Auf diesen Schwindel, auf diesen faulen Handel mit Moral möge nun die große Menschenherde ruhig eingehen; tut es der einzelne nicht, so riskiert er zwar, von den Müllers und Meiers totgeschlagen zu werden, aber er hat gar keine Ursache, sich vor sich selbst zu schämen und Reue zu empfinden. Diese Erkenntnis weist mir den Weg für die Zukunft. Ich werde das Risiko, von den Meiers erschlagen zu werden, nach Tunlichkeit vermeiden, aber sonst nach meinen eigenen Zweckmäßigkeitsbegriffen leben. Ich werde mich nicht mehr durch die alten Ammenmärchen narren lassen, denn ich habe hinter die Kulissen geschaut und weiß jetzt, daß die frommen Biedermannsbärte nur aufgeklebt und die heiligen Mienen geschminkt sind. Man spielt heute Christus und morgen den
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Judas. Tell und Geßler sind ein und dieselbe Person, und das Weib, das heute das Gretchen spielt, mimt morgen die Salome.
Das Publikum wird immer Beifall brüllen, wenn nur gut gespielt wird. Nun, ich werde gut spielen!"
Der nächste Tag war ein sehr geschäftiger.
Kolo kaufte sich einen Sommeranzug, Wäsche, Schuhe, Hut; er wandelte sich aus einem Heimkehrer in einen eleganten Herrn und zog am Nachmittag in die Pension Metropolis am Schwarzenbergplatz, wo er für ein elegantes Zimmer samt Verpflegung den stattlichen Preis für einen Monat voraus erlegte. Es blieb ihm von dem der aufgeregten Kommerzialratswitwe abgenommenen Geld nur mehr eine recht bescheidene Summe, aber ein Monat anständigen Lebens war gesichert und in dieser Zeit konnte manches geschehen.
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III. KAPITEL
Die Pension Metropolis nahm eine ganze Etage des Wohnpalastes auf dem Schwarzenbergplatz ein und war berühmt wegen ihrer guten Küche und der exquisiten Gesellschaft, die sie beherbergte. Jetzt allerdings gehörte die Mehrzahl der Pensionäre zu den Versprengten, zu Leuten, die ihr Heim irgendwo in Galizien, in Ungarn, in Dalmatien oder Bosnien gehabt hatten und nun in Wien die neue Zeit, die Möglichkeit der Rückkehr oder der Gründung eines eigenen Hausstandes abwarteten. Schwere Kriegsgewinner hausten neben Leuten, die ihr letztes Bankdepot verzehrten, Künstler, die in Wien gastierten, junge Ehepaare, die keine eigene Wohnung finden konnten, Junggesellen, die wohlhabend waren, aber doch die enormen Gasthauspreise nicht erschwingen konnten und nebenbei junge, schöne Frauen, denen von weiß wem die Pension bezahlt wurde. Allerdings hielt Frau Doktor Schlüter, die norddeutsche Inhaberin der Pension Metropolis, strenge auf Sauberkeit. Herrenbesuche waren für Damen, Damenbesuche für Herren nur in den Gesellschaftsräumen zulässig, und Damen, die die Grenze von der ganzen zur halben Welt allzu deutlich überschritten, wurden nicht aufgenommen oder auf diskrete Weise zum Auszug bewogen.
Sonst aber ging es in der Metropolis recht behaglich zu. Nach dem Souper versammelten sich die Pensionäre gewöhnlich in dem Salon, es wurde musiziert, geplaudert, geraucht und oft genug kam es vor, daß lange nach Mitternacht die guten, wenn auch sehr kostspieligen Weine aus dem Keller der Pension batterieweise anmarschieren mussten.
Kolo Isbaregg wurde allgemein als sehr angenehmer Zuwachs betrachtet. Der schöne, große Mann mit den energischen, feinen Gesichtszügen gefiel den Männern und entfesselte Brände in den Herzen der Damen, denen der ehemalige Offizier aus dem
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altadeligen Geschlecht mit dem Nimbus der Vornehmheit, aber auch des Romantisch-Abenteuerlichen umflossen schien. Als gar das Fraulein Cleo Holthaus, eine ältliche, ununterbrochen Stilleben malende Jungfrau, die alle Skandalgeschichten von Wien kannte und ein unheimliches Gedächtnis für Namen, Telephonnummern und andere Nebensächlichkeiten besaß, sich erinnerte, in der „Neuen Freien Presse" seinerzeit von der abenteuerlichen Flucht des Baron Isbaregg aus Kanada gelesen zu haben, da begannen die Herzen all der schonen und weniger schönen Frauen und Mädchen, die an der großen hufeisenförmigen Tafel saßen, heftig zu schlagen, wenn Kolo erschien und sich nach einer vollendet weltmännischen Verbeugung zwischen der zaundürren Konsulsgattin und einer geschiedenen jungen Frau Albari, die rassig und pikant aussah, niederließ.
Im Salon wurde Kolo Isbaregg ganz von selbst, ohne sein Zutun, Ja trotz seiner merklichen Zurückhaltung der Mittelpunkt, um den sich alles gruppierte. Sogar der amerikanische Heldentenor der Oper, Mr. William Williams, ein gewaltiges Stimmvieh und sonst ein recht gutmütiger Tölpel, wurde von ihm in den Hintergrund gedrückt, und der Maler Horatius Schreigans, der in der Sezession die ungeheuerlichsten Erotika ausstellte, zahlte überhaupt nicht mehr, seitdem Isbaregg die Unterhaltung beherrschte oder wenigstens durch seine witzigen und boshaften Bonmots würzte.
So verbrachte Kolo nun schon einen halben Monat recht behaglich in der Pension Metropolis und er hätte gerne noch recht lange Zeit die Tage und Nächte müßig verbummelt - um so mehr, als die Türe der jungen geschiedenen Frau nachts für ihn offen zu bleiben pflegte, aber sein Geld schmolz dahin und er wusste, daß er eine neue Tat unternehmen müsse, wollte er nicht wieder in die Not und Armut der vergangenen Wochen zurückversinken.
Ihm gegenübersaß am Tisch der Pension Metropolis der alte
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Herr Geiger, ein Schieber und Kriegsgewinnerschlimmstersorte, ein Harpagon, wie ihn Molière nicht drastischer entwickeln konnte. Dieser Herr Geiger hatte durch dubiose Vermittlungsgeschäfte zu den Millionen, die er schon früher besessen, ein Dutzend weitere errafft; mit dem Scharfsinn des Menschen, dessen ganzes Gefühlsleben auf den Gelderwerb gerichtet ist, hatte er den unausbleiblichen Zusammenbruch der österreichischen Valuta vorausgesehen, in Devisenspekulationen abermals Millionen verdient und rechtzeitig den größten Teil seines mobilen Vermögens mit Hilfe gefälliger diplomatischer Agenten, wie sie damals von einer von Gott und jeder Vernunft verlassenen Regierung dutzendweise verwendet wurden, rechtzeitig nach der Schweiz gebracht und so vor der Vermögensabgabe gerettet. Was ihn nicht abhielt, über jede Besteuerung, der er sich nicht entziehen konnte, herzerweichend zu klagen, wie er sich überhaupt aus Misstrauen und wohl auch aus Aberglauben gerne für einen ruinierten alten Mann ausgab, der im Begriff sei, den Rest seiner Habe in der sündhaft teueren Pension zu verzehren. Dabei kam er mehr als alle anderen Pensionäre auf seine Rechnung, denn zwischen seinen billigen falschen Zähnen verschwanden die größten Portionen, jede Schlüssel mußte ihm zweimal gereicht werden, und seine Tischnachbarn schworen, daß er regelmäßig Tortenstücke und andere essbare Dinge in den weiten Taschen seines schäbigen Lüsterrockes verschwinden lasse. Frau Dr.
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