.

 

Und was wir heute sammeln und gestalten,

Das wird der Morgen schonungslos zerstreuen;

Doch wollt ihr einen süßen Kern erhalten,

Dürft ihr euch nicht zu sehr der Schalen freuen!

Wenn sich der Geist der Geister will entfalten,

Wird unablässig er das Wort erneuen.

Wir aber müssen bei der Arbeit lauschen,

Wohin die heil'gen Ströme wollen rauschen!«

 

 

Rote Lehre

»Ich bin rot und hab's erwogen

Und behaupt es unverweilt!

Könnt ich, würd ich jeden köpfen,

Der nicht meine Meinung teilt!«

 

In des Baders enger Stube

Vetter Hansen also sprach,

Eben als 'nem feisten Bäcker

Jener in die Ader stach.

 

Und des Blutes muntrer Bogen

Aus dem dicken drallen Arm

Fiel dem Vetter auf die Nase,

Sie begrüßend freundlich warm.

 

Bleich, entsetzt fuhr er zusammen,

Wusch darauf sich siebenmal;

Doch noch lang rümpft' er die Nase,

Fühlt' noch lang den warmen Strahl.

 

Mittags widert ihm die Suppe,

Rötlich dampft sie, wie noch nie;

Immer geht es so der alten

Grauen Eselstheorie!

 

Manches Brünnlein mag noch springen

In das Gras mit rotem Schein;

Doch der Freiheit echter, rechter

Letzter Sieg wird trocken sein.

 

 

Epigrammatisches

Venus von Milo

Wie einst die Medizäerin

Bist, Ärmste, du jetzt in der Mode

Und stehst in Gips, Porz'lan und Zinn

Auf Schreibtisch, Ofen und Kommode.

 

Die Suppe dampft, Geplauder tönt,

Gezänk und schnödes Kindsgeschrei;

An das Gerümpel längst gewöhnt,

Schaust du an allem still vorbei.

 

Wie durch den Glanz des Tempeltors

Sieht man dich in die Ferne lauschen,

Und in der Muschel deines Ohrs

Hörst du azurne Wogen rauschen!

 

 

Ratzenburg

Die Ratzenburg will Großstadt werden

Und schlägt die alten Linden um;

Die Türme macht sie gleich der Erden

Und streckt gerad, was traulich krumm.

Am Stadtbach wird ein Quai erbauet

Und einen Boulevard man schauet

Vom untern bis zum obern Tor;

Dort schreitet elegant hervor

Die Gänsehirtin Katherine,

Die herrlich statt der Krinoline,

Zu aller Schwestern blassem Neide,

Trägt einen Faßreif stolz im Kleide.

 

So ist gelungen jeder Plan,

Doch niemand sieht das Nest mehr an!

 

 

An eine junge Simplicitas

Schämig versagst du den Blick dem übel beleumdeten Ketzer,

Spendest zur Seite gewandt deinen verkümmerten Knicks!

Schwebe nur zierlich von hinnen: als Mütterchen seh ich dich humpeln,

Welches zu Hussens Gericht steuert sein schwelendes Scheit!

 

 

Historiograph

Weisheitsvoll und prophetisch betrieb er und schrieb er Geschichte;

Als sie mit blitzendem Schild aufstand, purzelt' er um!

»Wär ich doch lieber ein Kätzlein, ein schäbiges, welches Miau schreit,

Als ein solcher Prophet!« riefen die Dichter im Chor.

 

 

Einem Tendenzriecher

Weil in Tendenzen du dich hast müd und kränklich geschwelget,

Ärgert dich jetzo der Gran, welcher Gesunden bekommt!

 

 

Der Scheingelehrte

»Wissende sagten es lange!« So schnarrte der Esel zu Erfurt,

Als er den Hafer entdeckt, schnuppernd im Psalter des Till.

 

 

Rhetorische Histrionen

Einer flötet wie Honig so süß, der andere lümmelt,

Doch vor dem gleichen Trumeau wurden die Reden studiert.

Denk an die Leere des Spiegels, sobald das verlogene Wesen

Dir den redlichen Sinn irrezuführen versucht!

 

 

Ein schuldlos Unwahrer

Launig erlog die Natur und bemalte den stattlichen Golem,

Dann, auf sich selber gestellt, log das Gebilde sich durch;

Was es berührt, wird unwahr, Gold zu gleißendem Tombak,

Kläglich im festlichen Krug macht es zu Wasser den Wein!

Möchte Natura naturans mit solchem Betrieb uns verschonen,

Laufen ja mehr als genug wirkliche Schelme herum!

 

 

Dynamit

Seit ihr die Berge versetzet mit archimedischen Kräften,

Fürcht ich, den Hebel entführt euch ein dämonisch Geschlecht!

Gleich dem bösen Gewissen geht um die verwünschte Patrone,

Jegliches Bübchen verbirgt schielend den Greuel im Sack.

Wahrlich, die Weltvernichtung, sie nahet mit länglichen Schritten,

Und aus dem Nichts wird nichts: herrlich erfüllt sich das Wort!

 

 

Dem Kopf- und Herz-Dogmatiker

Dein schlechtes Fühlen stieg aus deinem Kopf hernieder,

Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder:

Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,

Die träge Magd, das Herz, zu wecken ihn vergißt!

 

 

Ein Goethe-Philister

Den mit trocknen Erbsen angefüllten Schädel

Taucht er jauchzend in des klaren Meeres Wellen,

Das man Goethe nennt; nun schauet achtsam,

Wie die Nähte platzen, wenn die Erbsen schwellen!

 

 

Parteileben

Wer über den Partein sich wähnt mit stolzen Mienen,

Der steht zumeist vielmehr beträchtlich unter ihnen.

 

Trau keinem, der nie Partei genommen

Und immer im trüben ist geschwommen!

Doch wird dir jener auch nicht frommen,

Der nie darüber hinaus will kommen.

 

Fällt einer ab von eurer Schar,

So laßt ihn laufen und richtet nicht;

Doch dem, der zu euch stoßen will

Von dort, dem schauet ins Gesicht!

 

»Was du nicht willst, daß man dir tu,

Das füg auch keinem andern zu!«

Laß die Gesinnung merklich sein,

So ist der halbe Sieg schon dein.

Zu diesem Wort lacht manch ein Schuft,

Der sich auf den Erfolg beruft;

Doch du erlebst, daß er wird wandern,

's trifft eben einen nach dem andern!

 

Halte fest an der Partei, wenn du ein Parteimann bist,

Aber unbewegt verleugne jeden Lügner und Sophist!

 

Betrachtet eurer Gegner Schwächen

Und lernt, am besten euch zu rächen,

Das eigne Unkraut auszustechen!

 

Wenn schlechte Leute zanken, riecht's übel um sie her;

Doch wenn sie sich versöhnen, so stinkt es noch viel mehr!

 

Als Gegner achte, wer es sei!

Strauchdiebe aber sind keine Partei!

 

 

Majorität

Der Mehrheit ist nicht auszuweichen,

Mit Helden- wie mit Schwabenstreichen

Macht sie uns ihre Macht bekannt

Auf Weg und Steg im ganzen Land;

So gebt dem Kind den rechten Namen,

Laßt Ehr und Schuld ihm und sagt Amen!

Und läuft es dann auf schlechten Sohlen,

So wird es schon der Teufel holen!

 

 

Ist zu Ende nun das Kannegießen,

Lasset euch das Trinken nicht verdrießen;

Braucht die Kannen! Ist erst Wein darin,

Wird zum alten auch das neue Zinn!

Aus ihrem Leben:

Dichtung und Wahrheit

 

1

Den Dichter seht, der immerdar erzählt von Lerchensang,

Wie er nun bald ein Dutzend schon gebratner Lerchen schlang!

Bei Sonnenaufgang, als der Tag in Blau und Gold erglüht',

Da war es, daß sein Morgenlied vom Lob der Lerchen klang;

Und nun bei Sonnenuntergang mit seinem Gabelspieß

Er sehnend in die Liederbrust gebratner Lerchen drang!

Das heiß ich die Natur verstehn, allseitig, tief und kühn,

Wenn also auf und nieder sich sein Tag mit Lerchen schwang!

 

 

2

Kennt ihr den Kleinkinderhimmel,

Wo als Gott der Zuckerbäcker

Waltet süß und hoch und herrlich

In den Augen kleiner Schlecker?

 

Und zur Weihnachtszeit, wie flimmert,

Duftet es an allen Wänden!

Welchen Schatz von Seligkeiten

Schüttet er aus mächt'gen Händen!

 

Läßt erblühen Wunderblumen,

Weise streut er die Gewürze;

Schön stehn ihm die hohe, weiße

Zipfelmütze, Wams und Schürze.

 

Doch wonach die guten Kinder

Schmachtend vor dem Laden stehen,

Muß dem Reichen, Allgewalt'gen

Reizlos durch die Hände gehen.

 

Einmal kaum im Jahr genießt er

Aus Zerstreuung in dem Handel

Flüchtig ein gefehltes Törtchen

Und verächtlich eine Mandel.

 

Zipfelmütze, weiße Schürze,

O wie nüchtern glänzet ihr,

Und wie mahnt ihr mich an weißes,

Reinliches Konzeptpapier!

In den Äpfeln

 

Ich kam zu einem Apfelbaum,

In dessen grünen Ästen

Ein krummer Zwerg den frischen Schaum

Der Äpfel sog, der besten.

 

Um einen Apfel bat ich ihn,

Da fing er an zu rütteln

Und toll und wild und her und hin

So Frucht wie Laub zu schütteln.

 

Ich aß, wie ein begier'ger Mann,

Und ließ es mich gelüsten,

Nicht achtend, wie der Zwerg begann

Die Krone zu verwüsten.

 

Da sang ein Vogel: »Iß, du Held!

Du hast den Witz gefunden:

Das Laub, das mit daneben fällt,

Bedeutet deine Stunden!«

 

Da jagt ich Kobold Unverstand

Herunter aus den Zweigen

Und unternahm, mit Fuß und Hand

Bedacht hinanzusteigen.

 

Nun saß ich selber auf dem Baum,

Nach Äpfeln auszuspähen,

Und ich genoß den süßen Schaum,

Die Blätter ließ ich stehen.

 

 

Der falsche Hafisjünger

Ich bet in aller Frühe

Und jeden Abend wieder,

Damit ich fromm erglühe,

Hafisens süße Lieder.

 

Ich murmle sie beständig

Im Pharisäermunde;

Denn sie sind nicht lebendig

Auf meiner Seelen Grunde.

 

Wie einst ich meinem Gotte

Tugend und Treu versprochen

Und täglich ihm zum Spotte

Dennoch das Wort gebrochen,

 

So brech ich jetzo wieder

Das angelobte Streben,

Von Lieb und Wein die Lieder

Auch orthodox zu leben,

 

Indes ich kalt und nüchtern

Und grämlich mich verbittre,

Indes ich blöd und schüchtern

In meinem Herzen zittre.

 

Indes ich mit Bülbülen

Und mit Narzissen prahle,

Sorg einzig ich im stillen,

Wie sich die Zeche zahle.

 

Verfluchtes Buch, das dreimal

Ich schon veräußert habe!

Stets kehrt zurück das Scheusal

Wie eines Teufels Gabe!

 

Und wieder mit Geflüster

Bet ich in dem Breviere

Und hock, wie ein Magister

Bei seinem sauren Biere!

 

So ist zu jeden Zeiten

Die Heuchelei vom Bösen –

Mög uns nach allen Seiten

Der Herr davon erlösen!

 

 

Morgenwache

Nun, da diese alten Herrn

Tief im Rausche sanken,

Oben auch von Stern zu Stern

Morgennebel wanken:

Rücken wir zusammen

Unterm Gartentor,

Jetzt in neuen flammen

Schlägt die Lust empor!

 

Daß der junge Sonnenball,

Rollt er auf den Hügeln,

Sich im funkelnden Kristall

Klärlich kann bespiegeln:

Halten wir entgegen

Becher ihm und Glas!

Fließe, goldner Regen,

Glühe, dunkles Naß!

 

Jungfrau! Geh und sieh mir nach

Rings in allen Gärten,

Ob die Rosen schon sind wach:

Bring die tauverklärten!

Rosen, Rosen bringe!

Rosenduft soll wehn!

Wenn ich trink und singe,

Muß ich Blumen sehn!

 

Horch! Der tiefe Amselschlag

Schallet aus den Gründen;

Treue Wächter soll der Tag

Heiter in uns finden.

Wer wird denn vermissen

Eine kurze Nacht,

Wenn sie sangbeflissen,

Wacker durchgewacht?

 

Tief ist unsrer Freude Born,

Tiefer als das Leiden,

Doch es wacht der helle Zorn

Gleich in ihnen beiden.

Darum lasset rinnen

Letztes Glas und Lied!

Zornig uns von hinnen

Nun die Freude zieht!

 

Und der Lüge schwarzen Molch

Tapfer anzustechen,

Dem gemeinen Höllenstrolch

Kühn das Horn zu brechen:

Ja, die Nas zu finden,

Die uns nicht gefällt,

Ziehn mit allen Winden

Fort wir in die Welt!

 

 

Vermischte Gedichte

 

Denker und Dichter

1

Wohlan, ihr neunmal Weisen!

Ich fordre euch heraus!

Baut ihr von Stein und Eisen

Ein sturmgesichert Haus:

Bau ich aus Blütendüften

Und Mondschein mir ein Schloß,

Drin biete ich euch allen Trutz

Und eurem Schülertroß!

 

Die güldnen Sonnenstrahlen

Sind meine Lanzen scharf,

Die Blumen in den Talen

Sind all mein Schießbedarf;

Die Tannen auf den Bergen

Sind meine Wächtersleut,

Des Himmels Sterne allzumal

Mein glänzend Heer zum Streit.

 

Auf, meine Siegstandarte,

Die ist das Abendrot!

Auf, meine Feldherrnkarte,

Die ist das Morgenrot!

Mein Tambour ist der Donner,

Der durch die Lüfte rollt,

Trompeter ist der wilde Sturm,

Der auf den Meeren grollt.

 

Der Oberstfeldzeugmeister

Ist meine Phantasie,

Und ihre tapfern Geister

Verließen mich noch nie;

Die unerschöpfte Kasse

Der Quellen Silberschaum,

Mein lustig kühles Lagerzelt

Des Waldes grüner Raum.

 

Die Wolken sind Trabanten,

Die meine Stimme ruft,

Und meine Adjutanten

Die Adler in der Luft,

Die fliegen und die spähen

Hinaus in alle Welt;

Mein leicht Gemüt ist Feldmarschall,

Das ist ein guter Held!

 

Ich sende dir entgegen,

O Feind! die Nachtigall,

Die bringt mit ihren Schlägen

Dich alsogleich zu Fall.

Ich lasse auf euch spielen

Mein duftiges Geschütz,

Und euer Eis zerschmelzen muß

An meinem Lanzenblitz!

 

Gott hat zu seinem Zeugen

Geordnet den Gesang;

Der wird nun nimmer schweigen

Die Ewigkeit entlang.

In seinen Zauberwellen

Versinkt der letzte Spott;

Solange noch ein Dichter lebt,

Lebt auch der alte Gott!

 

 

2

Nein! – Zwischen uns soll Friede sein,

Die weiße Fahne steck ich auf,

Daß in geharnischtem Verein

Wir wallen einen Siegeslauf.

Voran, voran, ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Die Dichter aber schreiten nach

Mit klar gestimmten Zithern!

 

Ihr seid die feuerschwangre Kraft,

Vor der der gift'ge Dunst zergeht,

Sprengt den entlaubten Eichenschaft,

Der starr und dürr im Wege steht;

Doch funkelnd aufgezogen

Sind wir der Regenbogen,

Der von der Erd zum Himmel lacht,

Wenn das Gelärm verflogen.

 

Ihr werft die Götzen aus dem Haus

Im Heidentum, im Christentum;

Ihr jätet Dorn und Distel aus

Und pflügt den starren Acker um!

Doch wir auf Lenzesschwingen,

Mit Spielen und mit Singen,

Wir müssen in die Furchen dann

Den neuen Samen bringen.

 

Ihr brecht die Bahn durch finstre Nacht,

Die Fackel in der sichern Hand;

Ihr seid die Vorhut und die Wacht,

Ihr sengt und brennt in Feindesland;

Vor der Posaune Schallen

Ist Jericho gefallen:

Vor eurer Tuba stürzen selbst

Des Himmels höchste Hallen!

 

Dann aber folgt der Sänger Schar,

Die einen neuen Himmel baut,

Darinnen man im Lichttalar

Den alten Gott der Liebe schaut!

Voran, voran, ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Wir ziehen heilend, segnend nach

Mit hell gestimmten Zithern!

Wanderlied

 

Glück auf! nun will ich wandern

Von früh bis abends spät,

So weit auf dieser Erde

Die Sonne mit mir geht!

 

Ich führe nur Stab und Becher,

Mein leichtes Saitengetön;

Ich wundre mich über die Maßen,

Wie's überall so schön!

 

Oft ist die Ebene schöner

Als meine Berge, so hoch!

Und wo kein blauer Himmel,

Gibt's Purpurwolken doch.

 

Und wo kein schmachtender Lotos,

Wächst blühendes Heidekraut;

Wo keine gotischen Dome,

Sind jonische Tempel gebaut.

 

Und bin ich des Griechischen müde,

So lockt mich die Moschee:

Ich kleid in maurische Schnörkel

Mein abendländisches Weh.

 

Das Heimweh nach der Wirtin!

Sie find ich in keinem Haus,

Und nach der einzig einen

Jag ich Welt ein und aus.

 

Hei da, du wilder Jäger,

Du Bauer dort im Kraut,

Hast du, verwegner Schiffer,

Die Wirtin nirgends geschaut?

 

Frau Freiheit heißt die Schönste!

Sie ist von keuschem Blut;

Sie hält sich Wanderschuhe

Und einen Reisehut.

 

Wo kocht sie jetzt die Rüben?

Wo mahlt sie jetzt ihr Korn?

Wo striegelt sie die Knechte?

Wo reutet sie den Dorn?

 

Sie ist eine Melusine:

Wer sie hat und nach ihr fragt,

Dem wandert sie aus dem Hause

Frühmorgens, eh es tagt!

 

 

Überall!

1843

 

Freiheit mit den schwarzen Augen,

Wachst du auf am Tiberstrande?

Freiheit mit den blauen Augen,

Schläfst du noch im deutschen Lande?

Kühne, trikolore Dirne,

Schürze wieder dich zum Tanze!

Weiße Schweizer-Gletscherfirne,

Röte dich im Morgenglanze!

 

Und du, schlanke Nereide,

Tauch aus deinen blauen Wogen!

Hat dich nicht dein falscher Friede,

Arme Hellas, arg betrogen?

Du dann mit dem Todesmute

Und gebrochnem Schwunggefieder:

Weißer Aar im roten Blute,

Rausche wieder, steige wieder!

 

Hebt den Schild, ihr Schutzpatrone

Aller Völker, auf zum Streite!

Flechtet eine Siegeskrone,

Die sich über alle breite!

Streifet ab die alten Sünden,

Denn geläutert und gereinigt

Sollt ihr euch zum Feste finden,

Das nur Würdige vereinigt!

 

 

Die Thronfolger

Hoffnungsblumen, Morgenröten,

Die am dunkeln Himmel blühn!

Und das Volk in seinen Nöten

Schaut erwartungsvoll das Glühn;

Harrt in Demut auf die Sonne,

Die da auferstehen soll,

Und von beßrer Zeiten Wonne

Wird sein leerer Becher voll.

 

Horch! was flüstern diese Massen,

Und was reitet vom Palast

Schwarz ein Herold durch die Gassen,

Rufend mit gedämpfter Hast?

Hört! der König ist gestorben,

Tot der alte Eigensinn!

Hat der Sohn das Reich erworben,

Ist auch unsre Not dahin!

 

Bald verhallt der dumpfe Klang von

Trauerglocken weit herum;

Festdrommeten harren lang schon

Und das treue Publikum:

Heil dem Prinz, der sich gebildet

Lang mit Männern weis und alt!

Heil uns selbst! wir sind geschildet

Gegen Willkür und Gewalt!

 

Morgenjubel ist verklungen,

Wetter hielt sich leidlich gut,

Und die Alten nebst den Jungen

Schlendern heimwärts wohlgemut.

Sieh, da tröpfelt's auf die Nase –

Spute sich, wer laufen mag!

Und dem kurzen Morgenspaße

Folgt ein langer Regentag.

 

 

Frau Rösel

Frau Rösel ist eine gute Frau, wie liebt sie ihren König,

Den König und sein ganzes Haus, und ißt und trinkt so wenig!

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Und als es hieß, der junge Prinz wird seine Braut heimführen,

Da sprach der Vogt: »Auf, gute Frau! Ihr müßt das Haus verzieren!«

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Nun hat Frau Rösel dick zu tun, wie trippelt sie und wie lauft sie!

Ein Dutzend Fähnchen und Goldpapier und junge Birken kauft sie,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Sie geht zu Wald und sammelt Moos, beim Nachbar bettelt sie Schnüre

Und alte Nägel und derlei Zeug, beim Schuster Kleister und Schmiere,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Dann schafft und keucht sie den ganzen Tag und sinnt und klopft und klittert,

Bis daß ihr Häuslein um und um behangen ist und beflittert,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Herr Bunzelmann, der alles kann, hilft ihr studieren und kleben,

Macht Wappen und Kron und Namenszüg, trinkt zwölf Maß Bier daneben

Der guten, armen Frau Rösel.

 

Und aus dem letzten Groschen kauft sie Brot und frische Butter

Und sitzt vergnügt vor ihrem Haus und harrt der Landesmutter,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Doch ist sie müd, sie sitzt und schläft, hört nicht das Schießen und Lärmen,

Und sie entschläft für alle Zeit, es kann sie nichts mehr härmen,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Sie sieht nicht, wie vorüberrollt, als von der Luft getragen,

Im Sonnenschein der Freudenzug der königlichen Wagen,

Die gute, stille Frau Rösel.

 

Denn hinten auf dem hintersten im goldbetreßten Kleide

Ein Jäger stand, der hieß der Tod, und löst sie von dem Leide,

Die gute, arme Frau Rösel.

 

Heut kommt der Vogt herbeigerannt und kratzt sich an den Ohren:

Nun hab die letzte Steuer ich aus eigner Schuld verloren

Am alten Weib, der Rösel!

 

Was soll ich denn dem toten Weib, dem hinterlist'gen, pfänden?

Es bleibt mir nichts als Flitterkram und welkes Laub in Händen!

Das schlechte Weib, die Rösel!

 

Der Künstler auch, Herr Bunzelmann, er kam herbeigehunken:

Gut ist es, daß mein Honorar ich auf der Stell getrunken!

Die gute arme Frau Rösel.

 

Der Kürassier

Ich drückte mich nach Hause in kalter Regennacht,

Da stand er düster schimmernd und lautlos auf der Wacht,

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Er flüstert' leis: »Mich hungert, ein Groschen, Herr, zu Brot!«

Erschrocken blieb ich stehen und wurde für ihn rot,

Den schlanken, den blanken, den schweren Kürassier.

 

Von Stahl der Helm und Harnisch glänzt' wie ein Spiegel klar;

Im Waffenrock von Scharlach, im höchsten Stiefelpaar,

So stand der schlanke, blanke, der schwere Kürassier.

 

Das nackte Schwert im Arme glich eines Cherubs Schwert,

Und einen Rapp im Stalle, mit Hafer wohlgenährt,

Hat auch der schlanke, blanke, der schwere Kürassier.

 

Ei, solch ein Land und Leute, das hab ich nie gesehn,

Wo so kostbare Bettler an Marmortüren stehn!

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier!

 

Ich trau mir kaum zu geben, und schäme mich zu fliehn!

Doch zögernd wag ich endlich, das Beutelchen zu ziehn;

O schlanker, o blanker, du schwerer Kürassier!

 

Und als ich meinen Beutel will teilen mit ihm drauf,

Da rasselt die Karosse herbei im schnellen Lauf.

Auf, schlanker, du blanker, du schwerer Kürassier!

 

Drin saß ein abgeflattert blutlos Agnatenweib;

Der Recke ließ erklirren den starren Riesenleib.

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Verschwunden war der Wagen, ich reckte meine Hand –

Doch wieder klirrt's und glitzert's, wie eine Säule stand

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Vier seinesgleichen kamen mit Sporenschritt heran,

Parole wird gewechselt und abgelöst der Mann,

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Er wend't kein Aug zur Seite und wechselt still den Ort,

In Nacht und Nebel schreitet er mit den andern fort,

Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

 

Was mögen das für Dinge, nachtschattenhafte, sein?

Dacht ich und legt ein Gröschlein furchtsam auf einen Stein

Dem schlanken, dem blanken, dem schweren Kürassier.

 

Vielleicht so kommt er wieder, ich will nach Hause gehn!

Es ist nicht gut den Nachtmahr im fremden Lande sehn,

Den schlanken, den blanken, den Hungerkürassier!

 

 

Auf der Landstraße

Zieht eine arme Pilgerin,

Gebückt und schwach, am dürren Stab

Zur gnadenreichen Jungfrau hin;

Der Rosenkranz rollt auf und ab,

Obwohl er sie nicht hindern kann,

Auch ihres Leibes zu gedenken

Und auf den rüst'gen Wandersmann

Demütig ihren Blick zu lenken.

 

»Mein junger Herr! erbarmet Euch,

Wie Gott Euch mag barmherzig sein!

Er geb Euch einst sein Himmelreich

Und seinen Segen obendrein!« –

»Ich glaube nicht an deinen Gott,

Für den dort deine Kugeln rollen;

Drum schien' es mir ein arger Spott,

Würd ich dir eine Gabe zollen!«

 

Doch fort geht ihrer Rede Lauf:

»Gott segne Euer junges Haupt

Und heb Euch seinen Segen auf,

Bis Ihr allendlich an ihn glaubt!«

Und dankend nimmt sie meinen Sold

Und betet fort auf ihren Wegen;

Ich habe mich davongetrollt

Mit ihrem gut kathol'schen Segen.

 

Bei allen Göttern dieser Welt

Leg ich ein kleines Sümmchen an;

Sagt: wann dereinst der Würfel fällt,

Ob es mir wohl noch fehlen kann?

Und leugnen alle einst die Schuld,

Ich weiß gewiß, es steht mein Lieben

Im goldnen Buch der höchsten Huld

Mir zahlbar dann und gut geschrieben!

 

Ein schrankenloser Leichtsinn soll

In diesem Streit mein Knappe sein;

So leb ich mut- und freudevoll,

Solang nur Herz und Hände rein!

Ich lieb es, so mir halb bewußt

Am jähen Abgrund hinzustreifen,

Und über mir laß ich mit Lust

Das Aug ins grundlos Blaue greifen!

 

 

Die Spinnerin

1

Rinne sanft, du weiche Welle,

Schöner Flachs, durch meine Hände,

Daß ich dich mit stiller Schnelle

Fein zum goldnen Faden wende!

 

Du Begleiter meiner Tage

Wirst nun bald zum Tuch erhoben,

Dem ich alle Lust und Klage

Singend, betend eingewoben.

 

Wie so schwer bist du von Tränen,

Schwer von Märchen und von Träumen,

Wie so schwer vom schwülen Sehnen

Nach des Lebens Myrtenbäumen!

 

Ahnt wohl er, du traute Linne,

Welch geheimnisvolle Dinge,

Welchen Schatz der tiefsten Minne

Ich mit dir ins Haus ihm bringe?

 

Kühler Balsam seinen Wunden

Sollst du werden, mein Gewebe –

Wohl ihm, daß er mich gefunden

Unter dieses Gartens Rebe!

 

Wie durchdringt mich das Bewußtsein,

Daß ich ganz sein Glück soll werden

Und das Kleinod seiner Brust sein

Und sein Himmel auf der Erden!

 

 

2

Nur diesen letzten Rocken

Noch spinnt der Mädchenfleiß,

Dann schmiegt euch, meine Locken,

Dem grünen Myrtenreis!

Ich habe lang gesponnen

Und lange mich gefreut:

Zum Bleichen an der Sonnen

Liegt meine Jugendzeit.

 

Hat er wohl auch das Seine

Mit treuem Mut getan?

Betreten schon die eine,

Des Mannes Ehrenbahn?

Hat innig er begriffen

Die Arbeit seiner Zeit?

Hat er sein Schwert geschliffen,

Zum letzten Kampf bereit?

 

Weh ihm, wenn er nicht rechten

Für unsre Freiheit will!

Weh ihm, wenn er nicht fechten

Für sein Gewissen will!

Dann mag mein Liebster minnen

Nur auf und ab im Land,

Und dies mein bräutlich Linnen

Wird dann ein Grabgewand!

 

 

Am Sarg eines neunzigjährigen Landmanns vom Zürichsee

1846

 

So bist du eine Leiche!

So ist die alte Eiche

Doch endlich abgedorrt!

Es ist ein lang Stück Leben,

Das wir dem Staube geben,

Ein ausgeklungen Gotteswort.

 

Da wir vor zwanzig Jahren

Als Kinder um dich waren,

Standst du schon silberweiß:

Und noch ein Jünglingsleben,

Ein zwanzigjähriges eben,

Trankst du begierig, durst'ger Greis!

 

Des Mittelalters Schwingen

Mit letztem bebendem Klingen

Umfachten die Wiege dir:

Jetzt, voll von Sturmesahnen,

Umrauschen die dunklen Fahnen

Der neuen Welt dein Bahrtuch hier.

 

Darin wir uns vertieften,

Die aberhundert Schriften,

Was uns erfüllt die Brust:

Das zog dir all vorüber,

Dämmernd heran, hinüber,

Du aber hast es nicht gewußt.

 

In jenen fernen Tagen

– Ich hör die Finken schlagen –,

Als durch den grünen Wald

Herr Geßner las im Brockes:

Ins Herz des Eichenstockes

Hat deiner Jugend Axt geschallt.

 

Hast du dem deutschen Sänger,

Dem edlen Schlittschuhgänger,

Den Stahlschuh hier gereicht?

Du hast vor fünfzig Jahren

Den See hinauf gefahren

Den fünfzigjährigen Goethe vielleicht.

 

Vorüber deiner Leiche

Flieht heut der zornesbleiche

Poet den See entlang;

Verschwunden sind die Spuren,

Wo heitre Dichter fuhren,

Und anders tönt des Flüchtlings Sang!

 

Die Scherben stolzer Kronen,

Zwei Revolutionen,

Die haben dich umklirrt;

Erdbeben und Kometen,

Sturmglocken und Schlachtdrommeten

Sind deiner Stirn vorbeigeschwirrt.

 

Der unsre Welt gewendet

Wie seine Hand, geendet

Im Meere still und fern,

Mit seinem ehrnen Tritte

Fiel just er in die Mitte

Des Lebens dir, ein irrer Stern.

 

Du sahst auf deinem Felde

Erstaunt die fremden Zelte,

Die Flucht durch Saatengrün

Und, als sie abgezogen,

Zum alten Sternenbogen

Der Väter Haus in Flammen sprühn.

 

Doch alles ist in trüben

Gebilden dir fremd geblieben,

Ein Rätsel dir und Traum;

Auch die vorüberjagten,

Sowenig nach dir fragten

Als dort nach deinem Apfelbaum.

 

Doch in dir hell erglühte

Das Urlicht und erblühte

Ein grünes Urwaldreis;

Oft sah ich dein Auge scheinen,

Als ob's in heiligen Hainen

Noch ruht' auf der Runensteine Kreis.

 

Du hast den Stier gezwungen,

Du hast das Beil geschwungen,

Daß Birk und Föhre fiel;

Wer diese harte Erde

Mit eiserner Pflugschar kehrte,

Erlernt' auch leicht des Krieges Spiel.

 

Es schliefen geheime Sagen

Von grauen Heidentagen

Auf deines Gemütes Grund;

Du sangst noch hin und wieder

Verschollne Schwänk und Lieder –

Freund Uhland wohl ein guter Fund!

 

Vom Weltend die vier Winde

Durch deiner Heimat Gründe

Sahst wallen du und wehn;

Doch jener nahen Firnen,

Die ragen zu den Gestirnen,

Hast selber den Fuß du nie gesehn.

 

Und dennoch ist's das echte,

Das bleibende Volk, das rechte,

Das auf der Scholl erblaßt,

Auf der es ward geboren!

Das Schifflein geht verloren,

Des Anker diesen Grund nicht faßt.

 

Propheten, lernt euch neigen!

Nicht auf zu euch soll steigen

Der Kronen kalte Pracht:

Hernieder laßt uns dringen,

Demütigen Herzens bringen

Licht in der engsten Hütte Nacht!

 

 

An das Herz

Willst du nicht dich schließen,

Herz, du offnes Haus!

Worin Freund' und Feinde

Gehen ein und aus?

 

Schau, wie sie verletzen

Dir das Hausrecht stets!

Fühllos auf und nieder,

Polternd, lärmend geht's.

 

Keiner putzt die Schuhe,

Keiner sieht sich um,

Staubig brechen alle

Dir ins Heiligtum;

 

Trinken aus den goldnen

Kelchen des Altars,

Schänden Müh und Segen

Dir des ganzen Jahrs;

 

Werfen die Penaten

Wild vom Herde dir,

Pflanzen drauf mit Prahlen

Ihr entfärbt Panier.

 

Und wenn zu verwüsten

Nichts sie finden mehr,

Lassen sie im Scheiden

Dich, mein Herz, so leer!

 

Nein! und wenn nun alles

Still und tot in dir,

Oh, noch halt dich offen,

Offen für und für!

 

Laß die Sonne scheinen

Heiß in dich herein,

Stürme dich durchfahren

Und den Wetterschein!

 

Wenn durch deine Kammern

So die Windsbraut zieht,

Laß dein Glöcklein stürmen,

Schallen Lied um Lied!

 

Denn noch kann's geschehen,

Daß auf irrer Flucht

Eine treue Seele

Bei dir Obdach sucht!

 

 

Revolution

»Es wird schon gehn!« ruft in den Lüften

Die Lerche, die am frühsten wach;

»Es wird schon gehn!« rollt in den Grüften

Ein unterirdisch Wetter nach.

»Es geht!« rauscht es in allen Bäumen,

Und lieblich wie Schalmeienton

»Es geht schon!« hallt es in den Träumen

Der fieberkranken Nation.

 

Die Städte werden reg und munter,

»Es geht!« erschallt's von Haus zu Haus;

Schon steigt der Ruhm in sie hinunter

Und wählt sich seine Kinder aus.

Die Morgensonne ruft: »Erwache,

O Volk, und eile auf den Markt!

Bring auf das Forum deine Sache!

Im Freien nur ein Volk erstarkt!

 

Trag all dein Lieben und dein Hassen

Und Lust und Leid im Sturmesschritt,

Dein schlagend Herz frei durch die Gassen,

Ja bring den ganzen Menschen mit!

Laß strömen all dein Sein und Denken

Und kehr dein Innerstes zu Tag!

Die Kindheit braucht dich nicht zu kränken,

Wenn du ein Kind von gutem Schlag!«

 

Die Morgensonne ruft: »Erwache!«

Klopft unterm Dach am Fenster an;

»Steh auf und schau zu unsrer Sache,

Sie geht, sie geht auf guter Bahn!

Ich lege Gold auf deine Zunge!

Ich lege Feuer in dein Wort!

So mach dich auf, mein lieber Junge,

Und schlag dich zu dem Volke dort!«

 

Er eilt, und es empfängt die Menge

Ihn hoffend auf dem weiten Plan;

Stolz trägt sein Kind des Volks Gedränge

Zur Rednerbühne hoch hinan.

Nun geht ein Leuchten und Gewittern

Aus seinem Mund durch jedes Herz;

Durch goldne Säle weht ein Zittern –

Es wird schon gehn, schon fließt das Erz.

 

Wie eine Braut am Hochzeitstage,

So ist ein Volk, das sich erkennt;

Wie rosenrot vom heißen Schlage,

Vom Liebespuls ihr Antlitz brennt!

Zum ersten Mal wird sie es inne,

Wie schön sie sei, und fühlt es ganz:

So stehet in der Freiheitsminne

Ein Volk mit seinem Siegeskranz.

 

Doch wenn es nicht von Güte strahlet

Wie eine hochbeglückte Braut,

So ist sein Lohn ihm ausgezahlet

Und seine Freiheit fährt ins Kraut.

Ein böses Weib, ein gift'ger Drache

Und böses Volk sind all ein Fluch,

Und traurig spinnt die beste Sache

Sich in ihr graues Leichentuch!

 

 

Des Friedens Ende

Im Zwielicht ruht das Stoppelfeld, Nachsommerlüfte wehn,

Und fliegend über das falbe Land ein Jüngling ist zu sehn;

Sein Kranz ist wie von Tränen schwer, des Jahres letztem Tau,

Verfolgt und zitternd flieht er hin durch Morgendämmergrau.

 

In seines Mantels Seidengrün verbirgt und hüllt er scheu

Des Krieges grimmes Schwert, das er gehütet fromm und treu;

Doch dies zu holen hat sich schon die Zwietracht aufgemacht,

Drum über die Stoppelheide floh das Kind die ganze Nacht.

 

Es sucht des Berges dunkle Schlucht und eilet todesbang

Durch Wurzeln und Gestein hinan den rauschenden Bach entlang,

Und im Geschiebe hört es schon der Göttin wilden Tritt,

Als es, wie ein gehetztes Reh, schnell in das Wasser glitt,

 

Schnell in die Flut, wo ihre Wucht sich von den Felsen schwingt,

Da duckt es unter das Wurzelwerk, vom weißen Gischt umringt;

Sie aber teilt's mit straffem Arm, erglühend vorgebeugt:

»Gib mir das Schwert, du weichlich Kind, in falscher Eh gezeugt!

 

Des Jahres Frucht ist eingebracht und müßig liegt das Feld,

Gesättigt ruht der Bauer aus, der Mäkler zählt sein Geld,

In schweren Trauben reift der Wein und reizt zum Übermut,

Bald jagt er mir im Volk empor das eingeschlafne Blut!

 

Was schaust du mich so flehend an, du süßes Engelherz?

Ich bin das Weh, das mächtiger ist als all dein eitler Schmerz!

Ich bin die Wut und Unvernunft, die wie die Hölle brennt,

Der Dämon, der sich weinend selbst den bösen Willen nennt!

 

Gib her das Schwert!« Und wie der Knauf aus den Gewändern blickt,

Hat blitzesschnell die sehnige Hand der Eris ihn umstrickt;

Sie reißt durch beide Händ dem Kind den Stahl, der lüstern blinkt,

Daß es mit den zerschnittenen lautlos zusammensinkt.

 

Nun steht sie auf des Berges Grat und schlägt den roten Schein

Der Morgensonne mit dem Schwert tief in die Welt hinein.

In wilder Schönheit atmet sie, wie Brandung wogt die Brust,

Und in den Tälern wacht es auf mit dumpfer Todeslust!

 

 

Nikolai

Unabsehbar auf der Steppe lieget nah und lieget ferne

Ohne Ton die Himmelsglocke, sonder Farbe, sonder Sterne.

 

Unaufhörlich Schneegestöber niederweht auf Dorn und Steine,

Deckend in den Wagengleisen bleiche polnische Gebeine.

 

Horch, was sauset im Galoppe wie ein Geisterzug vorüber?

Langgestreckt schwirrt an der Erde eine wilde Jagd hinüber.

 

Mäntel flattern, Reiter flogen, bärt'ge Reiter windgetragen,

Rings umschwebt von ihren Lanzen ohne Räder glitt ein Wagen.

 

Leise zittert noch die Heide; doch dann wird es stille wieder,

Nur der Schnee in weißen Flocken fällt mit stummer Last hernieder.

 

Und ein Rabe sitzt im Dorne, rauscht empor und krächzet heiser

Durch die ausgestorbnen Lüfte: »Russenkaiser! Russenkaiser!«

 

Widerhallt es in den Höhen, und die grauen Lüfte sprechen,

Wie mich dünkt, mit kaltem Hauche: »Wie ein Rohr wird er zerbrechen!«

 

 

Napoleons Adler

Während des Gefallnen Flamme

Im Ozeanos verzischt,

Auf des höchsten Berges Kamme

Sich sein Aar das Aug erfrischt;

Von dem ew'gen Schnee umschauert,

Den die Gemse nie betrat,

Der zerzauste Adler kauert

Einsam auf beeistem Grat:

 

»Daß mir Kiel und Federn stoben,

Teufel, dort bei Waterloo!

Wie hab ich mich schwer erhoben,

Als ich jenen Stümper floh!

Glaubte fast nicht zu erreichen

Hier des alten Berges Bann –

Wieviel Sonnen werden bleichen,

Bis ich wieder steigen kann?«

 

Und er duckt ins Eis sich nieder,

Wärmt das Haupt im matten Strahl,

Reckt und dehnt das Schwunggefieder

Einmal und das andre Mal,

Schläft dann, bis ein schrilles Pfeifen,

Wohlbekannt, ihn jach erweckt –

Und die großen Hügel greifen

Schon die Luft, lang hingestreckt.

 

Bald das alte Nest gefunden

Hat er in der Stadt Paris;

Jahre wieder sind verschwunden,

Seit er dort sich niederließ;

Und ein Weib kraut ihm 's Gefieder,

Und es geht dem Vogel gut;

Glatt und glänzend wird er wieder

Von dem Zuckerbrot in Blut.

 

Wie der Abt im Nonnenkloster

Spielt und treibt er mancherlei;

In der Klau ein Paternoster,

Kost er wie ein Papagei.

So auf goldner Stange sitzet

Unter Zofen fromm der Aar;

Doch sein funkelnd Auge blitzet

Quer durch aller Schranzen Schar.

 

Hört! Da donnert's tief im Äther,

Wie ein Lockruf dumpf ertönt,

Und aus Schutt und Weh und Zeter

Schwingt er sich, des Flugs gewöhnt;

Rückwärts lassend Staub und Trümmer,

Schwindet er im Abendgold:

Zeus, der Vater, hat für immer

Seinen Adler heimgeholt!

 

 

Der Waadtländer Schild

Erinnerung an Ferdinand Flocon1

 

1859

 

An der Brücke zu Lausanne

Hängt der Wappenschild von Waadt,

Darauf »Vaterland und Freiheit«

Froh das Volk geschrieben hat.

Erzgegossen glänzt das Wappen,

In der Sonne strahlt die Schrift;

Also schrieb man in Helvetien,

Und von Eisen war der Stift!

 

Sieh! im regen Brückenwandel

Malet sich ein schönes Bild:

Liebend hebt ein kleines Dirnchen

Seinen Bruder vor den Schild,

Lehrt ihn schreiben jene Worte:

»Freiheit und das Vaterland!«

Und sie führt des Knäbleins Finger

Mit der wenig größern Hand.

 

Und sie lenkt den zarten Finger

Am Metall hinauf, hinab,

An den sonndurchglühten Zeichen,

Die das große Rom uns gab.

Und wie von der Kinder Locken

Gold in Gold zusammenfließt,

Von der Wangen Freudenröte

Ros' an Rose blühend sprießt.

 

Aber auf derselben Brücke

Geht ein einsam fremder Mann,

Wandelt mit ergrautem Haare

Still und kühl in Acht und Bann;

Er gewahrt das Spiel der Kleinen,

Rascher fließt sogleich sein Blut,

Doch um schmerzlich nur zu klagen

Um verlornes höchstes Gut:

 

»Welche Worte seh ich schreiben

Hier die Unschuld und das Glück!

Wehvoll wenden sie mein Sehnen,

Frankenland! zu dir zurück:

Was mir dort in Blut und Greuel,

Im Verrat zusammenbrach,

Lehret hier ein Kind das andre,

Singt der Vogel auf dem Dach!

 

Ist denn euer Himmel blauer,

Schweizer! goldner euer Korn?

Sind denn lautrer eure Brunnen,

Eure Rosen ohne Dorn?

Glück und Unschuld, ach! sie bauen

Wohl allein der Freiheit Reich!

Ob ihr schuldlos seid – nicht weiß ich's –

Doch gesegnet seh ich euch!«

 

 

Fußnoten

1 Französischer Republikaner, 1848 Mitglied der provisorischen Regierung, lebte seit dem Staatsstreich von 1852 im schweizerischen Exil und starb in Lausanne. Er war es, der auf der Brücke die zwei Kinder sah.

 

 

Ein Tagewerk

1

Vom Lager stand ich mit dem Frühlicht auf

Und nahm hinaus ins Freie meinen Lauf,

Wo duftiggrau die Morgendämmrung lag,

Umflorend noch den rosenroten Tag;

Mich einmal satt zu gehn in Busch und Feldern

Vom Morgen früh bis in die späte Nacht,

Und auch ein Lied zu holen in den Wäldern,

Hatt ich zum festen Vorsatz mir gemacht.

 

Rein war der Himmel, bald zum Tag erhellt,

Der volle Lebenspuls schlug durch die Welt;

Die Lüfte wehten und der Vogel sang,

Die Eichen wuchsen und die Quelle sprang.

Die Blumen blühten und die Früchte reiften,

Ein jeglich Gras tat seinen Atemzug;

Die Berge standen und die Wolken schweiften

In gleicher Luft, die meinen Odem trug.

 

Ich schlenderte den lieben Tag entlang,

Im Herzen regte sich der Hochgesang;

Es brach sich Bahn der Wachtel heller Schlag,

Jedoch mein Lied – es rang sich nicht zu Tag.

Der Mittag kam, ich lag an Silberflüssen,

Die Sonne sucht ich in der klaren Flut

Und durfte nicht von Angesicht sie grüßen,

Der ich allein in all dem Drang geruht.

 

Die Sonne sank und ließ die Welt der Ruh,

Die Abendnebel gingen ab und zu;

Ich lag auf Bergeshöhen matt und müd,

Tief in der Brust das ungesungne Lied.

Da nickten, spottend mein, die schwanken Tannen,

Auch höhnend sah das niedre Moos empor

Mit seinen Würmern, die geschäftig spannen,

Und lachend brach das Firmament hervor.

 

Von Osten wehte frisch und voll der Wind:

»Was suchst du hier, du müßig Menschenkind,

Du stumme Pfeife in dem Orgelchor,

Schlemihl, der träumend Raum und Zeit verlor?

Dir ward das Leichteste, das Lied, gegeben,

Das, selbst sich bauend, aus der Kehle bricht;

Du aber legst dein unbeholfen Leben

Wie einen Stein ihm auf den Weg zum Licht!«

 

Sprach so der Wind? O nein, so sprach der Schmerz,

Der mir wie Ketten hing ums dunkle Herz!

Ein fremder Körper ohne Form und Schall,

So, deuchte mir, lag ich im regen All.

Und Luft und Tannen, Berge, Moos und Sterne,

Sie schlangen lächelnd ihren weiten Kranz;

Wie an der Insel sich das Meer, das ferne,

Brach sich an mir ihr friedlich milder Glanz.

 

 

2

Aber ein kleiner goldener Stern

Sang und klang mir in die Ohren:

»Tröste dich nur, dein Lied ist fern,

Fern bei uns und nicht verloren!

 

Findest du nicht oft einen Klang,

Wie zu früh herübergeklungen?

Also hat sich heut dein Sang

Heimlich zu uns hinübergeschwungen!

 

Dort, im donnernden Weltgesang,

Wirst du ein leises Lied erkennen,

Das dir, wie fernester Glockenklang,

Diesen Sommertag wird nennen.

 

Denn die Ewigkeit ist nur

Hin und her ein tönendes Weben;

Vorwärts, rückwärts wird die Spur

Deiner Schritte klingend erbeben,

 

Deiner Schritte durch das All,

Bis, wie eine singende Schlange,

Einst dein Leben den vollen Schall

Findet im Zusammenhange.«

Grillen

 

Die Phantasie tut wie ein Kind,

Das einsam Kränze windet,

Bald lacht und plaudert mit dem Wind,

Bald einen Schwank erfindet

Und wunderliche Märchen spinnt,

Dann innehält und traurig sinnt.

 

Als ich vergangne Mitternacht

In düsterm Sinnen schwebte,

Da hab ich still und bang gedacht:

Wie? wenn ich nicht erlebte

Der nächsten Morgenglocke Schlag?

Wer weiß denn, was geschehen mag!

 

Da schrieb ich einen langen Brief

An alle, die mich lieben;

Was mir im Herzen wacht' und schlief,

Hab ich hineingeschrieben,

Damit beim Scheiden aus der Welt

Mein Soll und Haben sei bestellt.

 

Ich schrieb mein kurzes Leben auf

Mit meinem besten Wissen;

Irrtümer wuchsen mir zu Hauf,

Ich zählte sie beflissen,

Folgt auch des Guten schönrer Spur,

Doch fast war's eine Nachschrift nur!

 

Den Lieblingsdichter legt ich hin,

Daneben aufgeschlagen,

Als wär das Fehlende darin

Für Freunde zu erfragen;

Und den und jenen guten Spruch

Bezeichnet ich in manchem Buch.

 

Darauf verbrannt ich viel Papier

Und räumte in den Schränken,

Stürzt um ein kühnes Trinkgeschirr,

Und auf den Fensterbänken,

Wo ein paar magre Sträucher blühn,

Legt ich gebrochne Knospen hin.

 

Drin ich in Tagen, rauh und mild,

Bald sang, bald wieder greinte:

Ich schuf mein Zimmer so zum Bild,

Wie ich zu sein vermeinte.

So war ich endlich konterfeit

Nach tief geheimster Eitelkeit.

 

Mit grauendem Gedankenspiel

Legt ich mich jetzo nieder;

Doch bald versanken weich im Pfühl,

Schlaftrunken, Haupt und Glieder;

Die Todesphantasie, ein Schaum,

Zerfloß in einen Torentraum.

 

Und dieser auch floh vor dem Tag,

Und ich erschrak, erwachend,

Als ich da schnell besonnen lag,

Das Leben mich umlachend.

Wie war mir wunderlich und fremd

Im angemaßten Leichenhemd!

 

Das Zimmer war voll Sonnenschein

Und von der Drossel Schmettern;

Ein Hagel schlug zum Fenster ein

Von weißen Blütenblättern;

Der Frühlingsschimmer überflog

Den Totenkram, den ich erlog.

 

Und auch der Brief, den ich gemacht,

War glänzend überzogen;

Ich las nun wieder mit Bedacht

Den vollgeschriebnen Bogen;

Am Ende aber, klar und rein,

Stand eine Zeile Sonnenschein:

 

»Du magst noch fürder unentwegt

In dieser Lenzluft hauchen:

Wie jetzt dein Sein sich hebt und regt,

Ist's drüben nicht zu brauchen.

Es bricht kein Herz so arm und klein,

Es muß dem Tod gewachsen sein!

 

Doch baue nicht zu lang darauf!

Gott wird uns Tage senden,

Die mit verdoppelt schnellem Lauf

Die schwerste Arbeit enden,

Wo mancher Geist, der sinnt und schweift,

Im Sturm dem Tod entgegenreift!«

 

 

Bei einer Kindesleiche

Den niemand kommen hört und kommen sieht,

Er hat geweht, der Wind, den Baum geschwungen,

Des Wurzelwerk die Erde überzieht,

In dessen Kron ich dieses Lied gesungen;

Das jüngste Knösplein, gestern dran erblüht,

Hat über Nacht sich leise losgerungen;

Es fiel, und niemand gab wohl weiter acht

Als ich, der mit dem Zufall hielt die Wacht.

 

So bist erlöscht du, lieblich junges Licht,

Das mir erquickend in das Herz gezündet?

Noch sprach zwei Wörtchen deine Zunge nicht,

Doch hat dein Lallen mir soviel verkündet!

Das Sehnen, das die zartsten Bande flicht,

Es hat tiefinnig mich mit dir verbündet;

Ja, vor viel Großem unter dieser Sonnen

Hab ich dich kleinen Nachbar wert gewonnen!

 

Ob ich gen Himmel sah ins blaue Meer,

Ob in dein Aug, es war das gleiche Schauen;

Es leuchtete aus diesen Sternen her

Ursprünglich helles Licht von schönern Auen.

Wie oft senkt ich den Blick, von Mühsal schwer,

Ihn frischend, tief in dies verklärte Blauen!

Wie war das Lachen deines Mundes fein!

Wie echt war unsre Freundschaft, still und rein!

 

Nie hab an deine Zukunft ich gedacht,

War ja die Gegenwart so klar und heiter!

Du hast wie eine Blume mir gelacht,

Nicht dacht ich an gereifte Früchte weiter;

Ob einst vielleicht ein Held in dir erwacht',

Ob du am Fuße bliebst der langen Leiter:

Du lieblich Kind warst in dir selbst vollkommen –

Was sollte dir und mir die Sorge frommen?

 

Zu der du wiederkehrst, grüß mir die Quelle,

Des Lebens Born, doch besser: grüß das Meer,

Das eine Meer des Lebens, dessen Welle

Hoch flutet um die dunkle Klippe her,

Darauf er sitzt, der traurige Geselle,

Der Tod, verlassen, einsam, tränenschwer,

Wenn ihm die Seelen, kaum hier eingefangen,

Laut jubelnd wieder in die See gegangen.

 

 

Schlafwandel

Im afrikanischen Felsental

Marschiert ein Bataillon,

Sich selber fremd, eine braune Schar

Der Fremdenlegion.

Lang ist ihr wildes Lied verhallt

In Sprachen mancherlei;

Stumm glüht der römische Schutt am Weg,

Schlafend ziehn sie vorbei.

 

Unter der Trommel vorgebeugt

Der schlafende Tambour geht,

Es nickt der Kommandant zu Roß,

Von webender Glut umweht;

Es schläft die Truppe, Haupt für Haupt

Unter der Sonne gesenkt,

Von der Gewohnheit Eisenfaust

In Schritt und Tritt gelenkt.

 

Und was sonst in der dunklen Nacht

Das Zelt nur sehen mag,

Tritt unterm offnen Himmelblau

Im Wüstenlicht zu Tag.

Es spielt das schmerzliche Mienenspiel

Unglücklichen Manns, der träumt;

Von Gram und Leid und Bitterkeit

Ist jeglicher Mund umsäumt.

 

Es zuckt die Lippe, es zuckt das Aug,

Auf dürre Wangen quillt

Die unbemeisterte Träne hin,

Vom Sonnenbrand gestillt.

Sie schaun ein reizend Spiegelbild

Vom kühlen Heimatstrand:

Das grüne Kleefeld, rot beblümt,

Den Vater, der einst den Sohn gerühmt,

Verlorenes Jugendland!

 

Ein Schuß – da flattert's weiß heran,

Und schon steht das Karree

Schlagfertig und munter, und keiner sah

Des andern Reu und Weh;

Nur zorniger ist jeder Mann,

Willkommen ihm der Streit;

Doch wie er kam, zerstiebt der Feind,

Wie Traum und Reu so weit!

 

 

Klage der Magd

Nun ist der Lenz gekommen,

Nun blühen alle Wiesen,

Nun herrschen Glanz und Freude

Auf Erden weit und breit;

Nur meine böse Herrin,

Sie keift und zetert immer

Noch wie in der betrübten

Und kalten Winterzeit!

 

Wenn ich am frühen Morgen

Mit aufgewachtem Herzen

Im Garten grab und singe,

Die Welt mir freundlich blickt,

Wirft sie mir aus dem Fenster

Die ungefügen Worte,

Daß rasch in meiner Kehle

Das kleine Lied erstickt.

 

Und wenn mein Vielgeliebter

Am Hag vorüberwandelt

Und ein paar warme Blicke

Mir in die Seele warf,

Höhnt sie am Mittagsmahle,

Daß ich am untern Ende

Das Auge nicht erheben

Und mich nicht rühren darf,

 

Daß hungernd ich, mit Tränen,

Das Essen stehenlassen

Und mich hinweg muß wenden

Voll Scham und voll Verdruß

Und weinend im Verborgnen

Die Rinde harten Brotes

Mit all den harten Reden

Hinunterwürgen muß.

 

Sogar wenn ich am Sonntag

Will in die Kirche gehen

Und mir ein armes Bändchen

Am Hals nicht übel steht,

Vergiftet sie mir neidisch

Mit ungerechtem Tadel

Die wochenmüde Seele,

Das tröstliche Gebet.

 

Mag selber sie nur beten,

Daß ihre eignen Kinder

Nicht einmal dienen müssen,

Wenn ihr das Glück entschwand

Und sie als arme Mutter

Wird um die Häuser schleichen,

Wo jene sind geschlagen

Von böser Herrenhand!

 

 

Alte Weisen

1. Mir glänzen die Augen

Mir glänzen die Augen

Wie der Himmel so klar;

Heran und vorüber,

Du schlanker Husar!

 

Heran und vorüber

Und wieder zurück!

Vielleicht kann's geschehen,

Du findest dein Glück!

 

Was weidet dein Rapp' mir

Den Reseda dort ab?

Soll das nun der Dank sein

Für die Lieb, so ich gab?

 

Was richten deine Sporen

Mein Spinngarn zugrund?

Was hängt mir am Hage

Deine Jacke so bunt?

 

Troll nur dich von hinnen

Auf deinem groben Tier

Und laß meine freudigen

Sternaugen mir!

 

 

2. Die Lor' sitzt im Garten

Die Lor' sitzt im Garten,

Kehrt den Rücken zumal

Und verbirgt mir der Augen

Himmlischen Strahl.

 

Ihr goldbrauner Haarwuchs

Weht über den Zaun;

Den Rotmund, das Weißkinn

Doch läßt sie nicht schaun.

 

Sie lässet erklingen

Ihrer Stimme Getön;

O du boshafte Hexe,

Wie klingt es so schön!

 

 

3. Du milchjunger Knabe

Du milchjunger Knabe,

Wie siehst du mich an?

Was haben deine Augen

Für eine Frage getan?

 

Alle Ratsherrn in der Stadt

Und alle Weisen der Welt

Bleiben stumm auf die Frage,

Die deine Augen gestellt!

 

Ein leeres Schneckhäusel,

Schau, liegt dort im Gras:

Da halte dein Ohr dran,

Drin brümmelt dir was!

 

 

4. Ich fürcht nit Gespenster

Ich fürcht nit Gespenster,

Keine Hexen und Feen,

Und lieb's, in ihre tiefen

Glühaugen zu sehn.

 

Am Wald in dem grünen

Unheimlichen See,

Da wohnet ein Nachtweib,

Das ist weiß wie der Schnee.

 

Es haßt meiner Schönheit

Unschuldige Zier;

Wenn ich spät noch vorbeigeh,

So zankt es mit mir.

 

Jüngst, als ich im Mondschein

Am Waldwasser stand,

Fuhr sie auf ohne Schleier,

Ohne alles Gewand.

 

Es schwammen ihre Glieder

In der taghellen Nacht;

Der Himmel war trunken

Von der höllischen Pracht.

 

Aber ich hab entblößet

Meine lebendige Brust;

Da hat sie mit Schande

Versinken gemußt!

 

 

5. Singt mein Schatz wie ein Fink

Singt mein Schatz wie ein Fink,

Sing ich Nachtigallensang;

Ist mein Liebster ein Luchs,

O so bin ich eine Schlang!

 

O ihr Jungfraun im Land,

Vom Gebirg und über See,

Überlaßt mir den Schönsten,

Sonst tut ihr mir weh!

 

Er soll sich unterwerfen

Zum Ruhm uns und Preis!

Und er soll sich nicht rühren,

Nicht laut und nicht leis!

 

O ihr teuern Gespielen,

Überlaßt mir den stolzen Mann!

Er soll sehn, wie die Liebe

Ein feurig Schwert werden kann!

 

 

6. Tretet ein, hoher Krieger

Tretet ein, hoher Krieger,

Der sein Herz mir ergab!

Legt den purpurnen Mantel

Und die Goldsporen ab!

 

Spannt das Roß in den Pflug,

Meinem Vater zum Gruß!

Die Schabrack mit dem Wappen

Gibt 'nen Teppich meinem Fuß!

 

Euer Schwertgriff muß lassen

Für mich Gold und Stein,

Und die blitzende Klinge

Wird ein Schüreisen sein.

 

Und die schneeweiße Feder

Auf dem blutroten Hut

Ist zu 'nem kühlenden Wedel

In der Sommerzeit gut.

 

Und der Marschalk muß lernen,

Wie man Weizenbrot backt,

Wie man Wurst und Gefüllsel

Um die Weihnachtszeit hackt!

 

Nun befehlt Eure Seele

Dem heiligen Christ!

Euer Leib ist verkauft,

Wo kein Erlösen mehr ist!

 

 

7. Röschen biß den Apfel an

Röschen biß den Apfel an,

Und zu ihrem Schrecken

Brach und blieb ein Perlenzahn

In dem Butzen stecken.

 

Und das gute Kind vergaß

Seine Morgenlieder;

Tränen ohne Unterlaß

Perlten nun hernieder.

 

 

8. Wandl' ich in dem Morgentau

Wandl' ich in dem Morgentau

Durch die dufterfüllte Au,

Muß ich schämen mich so sehr

Vor den Blümlein rings umher!

 

Täublein auf dem Kirchendach,

Fischlein in dem Mühlenbach

Und das Schlänglein still im Kraut,

Alles fühlt und nennt sich Braut.

 

Apfelblüt im lichten Schein

Dünkt sich stolz ein Mütterlein;

Freudig stirbt so früh im Jahr

Schon das Papilionenpaar.

 

Gott, was hab ich denn getan,

Daß ich ohne Lenzgespan,

Ohne einen süßen Kuß

Ungeliebet sterben muß?

 

 

9. Das Köhlerweib ist trunken

Das Köhlerweib ist trunken

Und singt im Wald;

Hört, wie die Stimme gellend

Im Grünen hallt!

 

Sie war die schönste Blume,

Berühmt im Land;

Es warben Reich' und Arme

Um ihre Hand.

 

Sie trat in Gürtelketten

So stolz einher;

Den Bräutigam zu wählen

Fiel ihr zu schwer.

 

Da hat sie überlistet

Der rote Wein –

Wie müssen alle Dinge

Vergänglich sein!

 

Das Köhlerweib ist trunken

Und singt im Wald;

Wie durch die Dämmrung gellend

Ihr Lied erschallt!

10. Das Gärtlein dicht verschlossen

 

Das Gärtlein dicht verschlossen

Hältst wohl du, frommes Kind,

Da diese Heckensprossen

So eng verwachsen sind?

 

Doch blüht die Unschuld immer

Darin, soviel ich seh;

Sonst war es Lilienschimmer,

Nun ist es weißer Schnee!

 

Als hätt der gnadenreichen

Maria reinste Hand

Im Sonnenschein zum Bleichen

Ihr Hemdlein ausgespannt.

 

 

11. Wie glänzt der helle Mond

Wie glänzt der helle Mond so kalt und fern,

Doch ferner schimmert meiner Schönheit Stern!

 

Wohl rauschet weit von mir des Meeres Strand,

Doch weiter hin liegt meiner Jugend Land!

 

Ohn Rad und Deichsel gibt's ein Wägelein,

Drin fahr ich bald zum Paradies hinein.

 

Dort sitzt die Mutter Gottes auf dem Thron,

Auf ihren Knien schläft ihr sel'ger Sohn.

 

Dort sitzt Gott Vater, der den Heil'gen Geist

Aus seiner Hand mit Himmelskörnern speist.

 

In einem Silberschleier sitz ich dann

Und schaue meine weißen Finger an.

 

Sankt Petrus aber gönnt sich keine Ruh,

Hockt vor der Tür und flickt die alten Schuh'.

 

 

12. Alle meine Weisheit

Alle meine Weisheit hing in meinen Haaren,

Und all mein Wissen lag auf meinem roten Mund;

Alle meine Macht saß auf dem wasserklaren,

Ach, auf meiner Augen blauem, blauem Grund!

 

Hundert Schüler hingen an meinem weisen Munde

Und ließen sich von meinen klugen Locken fahn,

Hundert Knechte spähten nach meiner Augen Grunde

Und waren ihrem Winken und Blinken untertan.

 

Nun hängt totenstill das Haar mir armem Weibe,

Wie auf dem Meer ein Segel, wenn keine Luft sich regt,

Und einsam pocht mein Herz in dem verlaßnen Leibe,

Wie eine Kuckucksuhr in leerer Kammer schlägt!

Der Taugenichts

 

Die ersten Veilchen waren schon

Erwacht im stillen Tal;

Ein Bettelpack stellt' seinen Thron

Ins Feld zum ersten Mal.

Der Alte auf dem Rücken lag,

Das Weib, das wusch am See;

Bestaubt und unrein schmolz im Hag

Das letzte Häuflein Schnee.

 

Der Vollmond warf den Silberschein

Dem Bettler in die Hand,

Bestreut' der Frau mit Edelstein

Die Lumpen, die sie wand;

Ein linder West blies in die Glut

Von einem Dorngeflecht,

Drauf kocht' in Bettelmannes Hut

Ein sündengrauer Hecht.

 

Da kam der kleine Betteljung,

Vor Hunger schwach und matt,

Doch glühend in Begeisterung

Vom Streifen durch die Stadt,

Hielt eine Hyazinthe dar

In dunkelblauer Luft;

Dicht drängte sich der Kelchlein Schar,

Und selig war der Duft.

 

Der Vater rief: »Wohl hast du mir

Viel Pfennige gebracht?«

Der Knabe rief: »O sehet hier

Der Blume Zauberpracht!

Ich schlich zum goldnen Gittertor,

Sooft ich ging, zurück,

Bedacht nur, aus dem Wunderflor

Zu stehlen mir dies Glück!

 

O sehet nur, ich werde toll,

Die Glöcklein alle an!

Ihr Duft, so fremd und wundervoll,

Hat mir es angetan!

O schlaget nicht mich armen Wicht,

Laßt euren Stecken ruhn!

Ich will ja nichts, mich hungert nicht,

Ich will's nicht wieder tun!« –

 

»O wehe mir geschlagnem Tropf!«

Brach nun der Alte aus,

»Mein Kind kommt mit verrücktem Kopf

Anstatt mit Brot nach Haus!

Du Taugenichts, du Tagedieb

Und deiner Eltern Schmach!«

Und rüstig langt' er Hieb auf Hieb

Dem armen Jungen nach.

 

Im Zorn fraß er den Hecht, noch eh

Der gar gesotten war,

Schmiß weit die Gräte in den See

Und stülpt' den Filz aufs Haar.

Die Mutter schmält' mit sanftem Wort

Den mißgeratnen Sohn,

Der warf die Blume zitternd fort

Und hinkte still davon.

 

Es perlte seiner Tränen Fluß,

Er legte sich ins Gras

Und zog aus seinem wunden Fuß

Ein Stücklein scharfes Glas.

Der Gott der Taugenichtse rief

Der guten Nachtigall,

Daß sie dem Kind ein Liedchen pfiff

Zum Schlaf mit süßem Schall.

 

 

Waldfrevel

Seht den Schuft am Waldessaum

Mit gewandten Sprüngen fliegend,

Einen jungen Eschenbaum

Auf den breiten Schultern wiegend!

Hat die Axt, die er gestohlen,

Vornen in den Stamm geschwungen,

Weit noch hinter seinen Sohlen

Kommt der Wipfel nachgesprungen.

Wie er heimlich lacht und singt,

Daß das Herz im Leibe springt!

 

Und die Dirne kommt daher

Mit geschnittnen Weidenruten;

Von der Last, die drückend schwer,

Stehn die Wangen ihr in Gluten.

Und der Bursche wirft die schwere

Bürde beider in den Graben;

Beide springen nach, als wäre

Dort ein Nest voll Glück zu haben.

 

Wo ein kleiner Freudenquell

Tief im Erlengrunde fließet

Und die Silberadern hell

Durch das samtne Moos ergießet,

Wirft der schlanke Dieb sich nieder

Mit der Dirn im braunen Arm,

Löst ihr hastig Tuch und Mieder,

Und er flüstert liebewarm,

Daß sein brennend Herz erklingt,

Wie die Nuß im Feuer singt:

 

»Schätzchen, o du kommst mir just,

Daß ich meine Schätze grabe,

Wieder einmal meine Lust

Am verborgnen Reichtum habe!

Zeig mir der Korallen Schein

An dem frischen roten Munde,

Gib mir schnell mein Elfenbein,

All das feingedrehte runde!«

Wie der Has im Kohle springt

Ihm das Herz und singt und klingt!

 

»Laß mich wägen all mein Gold,

Deines Haares schwere Güsse!

Laß mich zählen meinen Sold,

Zähle mir ein Hundert Küsse

Blank und bar auf meine Lippen,

Weil uns kein Verräter lauschet!

Laß mich von dem Weine nippen,

Der mich armen Schelm berauschet!

 

Nun verhüll die Herrlichkeit

Mit den Lumpen, mit den Fetzen,

Daß kein Auge ungeweiht

Spähen kann nach meinen Schätzen!

Dieses Tuch um deine Haare

Dreimal, viermal sorglich winde,

Daß die goldne Schimmerware

Ja kein Strahl der Sonne finde!«

 

Gleich ist drauf die Dirn davon

Durch den dunklen Wald gesprungen;

Wieder hat der Bursche schon

Seinen Eschenbaum geschwungen.

Wie die Beine rasch ihn tragen

Mit dem langen schwanken Raube!

Einen grünen Siegeswagen,

Schleift die Kron er nach im Staube.

Wie die Grill im Grase springt

Ihm das Herz und singt und klingt!

 

 

Der alte Bettler

Nun legst du, alte wettermüde Föhre,

Den allerletzten Jahresring dir an,

Da ich im Walde schon rumoren höre

Mit seiner Axt den grauen Zimmermann.

Er wird sowenig deinen Kopf begnaden,

Als jemand über mein Verschwinden klagt;

Dem armen Schelm und einem alten Schaden

Nur wird des Alters Ehrenzoll versagt!

 

Sei's immerhin! ich liebe drum nicht minder

Dies alte Land, mein gutes Vaterland,

Und segne seine lebensfrohen Kinder

Mit der verworfnen toten Bettlerhand!

Ich segne euch, o Strom, Gebirg und Auen,

Die ihr im Lichte heiter vor mir schwimmt!

Ein Reichtum ist dies selig klare Schauen,

Den meinem Aug nicht Vogt noch Richter nimmt!

 

Als meine Brüder einst vor vierzig Jahren

Das schiefe, morsche Vaterhaus verkauft,

Um nach der fernen Neuen Welt zu fahren,

Wo man sich mit der alten Erde rauft,

Da bin ich ganz allein zurückgeblieben,

Bald war ich um mein kleines Erb geprellt;

Weiß nicht, wie weit sie drüben es getrieben:

Ich wurd ein Hauptmann in der Bettler Welt!

 

Denn weder Not noch Mühsal konnten scheiden

Mich von den Marken meines Vaterlands –

Wer will mich zwingen, seinen Schoß zu meiden,

Zu missen seiner Ströme blauen Glanz?

Hier will ich wandeln, wo ich bin geboren,

Und sei's auch in zerrißnen Bettlerschuhn!

Ging drob die Bürgerehre mir verloren,

Ich will und muß bei meinen Vätern ruhn!

 

Dich sollt ich fliehen, trautes Netz der Wege,

Daran auch ich mit fleiß'gen Füßen spann,

Und dich, Gebirg, wo ich des Abgrunds Stege

Fast mit verbundnem Aug beschreiten kann?

Wo ich den Fuchs und seinen Vater kenne

Und jeden Stamm im dunklen Forst gezählt

Und jede Trift bei ihrem Namen nenne –

Den Boden, wo mir nie ein Tritt gefehlt?

 

O gute Scholle meiner Heimaterde,

Wie kriech ich gern in deinen warmen Schoß!

Mir ahnet schon, wie sanft ich ruhen werde,

Vom Kaun des Brots und allem Irrsal los!

Wie will ich meine müden Beine strecken,

Wegwerfend meines Elends dürren Stab,

Wie langhin mich von West nach Osten recken,

Als läg ich stolz in eines Königs Grab!

 

Doch spinnt sich weiter meiner Seele Leben,

So möge sie im leichten Nebelkleid,

So leicht wie Luft, dies laute Volk umschweben,

Noch immer treu in Freude, Zorn und Leid!

Möcht meine Seligkeit darin bestehen,

Einst seines letzten Bettlers Geist zu sein,

Zufrieden, still und müßig umzugehen

In seines Glückes hellem Sonnenschein!

 

 

Der Schöngeist

»O welch ein Duften, Rosalinde!

Im blütenüberfüllten Tal!

Durch das Gewölk, zerstreut vom Winde,

Bricht brennendrot der Abendstrahl;

Wie Feuer fließt der Frühlingsregen,

Wie Feuer rollt es auf den Wegen

Und trieft's von jedem Zweig zumal!

 

Und siehst du dort die Gruppe ragen,

Am Kreuzweg, finster in die Glut,

In sich geschart, wie stumme Klagen,

Die malerische Lumpenbrut?

Ein volles Bild ist hier errichtet,

Ein jeder Zug ist wie gedichtet –

Heut sind uns, traun! die Musen gut!

 

Gib Stift und Mappe, daß die rasche,

Die kecke Dilettantenhand

Die Perle dieses Bildes hasche,

Das ich so unverhofft hier fand!

Zu schöner Stunden heitrem Schauen,

Gemüt und Augen zu erbauen,

Sei es für immer festgebannt.

 

Siehst du, o teure Rosalinde!

Den bärt'gen Mann mit breitem Hut,

An dem die Mutter mit dem Kinde

– Madonnenurbild! – säugend ruht?

Es ragt das dunkle Haupt des Gatten,

In sich gekehrt, im braunen Schatten,

Das ihre schwimmt in Purpurglut.

 

Jedoch, daß von der ebnen Erde

Das Bild gerundet auf sich schwingt,

Siehst du der Kinder scheue Herde,

Wie sie der Eltern Knie umringt;

Und düster, stumm, wie erzgegossen,

Von Licht und Regen überflossen

Es glänzend in die Augen springt.

 

Welch einen Adel haucht das Ganze,

Stolz wie ein ehern Königsgrab!

Wie thront in seines Jammers Glanze

Der Mann mit seinem Wanderstab!

Dank dir, o freundlichste der Musen,

Die ein empfänglich Herz im Busen,

Den Sinn für ewig Schönes gab!«

 

Da sind, im Tau des Grames schwimmend,

In dem der Abendstrahl sich bricht,

Ein großes Sternbild, dunkel glimmend,

Die Augen jener aufgericht;

Sie starren wundernd nach dem Bogen,

Von dem ihr Konterfei, gezogen

Von weißer Hand, schon deutlich spricht.

 

Und hoch aus seines Elends Mitte

Hub sich der arme Mann empor,

Und langsam trugen müde Schritte

Die finstere Gestalt hervor;

Es schlossen fest sich seine Zähne:

Im Aug der Kränkung bittre Träne,

Im Antlitz dunklen Zornes Flor,

 

Stand er vor den Empfindungsvollen,

Die im verglühnden Abendrot

Erbleichten ob dem dumpfen Grollen

Der furchtbar nahen Menschennot:

»Soll ich das sein? o sprich, du Fratze!

Soll meiner spotten dies Gekratze?«

Und trat das Bild tief in den Kot.

 

»Verdammt sei eurer Seelen Kälte,

Die mit den Blicken, spitz wie Stahl,

Herschleichend unterm Himmelszelte,

Betasten unsre nackte Qual!«

Er schwang der Armut langen Stecken –

Samt Rosalinden floh voll Schrecken

Der Schöngeist aus dem Blütental!

 

 

Wanderbilder

1852

 

1. Am Tegelsee

Es glänzt ein stilles weißes Haus

Aus stillen grünen Kronen;

Auf seinen Warten ruhen aus

Die Winde aller Zonen.

 

Auf ihrem Hauch ein edler Klang

Hat sich hinausgeschwungen;

Von Meer zu Meer grüßt ihn Gesang,

Gesang in allen Zungen.

 

Im Hause sind Gemach und Saal

Gefüllt von Glanzgestalten,

Die in vergangner Tage Strahl

Die stumme Wache halten.

 

Die Marmorlippen scheinen sich

Just aufzutun wie Blüten,

Erhobne Hände feierlich

Ein heilig Gut zu hüten.

 

Laß hinter dir, was trüb und wild,

Der du dies Haus betreten;

Denn zu der Hoffnung reinem Bild

Darfst du gefaßt hier beten!

 

Trittst du hinaus, den Föhrensaum

Sieh ernst den See umgeben!

In seinen Wipfeln rauscht der Traum

Vom ferneblauen Leben.

 

Und auf dem Walde wandeln sacht

Die weißen Wolkenfrauen,

Die in der Flut kristallner Nacht

Ihr klares Bild beschauen.

 

In leisrem Blau die Sonne schweift,

Ihr eigner Schein ist blasser,

Von feuchter Reiherschwinge träuft

Er perlengleich ins Wasser.

 

Fühlst nach der Heimat du das Weh,

O Fremdling, dich durchschauern,

Fahr auf dem nord'schen Geistersee,

Hier ist es schön zu trauern!

 

 

2. In einem Lustwalde

Ich bin ein Fremder hier zu Lande,

Wo Krongewalt herrscht allerwärts,

Mich binden nicht die starren Bande,

Doch dieser Hain erfreut mein Herz!

 

Um dieses grünen Lebens willen,

Um dieser Weiher sanfte Flut,

Um diese ruhgewiegten stillen

Baumwipfel in der Abendglut,

 

Um diesen milden tiefen Frieden,

Den mir ein braver Toter beut,

Sei ihm ein voller Dank beschieden

Des Herzens, das sein Werk erfreut!

 

 

3. Sonntags

Lässig bald und wieder schneller

Greifend in den blauen Himmel,

Dreht sich eine graue Mühle

Dort am schweigenden Totenhain.

 

Drüben glänzt des Königs Kuppel,

Still ist's auch in jener Gegend;

Schmollend läßt er Gras ergrünen

Vor dem riesigen Burgportal.

 

Aus den Toren summt und brummt es,

Und das Weichbild schwirrt von Geigen;

Fernhin watet in dem Sande

Staubaufregendes Volk Berlins.

 

Aber auf dem trägen Flusse

Fahren stille Wendenschiffe;

Durch die Wipfel in die Ferne

Golden sonnige Segel ziehn.

 

 

4. Berliner Pfingsten

Heute sah ich ein Gesicht,

Freudevoll zu deuten:

In dem frühen Pfingstenlicht

Und beim Glockenläuten

Schritten Weiber drei einher,

Feierlich im Gange,

Wäscherinnen fest und schwer!

Jede trug 'ne Stange.

 

Mädchensommerkleider drei

Flaggten von den Stangen,

Schönre Fahnen, stolz und frei,

Als je Krieger schwangen;

Frisch gewaschen und gesteift,

Tadellos gebügelt,

Blau und weiß und rot gestreift,

Wunderbar geflügelt!

 

Lustig blies der Wind, der Schuft,

Falbeln auf und Büste,

Und mit frischer Morgenluft

Füllten sich die Brüste;

Und ich sang, als ich gesehn

Ferne sie entschweben:

Auf und laßt die Fahnen wehn,

Lustig ist das Leben!

 

 

5. Weihnachtsmarkt

Welch lustiger Wald um das graue Schloß

Hat sich zusammengefunden,

Ein grünes bewegliches Nadelgehölz,

Von keiner Wurzel gebunden!

 

Anstatt der warmen Sonne scheint

Das Rauschgold durch die Wipfel;

Hier backt man Kuchen, dort brät man Wurst,

Das Räuchlein zieht um die Gipfel.

 

Es ist ein fröhliches Leben im Wald,

Das Volk erfüllet die Räume;

Die nie mit Tränen ein Reis gepflanzt,

Die fällen am frohsten die Bäume.

 

Der eine kauft ein bescheidnes Gewächs

Zu überreichen Geschenken,

Der andre einen gewaltigen Strauch,

Drei Nüsse daran zu henken.

 

Dort feilscht um ein winziges Kieferlein

Ein Weib mit scharfen Waffen;

Der dünne Silberling soll zugleich

Den Baum und die Früchte verschaffen.

 

Mit rosiger Nase schleppt der Lakai

Die schwere Tanne von hinnen;

Das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,

Zu ersteigen die grünen Zinnen.

 

Und kommt die Nacht, so singt der Wald

Und wiegt sich im Gaslichtscheine;

Bang führt die ärmste Mutter ihr Kind

Vorüber dem Zauberhaine.

 

Einst sah ich einen Weihnachtsbaum:

Im düstern Bergesbanne

Stand reifbezuckert auf dem Grat

Die alte Wettertanne.

 

Und zwischen den Ästen waren schön

Die Sterne aufgegangen;

Am untersten Ast sah man entsetzt

Die alte Wendel hangen.

 

Hell schien der Mond ihr ins Gesicht,

Das festlich still verkläret;

Weil auf der Welt sie nichts besaß,

Hatt sie sich selbst bescheret.

 

 

6. Polkakirche

Wie nach dem Rezept geschaffen,

Fein und niedlich ist der Tempel,

Angemeßnen jungen Leuten

Ein erbaulich Bauexempel!

 

Byzantinisch jede Fuge,

Bogen, Bögelchen und Kehlen;

Nur die phantasiegebornen

Alten Fratzenbilder fehlen.

 

Durch die byzantin'schen Pförtchen

Rauscht es leis in Samt und Seiden;

Drinnen glitzert's fromm und geistreich

Wie zu der Komnenen Zeiten.

 

Hofhistoriographen lispeln

Mit ergrauten Paladinen;

Nach den Mosaiken blicken

Kammerherrn mit Betermienen.

 

Und die Kanzel mit dem glatten

Superintendent garnieret –

Ja, den Glaspalast zu London

Hätte dieses Werk gezieret!

7. Biermamsell

 

Dein Witz geht an, o Schöne mein,

Noch eher als dein bayrisch Bier!

Jedoch noch besser leuchtet mir

Das Blaue deiner Augen ein!

 

Und besser als dies Flackerlicht

Noch dünket mich dein schmal Gesicht,

Die runde Schulter, die zierliche Brust

Und deiner Hüften schlanke Lust.

 

An deiner schwarzen Seidentracht

Ist jedes Fältchen wohlgemacht;

Und immer nobel, witzig nur

Verfolgst du deine dunkle Spur.

 

Bist nie gemein und schimpfest nicht,

Wenn dir ein Gast die Treue bricht,

Ein Marquis Posa, wie gemalt,

Die sieben Seidel nicht bezahlt.

 

Du siehst nur intressanter aus,

Kaum zittern leis Manschett und Kraus;

So edelbleich und schmerzenreich

Siehst du Marien Stuart gleich.

 

Getrost nur wandle deine Bahn!

Ich kenne manchen ernsten Mann,

Des Seelenstaat und Wortgeschmeid

Mahnt an dein seidnes Rauschekleid.

 

Er strebt und ringt und peroriert,

Wird edelbleich, wenn er verliert;

Um was sich's handelt, scheint es mir,

Ist mehr nicht als ein Seidel Bier!

 

 

In fremden Landen

 

An des Heimatflusses Borden,

Wo die Linden überhangen,

Bin ich manches Mal gegangen,

Wenn die Erde jung geworden

Und den Frühlingsmantel wob,

Wenn die Wasser voller klangen

Und bis vor die Füße drangen,

Daß der Pfad sich schwellend hob.

 

Wenn die Welle singend flieht,

Ist's, als höre man Geschichten,

Was im Oberland geschieht,

Weit ins Niederland berichten;

Und so man stromaufwärts sieht,

Will es scheinen, daß das ganze

Innre Land im Firnenglanze

Auf der Flut herunterzieht.

 

Ausgespannte Netze schimmern

Zwischen blütenweißen Bäumen,

Perlend in der Sonne flimmern

Sie von feuchten Wasserschäumen;

Und ein Knäblein schläft im Kahn,

Schaukelnd sich in jungen Träumen;

Ohne Hast und ohne Säumen

Schafft der Vater nebenan.

 

Ja, mit ruhig festem Schritte

Schreiten dort die Männer hin;

Schlicht bescheiden ist die Sitte,

Ernst bewegt der freie Sinn.

Und in ihrer sichern Mitte

Wuchsen Recht und Freiheit auf;

Das Gesetz schirmt Haus und Hütte,

Jeden Herd ein Büchsenlauf.

 

Hier, an diesem fremden Strand,

Wachsen Weine stark und süß,

Und es gleicht das üppige Land

Wohl auch einem Paradies;

Aber dumpf und ungewiß

Sind die Herzen und die Blicke,

Und verworrene Geschicke

Walten in der Finsternis.

 

 

Die kleine Passion

Der sonnige Duft, Septemberluft,

Sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch,

Das suchte sich die Ruhegruft

Und fern vom Wald sein Leichentuch.

Vier Flügelein von Seiden fein

Trug's auf dem Rücken zart,

Drin man in Regenbogenschein

Spielendes Licht gewahrt'.

Hellgrün das schlanke Leibchen war,

Hellgrün der Füßchen dreifach Paar,

Und auf dem Köpfchen wundersam

Saß ein Federbüschchen stramm;

Die Äuglein wie ein goldnes Erz

Glänzten mir in das tiefste Herz.

Dies zierliche und manierliche Wesen

Hatt sich zu Gruft und Leichentuch

Das glänzende Papier erlesen,

Darin ich las, ein dichterliches Buch.

So ließ den Band ich aufgeschlagen

Und sah erstaunt dem Sterben zu,

Wie langsam, langsam ohne Klagen

Das Tierlein kam zu seiner Ruh.

Drei Tage ging es müd und matt

Umher auf dem Papiere;

Die Flügelein von Seide fein,

Sie glänzten alle viere.

Am vierten Tage stand es still

Gerade auf dem Wörtlein »will!«

Gar tapfer stand's auf selbem Raum,

Hob je ein Füßchen wie im Traum;

Am fünften Tage legt' es sich,

Doch noch am sechsten regt' es sich;

Am siebten endlich siegt' der Tod,

Da war zu Ende seine Not.

Nun ruht im Buch sein leicht Gebein.

Mög uns sein Frieden eigen sein!

 

 

Krötensage

Des Berges alte Wangen sind

Von Maiensonne beschienen;

Sie lächeln unter Quellenglanz,

Die Schilfe, die Farren ergrünen.

 

Die Kröte springt aus dem Kieselstein,

Ein Hirt hat ihn zerschlagen;

Sie schaut verdrossen die Scherben an,

Und sie beginnt zu sagen:

 

»Viel tausend Jahre bin ich alt

Samt diesem Futterale!

Es schob vom hohen Felsgebirg

Allmählich mit mir zu Tale.

 

Doch manchmal in der Wasser Sturz

Sind wir gewaltig gesprungen;

Dann hat's um meine dunkle Klausur

Gesungen und geklungen.

 

Und wie mir ist – ich weiß es nicht,

Noch was ich getrieben indessen;

Ich hab im mindesten nichts gelernt

Und hatte nicht viel zu vergessen.

 

Ein warmer Regen, ein grünes Kraut

Nur konnten mir behagen;

Sie liegen mir fort und fort im Sinn

Aus fernen Jugendtagen.

 

So hab ich ein langweilig Stück

Unsterblichkeit erworben;

Hätt ich getrunken lebendige Luft,

Längst wär ich vernünftig gestorben.«

 

 

David

Der Ölbaum wuchs in dichten Hainen,

An klaren Bächen wucherte die Rose,

Allwo die Wiege stand des Kleinen,

Gleich einem Taubennest im grünen Moose.

Er spielte noch im bunten Knabenkleide

Und füllte dienend seiner Brüder Krug,

Als er zu seines Stammes Freude

Schon meisterlich die Harfe schlug.

 

Mit Wein und Brot kam er gegangen,

Sein Auge strahlt' in kindlichem Vergnügen;

Er fand sein Volk mit Spieß und Stangen,

Doch zag und ratlos vor dem Feinde liegen.

Der große Hans Narr warf dort Bein und Arme

Mit tollem Prahlen in die Luft empor,

Daß rasch dem Heldenkind das warme

Zornrosenblut im Herzen gor.

 

Des Königs Waffenlast verschmähend,

Trat er hervor, mit Gott allein im Bunde,

Und einen weißen Stein erspähend

Aus eines Bächleins hellem Silbergrunde,

Tat er den Wurf; des Riesen Stirne klaffte,

Es war aus blauer Luft des Blitzes Schlag!

Wie lacht' er schön, als der Erschlaffte

Hauptlos zu seinen Füßen lag!

 

Der Dank, den David hat empfangen,

Steht in den alten Schwarten aufgeschrieben;

Nach seinem Tod ein schwarz Verlangen,

In Not und Irrsal wurd er umgetrieben.

Das Angesicht zum Herren aufgewendet,

Sang er des Grames Lied ohn Unterlaß;

Doch hat das Spiel noch gut geendet,

Als auf dem Thron der Feldhirt saß.

 

 

Parteigänger

Gefallen sind die Hiebe,

Verflogen Staub und Rauch,

Und süße Bruderliebe

Blüht wieder an jedem Strauch!

Hin ist so mancher Brave,

Und blökend ziehn die Schafe

Zum Pferch nach altem Brauch.

 

Nun singt in allen Pfannen

Der fette Siegesbrei;

So reit ich denn von dannen,

Die Straßen sind ja frei!

Und winkt ein Schank an Wegen,

Will ich hinein mich legen

Und sehn, was Ruhen sei!

 

Ich bin als heißer Zecher

Auf einen Trunk erpicht;

Doch füllen meinen Becher

Wohl Tränen Christi nicht –

Ich trink nur herbe Reben

Und laß im Herben leben

Mein Schätzel derb und schlicht!

 

Ich bin ein wilder Reiter,

Auch beißt und schlägt mein Gaul;

Ich bin ein grober Streiter

Und führ ein grobes Maul;

Und sind auch allerwegen

Mir rostig Schild und Degen –

Drein schlag ich drum nicht faul!

 

Und ist der Streit geendet

Und ist die Tat getan,

Mag ich, wie's auch sich wendet,

Doch keinen Lohn empfahn!

Will nicht im Rate tagen,

Will Ketten nicht und Kragen,

Die stehen mir nicht an.

 

So sitz ich in der Schenke

Zur braunen Distel wert,

Weil draußen an der Tränke

Gesattelt steht das Pferd;

Ich lach der neuen Herren,

Die an der Beute zerren,

Und lockre still mein Schwert.

 

 

Im Meer

Der Himmel hängt wie Blei so schwer

Dicht auf dem wildempörten Meer;

Ein englisch Segel, fast die Quer,

Schießt wie ein Pfeil darüber her.

 

Ein Messer, so das Meer sich schliff,

Da starrt ein scharfes Felsenriff

Und schlitzt das Engelländerschiff;

Das Meer tut einen guten Griff.

 

Viel tausend Bibeln sind die Fracht,

Die sinken in die Wassernacht;

Schon hat in blanker Schuppentracht

Das Seevolk sich herbeigemacht.

 

Da wimmelt es von Lurch und Fisch,

Sie sitzen am Korallentisch,

Her schießt der Leviathan risch:

Was ist das für ein Flederwisch?

 

Die Seeschlang als die Königin

Kommt auch und blättert her und hin,

Sie putzt die Brill und liest darin

Verkehrt und findet keinen Sinn.

 

Sie ziehn den Steuermann empor

Und halten ihm die Bibel vor;

Doch der zu schweigen sich verschwor –

Das Meer durchbraust sein taubes Ohr.

 

 

Mönchspredigt

Es schlägt ein Mönch aufs Kanzelbrett

Und macht gar schlimme Witze;

Sein Hals ist kurz, der Atem fett,

Sein Wort voll roter Hitze.

 

Er endet just, mit glühndem Hauch

Die Hölle heiß zu schildern;

»Gott selber«, schreit er, »wollt er auch,

Kann jene Qual nicht mildern!

 

Gott schloß der Hölle schwarz Portal

Und hat den Schlüssel verloren!

Solange Gott lebt, lebt die Qual,

Das ist euch zugeschworen!«

 

Er rief's; der böse Schwaden steigt

Aus seinen Eingeweiden;

Still rührt der Schlag – der Lästrer schweigt

Und endet ohne Leiden.

 

Ihr Christenleute, zittert nicht

Ob seinen wilden Scherzen!

Die Qual ist aus, die Hölle bricht,

Sie brach mit seinem Herzen!

 

Uns ist auf seiner fahlen Stirn

Ein guter Trost erworben:

Der böse Gott in seinem Hirn

Ist still mit ihm verdorben!

 

 

Tafelgüter

Herr Stoßenwolf von Gevaudan,

Der Bischof, sitzt bei Tische;

Er bietet seinen Gästen an

Die allerschönsten Fische.

 

Das Haupt des Ebers stellt sich dar,

Untadelig geraten;

Dann aber folgen, Paar auf Paar,

Absonderliche Braten.

 

Zwei Hasen kommen ohne Kopf

Auf Silber angefahren,

Marmotten sind im güldnen Topf,

Doch schwanzlos zu gewahren.

 

Dem Birkhuhn fehlt ein Flügel hier,

Ein Schenkel dort dem Hahne:

Mit arg zerzauster Federzier

Schaun traurig die Fasane.

 

Dem jungen Reh ist das Genick

Verdreht und ganz zerschmissen

Und, wie mit Klaun, ein gutes Stück

Vom Ziemer weggerissen.

 

Doch alles ist mit feiner Kunst

Bereitet nach der Sitte;

Der König Heinrich schlürft den Dunst,

Vom Frankenreich der Dritte.

 

Er schlürft und ißt sich schweigend satt;

Doch als er nun gegessen,

Ruft er: »Ich glaub, der Teufel hat

Vor uns zu Tisch gesessen!«

 

Der Bischof lacht: »Vergebung, Sire!

So schlimm ist's nicht beschaffen!

Nur meine Jäger naschen mir

Von allem, was sie raffen!

 

Die Adler sind's im Bergrevier;

An jenen Felsenkronen

Hängt Horst an Horst, wo dienstbar mir

Die wilden Vögel wohnen.

 

Bei jedem Nest klebt an der Wand

In Ritzen still ein Bauer,

Mit einem Knüppel in der Hand,

Und hält sich auf der Lauer.

 

Ist dann das Wildbret eingetan

Vom alten Adlerpaare,

So macht sich jener flugs daran,

Sobald nur fort die Aare.

 

Er kapert von dem blut'gen Stein

Das Beste mir zuhanden;

Zuweilen fällt ein Bäuerlein

Sich freilich auch zuschanden.

 

Damit die Brut nicht flügge wird,

Schließt man sie fest am Felsen,

Bis sich ein neu Geschlecht gebiert

Mit nackten Hungerhälsen

 

Und rastlos fliegen ab und zu

Die Alten um die Nahrung.

So üben wir in aller Ruh

Des Nutzens kluge Wahrung.«

 

Da schreit der König Sausewind

Und schlägt sich an die Hüften:

»Hie zeigt es sich, was Pfaffen sind!

Wir schinden nur das Menschenkind,

Doch sie den Aar in Lüften!«

 

 

Tod und Dichter

Tod

 

Deiner bunten Blasen Kinderfreude

Hängt und bricht an meiner Sensenschneide,

Wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum,

Mache dich auf – aus ist der Traum!

 

Dichter

 

Halte weg die Sense! Lasse steigen

Meiner Irisbälle bunten Tanz!

 

Tod

 

Schon an meinem Schädel platzt der Reigen,

Und ein Ende nimmt der Firlefanz!

 

Dichter

 

Laß! ich will dich als das Beste preisen,

Trost und Labsal alles Menschentumes!

 

Tod

 

Nicht bedarf ich Schrecklicher des Ruhmes;

Spare deine falschen Schmeichelweisen!

 

Dichter

 

Weh, noch schuld ich manche schöne Pflichten!

 

Tod

 

Reif genug schon bist du den Gerichten!

 

Dichter

 

Doch die lieblichste der Dichtersünden

Laßt nicht büßen mich, der sie gepflegt:

Süße Frauenbilder zu erfinden,

Wie die bittre Erde sie nicht hegt!

 

Tod

 

Warum hast du solchen Spaß getrieben,

Schemen zu ersinnen und zu lieben?

 

Dichter

 

Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne,

Blühn sie doch wo in der Weltenferne,

Blut von meinem Blute; zu verderben

Bin ich nicht, eh jene sterben!

 

Tod

 

Ei, da fahr ich hin, sie wegzumähen,

Und sie müssen gleich mit dir vergehen!

 

Dichter

 

Hui! da fährt er hin ins Unermeßne,

Und ich bin der glückliche Vergeßne,

Spiele weiter in des Lebens Fluten,

Bis er findet jene schönen Guten!

 

 

Stilles Abenteuer

In dem Winkel einer Schenke saßen

Einstmals Jäger nach vollbrachtem Jagen.

Sie erzählten sich die feinen Künste,

Wie des Wildes Heimlichkeit zu sehen,

Alle Kreatur sei zu beschleichen.

Als sie nun nicht ihrem Witz alleine,

Sondern auch dem Glück erkenntlich waren,

Griff ein alter Schlingel nach dem Faden

Des Gesprächs und zog ihn an sich, gleich der

Schnur, mit der ein Netz man zuzieht.

Ein erlebtes Jugendabenteuer

Bracht er vor mit schlauen Blinzeläuglein,

Daß die Köpfe sie zusammensteckten

Und die Pfeifen bald erkalten ließen:

 

»Wohl, ich saß im hohen Eschenbaume,

In dem Kronenbusche still verborgen;

Unterm Baume lag ein schönes Weibchen

Auf dem sonnbeglänzten Sand im Bade.

Auf dem Rücken lag sie unbeweglich,

Mit dem Köpfchen auf dem warmen Ufer,

Ihre Arme reglos drum geschlungen.

Doch die kleinen Füße, sie verschwanden

In dem blauen Purpur des Gewässers;

Aber sichtbar wurde schon das Leuchten

Ihrer Knie durch das bewegte Wasser,

Und wie Glas auf ihrem weißen Schoße

Unablässig floß die Welle weiter,

Und die Silberfischchen schwammen ruhig

Über ihre Hüften hin, erblinkend,

Wenn sie steuernd ihre Flossen regten.

Auf des Stromes hellbeglänzte Breite

Sah die Schöne mit halboffnen Augen.

Kahl und einsam lag das andre Ufer,

Nicht ein menschlich Wesen zu erspähen.

 

Doch auf einmal kam ein Schiff gefahren

Mitten auf des Stromes heitrem Glanze;

Und ich sah das Schiff und sah die Schöne.

Sachte, sachte schloß sie beide Augen,

Nicht sich regend, bis das Schiff vorüber.

Und die Schiffer fuhren in die Ferne,

Nur nach ihrem Ziel den Sinn gewendet. –

 

Triumphierend lächelte die Holde;

Denn das Äußerste zu wagen und ihm

Zu entgehen lieben oft die Frauen.

Doch sie ahnte nicht, daß ihr zu Häupten

Sie belauscht' ein arger Entenjäger,

Den das Glück auf jenen Baum getrieben;

Und ich mußte mich zusammenfassen,

Nicht wie reife Frucht vom Baum zu fallen,

Während ich in meinem Sinn erdauert',

Was zum Heil der Schönen zu beginnen?

Schweigen, fand ich, ist das Heil für alle;

Wenn ich schweig von dem, was ich gesehen,

Ist mir wohl und ihr nicht weh geschehen!«

 

 

Ehescheidung

Amerikanisch

 

Zum Pfäffel kam ein Pärchen und schrie:

»Geschwind, und laßt uns frein!

Wir können keinen einzigen Tag

Mehr ohne einander sein!«

 

Und aber ein Jährlein kaum verstrich,

Sie liefen herbei und schrien:

»Herr Pfarrer, trennt und scheidet uns,

Laßt keine Minute fliehn!«

 

Das Pfäfflein runzelte sich und sprach:

»Macht euch die Scham nicht rot?

Wir haben es alle drei gelobt,

Euch trenne nur der Tod!« –

 

»Rot macht die Scham, doch Reue blaß!

Herr Pfarrer, gebt uns frei!«

Der Mann bot einen Dollar dar,

Die Frau der Dollars zwei.

 

Da tat der Pfäffel zwischen sie

Ein Kätzlein, heil und ganz;

Der Mann, der hielt es bei dem Kopf,

Die Frau hielt es am Schwanz.

 

Mit seinem Küchenmesser schnitt

Der Pfarr die Katz entzwei:

»Es trennt, es trennt, es trennt der Tod!«

Da waren sie wieder frei.

 

 

Untergehende Liebe

Abend war's, ich stand am Ufer,

Wo die Wellen freudig rauschten

Und, vom Süden her gewaltig

Hergeeilt, am Strand erschäumten.

Violett war ihr Gewand,

Doch sie trugen rote Kronen,

Die von Haupt zu Haupt sie warfen,

Klangvoll ineinanderfließend.

Durch der Wolken wildes Jagen,

Einsam, sah der Abendstern,

Glänzend, wie der Schönheit Auge,

Groß erglühend, wie die Sehnsucht.

 

Und ich sagte zu den Wellen:

»Noch so laut und fleißig seid ihr?

Doch ich seh nicht, was ihr schaffet,

Denn kein Segel ist zu finden,

Weil es Nacht wird und die müde

Sorgenvolle Woche hingeht!«

 

Und sie riefen laut erbrausend:

»Feierabend ist's, wir tanzen

Eben noch für uns ein Tänzchen!

Wie der Hirt den Schnitterinnen

Abendlich den Reigen bläset,

Also spielt der wilde Bruder

Uns, der heiße Föhn, zum Tanze,

Und er darf uns alle küssen!

In der Freiheit, in der Freude

Schlagen wir für uns ein Stündchen!

Wollt ein Schiff uns jetzt befahren,

Müßt es untergehn und brechen!

 

Und wir raten dir nicht minder:

Freiheit gib auch du den Wellen

Deines Blutes einmal wieder,

Laß das Schifflein untergehen

Mit dem schweren goldnen Bilde,

Mit der ungeschlachten Schiff'rin,

Die dein wogend Herz befährt

Schon so lang und es bedrückt!

Laß die Furcht und laß die Hoffnung

In empörter Flut versinken

Und erfreue dich der Freiheit!«

 

Ach! die allzutreuen Wellen

Meines unterjochten Blutes

Wollen es nicht sinken lassen;

Immer taucht empor es wieder,

Triumphierend fährt's empor,

Schiff und Bild, ach, Schiff und Götzin!

Einzig hilft, es rasch entheben

Und es in der Luft erwürgen!

 

Also tat ich in der Nacht,

Still in einer Frühlingsnacht.

Einen schwachen Seufzer hört ich,

Deutlich, wie aus weiter Ferne;

Denn von den Betörten endlich

Auch einmal vergessen werden

Tut den Vielgeliebten weh,

Und sie fühlen's in der Ferne.

 

 

Wardeins Brautfahrt

»Hier ist die Brücke, da der Fluß,

Mein Lieb, nun gib die Hand!

Ein freundlich Lächeln sei dein Gruß:

Das ist mein Heimatland!

 

Ein Maßlieb blüht am Markstein hier –

Siehst du das Blümchen gern?

Zum Willkomm pflück und geb ich dir

Den hold bescheidnen Stern!

 

Die duftig blauen Hügel dort,

Schau, werden mählich braun;

Schon siehst du dran nach Gottes Wort

Das Volk die Scholle baun.

 

So komm! Das Land ist schön und gut,

Die Leute recht und schlecht;

Doch leidet wo unschuldig Blut,

So wird es auch gerächt.

 

Wer redlich handelt, der gewinnt,

Die Untreu bringt den Tod!

So komm, bist du nur treu gesinnt,

Und brich mit mir das Brot!

 

Mit Linnen decke weiß den Tisch,

Frau Ehre kommt als Gast!

Sie teilt einst unter dem Rasen frisch

Zu dritt mit uns die Rast!«

 

So sprach zum jungen Eheschatz

Der strenge Herr Wardein.

Er ruhte bald am stillen Platz

Im Rasen – doch allein!

 

 

Aus einem Romane

1. Verlornes Recht, verlornes Glück

Recht im Glücke! goldnes Los,

Land und Leute machst du groß!

Glück im Rechte! fröhlich Blut,

Wer dich hat, der treibt es gut!

 

Recht im Unglück! herrlich Schaun,

Wie das Meer im Wettergraun!

Göttlich grollt's am Klippenrand,

Perlen wirft es auf den Sand!

 

Einen Seemann, grau von Jahren,

Sah ich auf den Wassern fahren,

War wie ein Medusenschild

Der erstarrten Unruh Bild.

 

Und er sang: »Vieltausendmal

Glitt ich in das Wellental,

Fuhr ich auf zur Wogenhöh,

Ruht ich auf der stillen See!

 

Und die Woge war mein Knecht,

Denn mein Kleinod war das Recht;

Gestern noch mit ihm ich schlief –

Ach, nun liegt's da unten tief!

 

In der dunklen Tiefe fern

Schimmert ein gefallner Stern;

Und schon ist's wie tausend Jahr,

Daß das Recht einst meines war.

 

Wenn die See nun wieder tobt,

Keiner mehr den Meister lobt:

Hab ich Glück, verdien ich's nicht,

Glück wie Unglück mich zerbricht!«

 

 

2. In der Trauer

1

Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid

Mein eigen Bild nur könne sehen!

Ich seh durch meinen grauen Flor

Fern euere Gestalten gehen.

 

Und durch den starken Wellenschlag

Der See, die gegen mich verschworen,

Geht mir von euerem Gesang,

Wenn auch gedämpft, kein Ton verloren.

 

Und wie die müde Danaide wohl,

Das Sieb gesenkt, neugierig um sich blicket,

So schau ich euch verwundert nach,

Besorgt, wie ihr euch fügt und schicket!

 

 

2

Ich kenne dich, o Unglück, ganz und gar

Und sehe jedes Glied an deiner Kette!

Du bist vernünftig, zum Bewundern klar,

Als ob ein Denker dich geordnet hätte!

 

Nicht mehr noch weniger hat mir gebührt,

Mir ist gerecht die Schale zugemessen;

Und dennoch hab ich bittrer sie verspürt,

Als niemals ich getrunken noch gegessen.

 

Jetzt aber bring ich leichter sie zum Mund,

Als einst die müde Seele noch wird wissen;

Der quellenklare Perltrank ist gesund,

Ich lieb ihn drum mit dürstendem Gewissen!

 

 

3

Ein Meister bin ich worden,

Zu weben Gram und Leid;

Ich webe Tag und Nächte

Am schweren Trauerkleid.

 

Ich schlepp es auf der Straße

Mühselig und bestaubt;

Ich trag von spitzen Dornen

Ein Kränzlein auf dem Haupt

 

Die Sonne steht am Himmel,

Sie sieht es und sie lacht:

Was geht da für ein Zwerglein

In einer Königstracht?

 

Ich lege Kron und Mantel

Beschämt am Wege hin

Und muß nun ohne Trauer

Und ohne Freuden ziehn!

Melancholie

 

Sei mir gegrüßt, Melancholie,

Die mit dem leisen Feenschritt

Im Garten meiner Phantasie

Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!

Die mir den Mut, wie eine junge Weide,

Tief an den Rand des Lebens biegt,

Doch dann in meinem bittern Leide

Voll Treue mir zur Seite liegt!

 

Die mir der Wahrheit Spiegelschild,

Den unbezwungnen, hält empor,

Daß der Erkenntnis Träne schwillt

Und bricht aus dunklem Aug hervor;

Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer,

Wenn ich dich mehr und mehr vergaß

Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,

Die doch an meiner Wiege saß!

 

Wie hängt mein Herz an eitler Lust

Und an der Torheit dieser Welt!

Oft mehr als eines Weibes Brust

Ist es von Außenwerk umstellt,

Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben,

Was leer und nichtig ist, erkannt,

Nimmst du und hast mein stolz Erheben

Zu Boden alsobald gewandt,

 

Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch

Des Königs, den ich oft verhöhnt,

Aus dem es, wie von Erz ein Fluch,

Daß alles eitel sei! ertönt.

Und nah und ferne hör ich dann erklingen

Gleich Narrenschellen ein Getön –

O Göttin, laß mich dich umschlingen,

Nur du, nur du bist wahr und schön! –

 

Noch fühl ich dich so edel nicht,

Wie Albrecht Dürer dich geschaut:

Ein sinnend Weib, von innerm Licht

Erhellt, des Fleißes schönste Braut,

Umgeben reich von aller Werke Zeichen,

Mit milder Trauer angetan;

Sie sinnt – der Dämon muß entweichen

Vor des Vollbringens reifem Plan.

 

 

Ein Berittener

Ein Häuptling ritt geehrt im Land

Gleich einem der Propheten;

Als er im Feld sich einsam fand,

Hub er den Arm, zu beten:

 

»Mich traf das Übel Schlag auf Schlag,

Es war ein wildes Toben;

Als schuldig ich im Staube lag,

Hab ich mich selbst erhoben!

 

Es wußte keiner, daß ich lag,

Als du, o Herr, dort oben!

Und für dein Schweigen diesen Tag

Will ich dich Stillen loben!«

 

Da hallt 'es durch den Äther rein:

»Dein Lob, nicht kann's mir taugen;

Wenn du dich schämst, ein Mensch zu sein,

So reit mir aus den Augen!«

 

 

Stutzenbart

Herrlich in der Maienzeit

Blaut des Himmels Kläre –

Halt zum Opferdienst bereit

Nun die blanke Schere!

 

Durch das offne Fenster ziehn

Schon des Bartes Flocken

Schimmernd weiß; ach: hin ist hin!

Singt die Norn' am Rocken.

 

Welch ein winterlich Gespinst

Hat sie dir gesponnen!

Und da fliegt der Reingewinst

Deiner Lebenswonnen!

 

Aber sieh! wie feierlich

In die Höh sie schweben,

All die Flöcklein! Will zu sich

Sie der Äther heben?

 

Und am Ende sollst du gar

Noch ein Heil'ger werden,

Dessen Bart- und Lockenhaar

Man verehrt auf Erden?

 

Jetzt, mit Blüten untermischt,

Tanzen sie im Winde;

Doch was zwitschert, pfeift und zischt

Dort für ein Gesinde?

 

Fink und Schwalbe, Star und Spatz

– Wie das flirrt und flattert! –

Haben bald den Silberschatz

Deines Haupts ergattert!

 

Fliegen mit dem teuren Gut

Heim nach allen Seiten,

Für die weichbeflaumte Brut

Schnöd das Nest zu breiten;

 

Und was würdig hat umwallt

Deine weisen Lippen,

Dient dem Haus- und Ehehalt

Leichter Vogelsippen!

 

Lächle denn durch Blüt und Blatt,

Schönster Frühlingsmorgen:

Darf ja, wer den Schaden hat,

Für den Spott nicht sorgen!

 

 

Poetentod

Der Herbstwind rauscht; der Dichter liegt im Sterben,

Die Blätterschatten fallen an der Wand;

An seinem Lager knien die zarten Erben,

Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.

 

Mit dunklem Purpurwein, darin ertrunken

Der letzten Sonne Strahl, netzt er den Mund;

Dann wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,

Tut er den letzten Willen also kund:

 

»Die ich aus luft'gen Klängen aufgerichtet,

Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit;

Ich habe ausgelebt und ausgedichtet

Mein Tagewerk und meine Erdenzeit.

 

Das keck und sicher seine Welt regierte,

Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus;

Der Hungerschlucker, der die Tafel zierte:

Der Ruhm, er flattert mit den Schwalben aus.

 

So löschet meines Herdes Weihrauchflamme

Und zündet wieder schlechte Kohlen an,

Wie's Sitte war bei meiner Väter Stamme,

Vor ich den Schritt auf dieses Rund getan!

 

Und was den Herd bescheidnen Schmuckes kränzte,

Was sich an alter Weisheit um ihn fand,

In Weihgefäßen auf Gesimsen glänzte,

Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:

 

Daß meines Sinnes unbekannter Erbe

Mit find'ger Hand, vielleicht im Schülerkleid,

Auf offnem Markte ahnungsvoll erwerbe

Die Heilkraft wider der Vernachtung Leid.

 

Werft jenen Wust verblichner Schrift ins Feuer,

Der Staub der Werkstatt mag zugrunde gehn!

Im Reich der Kunst, wo Raum und Licht so teuer,

Soll nicht der Schutt dem Werk im Wege stehn!

 

Dann laßt des Gartens Zierde niedermähen,

Weil unfruchtbar; die Lauben brechet ab!

Zwei junge Rosenbäumchen lasset stehen

Für mein und meiner lieben Frauen Grab!

 

Mein Lied mag auf des Volkes Wegen klingen,

Wo seine Banner von den Türmen wehn;

Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen

Wird meine Sippschaft dran vorübergehn!«

 

Noch überläuft sein Angesicht, das reine,

Mit einem Strahl das sinkende Gestirn;

So glüht' noch eben in dem Purpurscheine,

Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.

 

Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen

Von eines späten Adlers Schwingen webt,

Ist in der Todesstille zu erlauschen,

Wie eine Geisterschar von hinnen schwebt.

 

Sie ziehen aus, des Schweigenden Penaten,

In faltige Gewande tief verhüllt;

Sie gehn, die an der Wiege einst beraten,

Was als Geschick sein Leben hat erfüllt:

 

Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,

Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,

Die Phantasie und endlich ihr Gefährte,

Der Witz, mit leerem Becher, still und kalt.

 

 

An Justinus Kerner

Erwiderung auf sein Lied »Unter dem Himmel«

 

Morgenblatt 1845

 

Laßt mich in Gras und Blumen liegen

Und schaun dem blauen Himmel zu,

Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,

In ihm ein Falke kreist in Ruh.

 

Die blaue Stille stört dort oben

Kein Dampfer und kein Segelschiff,

Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,

Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.

 

Laßt satt mich schaun in diese Klarheit,

In diesen stillen, sel'gen Raum:

Denn bald könnt werden ja zur Wahrheit

Das Fliegen, der unsel'ge Traum.

 

Dann flieht der Vogel aus den Lüften,

Wie aus dem Rhein der Salmen schon,

Und wo einst singend Lerchen schifften,

Schifft grämlich stumm Britannias Sohn.

 

Schau ich zum Himmel, zu gewahren,

Warum's so plötzlich dunkel sei,

Erblick ich einen Zug von Waren,

Der an der Sonne schifft vorbei.

 

Fühl Regen ich beim Sonnenscheine,

Such nach dem Regenbogen keck,

Ist es nicht Wasser, wie ich meine,

Wurd in der Luft ein Ölfaß leck.

 

Satt laßt mich schaun vom Erdgetümmel

Zum Himmel, eh es ist zu spät,

Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel

Die Poesie still trauernd geht.

 

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,

Träumt er von solchem Himmelsgraus,

Er, den die Zeit, die dampfestolle,

Schließt von der Erde lieblos aus.

 

Justinus Kerner

 

 

Dein Lied ist rührend, edler Sänger,

Doch zürne dem Genossen nicht,

Wird ihm darob das Herz nicht bänger,

Das, dir erwidernd, also spricht:

 

Die Poesie ist angeboren,

Und sie erkennt kein Dort und Hier;

Ja, ging' die Seele mir verloren,

Sie führ zur Hölle selbst mit mir.

 

Inzwischen sieht's auf dieser Erde

Noch lange nicht so graulich aus,

Und manchmal scheint mir, daß das: Werde!

Ertön' erst recht dem »Dichterhaus«.

 

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen

Und spannt Eliaswagen an:

Willst träumend du im Grase singen,

Wer hindert dich, Poet, daran?

 

Ich grüße dich im Schäferkleide,

Herfahrend, – doch mein Feuerdrach'

Trägt mich vorbei, die dunkle Heide

Und deine Geister schaun uns nach.

 

Was deine alten Pergamente

Von tollem Zauber kund dir tun,

Das seh ich durch die Elemente

In Geistes Dienst verwirklicht nun.

 

Ich seh sie keuchend glühn und sprühen,

Stahlschimmernd bauen Land und Stadt,

Indes das Menschenkind zu blühen

Und singen wieder Muße hat.

 

Und wenn vielleicht in hundert Jahren

Ein Luftschiff hoch mit Griechenwein

Durchs Morgenrot käm hergefahren –

Wer möchte da nicht Fährmann sein?

 

Dann bög ich mich, ein sel'ger Zecher,

Wohl über Bord, von Kränzen schwer,

Und gösse langsam meinen Becher

Hinab in das verlaßne Meer.

Der Kranz

 

Der Frühling ging durchs reiche Schwabenland

Und mit ihm Ludwig Uhland, an der Hand

Die treue Gattin; denn es kam zu wandern

Der teure Mann von einem Ort zum andern.

 

Mag's mit dem Recht in Stuttgart nicht gelingen,

Will lehrend er ins Herz der Jugend dringen

Zu Tübingen am alten Musensitz,

Umleuchtet noch von hellem Geisterblitz.

 

So wallt das Paar still und getrost dahin,

Wo Täler weiß im Schnee der Bäume blühn;

Doch sieh! beim Steine, der die Markung kündet,

Steht eine Schar von Freunden treu verbündet.

 

Die Kampfgenossen für des Volkes Rechte,

Sie harren sein mit einem Kranzgeflechte

Von dichtem Lorbeer, glänzend frisch und grün;

Den reichen sie dem Sänger hold und kühn.

 

Ein letzter Kuß! Der letzte Becher blinkt,

Und ferne schon die Hand zum Scheiden winkt;

Dem Meister glänzt das Aug, das lebenswarme,

Und Frau und Kranz führt er am rechten Arme.

 

Sie wandeln bald in einem lichten Walde

Von großen Eichen an der sanften Halde;

Wie steht so fest und frei der edle Hain,

Und überall blaut noch der Himmel drein!

 

Hoch oben kreist der Falk im Sonnenlicht,

Das durch das Gitterwerk der Zweige bricht,

Und Uhland, schreitend im geweihten Raume,

Tritt unversehns zum nächsten Eichenbaume.

 

Rasch hängt er auf den Kranz, und schweigend wendet

Den Schritt er weiter; nur Frau Emma sendet

Reuig den Blick zurück, doch strahlend licht

Wird drauf ihr Aug, sieht sie den Mann so schlicht.

 

Tief schaut sie dieses reinen Goldes Hort

In seinem Herzen – doch mit keinem Wort

Wird sie benennen ihr beglückend Wissen

Von einem Schatz, den tausend Frauen missen.

 

Im Waldesdämmer an dem grauen Stamme

Verlassen glimmt des Lorbeers grüne Flamme.

Vorüber zog das Wanderpaar schon lang,

Und laut erschallt im Hain der Vogelsang!

 

Has von Überlingen

Es war der Has von Überlingen,

Der scheut' den Märzen wie den Tod;

Denn in die Glieder fühlt' er dringen

Mit ihm des Alters leise Not.

 

Wann nun die Morgenlüfte wehten

Nach letzten Hornungs Mitternacht,

Sah man ihn vor die Türe treten

Wie einen Krieger auf die Wacht.

 

Den Krebs geschnallt um Brust und Rücken,

Auf grauem Kopf den Eisenhut,

Umschient die Glieder ohne Lücken:

Das schien ihm für den Märzen gut!

 

Den langen Degen an der Seite,

Die Halmbart in beschuhter Hand,

Erwartet' er den Feind zum Streite,

Bis sich erhellten See und Land.

 

»Hei, falscher Mars! willst du es wagen?

Dir sag ich ab und biete dir,

Auf Hieb und Stoß gerecht zu schlagen

Ums teure Leben, jetzt und hier!

 

Willst du an Herz und Mark mir greifen,

Du Tückebold, so komm heran!

Ich lehre dich ein Liedlein pfeifen,

Du findest einen Martismann!«

 

Fuhr dann dem Alten rauh entgegen

Ein Staubgewölk im Sonnenschein,

Ein Schauer auch von Schnee und Regen,

So hieb und stach er mächtig drein.

 

Denn in dem Duste sah er drohen

Den Gegner mit gezücktem Speer;

Drum schlug er, bis der Spuk entflohen,

Und blickte siegreich um sich her.

 

Ein Trunk von goldnem Rebenblute

Erquickt' ihn nach bestandnem Streit,

Und er genoß mit frohem Mute

Des Frühlings neue Herrlichkeit.

 

So ging es denn nach seinem Willen;

Er schlug den Märzen Jahr um Jahr,

Bis einst am ersten Tag Aprillen

Sein tapfres Herz gebrochen war.

 

 

Das Weinjahr1

Rüstet die Kelter, die Kufen und Tonnen,

Denn es verglühet ein seltenes Jahr!

Schon naht der Herbst, und es glastet die Sonne,

Wie sie geglastet den Sommer entlang!

 

Hört, im Gebirge, was Zeichen geschehen!

Gletscher, sie ebben wie Meere zurück,

Ihre blaugrünen Gewölbe zerschmelzen,

Grotten und Spalten so tief und so kühl!

 

Trocken enthüllen sich felsige Gründe,

Die seit Jahrtausenden keiner geschaut,

Und aus der tiefsten und engsten der Klüfte

Leuchten gebleichte Gebeine herauf.

 

Knochen des riesigen Vorweltsbären

Liegen gebrochen wie sprödes Glas,

Aber dazwischen die Rippen und Röhren

Eines in Waffen verschollenen Manns.

 

Und die verrostete Panzerschale,

Auch ein zerfressenes spanisches Schwert

Künden den Krieger aus traurigen Tagen

Einer in Leiden zerklüfteten Welt.

 

Noch mit den sämtlichen Zähnen gezieret

Starren die Kiefer im räumigen Helm,

Gleich einem Spielzeug neben des wilden

Bären gewaltigem Kopfgestell.

 

Sehet! unbändig schwellen die Trauben

– Rüstet die Kelter und rüstet den Krug! –

Jegliche Beer eine sonnige Klause,

Drinnen ein Glutelf brauet die Flut!

 

Zwei friedlose Gesellen, schlafen

Jene, in ewigen Frieden entrückt;

Aber die Wut und das Wähnen und Wagen

Hält noch die duldenden Lüfte erfüllt.

 

Rüstet die Tonnen! Umfanget den starken

Reisigen Wein mit eisernem Band!

Männern zerbricht er den stämmigsten Nacken,

Stürzet sie jählings in Jammer und Qual!

 

Füllet die Krüge, doch trinket den Frieden,

Trinket das Licht, das dem Himmel entstrahlt!

Bindet die Herzen mit eisernem Willen,

Daß ihr entrinnet dem tödlichen Fall!

 

 

Fußnoten

1 Nach dem heißen Sommer des Jahres 1865 war im rhätischen Gebirge ein Gletscher so hinabgeschmolzen, daß man auf dem Grunde Gebein und Waffen fand, welche auf einen Bergübergang ligistischer Truppen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückgeführt wurden.

 

 

Aroleid

Im Wallis liegt ein stiller Ort,

Geheißen Aroleid;

Es seufzt ein Gram im Namen fort

Seit lang entschwundner Zeit.

 

Ein Berghirt hing in Todsgefahr

Am steilsten Firnenrand,

Ihn stieß hinunter dort der Aar,

Wo keiner mehr ihn fand.

 

Auf grüner Matte saß sein Weib;

Das Kind ins Gras gelegt,

Saß sie und schaut' mit starrem Leib

Hinüber, unbewegt,

 

Hinüber, wo im Dämmerblau

Der Berg zur Tiefe schwand

Und mit des Gipfels Silberau

So still am Himmel stand.

 

Voll bittrer Sehnsucht sprang sie auf

Und ging im Mattengrün

Mit schwankem Schritt und irrem Lauf

Und heißem Augenglühn.

 

Da schreit ein Kind, ein Flügel saust

Wohl über ihrem Haupt –

Mit ihrem Kind zur Höhe braust

Der Aar, der es geraubt!

 

Noch sieht das Wickelband sie wehn

In der kristallnen Luft,

Dann sieht sie's wie ein Pünktlein stehn

Im ferneblauen Duft,

 

Dann nichts mehr, nie, solang sie lebt! –

Sie nahm kein Trauerkleid;

Doch von dem Leid, das dort noch webt,

Der Ort heißt Aroleid.

 

 

Der Narr des Grafen von Zimmern

Was rollt so zierlich, klingt so lieb

Treppauf und -ab im Schloß?

Das ist des Grafen Zeitvertrieb

Und stündlicher Genoß:

Sein Narr, annoch ein halbes Kind

Und rosiges Gesellchen,

So leicht und luftig wie der Wind,

Und trägt den Kopf voll Schellchen.

 

Noch ohne Arg, wie ohne Bart,

An Possen reich genug,

Ist doch der Fant von guter Art

Und in der Torheit klug;

Und was vergecken und verdrehn

Die zappeligen Hände,

Gerät ihm oft wie aus Versehn

Zuletzt zum guten Ende.

 

Der Graf mit seinem Hofgesind

Weilt in der Burgkapell,

Da ist, wie schon das Amt beginnt,

Kein Ministrant zur Stell;

Rasch nimmt der Pfaff den Narrn beim Ohr

Und zieht ihn zum Altare;

Der Knabe sieht sich fleißig vor,

Daß er nach Bräuchen fahre.

 

Und gut, als wär er's längst gewohnt,

Bedient er den Kaplan;

Doch wenn's die Müh am besten lohnt,

Bricht oft der Unstern an:

Denn als die heil'ge Hostia

Vom Priester wird erhoben,

O Schreck! so ist kein Glöcklein da,

Den süßen Gott zu loben!

 

Ein Weilchen bleibt es totenstill;

Erbleichend lauscht der Graf,

Der gleich ein Unheil ahnen will,

Das ihn vom Himmel traf.

Doch schon hat sich der Narr bedacht,

Den Handel zu versöhnen:

Die Kappe schüttelt er mit Macht,

Daß alle Glöcklein tönen!

 

Da strahlt von dem Ciborium

Ein goldnes Leuchten aus;

Es glänzt und duftet um und um

Im kleinen Gotteshaus,

Wie wenn des Himmels Majestät

In frischen Veilchen läge:

Der Herr, der durch die Wandlung geht –

Er lächelt auf dem Wege!«

 

 

Die Winzerin

Am sonnig weißen Gartenhaus,

Da reifet Traub an Traube,

Die sanfte Schöne tritt heraus

Und prüft die schwere Laube;

Dem blauen Blick des Weibes gleicht

Der Beeren dunkle Menge;

Wohin ihr freundlich Auge reicht,

Lacht freundliches Gedränge.

 

Rings lockt das noch gefangne Blut

Zu Häupten und zu Füßen,

Und sie beginnt mit stillem Mut

Zu schneiden all die süßen.

Und wie sie mit der lieben Hand

Die grünen Blätter teilet,

Hin schweifet über See und Land

Im Flug der Blick und weilet.

 

Gleich einer reifen Beere glänzt

Ihr feuchtes Aug hinüber,

Wo's blaut und leuchtet unbegrenzt,

So fern, so fern herüber.

Sie lässet still und ahnungsvoll

Die vollen Trauben sinken,

Bis es in Körben reizend schwoll

Mit tausendfachem Blinken.

 

Und auf der Laube Marmeltisch

Zu keltern sie beginnet,

Daß aus der Kelter duftig frisch

Das Blut der Traube rinnet.

Wie muß der weißen Arme Zier

Mit holder Kraft sich mühen!

Sie keltert, bis die Wangen ihr

Gleich jungen Rosen blühen.

 

Sie keltert, daß der Busen fliegt

Und woget ungemessen;

Umsonst, was ihr im Sinne liegt,

Das kann sie nicht vergessen!

Umsonst – wie oft die Krüge sie

Mit starkem Moste füllet,

Sie selber hat den Durst noch nie,

Das Sehnen nie gestillet.

 

Sie läßt den heißen Rebensaft

Mit treuer Sorge gären,

In kühler Nacht zu milder Kraft,

Zum seltnen Wein sich klären.

Den trägt sie zu den Hütten hin

Auf Höhen und im Tale;

Sie reicht der armen Wöchnerin,

Dem kranken Greis die Schale.

 

So keltert sie den Edelwein

Im Herbste schon seit Jahren.

Ein Segel kommt im goldnen Schein

Des Abends fern gefahren;

Im Hafen legt das Schiff sich an,

Sie hört die Schiffer singen,

Und einen hochgemuten Mann

Sieht sie ans Ufer springen.

 

Sie kennt ihn und sie kennt ihn nicht,

Sie starrt hinaus ins Weite,

Als es mit trauter Stimme spricht

Und grüßt schon ihr zur Seite.

Die frohen Klänge mischen sich,

Das Wort hier, dort die Lieder:

»Ratlos verließ der Knabe dich,

Nun kehrt ein Mann dir wieder!

 

O schau, wie leuchtet's weit und breit,

Wie klar der Tag, die Stunde!

Und reif die schönste Lebenszeit

Küßt mich von deinem Munde!«

Da ist in seine Arme hin

Sie wonnevoll gesunken,

Und weinend hat die Winzerin

Zum ersten Mal getrunken.

 

 

Geistergruß

Ich sah ein holdes Weib im Traum

Auf rotem Laube sitzen

Wohl unter einem bereiften Baum,

Der tät wie Silber blitzen.

 

Er blitzte wie Silber und Kristall

In lieblicher Wintersonne;

Leis rauscht' der Wind, wie Demantenfall

Perlt's von des Baumes Krone.

 

Und auch der Schönen wallendes Haar

Sah weiß wie Schnee ich prangen;

Denn ach, wie manches liebe Jahr

Ist schon ins Land gegangen!

 

Doch blühte noch ihr Antlitz fein

Gleich weißen Rosenauen,

Im Aug der alte Sternenschein

Und rot der Mund zu schauen.

 

»Wo kommst du her, wo gehst du hin?«

Sprach ich mit sanftem Beben;

»Bist selig? Bist du Büßerin?

Wo lebst du nun dein Leben?«

 

Sie lächelte mild am selben Ort,

Auch hab ich sie nicken sehen;

Sie sprach ein halb gehauchtes Wort,

Das konnt ich nicht verstehen.

 

Des Reifes Flocken fing sie dann,

Die fallenden, unverdrossen

Und bot mir die Juwelen an,

Die auf der Hand zerflossen.

 

Drauf stieg der Nebel aus dem Tal,

Empor aus Fluß und Weihern,

Verhängend rasch des Waldes Saal

Mit seinen dichten Schleiern.

 

Ich sah sie zwischen die Bäume hinein

Tief in den Schatten gehen

Und ihres Haares Silberschein

In Düsternis verwehen.

 

Noch hat es hier, noch hat es dort

Wie Augenglanz gefunkelt;

Zuletzt war die Erscheinung fort

Und auch der Traum verdunkelt.

 

 

Jung gewohnt, alt getan

Die Schenke dröhnt, und an dem langen Tisch

Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen;

Man pfeift, man lacht; Geschrei, Fluch und Gezisch

Ertönte an des Trankes trüben Wellen.

 

In dieser Wüste glänzt' ein weißes Brot;

Sah man es an, so ward dem Herzen besser.

Sie drehten eifrig draus ein schwarzes Schrot

Und wischten dran die blinden Schenkemesser.

 

Doch einem, der da mit den andern schrie,

Fiel untern Tisch des Brots ein kleiner Bissen;

Schnell fuhr er nieder, wo sich Knie an Knie

Gebogen drängte in den Finsternissen.

 

Dort sucht' er selbstvergessen nach dem Brot;

Doch da begann's rings um ihn zu rumoren,

Sie brachten mit den Füßen ihn in Not

Und schrien erbost: »Was, Kerl! hast du verloren?«

 

Errötend taucht' er aus dem dunklen Graus

Und barg es in des Tuches grauen Falten.

Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus

Und einer treuen Mutter häuslich Walten.

 

Nach Jahren aber saß derselbe Mann

Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,

Wo Sonnenlicht das Silber überspann

Und in gewählten Reden floh die Stunde.

 

Auch hier lag Brot, weiß wie der Wirtin Hand,

Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;

Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,

Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten.

 

»O lassen Sie es liegen!« sagt sie schnell;

Zu spät, schon ist er untern Tisch gefahren

Und späht und sucht, der närrische Gesell,

Wo kleine seidne Füßchen stehn zu Paaren.

 

Die Herren lächeln, und die Damen ziehn

Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;

Er taucht empor und legt das Brötchen hin,

Errötend hin auf das damastne Linnen.

 

»Zu artig, Herr!« dankt' ihm das schöne Kind,

Indem sie spöttisch lächelnd sich verneigte;

Er aber sagte höflich und gelind,

Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:

 

»Wohl einer Frau galt meine Artigkeit,

Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!

Es galt der Mutter, die vor langer Zeit

Entschlafen ist in Leid und bittrem Grame.«

 

 

Am Ufer des Stromes

Graulockig ein Mann und ein blonder Kam'rad

Spazieren an fließenden Wassers Gestad;

Der Ältere kehrt sich zum Jungen und spricht:

»Was schneidest du für ein betrübtes Gesicht?« –

 

»Lieb fand ich ein Mädchen und hab ihm's gesagt,

Sie flüstert ein Nein, kaum daß ich gefragt,

Und alles im Nu – nun beklemmt's mir die Brust,

Daß Herz ich und Mund nicht zu halten gewußt!«

 

Und jener erwidert: »Des Fährmanns Magd

Siehst du, die über dem Strome ragt,

Gering und arm und der Zierde bar,

Und siehst auch mein ergrauendes Haar?

 

Befiel' mich ein Fünklein Lieb zu ihr,

Laut rief' ich es von der Stelle hier,

Rief's laut in der Wellen rauschenden Gang,

Mich dünkt' es der allerschönste Gesang!

 

Leicht schlug mir in meiner Jugend das Herz,

Und müßig schweifte der Blick allwärts;

Rasch hab ich so manches Geständnis gemacht,

Die ein' hat geweint und die andre gelacht.

 

Bei einer nur hab ich das Wörtchen verschluckt,

Wie sehr es auch sterbend im Busen gezuckt;

Ich glaube, sie ahnt' es und lächelte fein,

Doch wußt ich nicht: sang's in ihr ja oder nein.

 

Der Sommer war warm und der Winter kalt,

Die Zeit verging, und wir wurden alt;

Als ich zum letzten Mal sie sah,

Lag sie im Leichenschmucke da.

 

Fest waren die Augen zugetan,

Sie schauten nicht mich noch die Welt mehr an;

Doch auf dem Munde bleich und tot,

Da lächelt's noch leise wie ein Spott.

 

Mir lispelt's im Ohre: 'O träger Mann,

Der so mit Worten geizen kann!

Du hattest den Schlüssel zum seligen Haus,

Wo fliegen die Engel hinein und hinaus!

 

Du hattest den Schlüssel zum goldenen Schrein

Für alle zwei beide, nun lieg ich allein!'

Da donnert' die Orgel, da psaltert' der Chor,

Und sie trugen hinaus, was ich elend verlor!«

 

 

Ein Schwurgericht

Da liegt ein Blatt, von meiner Hand beschrieben

In Tagen, die nun lang dahingeschwunden,

So lang, daß halb verblich die flücht'ge Schrift.

Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen,

Ein wunderliches, wieder mir lebendig,

Das mich befiel in wunderlicher Zeit,

Als schnödes Abenteuer mächtig herrschte

Und frech die Welt zum Abenteuer schuf.

 

Was während eines Mondes kurzer Dauer

Von tollem Spuk und schrecklichem Geschehen,

Merkwürd'gem Wagnis und ruchloser Tat

Die Zeitung brachte, von versunknen Schiffen,

Mit schwerem Gold und brüllendem Volk beladen,

Von drehnden Tischen, dran die Torheit saß,

Von Schlachtenlärm und diebischen Marschällen,

Von falschem Gift, durch weiße Hand gemischt:

Das dacht ich rhythmisch wogend zu verflechten

In einen wild rhapsodischen Gesang,

Gleich einem Wandrer, der bestäubt und keuchend

Dem tobenden Gewühl mit Not entrann

Und seinen Fiebertraum voll Hast erzählt.

 

So schrieb ich mir auf Blätter jede Kunde,

Und nicht im Stich fürwahr ließ mich die Zeitung,

Jedoch die Lust, die mir gemach verging.

Dies gelbe Blatt nur hat sich noch erhalten.

Ein Lächeln will beim Anblick mich beschleichen,

Das wandelt aber sich sogleich in Ernst.

 

Es steht ein Richterspruch darauf verzeichnet

Und eine Tat so dunkel traur'ger Art,

Daß wie von selbst die Hand zum Stifte greift,

Das blut'ge Rätsel doch noch festzubannen.

 

In Franken war's, an stillem Sommertage,

Daß eine Frau ihr kleines liebes Bübchen

Mit Korb und Vesperbrot zum Vater sandte,

Der im Gehölze, mäßig weit, im Schweiße

Des Angesichts an seiner Arbeit stand.

Sie wußte, daß er heut ein hartes Lohnwerk

Vollbringen wollte bis zur Dunkelzeit.

Ein mütterlicher kleiner Übermut

Verlockte sie, das Wagnis zu versuchen

Und mit dem Bötlein ihren Ehkumpan

Zu überraschen dieses erste Mal;

Denn Sonntag war es morgen, und im Hause

Blieb ihr zu schaffen übrig noch genug.

 

Das Knäblein aber sträubte sich zu gehen,

Gewohnt nur an der Mutter stets zu hangen

Und sie um tausend Dinge zu befragen

Mit Schmeichelwörtchen, lind im Singeton.

»Geh nur«, sprach sie, »die Mundharmonika

Geb ich dir mit, mein Söhnchen, und drauf spielen

Wirst du gar herrlich auf dem ganzen Wege;

Der Vater ruft: 'Was hör ich für Musik?

Gewiß marschiert ein Regiment Soldaten!'

Wie lacht er aber, wenn sein Hänschen kommt!«

Und da sie aus dem Schrank das Instrumentchen,

Das dort zur Schonung sorglich aufgehoben,

Hervorholt, faßt es gleich der frohe Kleine

Und schreitet wacker, seinen Korb am Arm,

Ins helle Sommerland, die wen'gen Stimmchen

An seinen Lippen unverweilt erprobend

Und stets aufs neue reihend Ton an Ton.

 

Schon weit ist er; doch über Korn und Klee

Tönt weich und sanft, wie all der blaue Himmel,

Sein einfach Lied nun aus dem Feld herüber;

Der Kinderpuls, ein Lufthauch und die Ferne,

Sie schaffen eine rührend zarte Weise,

Die, fast verwehend jetzt, dann leise schwillt.

Und weil die Mutter hier noch steht und horcht

Und denkt: nun hat er wohl den Forst betreten,

Vernimmt der Vater drüben schon die Töne

Und kennt sein Vögelchen an dem Gesang.

Er lauscht erfreut – auf einmal bricht es ab,

Und stumm bleibt ewig dieser Kindermund!

Kein Knäblein kommt zum Vater, keines kehrt

Zur Mutter abends mit dem Müden wieder.

 

Nach dreien Tagen erst zog man das Kind

Mit eingeschlagnem Haupt aus einem Wasser,

Das tückisch hehlend, dunkel, unbeweglich,

Abseits vom Pfad im Waldesschatten lag.

Der Mörder auch ward bald darauf ergriffen;

Es war ein starker Bursch von achtzehn Jahren,

Fast unbekannt, der, lungernd in der Stadt,

Mißtrauisch schielend auf dem Örglein blies,

Das ihn verriet. Dann vor dem Richter stehend,

Von dessen Kunst bedrängt, erzählt' er mürrisch,

Wie er das Kind im Holze angetroffen

Und es gebeten, ihm das Ding zu leihen

Für einen Augenblick, sich dran zu laben;

Denn eine unbezwinglich starke Lust

Hab ihn schon lang gequält, auf solchem Werklein

Ein einzig Mal sich blasend zu vergnügen.

Kopfschüttelnd hab das Knäblein fortgespielt,

Er aber es mit einem Stein erschlagen.

 

Und weiter ward die Kunde beigebracht,

Wie daß vor Jahren schon in seiner Heimat

Der Unhold von der zarten Kinderwelt

Als Spielzeugräuber sei gefürchtet worden;

Die trauten Plätze, Flure, Hofgebreiten,

Wo sich das kleine Volk zur Lust versammelt:

Der große Range habe finster lauernd

Beschlichen sie und von dem bunten Werkzeug

Der Jugend sich gewaltsam angeeignet,

Was ihm gefiel, dann in entlegnen Winkeln,

Einsam, mit ungeschickter Hand gespielt.

 

Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen;

Doch aus der Untat wurde keiner klug.

 

 

Zeitlandschaft

Schimmernd liegt die Bahn im tiefen Tale,

Über Tal und Schienen geht die Brücke

Hoch hinweg, ein Turm ist jeder Pfeiler,

Kunstgekrönet in die Lüfte ragend,

Zu den Wolken weite Bogen tragend.

 

Wie ein Römerwerk, doch neu und glänzend,

Bindet wald'ge Berge sie zusammen;

Auf der Brücke fahren keine Wagen,

Denn kristallnes Wasser geht dort oben,

Dessen fromme Flut die Schiffer loben.

 

Unten auf des Tales Eisensohle

Schnurrt hindurch der Wagen lange Reihe,

Hundert unruhvolle Herzen tragend,

Straff von Nord nach Süd mit Vogels Schnelle.

Drüber streicht das Fischlein durch die Welle.

 

Langsam, wie ein Schwan, mit weißem Segel,

Herrlich auf des Himmels blauem Grunde

Oben fährt ein Schiff von Ost nach Westen; –

Ruhvoll lehnt der Schiffer an dem Steuer:

Ist das nicht ein schönes Abenteuer?

 

Das große Schillerfest

1859

 

Schnee und Regen floß hernieder

Auf novemberbraunen Bergen,

Trostlos rangen alle Wipfel

Mit den schweren grauen Wolken.

 

Von den Büschen troff es klagend,

Jeder Dorn war eine Traufe,

Die hinab von Dorn zu Dornen

Unaufhörlich floß und weinte.

 

Aus den dunklen Forsten wankte

Irren Schritts ein Weib hervor,

Zart gebaut, in dünnem Kleide,

Aber fruchtbeschwerten Leibes.

 

Zitternd und mit starren Fingern

Las sie nasses Laub und Reisig;

Mühsam sich zur Erde bückend,

Raffte sie ein zaghaft Büschel.

 

Und der Brombeer wirre Schlingen

Hingen sich an ihre Füße,

Daß sie strauchelt', und das Weinen

Hing an ihren Augenwimpern.

 

Kam ein zweites Weib gegangen,

Groß und stark und guter Hoffnung;

Schwere Hölzer auf dem Haupte,

Schritt sie aufrecht her und trotzig.

 

Und sie rief mit lautem Lachen:

»Ei, Gevattrin! wie zu sehen,

Sind wir beide gleich gesegnet?

Nun wahrhaftig muß ich lachen!«

 

Doch die andre fing urplötzlich

Bitterlich laut an zu weinen,

Und die regenschwere Schürze

Drückt' sie schluchzend an die Augen.

 

»Wieder soll ich nun gebären!«

Sprach sie, kummerschwer sich fassend,

»Und ich habe nicht, wovon ich

Mir ein warmes Süppchen koche!

 

Meinen Gatten und Ernährer

Hab ich traurig jüngst verloren,

Als er einen Stamm geschlagen,

Der ihn fallend wieder schlug.

 

Und ich weiß nicht, wie das endet;

Leben soll zu Leben kommen,

Und das drängt sich und das mehrt sich,

Und das Herz ist krank zum Tode!

 

Wie ein Tier auf wilder Heide

Schein ich mir, das ohne Gott,

Ohne Gott und ohne Sterne

Hungernd irrt und sich vermehrt.« –

 

»Hei, was ficht dich an, du Blöde?«

Rief die andre, heller lachend;

»Lustig baun wir unsre Wölbung

In das weite Reich hinaus!

 

Fäuste geb ich meinen Kindern

Und gesunde weiße Zähne!

Sieh, das jüngste hat mir neulich

Hier den Ohrlapp durchgebissen!

 

Meinen Mann hab ich vertrieben,

Weil er faul war und den Kindern

Alles Brot, das ich erworben,

Vor den Mäulern wegstibitzte!« –

 

»Du bist stark und du bist frech!«

Sagte wiederum die andre;

»Ich bin zag, und das Gewissen

Liegt mir leider in der Art!«

 

Also standen beide Weiber

Hohen Leibs sich gegenüber,

Und je lauter jene lachte,

Desto traur'ger wurde diese.

 

Und es kam der Nordlandswind

Mächtig rauschend über die Berge,

Und die Tränen der Bedrängten

Trocknete sein scharfes Wehen.

 

In der Höhe schwamm im Blauen

Einesmals die Spätherbstsonne,

Daß in hellem Golde flammten

Wie ein Morgenrot die Wälder.

 

In der Tiefe trieben wogend

Aufgejagt die zerrissenen Nebel,

Vor dem wehenden Riesenhauche

Stürmten sie verscheucht davon.

 

Doch ein prächtiges Festgeläute

Überklang das mächt'ge Rauschen,

Und im Glanze der blitzenden Sonne

Lag im Tal eine strahlende Stadt.

 

Lang hinwallende Bürgerzüge

Sah man schimmernd sich drin bewegen,

Ihnen wehte die fliegende Seide

Reich gebildeter Banner voran.

 

Herrlich wogte der Wind aus Norden,

Und die Glocken erschollen mit Macht;

Da ertönten auch starke Posaunen,

Helle Trompeten mit schwellender Pracht.

 

Und die singende Menschenstimme

Deutlich man dazwischen vernahm,

Seltsam, neu und herzerschütternd

Wie der seliggewordene Gram.

 

»Freude, schöner Götterfunken!«

Hallte herüber der klingende Sturm;

War kein Kirchenlied und kein Kriegslied,

Doch die Glocken schallten vom Turm.

 

Horchend standen die armen Frauen,

Und die Lacherin wurde still;

Und sie sprach: »Wer doch nur wüßte,

Was das alles bedeuten will?

 

Einer rief, den zu Tale laufen

Ich mit hastigen Schritten sah,

Daß die schönere und die größere,

Ja die bessere Zeit sei nah!

 

Aber komm, du zage Klagende,

Was es immer bedeuten mag,

Feiern wir in meiner Hütte

Diesen unbekannten Tag!

 

Bringe die weinenden, deine Kleinen,

Zu den meinigen schnell zur Stell;

Wir entfachen ein lustiges Feuer,

Schaffen die Welt uns warm und hell!

 

Neuen Most hab ich im Hause,

Nüsse für die junge Brut;

Und beim frohen Mütterschmause

Fassen wir einen guten Mut!«

 

So genossen sie unwissend

Jenes Tages Silberblick;

Mit am warmen Feuer ruhte

Still ein künftiges Geschick.

 

Seine unsichtbaren Hüter

Lehnten am Standartenschaft

In den goldnen Wappenröcken:

Das Gewissen und die Kraft.

 

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