Bei klarerer Überlegung erkannte jetzt der Flüchtling im Dunkel jenes Ereignisses, das ihn von der Seite des Königs vertrieben hatte, mit den scharfen Augen der Liebe und des Hasses seinen Doppelgänger. Es war der Lauenburger. Hatte er nicht gesehen, wie der Gebrandmarkte die Faust gegen die Gerechtigkeit des Königs geballt hatte? Besaß der Gestrafte nicht den Scheinklang seiner Stimme? War er selbst nicht Weibes genug, um in jenem fürchterlichen Augenblicke die Kleinheit der geballten fürstlichen Faust bemerkt zu haben? Gewiß, der Lauenburger sann Rache, sann Mord gegen das geliebte Haupt. Und in dieser Stunde unheimlicher Verfolgung und Beschleichung seines Königs hatte sich Leubelfing aus der Nähe des Bedrohten verbannt. Eine unendliche Sorge für das Liebste, was er besessen, preßte ihm das Herz zusammen und löste sich bei dem Gedanken, daß er es nicht mehr besitze, in ein beklommenes Schluchzen und dann in unbändig stürzende Tränen. Eine schwedische Wacht, ein Musketier mit schon ergreistem Knebelbarte, der den schlanken Reiter weinen sah, verzog den Mund zu einer lustigen Grimasse, fragte dann aber gutmütig: »Sinnt der junge Herr nach Hause?« Leubelfing nahm sich zusammen und langsam weiterreitend entschloß er sich mit jener Keckheit die ihm die Natur gegeben und das Schlachtfeld verdoppelt hatte, nicht aus dem Lager zu weichen. »Der König wird es abbrechen«, sagte er sich, »ich komme in einem Regiment unter und bleibe während der Märsche und Ermüdungen unbekannt! Dann die Schlacht!«
Jetzt gewahrte er einen Oberst, welcher die Lagerstraßen wachsam abritt. Das Licht des Mondes war so kräftig, daß man einen Brief dabei hätte entziffern können. So erkannte er auf den ersten Blick einen Freund seines Vaters, denselben, welcher dem Hauptmann Leubelfing in dem für ihn tödlichen Duell sekundiert hatte. Er trieb seinen Fuchs zu der Linken des Schweden. Der Oberst, der in der letzten Zeit meist auf Vorposten gelegen, betrachtete den jungen Reiter aufmerksam. »Entweder ich irre mich«, begann er dann, »oder ich habe Euer Gnaden, wenn auch auf einige Entfernung, als Pagen neben dem Könige reiten sehen? Wahrlich, jetzt erkenne ich Euch wieder, ob Ihr auch etwas mondenblaß und schwermütig ausschaut.« Dann plötzlich von einer Erinnerung überrascht: »Seid Ihr ein Nüremberger«, fuhr er fort, »und mit dem seligen Hauptmann Leubelfing verwandt? Ihr gleichet ihm zum Erschrecken, oder eigentlich seinem Kinde, dem Wildfang, der Gustel, die bis in ihr sechzehntes Jahr mit uns geritten ist. Doch Mondenlicht trügt und hext. Steigen wir ab. Hier ist mein Zelt.« Und er übergab sein Roß und das des Pagen einem ihn erwartenden Diener mit plattgedrückter Nase und breitem Gesichte, welcher seinen Gebieter mit einem gutmütigen stupiden Lächeln empfing »Mache sich's der Herr bequem«, lud der Alte den Pagen ein, ihm einen Feldstuhl bietend und sich auf seinen harten Schragen niederlassend. Zwei Windlichter gaben eine schwankende Helle.
Jetzt fuhr der Oberst ohne Zeremonie mit seiner breiten ehrlichen Hand dem Pagen durch das Haar. Auf der bloßgelegten Stirnhöhe wurde eine alte aber tiefeingeschnittene Narbe sichtbar. »Gustel, du Narre«, brach er los, »meinst, ich hätt's vergessen, wie dich das ungrische Fohlen, die Hinterhufen aufwerfend, über seinen Starrkopf schleuderte, daß du durch die Luft flogest und wir dreie dich für tot auflasen, die heulende Mutter, der Vater blaß wie ein Geist und ich selber herzlich erschrocken? Ein perfekter Soldat, der selige Leubelfing, mein bester Hauptmann und mein Herzensfreund! Nur ein bißchen toll, wie du es auch sein wirst, Gustel! Alle Wetter, Kind, wie lange schon treibst du dein Wesen um den König? Schaust übrigens akkurat wie ein Bube! Hast dir das blonde Kraushaar im Nacken wegrasiert, Kobold?« und er zupfte sie. »Mach dir nur nicht vor, du seiest das einzige Weibsbild im Lager! Sieh dir mal den Jakob Erichson an, meinen Kerl!« Der Bursche trat eben mit Flaschen und Gläsern ein. »Ein Mann wie du! Keine Angst, Gustel! Er hat nicht ein deutsches Wort erlernen können. Dazu ist er viel zu dumm. Aber ein kreuzbraves, gottesfürchtiges Weib! Und garstig! Übrigens die einfachste Geschichte von der Welt, Gustel: Sieben Schreihälse, der Ernährer ausgehoben, sein Weib für ihn eintretend. Der denkbar beste Kerl! Ich könnte ihn nur gar nicht mehr entbehren!«
Der Page betrachtete das brave Geschöpf mit entschiedenem Widerwillen, während der Oberst weiterpolterte. »Allewege ein starkes Stück, Gustel, neben dem Könige dich einzunisten, der die Weibsen in Mannstracht verabscheut! Hast eine Fabel gespielt, was sie auf den Bänken von Upsala ein Monodrama nennen, wenn eine Person für sich mutterseelenallein jubelt, fürchtet, verzagt, empfindet, tragiert, imaginiert! Und hast dir Gott weiß wieviel darauf eingebildet, ohne daß eine sterbliche Seele etwas davon wußte oder sich einen Deut darum bekümmerte. Du blickst unmutig? Halsgefährlich, Kind, war es gerade nicht! Wurdest du entlarvt: ›Pack dich, dummes Ding!‹ hätte er dich gescholten und den nächsten Augenblick an etwas anderes gedacht. Ja, wenn dich die Königin demaskiert hätte! Puh! Nun sag ich: man soll die Kinder nicht küssen! So 'n Kuß schläft und lodert wieder auf, wann die Lippen wachsen und schwellen. Und wahr ist's und bleibt's, der König hat dich mir einmal von den Armen genommen, Patchen, und hat dich geherzt und abgeküßt, daß es nur so klatschte! Denn du warest ein keckes und hübsches Kind.« Der Page wußte nichts mehr von dem Kuß, aber er empfand ihn wild errötend.
»Und nun, Wildfang, was soll werden?« Er sann einen Augenblick. »Kurz und gut, ich trete dir mein zweites Zelt ab!
Du wirst mein Galopin, gibst mir dein Ehrenwort nicht auszureißen und reitest mit mir bis zum Frieden. Dann führ ich dich heim nach Schweden in mein Gehöft bei Gefle. Ich bin einzeln.
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