Sardinenbüchsen, Spargel, Feigen, Mandeln, Orangen und allerlei Backwerk lagen da ausgebreitet und er fühlte, wie ihm schwarz vor den Augen wurde. „Ich könnte ja auch in den Laden treten, rechts und links Fausthiebe austeilen, Essbares an mich reißen und mich dann verhaften lassen. Das würde Aufsehen machen und die „Neue Freie. Presse" würde vielleicht einen Leitartikel schreiben und sagen „es brennt in den Eingeweiden unserer Helden" und eine Sammlung veranstalten.

Aber ich glaube, es geht nicht, weil ich mich sehr schwach fühle und die Verkäufer mich verprügeln würden."

Während er noch immer in die Auslage starrte und seine Augen sich an einem Topf voll Thunfisch in öl festsaugten, verließ eine Dame, beladen mit kleinen Paketchen, das Geschäft.

Eines der Päckchen entglitt ihren Händen, Kolo sprang hinzu, hob es auf und reichte es ihr. Die Dame dankte und sah ihn an und ihre feuchten, ein wenig hervorquellenden Augen blieben mit Wohlgefallen auf dem schlanken, sehnigen Körper des hochgewachsenen Offiziers haften und bekamen etwas Gieriges, als sie das scharfe, bleiche Gesicht mit dem brennenden Blick überflogen. Sie selbst war klein, vollbusig, ein wenig

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geschminkt und sicher gut zehn Jahre älter, als sie erscheinen wollte.

Kolo Isbaregg erwiderte den Blick mit weit weniger Wohlgefallen. „Widerliches Judenweib," dachte er und ging.

Aber sie, die vor ihm herschritt, drehte sich um und sah ihm mit dem schamlosen Blick des alternden, von unbefriedigter Sinnlichkeit verwüsteten Weibes voll ins Gesicht.

Das Wort vom „Augenwerfen" wurde da fast sinnfällig. Sie stielte förmlich die feuchten Augen und Kolo hatte das Gefühl, als wenn sie ihn bittend und heischend abtasten würden. Da vereinigten sich der wütende Hunger und die Einsamkeit und auch die geschmeichelte Eitelkeit und trieben ihn an, der vollbusigen kleinen Dame, die in allem das Gegenteil seines die Schlanken und Feinen verehrenden Geschmackes war, nachzugehen.

Sie schritt die Kärntnerstraße abwärts und blieb plötzlich vor einer Auslage stehen. Kolo, dicht neben ihr, fühlte ihren heißen Atem und den weichen, vollen Arm, der sich unauffällig an ihn drängte. Und da war sein Entschluss gefaßt. „Geh," sagte er sich, „greif zu, das Weib hat Geld, wahrscheinlich viel Geld und vielleicht eine schöne Wohnung, in der du ausruhen und essen kannst," Essen, ja essen, Himmel, der Speichel sammelte sich im Mund vor Hunger und es dröhnte ihm in den Ohren. Ja, aber, sie wird ihren Lohn verlangen, wird sich in seinen Armen wälzen und an seinen Lippen festsaugen wollen. Brr, wie grauslich!

Aber essen können und ausruhen und vielleicht ein Bad nehmen und Geld, Geld... „Zuhälter!" rief es ihm zu. „Koloman Freiherr von Isbaregg, weißt du, wie du früher über Männer, die Liebe für Geld verkaufen, gedacht hast?" „Quatsch," antwortete Kolo sich. „Das war der Baron mit den vielen Ahnen und der großen Karriere vor Augen! Heute bin ich der obdachlose Isbaregg, der seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hat und die Welt von unten aus ansieht. Essen muß der Mensch,

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essen und sich ausruhen und Geld haben - alles andere ist Wurst! Geh' mit, iss dich an und spiel' dann den Zechpreller!

Das kann lustig werden - hui, wird die Jüdin toben!"

Kolo schmunzelte vergnügt, und die Dame, die sich immer wieder umsah, fing das Grinsen geschmeichelt auf, sie hielt es für eine Huldigung und quittierte mit einladendem Lächeln.

Bei der Oper blieb sie stehen und wartete auf eine Elektrische.

Kolo geriet in Verlegenheit. Er konnte nicht mitfahren, weil er keinen Heller besaß! Aber an der Haltestelle lagen zahllose weggeworfene Umsteigkarten, die er kurz entschlossen zusammenraffte und in die Tasche steckte. Eine würde schon gültig sein und wenn nicht - ach, was sich den Kopf zerbrechen -

er mußte ja mitfahren, er mußte essen!

Bumsvoll kam der Wagen an und die Dame drängte sich mühsam hinein. Kolo dicht hinter ihr.

Eng aneinandergepresst standen sie auf der Plattform und sie wich nicht aus, sondern presste sich gegen ihn, schmiegte den Busen an seine Hüfte.