Der Lauenburger, der im Vorbeireiten sein Zelt öffnend das Nest leer gefunden und seinen Verdacht ohne weiteres auf den König geworfen hatte, kam ihnen nachgesprengt und feuerte ihre Raubgier zu einer Tat an, von welcher er wußte, daß sie, von dem Könige vernommen, Gustav Adolf in das Herz schneiden würde.
Aber dieser sollte den Frevel mit Augen sehen. Mitten in den Tumult – Kisten und Kasten wurden erbrochen, Rosse niedergestochen oder geraubt, Wehrlose mißhandelt, sich zur Wehre Setzende verwundet – ritt der König hinein, zu welchem sich flehende Arme, Gebete, Flüche, Verwünschungen erhoben nicht anders als zum Throne Gottes. Der König beherrschte und verschob seinen Zorn. Zuerst gab er Befehl, für die mißhandelten Flüchtlinge zu sorgen, dann befahl er die ganze adelige Sippe zu sich auf die neunte Stunde. Heimreitend, hielt er vor dem Zelt des Generalgewaltigen, hieß ihn seinen roten Mantel umwerfen und – in einiger Entfernung – folgen.
In dieser Stimmung befand sich König Gustav, als er die Beihälterin des Lauenburgers erblickte. Er maß das Mädchen, deren wilde Schönheit ihm mißfiel und deren grelle Tracht seine klaren Augen beleidigte.
»Wer sind deine Eltern?« begann er, es verschmähend, sich nach ihrem eigenen Namen oder Schicksal zu erkundigen.
»Ein Hauptmann von den Kroaten; die Mutter starb früh weg«, erwiderte das Mädchen, mit ihren dunkeln seinen hellen Augen ausweichend.
»Ich werde dich deinem Vater zurücksenden«, sagte er.
»Nein«, antwortete sie, »er würde mich erstechen.«
Eine mitleidige Regung milderte die Strenge des Königs. Er suchte für das Mädchen einen geringen Straffall. »Du hast dich im Lager in Männerkleidern umgetrieben, dieses ist verboten«, beschuldigte er sie.
»Niemals«, widersprach die Corinna aufrichtig entrüstet, »nie beging ich diese Zuchtlosigkeit.«
»Aber«, fuhr der König fort, »du brichst die Ehe und machst eine edle junge Fürstin unglücklich.«
Eine rasende Eifersucht loderte in den Augen der Slavonierin. »Wenn er nun mich mehr, mich allein liebt, was kann ich dafür? Was kümmert mich die andere?« trotzte sie wegwerfend. Der König betrachtete sie mit einem erstaunten Blicke, als frage er sich, ob sie je in eine christliche Kinderlehre gegangen sei.
»Ich werde für dich sorgen«, sagte er dann. »Jetzt befehle ich dir: Du lässest von dem Lauenburger auf immer und ewig. Deine Liebe ist eine Todsünde. Wirst du gehorchen?« Sie hielt erst mit zwei lodernden Fackeln, dann mit einem festen starren Blick den des Königs aus und schüttelte das Haupt. Dieser wendete sich gegen den Generalgewaltigen, der unter der Türe stand.
»Was soll der mit mir?« frug das Mädchen schaudernd. »Ist's der Henker? Wird er mich richten?«
»Er wird dir die Haare scheren, dann bringt dich der nächste Transport nach Schweden, wo du in einem Besserungshause bleibst, bis du ein evangelisches Weib geworden bist.«
Ein heftiger Stoß von wunderlichen Befürchtungen und unbekannten Schrecken warf das kleine Gehirn über den Haufen. Ein geschorenes Schädelchen, welche entehrendere, beschämendere Entblößung konnte es geben! Schweden, das eisige Land mit seiner Winternacht, von welchem sie hatte fabeln hören, dort sei der Eingang zum Reiche der Larven und Gespenster! Besserung? Welche ausgesuchte, grausame Folter bedeutete dieses ihr unbekannte Wort? Ein evangelisches Weib? Was war das, wenn nicht eine Ketzerin? Und so sollte sie zu alledem noch ihres bescheidenen himmlischen Teiles verlustig gehen? Sie, die keine Fasten brach und keine fromme Übung versäumte! Sie ergriff das Kreuz, das an dem zerrissenen Kettchen niederhing, und küßte es inbrünstig.
Dann ließ sie die irren Augen im Kreise laufen. Diese blieben auf dem Pagen haften und Rachelust flammte darin auf. Sie öffnete den Mund, um den König, welcher sie des Ehebruchs geziehen, gleicherweise einen Ehebrecher zu schelten. Dieser stand ruhig beiseite. Er hatte den Brief des Pagen in die Hand genommen und durchflog denselben mit nahen Blicken. Seine aufmerksamen Züge, deren aus Gerechtigkeit und Milde gemischter Ausdruck etwas Majestätisches und Göttliches hatte, erschreckten die Corinna; sie fürchtete sich davor als vor etwas Fremdem und Unheimlichem. Das wildwüchsige Mädchen, welches jedes von einer faßlichen Leidenschaft verzogene Männerantlitz richtig beurteilte, ohne davor zu erschrecken, wurde aus dieser veredelten menschlichen Miene nicht klug. Sie mochte den König nicht länger ansehen. Am Ende, dachte sie, ist der, Schneekönig ein gefrorener Mensch, der die Nähe des Weibes und die ihn heimlich umschleichende Liebe nicht spürt. Ich könnte das junge Blut verderben! Wozu aber auch? Und dann – sie liebt ihn.
Jetzt trat der Profos einen Schritt vorwärts und streckte die Hand nach der Slavonierin aus. Diese gab sich verloren. Blitzschnell richtete sie sich an dem Pagen auf und wisperte ihm ins Ohr: »Laß mir zehn Messen lesen, Schwesterchen! von den teuren! Du bist mir eine dicke Kerze schuldig! Nun, eine hat das Glück, die andere« – sie fuhr in die Tasche, zog einen Dolch heraus, schleuderte die Scheide ab und zerschnitt sich in einem kunstfertigen Zug die Halsader wie einem Täubchen. So mochte sie es in einer Feldküche gelernt und geübt haben.
Der Generalgewaltige spreitete seinen roten Mantel, legte sie der Länge nach darauf, hüllte sie ein und trug sie wie ein schlafendes Kind auf beiden Armen durch eine Seitentüre hinweg.
Jetzt wurde es im Nebenzimmer lebendig von allerhand ungebührlich laut geführten Unterhaltungen und mit dem Schlage neun trat der König, welchem Leubelfing die Flügeltür öffnete, unter die versammelten deutschen Fürsten und Herren.
Sie bildeten in dem engen Raume einen dichtgedrängten Kreis und mochten ihrer fünfzig oder sechzig sein. Die Herrschaften hielten sich nicht allzu ehrerbietig, manche sogar nachlässig, als ob sie ebensowenig die Farbe der Scham als die Farbe der Furcht kennten: schlaue neben verwegenen, ehrgeizige neben beschränkten, fromme neben frechen Köpfen; die Mehrzahl Leute, die ihren Mann stellten und mit denen gerechnet werden mußte. Links vom Könige hielt sich in bescheidener Haltung der Hauptmann Erlach, der eigentlich hier nichts zu suchen hatte.
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