Indessen war doch dasjenige, dem er sein Glück vornehmlich zu danken hatte, die besondere Gabe, die er besaß, sich der schönem Hälfte der Gesellschaft gefällig zu machen. Er war so klug, frühzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser reizenden Geschöpfe gelegen ist, welche in den policierten Teilen des Erdbodens die Macht würklich ausüben, die in den Märchen den Feen beigelegt wird; die mit einem einzigen Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuchs stärker überzeugen, als Demosthenes und Lysias durch lange Reden; die mit einer einzigen Träne den Gebieter über Legionen entwaffnen, und durch den bloßen Vorteil, den sie von ihrer Gestalt und einem gewissen Bedürfnis des stärkern Geschlechts zu ziehen wissen, sich zu unumschränkten Beherrscherinnen derjenigen machen, in deren Händen das Schicksal ganzer Völker liegt. Hippias hatte diese Entdeckung von so großem Nutzen gefunden, daß er keine Mühe gesparet hatte, es in der Anwendung derselben zu dem höchsten Grade der Vollkommenheit zu bringen; und dasjenige, was er in seinem Alter noch davon hatte, bewies, was er in seinen schönen Jahren gewesen sein müsse. Seine Eitelkeit ging so weit, daß er sich nicht enthalten konnte, die Kunst, die Zauberinnen zu bezaubern, in die Form eines Lehr-Begriffs zu bringen, und seine Erfahrungen und Beobachtungen hierüber der Welt in einer sehr gelehrten Abhandlung mitzuteilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unsrer Nation zu ersetzen sein möchte.
Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben, wär es überflüssig, eine Abschilderung von seinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Begriff, von der Kunst zu leben, wird uns in kurzem umständlich vorgelegt werden; und er besaß eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moralisten zu sein pflegt; er lebte nach seinen Grundsätzen.
Zweites Capitel
Absichten des weisen Hippias
Unter andern Neigungen, in deren Befriedigung man den rechten Gebrauch des Reichtums zu setzen pflegt, hatte Hippias einen besondern Geschmack an allem, was gut in die Augen fiel. Er wollte, daß die Seinigen, in seinem Hause wenigstens, sich nirgends hinwenden sollten, ohne einem schönen Gegenstande zu begegnen. Die schönsten Gemälde, die schönsten Bildsäulen und Schnitzwerke, die reichsten Tapeten, das schönste Hausgeräte, die schönsten Gefäße befriedigten seinen Geschmack noch nicht; er wollte auch, daß der belebte Teil seines Hauses mit dieser allgemeinen Schönheit übereinstimmen sollte; und seine Bediente und Sclavinnen waren die ausgesuchtesten Gestalten, die er in einem Lande, wo die Schönheit gewöhnlich ist, hatte finden können. Die Gestalt Agathons möchte also allein hinreichend gewesen sein, ihm seine Gunst zu erwerben; zumal da er eben einen Leser nötig hatte, und aus dem Anblick und den ersten Worten desselben urteilte, daß er sich zu einem Dienst vollkommen schicken würde, wozu eine gefallende Gesichts-Bildung und eine musicalische Stimme die nötigsten Gaben sind. Allein Hippias hatte noch eine geheime Absicht, die er durch diesen Jüngling zu erreichen hoffte. Obgleich die Liebe zu den Wollüsten der Sinne seine herrschende Neigung zu sein schien, so hatte doch die Eitelkeit nicht weniger Anteil an den meisten Handlungen seines Lebens. Er hatte, bevor er sich nach Smyrna begab, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen, den schönsten Teil seines Lebens zugebracht, die edelste Jugend der griechischen Städte zu bilden; er hatte Redner gebildet, die durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen, und den klugen Gebrauch gewisser Figuren, einer schlimmen Sache den Schein und die Würkung einer guten zu geben wußten; Staats-Männer, welche die Kunst besaßen, mitten unter den Zujauchzungen eines betörten Volks die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit durch schlimme Sitten zu vernichten; um diejenigen, die sich der heilsamen Zucht der Gesetze nicht unterwerfen wollten, der willkürlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterwerfen; kurz, er hatte Leute gebildet, die sich Ehren-Säulen dafür aufrichten ließen, daß sie ihr Vaterland zu Grunde richteten. Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch nicht: Er wollte auch jemand hinterlassen, der seine Kunst fortzusetzen geschickt wäre; eine Kunst, die in seinen Augen allzuschön war, als daß sie mit ihm sterben sollte. Schon lange hatte er einen jungen Menschen gesucht, bei dem er das natürliche Geschicke, der Nachfolger eines Hippias zu sein, in derjenigen Vollkommenheit finden möchte, die dazu erfodert wurde. Seine Gabe, aus der Gestalt und Mine das Inwendige eines Menschen zu erraten, beredete ihn, im Agathon zu finden, was er suchte; wenigstens hielt er es der Mühe wert, den Versuch mit ihm zu machen; und da er von seiner Tüchtigkeit ein so gutes Vorurteil gefasset hatte, so fiel ihm nur nicht ein, in seine Willigkeit zu den großen Absichten, die er mit ihm vorhatte, einigen Zweifel zu setzen.
Drittes Capitel
Verwunderung, in welche Agathon gesetzt wird
Agathon wußte noch nichts, als daß er einem Manne zugehöre, dessen äußerliches Ansehen ihm gefiel; als er bei dem Eintritt in sein Haus durch die Schönheit des Gebäudes, die Bequemlichkeiten der Einrichtung, die Menge und die gute Mine der Bedienten, und durch einen Schimmer von Pracht und Üppigkeit, der ihm allenthalben entgegen glänzte, in eine Art von Verwunderung gesetzt wurde, die ihm sonst nicht gewöhnlich war, und die nur desto mehr zunahm, wie er hörte, daß er die Ehre haben sollte, ein Haus-Genosse von Hippias, dem Weisen, zu werden. Er war noch im Nachdenken begriffen, was für eine Art von Weisheit dieses sein möchte, als Hippias, der indes seinem Zahlmeister befohlen hatte, den Cilicier zu befriedigen, ihn in sein Cabinet rufen ließ, und ihm seine künftige Bestimmung in diesen Worten ankündigte: Die Gesetze, Callias, (denn dieses soll künftig dein Name sein) geben mir zwar das Recht, dich als meinen Leibeigenen anzusehen; aber es wird nur von dir abhangen, so glücklich in meinem Hause zu sein, als ich selbst. Alle deine Verrichtungen werden darin bestehen, den Homer bei meinem Tische, und die Aufsätze, mit deren Ausarbeitung ich mir die Zeit vertreibe, in meinem Hör-Saal vorzulesen. Wenn dieses Amt leicht zu sein scheint, so versichre ich dich, daß ich nicht leicht zu befriedigen bin, und daß du Kenner zu Hörern haben wirst. Ein Jonisches Ohr will nicht nur ergötzt, es will bezaubert sein. Die Annehmlichkeit der Stimme, die Reinigkeit und das Weiche der Aussprache, die Richtigkeit des Accents, das Muntre, das Ungezwungene, das Musicalische ist nicht hinlänglich; wir fodern eine vollkommne Nachahmung, einen Ausdruck, der jedem Teile des Stücks, jeder Periode, jedem Vers das Leben, den Affect, die Seele gibt, die sie haben sollen; kurz, die Art, wie gelesen wird, soll das Ohr an die Stelle aller Übrigen Sinne setzen. Das Gastmahl des Alcinous soll diesen Abend dein Probstück sein. Die Fähigkeiten, die ich an dir zu entdecken hoffe, werden meine Absichten mit dir bestimmen; und vielleicht wirst du in der Zukunft Ursache finden, den Tag, an dem du dem Hippias gefallen hast, unter deine Glücklichen zu zählen. Mit diesen Worten verließ er unsern Jüngling, und ersparte sich dadurch die Demütigung zu sehen, wie wenig der neue Callias durch die Hoffnungen gerührt schien, wozu ihn diese Erklärung berechtigte. In der Tat hatte die Bestimmung, die Jonischen Ohren zu bezaubern, in Agathons Augen nicht edels genug, daß er sich deswegen hätte glücklich schätzen sollen; und über dem war etwas in dem Ton dieser Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er eigentlich wußte, warum? Inzwischen vermehrte sich seine Verwunderung, je mehr er sich in dem Hause des weisen Hippias umsah; und er begriff nun ganz deutlich, daß sein Herr, was auch sonst seine Grundsätze sein möchten, wenigstens von der Ertödung der Sinnlichkeit, wovon er ehmals den Plato zu Athen sehr schöne Dinge sagen gehört hatte, keine Profession mache. Allein wie er sah, was die Weisheit in diesem Hause für eine Tafel hielt, wie prächtig sie sich bedienen ließ, was für reizende Gegenstände ihre Augen, und was für wollüstige Harmonien ihre Ohren ergötzten, während daß der Schenk-Tisch mit den ausgesuchtesten Weinen und den angenehm-betäubenden Getränken der Asiaten beladen, den Sinnen zum Genuß so vieler Wollüste neue Kräfte zu geben schien; wie er die Menge von jungen Sclaven sah, die den Liebes-Göttern ähnlich schienen, die Chöre von Tänzerinnen und Lauten-Spielerinnen, die durch die Reizungen ihrer Gestalt so sehr als durch ihre Geschicklichkeit bezauberten, und die nachahmenden Tänze, in denen sie die Geschichte der Leda oder Danae durch bloße Bewegungen mit einer Lebhaftigkeit vorstellten, die einen Nestor hätte Verjüngern können; wie er die üppigen Bäder, die bezauberten Gärten, kurz, wie er alles sah, was das Haus des weisen Hippias zu einem Tempel der ausgekünsteltsten Sinnlichkeit machte, so stieg seine Verwunderung bis zum Erstaunen; und er konnte nicht begreifen, was dieser Sybarite getan haben müsse, um den Namen eines Weisen zu verdienen, oder wie er sich einer Benennung nicht schäme, die ihm, seinen Gedanken nach, eben so gut anstund, als dem Alexander von Phera, wenn man ihn den Leutseligen, oder der Phryne, wenn man sie die Keusche hätte nennen wollen. Alle Auflösungen, die er sich selbst hierüber machen konnte, befriedigten ihn so wenig, daß er sich vornahm, bei der ersten Gelegenheit dieses Problem dem Hippias selbst vorzulegen.
Viertes Capitel
Welches bei einigen den Verdacht erwecken wird, daß diese Geschichte erdichtet sei
Die Verrichtungen des Agathon ließen ihm so viel Zeit übrig, ja daß er in wenigen Tagen in einem Hause, wo alles Freude atmete, sehr lange Weile hatte. Zwar lag die Schuld nur an ihm selbst, wenn es ihm an einem Zeit-Vertreib mangelte, der sonst die hauptsächlichste Beschäftigung der Leute von seinem Alter auszumachen pflegt. Die Nymphen dieses Hauses waren von einer so gefälligen Gemüts-Art, von einer so anziehenden Figur, und von einem so günstigen Vorurteil für den neuen Haus-Genossen eingenommen, daß es weder die Furcht abgewiesen zu werden, noch der Fehler ihrer Reizungen war, was den schönen Callias so zurückhaltend oder umempfindlich machte.
Verschiedene, die aus seinem Betragen schlossen, daß er noch ein Neuling sein müsse, ließen sich die Mühe nicht dauern, ihm die Schwierigkeiten, die ihm seine Schüchternheit, ihren Gedanken nach, in den Weg legte, zu erleichtern; Sie gaben ihm Gelegenheiten, die den Zaghaftesten hätten unternehmend machen sollen. Allein (wir müssen es nur gestehen, was man auch von unserm Helden deswegen denken mag) er gab sich eben so viel Mühe, diese Gelegenheiten auszuweichen, als man sich geben konnte, sie ihm zu machen. Wenn dieses anzuzeigen scheint, daß er entweder einiges Mißtrauen in sich selbst, oder ein allzugroßes Vertrauen in die Reizungen dieser schönen Verführerinnen gesetzt habe, so dienet vielleicht zu seiner Entschuldigung, daß er noch nicht alt genug war, ein Xenocrates zu sein; und daß er, vermutlich nicht ohne Ursache, ein Vorurteil wider dasjenige gefaßt hatte, was man im Umgang von jungen Personen beiderlei Geschlechts unschuldige Freiheiten zu nennen pflegt. Dem sei inzwischen wie ihm wolle, so ist gewiß, daß Agathon durch dieses seltsame Bezeugen einen Argwohn erweckte, der ihm bei allen Gelegenheiten sehr beißende Spöttereien von den übrigen Hausgenossen, und selbst von den Schönen zuzog, die sich durch seine Sprödigkeit nicht wenig beleidigt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verstehen gaben, daß sie ihn für geschickter hielten, die Tugend der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu stellen.
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