Ein paar Schritte nur und er stand vor der Tür des Herrn Geiger. Er presste das Ohr an das Schlüsselloch und hörte das Schnarchen des alten Mannes. Nun vorsichtig, den Krummhaken angesetzt. Halt! Ein Widerstand!
Verflucht! Der Schlüssel steckt ja von innen! Kolo verlor nur einen Augenblick die Fassung, dann zog er aus dem zusammengeklappten Werkzeug eine lange Nadel, wie man sie zum Bohren eines Loches in Lederzeug braucht, führte sie geräuschlos in das Schlüsselloch ein und stieß behutsam den Schlüssel hinaus, daß er drinnen im Zimmer auf die Erde fiel.
Wohl war der Boden mit einem Teppich belegt, aber ein
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gewisses Geräusch, durch das Aufschlagen des Schlüssels bewirkt, hatte sich doch nicht vermeiden lassen. Mit angehaltenem Atem horchte Kolo. Der alte Mann hatte aufgehört zu schnarchen, warf sich unruhig von einer Seite auf die andere, dann trat wieder tiefe Stille ein. Eine volle Minute, die einer Ewigkeit glich, wartete Kolo Isbaregg noch, dann schob er den Krummhaken ein und mit leichter Mühe - er hatte den Versuch oft genug an dem eigenen Türschloss gemacht -
drehte er die Zunge des Schlosses um. Fast ganz geräuschlos öffnete sich die Türe und der Eindringling stand nun tief gebückt in dem fremden Raum. Ein Druck auf die kleine elektrische Taschenlampe und er hatte volle Orientierung gewonnen. Im nächsten Augenblick mußte sich alles entscheiden.
Würde Geiger erwachen oder auch nur Zeichen von Unruhe von sich geben, so müsste er sich mit einem Ruck über das Bett werfen und mit seinen behandschuhten Händen jeden Laut und jedes Leben ersticken. Auf allen Vieren kriechend, schlich sich Kolo dicht vorwärts, so daß zu seiner rechten Seite das große Doppelfenster, zu seiner linken das Bett lag. Geiger rührte sich nicht und gab nur die sägenden Laute des tief Schlafenden von sich. Also konnte die Arbeit der eigenen Hände wohl vermieden werden!
Beim Fenster richtete sich Kolo halb auf, um mit einem einzigen Schnitt der haarscharfen Messerklinge, die er nun aus dem Werkzeug zog, einen erheblichen Teil der Rouleauxschnur abzuschneiden. Rasch knüpfte er eine Schlinge, wie er es bei den Jagdausflügen in den kanadischen Wäldern gelernt hatte, und kroch wieder tief gebückt, die Schlinge in der linken Hand haltend, an das Bett heran.
Nun mußte es getan werden. Durch den Bruchteil einer Sekunde ließ er das Licht der Taschenlampe aufblinken, Hier saß der Kopf an dem dürren Hals des Greises. Jetzt keine Bedenken!
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Die Schlinge blitzschnell über den Kopf gezogen.
Geiger wacht auf, hebt den Schädel schlaftrunken.
Macht nichts - zu spät! Mit beiden Händen zieht Kolo bei voller, brutaler Kraftentwicklung an den Enden der Schnur - ein heiseres Gurgeln und kein Laut mehr! Fester und fester zieht er an, und das Dunkel der Nacht verbirgt ihm den grauenhaften Anblick, den der häßliche tote Greis bietet. Minutenlang verharrt er so, dann läßt er los, tastet nach der Bettdecke und zieht sie der Leiche über den Kopf. Richtet sich hoch auf, horcht wieder aufmerksam nach außen, tappt die Wand entlang, bis "er den Anschalter gefunden hat, und nun steht er, von dem vollen Licht des elektrischen Kronleuchters umbrandet, da. Sieht sich im Spiegel und fühlt ein leichtes Frösteln.
Ein bleicher fremder Mann, den er nicht kennt, von dem er nichts weiß, scheint ihm entgegenzustarren. „Bin ich es, bist du es?" Er faßt sich an die feuchte Stirne, krallt die Hand im Handschuh in die Herzgrube und schließt die Augen, bis das Blut wieder ruhiger durch die Adern fließt und sein Verstand Oberhand über das dunkle Gefühl gewinnt, das emportauchen wollte.
Kolo hob den Schlüssel auf, versperrte die Türe hinter sich, drehte den Kronleuchter ab und die Lampe auf dem Nachtkästchen an und begann zu suchen. Im Kleiderkasten, im Schreibtisch, der nicht ihm gehörte, dürfte Geiger schwerlich die große Aktentasche verwahrt haben. Wohl aber hier in dem großen, schweren Lederkoffer, der in einer Fensternische stand.
Wo waren aber die Schlüssel zu diesem Koffer? Sicher unter dem Kopfpolster Geigers.
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