Was Eure Rückkehr

Zur hohen Schul' in Wittenberg betrifft,

So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,

Und wir ersuchen Euch, beliebt zu bleiben,

Hier in dem milden Scheine unsers Aug's,

Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.

KÖNIGIN.

Laß deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet:

Ich bitte, bleib' bei uns, geh nicht nach Wittenberg!

HAMLET.

Ich will Euch gern gehorchen, gnäd'ge Frau.

KÖNIG.

Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort.

Seid wie wir selbst in Dänmark! – Kommt, Gemahlin!

Dies will'ge, freundliche Nachgeben Hamlets

Sitzt lächelnd um mein Herz; und dem zu Ehren

Soll das Geschütz heut jeden frohen Trunk,

Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,

Und wenn der König anklingt, soll der Himmel

Nachdröhnen ird'schem Donner. – Kommt mit mir!

 

König, Königin, Laertes und Gefolge ab.

 

HAMLET.

O schmölze doch dies allzu feste Fleisch,

Zerging', und löst' in einen Tau sich auf!

Oder hätte nicht der Ew'ge sein Gebot

Gerichtet gegen Selbstmord! – O Gott! O Gott!

Wie ekel, schal und flach und unersprießlich

Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!

Pfui! pfui darüber! 's ist ein wüster Garten,

Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut

Erfüllt ihn gänzlich. Dazu mußt' es kommen!

Zwei Mond' erst tot! – nein, nicht so viel, nicht zwei;

Solch trefflicher Monarch! der neben diesem

Apoll bei einem Satyr; so meine Mutter liebend,

Daß er des Himmels Winde nicht zu rauh

Ihr Antlitz ließ berühren. Himmel und Erde!

Muß ich gedenken? Hing sie doch an ihm,

Als stieg' der Wachstum ihrer Lust mit dem,

Was ihre Kost war. Und doch, in einem Mond –

Laßt mich's nicht denken! – Schwachheit, dein Nam' ist Weib! –

Ein kurzer Mond; bevor die Schuh'verbraucht,

Womit sie meines Vaters Leiche folgte,

Wie Niobe, ganz Tränen – sie, ja sie;

O Himmel! würd' ein Tier, das nicht Vernunft hat,

Doch länger trauren. – Meinem Ohm vermählt,

Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich

Wie ich dem Herkules: in einem Mond!

Bevor das Salz höchst frevelhafter Tränen

Der wunden Augen Röte noch verließ,

War sie vermählt! – O schnöde Hast, so rasch

In ein blutschänderisches Bett zu stürzen!

Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut.

Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.

 

Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.

 

HORATIO.

Heil Eurer Hoheit!

HAMLET.

Ich bin erfreut. Euch wohl zu sehn.

Horatio – wenn ich nicht mich selbst vergesse?

HORATIO.

Ja, Prinz, und Euer armer Diener stets.

HAMLET.

Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen!

Was macht Ihr hier von Wittenberg, Horatio?

Marcellus?

MARCELLUS.

Gnäd'ger Herr –

HAMLET.

Es freut mich, Euch zu sehn. Habt guten Abend!

Im Ernst, was führt Euch weg von Wittenberg?

HORATIO.

Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz.

HAMLET.

Das möcht' ich Euren Feind nicht sagen hören,

Noch sollt Ihr meinem Ohr den Zwang antun,

Daß Euer eignes Zeugnis gegen Euch

Ihm gültig wär'. Ich weiß, Ihr geht nicht müßig.

Doch was ist Eu'r Geschäft in Helsingör?

Ihr sollt noch trinken lernen, eh' Ihr reist.

HORATIO.

Ich kam zu Eures Vaters Leichenfeier.

HAMLET.

Ich bitte, spotte meiner nicht, mein Schulfreund;

Du kamst gewiß zu meiner Mutter Hochzeit.

HORATIO.

Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf.

HAMLET.

Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne

Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.

Hätt' ich den ärgsten Feind im Himmel lieber

Getroffen, als den Tag erlebt, Horatio!

Mein Vater – mich dünkt, ich sehe meinen Vater.

HORATIO.

Wo, mein Prinz?

HAMLET.

In meines Geistes Aug', Horatio.

HORATIO.

Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König.

HAMLET.

Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,

Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.

HORATIO.

Mein Prinz, ich denk', ich sah ihn vor'ge Nacht.

HAMLET.

Sah? wen?

HORATIO.

Mein Prinz, den König, Euren Vater.

HAMLET.

Den König, meinen Vater?

HORATIO.

Beruhigt das Erstaunen eine Weil'

Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,

Auf die Bekräftigung der Männer hier,

Euch kann berichten.

HAMLET.

Um Gottes willen, laßt mich hören!

HORATIO.

Zwei Nächte nach einander war's den beiden,

Marcellus und Bernardo, auf der Wache

In toter Stille tiefer Mitternacht

So widerfahren. Ein Schatte wie Eu'r Vater

(Geharnischt, ganz in Wehr, von Kopf bis Fuß,)

Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt

Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal

Vor ihren starren, furchtergriffnen Augen,

So daß sein Stab sie abreicht; während sie,

Geronnen fast zu Gallert durch die Furcht,

Stumm stehn, und reden nicht mit ihm. Dies nun

In banger Heimlichkeit vertraun sie mir.

Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;

Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,

Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,

Kommt das Gespenst. Ich kannte Euren Vater:

Hier diese Hände gleichen sich nicht mehr.

HAMLET.

Wo ging dies aber vor?

MARCELLUS.

Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten.

HAMLET.

Ihr sprachet nicht mit ihm?

HORATIO.

Ich tat's, mein Prinz,

Doch Antwort gab es nicht; nur einmal schien's,

Es höb' sein Haupt empor und schickte sich

Zu der Bewegung an, als wollt' es sprechen.

Doch eben krähte laut der Morgenhahn,

Und bei dem Tone schlüpft' es eilig weg

Und schwand aus unserm Blick.

HAMLET.

Sehr sonderbar.

HORATIO.

Bei meinem Leben, edler Prinz, 's ist wahr;

Wir hielten's durch die Pflicht uns vorgeschrieben,

Die Sach' Euch kund zu tun.

HAMLET.

Im Ernst, im Ernst, ihr Herrn, dies ängstigt mich.

Habt ihr die Wache heut?

ALLE.

Ja, gnäd'ger Herr.

HAMLET.

Geharnischt, sagt ihr?

ALLE.

Geharnischt, gnäd'ger Herr.

HAMLET.

Vom Wirbel bis zur Zeh'?

ALLE.

Von Kopf zu Fuß.

HAMLET.

So saht Ihr sein Gesicht nicht?

HORATIO.

O ja doch, sein Visier war aufgezogen.

HAMLET.

Nun, blickt' er finster?

HORATIO.

Eine Miene, mehr

Des Leidens als des Zorns.

HAMLET.

Blaß oder rot?

HORATIO.

Nein, äußerst blaß.

HAMLET.

Sein Aug' auf euch geheftet?

HORATIO.

Ganz fest.

HAMLET.

Ich wollt', ich wär' dabei gewesen.

HORATIO.

Ihr hättet Euch gewiß entsetzt.

HAMLET.

Sehr glaublich,

Sehr glaublich. Blieb es lang'?

HORATIO.

Derweil mit mäß'ger Eil'

Man hundert zählen konnte.

MARCELLUS, BERNARDO.

Länger, länger.

HORATIO.

Nicht, da ich's sah.

HAMLET.

Sein Bart war greis, nicht wahr?

HORATIO.

Wie ich's an ihm bei seinem Leben sah,

Ein schwärzlich Silbergrau.

HAMLET.

Ich will heut wachen.

Vielleicht wird's wieder kommen.

HORATIO.

Zuverlässig.

HAMLET.

Erscheint's in meines edlen Vaters Bildung,

So red' ich's an, gähnt' auch die Hölle selbst

Und hieß' mich ruhig sein. Ich bitt' euch alle:

Habt ihr bis jetzt verheimlicht dies Gesicht,

So haltet's ferner fest in eurem Schweigen;

Und was sich sonst zu Nacht ereignen mag,

Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge:

Ich will die Lieb' euch lohnen; lebt denn wohl!

Auf der Terrasse zwischen eilf und zwölf

Besuch' ich euch.

ALLE.

Eu'r Gnaden unsre Dienste!

HAMLET.

Nein, eure Liebe, so wie meine euch.

Lebt wohl nun!

 

Horatio, Marcellus und Bernardo ab.

 

Meines Vaters Geist in Waffen!

Es taugt nicht alles: ich vermute was

Von argen Ränken. Wär' die Nacht erst da!

Bis dahin ruhig, Seele! Schnöde Taten,

Birgt sie die Erd' auch, müssen sich verraten.

Ab.

 

 

Dritte Szene.

Ein Zimmer in Polonius' Hause.

Laertes und Ophelia treten auf.

 

LAERTES.

Mein Reisegut ist eingeschifft. Leb wohl,

Und, Schwester, wenn die Winde günstig sind

Und Schiffsgeleit sich findet, schlaf' nicht, laß

Von dir mich hören!

OPHELIA.

Zweifelst du daran?

LAERTES.

Was Hamlet angeht und sein Liebsgetändel,

So nimm's als Sitte, als ein Spiel des Bluts;

Ein Veilchen in der Jugend der Natur,

Frühzeitig, nicht beständig – süß, nicht dauernd,

Nur Duft und Labsal eines Augenblicks:

Nichts weiter.

OPHELIA.

Weiter nichts?

LAERTES.

Nur dafür halt es:

Denn die Natur, aufstrebend, nimmt nicht bloß

An Größ' und Sehnen zu; wie dieser Tempel wächst,

So wird der innre Dienst von Seel' und Geist

Auch weit mit ihm. Er liebt Euch jetzt vielleicht;

Kein Arg und kein Betrug befleckt bis jetzt

Die Tugend seines Willens: doch befürchte,

Bei seinem Rang gehört sein Will' ihm nicht!

Er selbst ist der Geburt ja untertan.

Er kann nicht, wie geringe Leute tun,

Für sich auslesen; denn an seiner Wahl

Hängt Sicherheit und Heil des ganzen Staats.

Deshalb muß seine Wahl beschränket sein

Vom Beifall und der Stimme jenes Körpers,

Von welchem er das Haupt. Wenn er nun sagt, er liebt dich,

Geziemt es deiner Klugheit, ihm zu glauben,

So weit er nach besonderm Recht und Stand

Tat geben kann dem Wort; das heißt, nicht weiter

Als Dänemarks gesamte Stimme geht.

Bedenk', was deine Ehre leiden kann,

Wenn du zu gläubig seinem Liede lauschest,

Dein Herz verlierst, und deinen keuschen Schatz

Vor seinem ungestümen Dringen öffnest.

Fürcht' es, Ophelia! fürcht' es, liebe Schwester,

Und halte dich im Hintergrund der Neigung,

Fern von dem Schuß und Anfall der Begier!

Das scheuste Mädchen ist verschwend'risch noch,

Wenn sie dem Monde ihren Reiz enthüllt.

Selbst Tugend nicht entgeht Verleumdertücken,

Es nagt der Wurm des Frühlings Kinder an,

Zu oft noch eh' die Knospe sich erschließt,

Und in der Früh' und frischem Tau der Jugend

Ist gift'ger Anhauch am gefährlichsten.

Sei denn behutsam! Furcht gibt Sicherheit,

Auch ohne Feind hat Jugend innern Streit.

OPHELIA.

Ich will den Sinn so guter Lehr' bewahren,

Als Wächter meiner Brust; doch, lieber Bruder,

Zeigt nicht, wie heilvergeßne Pred'ger tun,

Den steilen Dornenweg zum Himmel andern,

Derweil als frecher, lockrer Wollüstling

Er selbst den Blumenpfad der Lust betritt

Und spottet seines Rats.

LAERTES.

O fürchtet nichts!

Zu lange weil' ich – doch da kommt mein Vater.

 

Polonius kommt.

 

Zwiefacher Segen ist ein zwiefach Heil:

Der Zufall lächelt einem zweiten Abschied.

POLONIUS.

Noch hier, Laertes? Ei, ei! an Bord, an Bord!

Der Wind sitzt in dem Nacken Eures Segels,

Und man verlangt Euch.