Wenn ich anders dich verstanden habe, so hältst du dich für einen Geist, der in einen tierischen Leib eingekerkert ist?
AGATHON. Wofür sollt ich mich sonst halten?
HIPPIAS. Sind die vierfüßigen Tiere, die Vögel, die Fische, die Gewürme, auch Geister, die in einen tierischen Leib eingeschlossen sind?
AGATHON. Vielleicht.
HIPPIAS. Und die Pflanzen?
AGATHON. Vielleicht auch diese.
HIPPIAS. Du bauest also deine Hoffnung auf ein Vielleicht. Wenn die Tiere vielleicht auch nicht Geister sind, so bist du vielleicht eben so wenig einer; denn das ist einmal gewiß, daß du ein Tier bist. Du entstehest wie die Tiere, wächsest wie sie, hast ihre Bedürfnisse, ihre Sinnen, ihre Leidenschaften, wirst erhalten wie sie, vermehrest dich wie sie, stirbst wie sie, und wirst wie sie wieder zu einem bißchen Wasser und Erde, wie du vorher gewesen warst. Wenn du einen Vorzug vor ihnen hast, so ist es eine schönere Gestalt, ein paar Hände, mit denen du mehr ausrichten kannst als ein Tier mit seinen Pfoten, eine Bildung gewisser Gliedmaßen, die dich der Rede fähig macht, und ein lebhafterer Witz, der von einer schwächern und reizbarem Beschaffenheit deiner Fibern herkommt; und der doch alle Künste, womit wir uns so groß zu machen pflegen, den Tieren abgelernt hat.
AGATHON. Wir haben also sehr verschiedene Begriffe von der menschlichen Natur, du und ich.
HIPPIAS. Vermutlich, weil ich sie für nichts anders halte, als wofür meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurteile sie mir geben. Doch ich will freigebig sein; ich will dir zugeben, dasjenige was in dir denkt sei ein Geist, und wesentlich von deinem Körper unterschieden. – Worauf gründest du die Hoffnung, daß dieser Geist noch denken werde, wenn dein Leib zerstört sein wird? Was für eine Erfahrung hast du, eine Meinung zu bestätigen, die von so vielen Erfahrungen bestritten wird? Ich will nicht sagen, daß er zu nichts werde; aber dein Leib verliert durch den Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; woher hoffest du, daß dein Geist die Form nicht verlieren werde, die ihn zu deinem Geiste macht?
AGATHON. Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, daß der oberste Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind, ein Wesen zerstören werde, das er fähig gemacht hat, so glücklich zu sein, als ich es schon gewesen bin.
HIPPIAS. Ein neues Vielleicht? Woher kennst du diesen obersten Geist?
AGATHON. Woher kennst du den Phidias, der diesen Amor gemacht hat?
HIPPIAS. Weil ich ihm zusah wie er ihn machte; denn vielleicht könnt ein Bildsäule auch entstehe, ohne daß sie von einem Künstler gemacht würde.
AGATHON. Wie so?
HIPPIAS. Eine ungefähre Bewegung ihrer kleinsten Elemente könnte diese Form endlich hervorbringen.
AGATHON. Eine regellose Bewegung ein regelmäßiges Werk?
HIPPIAS. Warum das nicht? Du kannst im Würfelspiel von ungefähr alle drei werfen. So gut als dieses möglich ist, könntest du auch unter etlichen Billionen von Würfen einen werfen, wodurch eine gewisse Anzahl Sandkörner in eine cirkelrunde Figur fallen würde. Die Anwendung ist leicht zu machen.
AGATHON. Ich verstehe dich. Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich, daß die ungefähre Bewegung der Elemente nur eine Muschel, deren so unzählich viele an jenem Ufer liegen, hervorbringen; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lange genug zu sein, nur diese Erdkugel, diesen kleinen Atomen des ganzen Weltalls auf solche Weise entstehen zu machen.
HIPPIAS. Es ist genug, daß unter unendlich vielen ungefähren Bewegungen, die nichts regelmäßiges und dauerhaftes hervorbringen, eine möglich ist, die eine Welt hervorbringen kann. Dieses setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung ein Vielleicht entgegen, wodurch sie auf einmal entkräftet wird.
AGATHON. So viel als das Gewicht einer unendlichen Last, durch die Hinwegnahm eines einzigen Sandkorns.
HIPPIAS. Du hast vergessen, daß eine unendliche Zeit in die andere Waagschale gelegt werden muß.
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