– Genauso räsoniert Herr Dühring: Wenn wir uns das Sein denken, so denken wir es uns als einen Begriff. Was in Einem Begriff zusammengefaßt, das ist einheitlich. Das Sein entspräche also seinem Begriff nicht, wäre es nicht einheitlich. Folglich muß es einheitlich sein. Folglich gibt es keinen Gott usw.

Wenn wir vom Sein sprechen, und bloß vom Sein, so kann die Einheit nur darin bestehn, daß alle die Gegenstände, um die es sich handelt – sind, existieren. In der Einheit dieses Seins, und in keiner andern, sind sie zusammengefaßt und der gemeinsame Ausspruch, daß sie alle sind, kann ihnen nicht nur keine weiteren, gemeinsamen oder nicht gemeinsamen, Eigenschaften geben, sondern schließt alle solche von der Betrachtung vorläufig aus. Denn sowie wir uns von der einfachen Grundtatsache, daß allen diesen Dingen das Sein gemeinsam zukommt, auch nur einen Millimeter breit entfernen, so fangen die Unterschiede dieser Dinge an, vor unsern[40] Blick zu treten – und ob diese Unterschiede darin bestehn, daß die einen weiß, die andern schwarz, die einen belebt, die andern unbelebt, die einen etwa diesseitig, die andern etwa jenseitig sind, das können wir nicht daraus entscheiden, daß ihnen allen gleichmäßig die bloße Existenz zugeschrieben wird.

Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein, obwohl ihr Sein eine Voraussetzung ihrer Einheit ist, da sie doch zuerst sein muß, ehe sie eins sein kann. Das Sein ist ja überhaupt eine offene Frage von der Grenze an, wo unser Gesichtskreis aufhört. Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft.

Weiter im Text. Das Sein, wovon Herr Dühring uns unterhält, ist

»nicht jenes reine Sein, welches sich selbst gleich, aller besondern Bestimmungen ermangeln soll, und in der Tat nur ein Gegenbild des Gedankennichts oder der Gedankenabwesenheit vertritt«.

Nun werden wir aber sehr bald sehn, daß Herrn Dührings Welt allerdings mit einem Sein anhebt, welches aller innern Unterscheidung, aller Bewegung und Veränderung ermangelt und also in der Tat nur ein Gegenbild des Gedankennichts, also ein wirkliches Nichts ist. Erst aus diesem Sein-Nichts entwickelt sich der gegenwärtige differenzierte, wechselvolle, eine Entwicklung, ein Werden darstellende Weltzustand; und erst nachdem wir dies begriffen, kommen wir dahin, auch unter dieser ewigen Wandlung

»den Begriff des universellen Seins sich selbst gleich festzuhalten«.

Wir haben also jetzt den Begriff des Seins auf einer höhern Stufe, wo er sowohl Beharrung wie Veränderung, Sein wie Werden in sich begreift. Hier angekommen, finden wir, daß

»Gattung und Art, überhaupt Allgemeines und Besonderes die einfachsten Unterscheidungsmittel sind, ohne welche die Verfassung der Dinge nicht begriffen werden kann«.

Es sind dies aber Unterscheidungsmittel der Qualität; und nachdem diese verhandelt, gehn wir weiter:

»den Gattungen gegenüber steht der Begriff der Große, als desjenigen Gleichartigen, in welchem keine Artdifferenzen mehr stattfinden«;

d.h. von der Qualität gehn wir über zur Quantität, und diese ist stets »meßbar«.[41]

Vergleichen wir nun diese »scharfe Sonderung der allgemeinen Wirkungsschemata« und ihren »wirklich kritischen Standpunkt« mit den Kruditäten, Wüstheiten und Fieberphantasien eines Hegel. Wir finden, daß Hegels Logik anfängt, vom Sein – wie Herr Dühring; daß das Sein sich herausstellt als das Nichts, wie bei Herrn Dühring; daß aus diesem Sein-Nichts übergegangen wird zum Werden, dessen Resultat das Dasein ist, d.h. eine höhere, erfülltere Form des Seins – ganz wie bei Herrn Dühring. Das Dasein führt zur Qualität, die Qualität zur Quantität – ganz wie bei Herrn Dühring. Und damit kein wesentliches Stück fehle, erzählt uns Herr Dühring bei einer andern Gelegenheit:

»Aus dem Reich der Empfindungslosigkeit tritt man in das der Empfindung, trotz aller quantitativen Allmählichkeit, nur mit einem qualitativen Sprung ein, von dem wir... behaupten können, daß er sich unendlich von der bloßen Gradation einer und derselben Eigenschaft unterscheide.«

Dies ist ganz die Hegelsche Knotenlinie von Maßverhältnissen, wo bloß quantitative Steigerung oder Abnahme an gewissen bestimmten Knotenpunkten einen qualitativen Sprung verursacht, z.B. bei erwärmtem oder abgekühltem Wasser, wo der Siedepunkt und der Gefrierpunkt die Knoten sind, an denen der Sprung in einen neuen Aggregatzustand – unter Normaldruck – sich vollzieht, wo also Quantität in Qualität umschlägt.

Unsre Untersuchung hat ebenfalls versucht, bis an die Wurzeln zu reichen, und als die Wurzel der wurzelhaften Dühringschen Grundschemata findet sie – die »Fieberphantasien« eines Hegel, die Kategorien der Hegelschen »Logik«, erster Teil, Lehre vom Sein, in streng althegelscher »Abfolge« und mit kaum versuchter Verschleierung des Plagiats!

Und nicht zufrieden damit, seinem bestverleumdeten Vorgänger dessen ganze Schematik vom Sein zu entwenden, hat Herr Dühring, nachdem er selbst obiges Beispiel von sprungweisem Umschlagen der Quantität in die Qualität gegeben, die Gelassenheit, von Marx zu sagen:

»Wie komisch nimmt sich nicht z.B. die Berufung« (Marx') »auf die Hegelsche konfuse Nebelvorstellung aus, daß die Quantität in die Qualität umschlage

Konfuse Nebelvorstellung! Wer schlägt hier um, und wer nimmt sich hier komisch aus, Herr Dühring?

Alle diese schönen Sächelchen sind also nicht nur nicht vorschriftsmäßig »axiomatisch entschieden«, sondern einfach von außen, d.h. aus Hegels »Logik« hineingetragen. Und zwar so, daß in dem ganzen Kapitel auch nicht einmal der Schein eines innern Zusammenhangs figuriert, soweit er nicht auch aus Hegel entlehnt ist, und daß das Ganze schließlich in ein[42] inhaltloses Spintisieren über Raum und Zeit, Beharrung und Veränderung ausläuft.

Vom Sein kommt Hegel zum Wesen, zur Dialektik. Hier handelt er von den Reflexionsbestimmungen, deren innern Gegensätzen und Widersprüchen, wie z.B. positiv und negativ, kommt dann zur Kausalität oder dem Verhältnis von Ursache und Wirkung, und schließt mit der Notwendigkeit. Nicht anders Herr Dühring. Was Hegel Lehre vom Wesen nennt, übersetzt Herr Dühring in: logische Eigenschaften des Seins. Diese bestehn aber vor allem im »Antagonismus von Kräften«, in Gegensätzen. Den Widerspruch leugnet Herr Dühring dagegen radikal; wir werden später auf dies Thema zurückkommen. Dann geht er über auf die Kausalität und von dieser auf die Notwendigkeit. Wenn Herr Dühring also von sich sagt:

»Wir, die wir nicht aus dem Käfig philosophieren«,

so meint er wohl, er philosophiere im Käfig, nämlich dem Käfig des Hegelschen Kategorienschematismus.[43]

 

V.