Zum Glück war er bald zu müde, um die wilde Jagd weiter fortzusetzen, und setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür, sagte, er wolle eine Minute ausruhen und mich dann töten. Das Messer legte er unter sich, brummte dabei etwas von »schlafen und neue Kraft sammeln und dann zeigen, wer der Stärkere sei«.
So schlummerte er denn auch bald ein. Nach einer Weile nahm ich den alten Stuhl, so leise ich konnte, stieg hinauf und nahm die Flinte von der Wand. Ich zog den Ladstock heraus, stieß ihn in den Lauf, um zu sehen, ob geladen sei, legte dann die Flinte über das Fleischfaß, mit der Mündung auf den Alten, verkroch mich selbst dahinter und wartete nun, bis er sich regen würde. – Und wie langsam und stille schleppte sich die Zeit dahin!
7. Kapitel
Auf dem Anstand – In die Hütte eingeschlossen – Vorbereitung zur Flucht – Versenken der Leiche – Ein neuer Plan – Ruhe
»Wirst du wohl aufstehen! Was ist denn hier los?«
Ich öffnete meine Augen und sah um mich, war noch ganz wirr und betäubt und suchte mich vergeblich an alles zu erinnern. Ich mußte fest geschlafen haben; es war schon ganz hell. Vater stand vor mir, sah brummig aus, als ob ihm nicht recht gut sei, und fragte: »Was hast du mit der Flinte vor?«
Ich sah gleich, daß er nichts von seinen nächtlichen Taten wisse. So sagt' ich: »Es wollte jemand zur Tür herein, da hab' ich mich auf den Anstand gestellt!« – »Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Ich hab's probiert, aber es ging nicht!«
»Schon gut! Heb dich weg und schwatz nicht soviel. Mach und sieh nach, ob ein Fisch an der Leine hängt, für unser Frühstück. Ich komm' gleich nach!«
Er schloß die Türe auf, und ich machte mich davon, hinunter ans Flußufer. Ich sah Baumäste und Holzstücke im Wasser treiben und wußte, daß es nun im Steigen begriffen war. Das waren schöne Zeiten in der Stadt, wenn der Fluß stieg. Da kamen oft große Stücke Holz, manchmal ganze Baumstämme dahergeschwommen, oft fünf, sechs auf einmal, oft noch mehr, und man brauchte sie mir herauszufischen und auf dem Holzplatz oder in der Sägmühle zu verkaufen. Das war ein einträgliches Geschäft.
So schlenderte ich am Ufer hin, mit einem Auge schielte ich nach dem Alten, mit dem andern lugte ich, ob das Wasser etwas herantreiben würde. Wahrhaftig, sehe ich da plötzlich ein kleines Boot heranschwimmen, ein prächtiges Ding, zwölf bis vierzehn Fuß lang und so stolz dahersegeln wie ein Schwan. Ich schieße ins Wasser wie ein Frosch, ohne mich zu besinnen, geradeso, wie ich war, und steure auf das Boot los. Ich war darauf gefaßt, jemanden drin liegen zu sehen, der mich für meine vergebliche Mühe tüchtig auslachen würde; ich hatte schon gehört, daß sie die Leute manchmal auf solche Weise foppen. Diesmal war's nicht so, es war wirklich ein leeres Boot, und ich kletterte hinein und lenkte es ans Ufer. Denk ich, der alte Mann wird sich freuen, wenn er's sieht, es ist wenigstens zehn Dollar wert. Aber als ich ans Ufer kam, war der Alte noch nicht in Sicht. Plötzlich kam mir eine neue Idee, und ich legte das Boot in einer kleinen Bucht ganz unter Reben und Weiden versteckt an. Ich will es für mich behalten, dacht' ich, es gut verbergen und dann, statt in die Wälder durchzubrennen, in dem Boot davongehen, den Fluß hinunter rudern, mir einen versteckten Platz am Ufer aussuchen und dort mein Lager aufschlagen; dann brauche ich doch nicht zu Fuß Reißaus zu nehmen und mir die Beine abzulaufen. Da ich mich ziemlich nahe bei der Hütte befand, konnte mich der Alte jeden Augenblick überraschen, aber es gelang mir doch, das Boot sicher zu verstecken. Wie ich fertig bin und hinter einer alten Weide vorschaue – richtig, da steht er, hat aber das Gewehr an der Backe und zielt gerade nach irgend etwas. Er hatte also nichts gemerkt.
Als er näher kam, war ich eifrig mit den Angelleinen beschäftigt. Er schimpfte und brummte, daß ich so langsam sei, und ich sagte, ich sei ins Wasser gefallen bei der Arbeit, drum daure es so lange, denn ich wußte, er würde meine nassen Kleider sehen und mich ausfragen. Wir zogen fünf Katzenfische mit der Leine ans Land und gingen sehr befriedigt heim.
Nach dem Frühstück legten wir uns wieder hin, um zu schlafen, denn wir waren beide etwas erschöpft von den nächtlichen Lustbarkeiten. Vor dem Einschlafen kam mir der Gedanke, daß es für mich viel sicherer wäre, wenn ich den Alten und die Witwe ganz davon abhalten könnte, mich zu verfolgen, als wenn ich mich darauf verließe, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, bevor sie mich vermißten. Gut ist gut und besser ist besser!
Zuerst wollte mir gar nichts Gescheites einfallen; mit einemmal hebt der Alte den Kopf, um ein neues Maß Wasser zu dem vorhergegangenen hinunterzugießen, und sagt: »Wenn wieder einer um die Hütte schnüffelt, Huck, rüttelst du mich wach, hörst du? Der hatte nichts Gutes im Sinn, dem brenn' ich eins auf den Pelz! Also, du weckst mich!«
Dann legte er sich hin und schlief weiter.
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