Seine Gestalt war überaus lang und knochig. Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf seinem schmal ausgezogenen Kopf. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich seiner Nase quer in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich noch weiter, bis zum Kinn hinab, zu verlängern. Wenn ich dazu bemerke, daß diese Nase von den Spuren einer einst auf ihr gesessenen Aleppobeule verschönert wurde, so wird man wohl schon jetzt erraten, wer dieser Gast des Kaffeehauses war. Der bloße, dürre Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdkragen hervor; dann folgte ein graukarierter Schlips, eine graukarierte Weste, ein graukarierter Rock, graukarierte Beinkleider, graukarierte Gamaschen und staubgraue Zugstiefeletten. Um seine Taille ging ein graukarierter Gürtel, in welchem mehrere Revolver und Messer steckten. Von der einen Schulter bis zur anderen Hüfte zog sich hinten und vorn eine schmale, graukarierte Patronenkatze herab. Auf dem Rücken hing in einem graukarierten Überzug ein ungewöhnlich großes Gewehr, und in der Hand trug er ein kleines, welches auch in einer graukarierten Umhüllung steckte.
Dieser graukarierte Mann ging steif und würdevoll auf eines der an den Wänden liegenden Sitzkissen zu und bog die Knie ein, um sich in orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen auf dasselbe niederzulassen, verlor dabei aber aus Mangel an Übung und Überfluß an Ungelenkigkeit das Gleichgewicht und kam mit weit ausgespreizten Beinen und einem kräftigen Plumpse derart auf das Kissen nieder, wie ein regelrechter Europäer regelrecht zu sitzen hat.
„Thunder-storm!“ rief er, darob zornig, aus, besann sich aber sogleich eines Bessern und rief dem Somali in befehlendem Ton das eine Wort zu:
„Tschibuk!“
Der ostafrikanische Jüngling nahm eine der Pfeifen, die er gestopft hatte, schob die Spitze in den Mund, legte ein Stück glühende Holzkohle auf den Tabak, sog den letzteren in Brand und reichte dann dem Fremden Tschibuk mit einer graziösen Bewegung hin.
„Chanzier (Schwein)!“ fuhr ihn dieser an und schlug ihm die Pfeife aus der Hand, daß sie dem Wirt vor die Füße flog.
Dieser begriff den Grund dieses hier seltsamen Verhaltens und erklärte dem Nikotin-Ganymed:
„Der Fremde ist ein Inglis, der den Tschibuk nicht aus deinem Maul haben will; er brennt sich den Tabak selber an.“
Infolge dieser Belehrung holte der Somali eine andere Pfeife und andere Kohle. Der Engländer griff zu und tat einige Züge; da machte seine Nase eine energische, sich sträubende Bewegung, worauf diese zweite Pfeife hin zur ersten flog.
„Was ist's?“ fragte der Wirt. „Warum wirfst du auch diesen Tschibuk weg?“
„Duchan (Tabak) miserabel!“ antwortete der Gefrage.
„Du sprichst vom Tabak, aber ich verstehe dich nicht. Was bedeutet das andere Wort?“
„Duchan batall!“ lautete nun der ganz arabische Bescheid.
„Ich habe keinen bessern. Wenn es dir bei mir nicht schmeckt, so kannst du gehen!“
„Kahwe!“ befahl hierauf der Gast, der ruhig sitzen blieb.
Der Somali ging zum stets brennenden Mangal (Kohlenbecken), bereitete eine Tasse Kaffee und brachte sie ihm. Der Inglis roch daran, tat versuchsweise einen Schluck, goß dann die Tasse aus und rief mit einer Gebärde des Abscheus:
„Kahwe battal dschiddan (Der Kaffee ist sehr schlecht)!“
„Wenn er dir nicht schmeckt, so kannst du gehen!“ meinte der Wirt im orientalischen Gleichmut, fügte aber vorsichtig hinzu, „nachdem du vorher bezahlt hast!“
„Kaddaisch tamano (Wieviel kostet es)?“ erkundigte sich der Engländer.
„Ischrin kurusch – zwanzig Piaster.“
Das war eigentlich eine Prellerei und sollte eine Strafe für das beleidigende Verhalten des Gastes sein. Dieser zog gleichmütig ein Geldstück aus der Tasche und warf es hin; der Somali hob es auf und brachte es dem Wirt.
Als dieser Miene machte, herauszugeben, deutete der Engländer durch eine wegwerfende Handbewegung an, daß er nichts wiederhaben wolle. Den erstaunten Gesichtern der beiden anderen war deutlich anzusehen, daß der zurückgewiesene Überschuß ein bedeutender war.
Ich wunderte mich gar nicht über diese Generosität, die meinem alten, braven David Lindsay zur zweiten Natur geworden war. Lindsay – da habe ich nun doch verraten, wer dieser graukarierte Fremde war! Ja, man denke sich mein und Halefs Erstaunen und unsere Freude, Lord Lindsay so unerwartet hier zu sehen! Ich wußte, daß er jetzt jahrelang nicht in seinem Altengland gewesen war; er hatte sich immerwährend auf Reisen befunden und mir vor vierzehn Monaten aus der Kapstadt den letzten Brief geschrieben. Wohin er sich von dort aus wenden wolle, hatte er nicht erwähnt.
Nun kam er heut plötzlich hier hereingestiegen, ganz genau in demselben eigentümlichen Habitus, in welchem ich ihn damals in Maskat, und zwar auch in einem Kaffeehause, zum erstenmal gesehen hatte!
Und mehr noch als über diese Begegnung an sich, war ich über seine Sprache erstaunt.
Wir waren damals so lange, lange Zeit durch die verschiedensten Gegenden des Orients geritten und hatten hier und da so langen Halt gemacht, daß eine Anbequemung an die betreffenden Sprachen und Sitten doch eigentlich selbstverständlich gewesen wäre; aber es war dem ‚veritablen Englishman‘ nicht einmal im Traum eingefallen, sich auch nur etwas von den Gewohnheiten und der Ausdrucksweise der Leute, mit denen wir zu verkehren hatten, anzueignen. Weil er Engländer war, glaubte er, in jeder Beziehung durchaus nur englisch sein zu müssen, und gab sich nicht die geringste Mühe, ein türkisches, arabisches, kurdisches oder persisches Wort im Gedächtnisse zu behalten. Daß er Deutsch verstand und sprach, wäre ein Wunder zu nennen gewesen, wenn ihm diese Kenntnis nicht schon während seiner Knabenzeit von deutschen Verwandten mütterlicherseits beigebracht worden wäre. Er hegte die unerschütterliche Überzeugung, sich selbst auf dem fernsten und unbekanntesten Erdenpunkt mit englischem Wesen und ausschließlich englischer Sprache leicht und mühelos bewegen zu können, und war der Ansicht, daß auch das geringste Abweichen von dieser Gepflogenheit eine Beleidigung seiner Nation bedeute.
Diese Einseitigkeit war uns oft in hohem Grade unbequem geworden. Wenn man sich mit einem Begleiter, der die Sprache und die Sitten des Landes nicht kennt und versteht, unter fremden, vielleicht gar nur halb zivilisierter Völkerschaften bewegt und dabei oft das Unglück hat, in gefährliche Lagen zu geraten, so versteht es sich ganz von selbst, daß die Anwesenheit eines solchen Gefährten, und wenn er sonst der beste Mensch der Erde wäre, nicht nur hinderlich und störend, sondern unter Umständen sogar verhängnisvoll werden kann. Das aber hatte Lindsay niemals einsehen wollen, und so kann man sich mein Erstaunen denken, als ich hier in Basra auf einmal hörte, daß er plötzlich das Arabische nicht nur verstand, sondern es, freilich noch sehr fehlerhaft, auch sprach!
Er hatte sich jedenfalls jahrelang und zwar mit großem Fleiß mit dieser Sprache beschäftigt, und daß er das getan und die darauf verwendete Mühe nicht für weggeworfen gehalten hatte, das war es, was mir an ihm vollständig fremd vorkam und mich mit Verwunderung erfüllte. Hierzu kam ein Umstand, welcher mich bewog, mich über diese seine mir so überraschende Sprachfertigkeit herzlich zu freuen: Wenn er mit uns nach Persien ritt, wo man sich ebensosehr der arabischen wie der Landessprache bedient, war es für uns, und besonders für mich, eine große Erleichterung, nicht jemanden bei uns zu haben, der aus Mangel an Sprachkenntnis keinen Eingeborenen verstehen und dem ich also, wie das mit Lindsay früher ja der Fall gewesen war, jedes Gespräch zu übersetzen und alle nur einigermaßen wichtigen Vorkommnisse extra zu erklären hatte. Denn daß er mit uns reiten würde, das unterlag gar keinem Zweifel. Die Absichten, welche ihn hierher geführt hatten, und die von ihm getroffenen Dispositionen mochten sein, welche sie wollten, sobald er uns sah, ließ er alles andere liegen, um sich uns anzuschließen, davon war ich überzeugt. Er liebte das Ungewöhnliche, sogar die Gefahr und hing mit einer herzlichen, aufrichtigen Zuneigung an mir, daß er ganz gewiß alle seine jetzigen Reiselaunen fallen ließ, um bei uns sein zu können.
Wenn ich aufrichtig sein will, muß ich sagen, daß von seiner Begleitung voraussichtlich gar manche Schwierigkeit für mich zu erwarten war, aber er besaß andererseits auch wieder sehr günstige Eigenschaften, durch welche diese – Fatalitäten will ich es nennen, mehr als ausgeglichen wurden.
Er war ein sehr mutiger und außerordentlich kaltblütiger Mann und besaß Verbindungen, welche uns nur Vorteile bringen konnten. Dazu kam sein außerordentlicher Reichtum.
Ich gehöre nicht, aber auch mit keinem einzigen Äderchen, zu jener Art von Menschen, welche gern jede Gelegenheit benützen, aus der Wohlhabenheit anderer Leute Vorteile zu ziehen, aber es ist doch auf alle Fälle angenehmer, einen Begleiter zu haben, welchem jeder materielle Vorteil zur Verfügung steht, als einen, welcher den Pfennig dreimal umwenden muß, wenn er ihn auszugeben hat und ihn vielleicht auch dann noch wieder in die Tasche steckt. In dieser Beziehung hatten wir an Lindsay einen höchst schätzbaren Kameraden gehabt, dessen Noblesse für einen anderen an meiner Stelle sehr wahrscheinlich eine gute Einnahmequelle gewesen wäre. Und schließlich war, um auch das nicht zu vergessen, seine Originalität für uns eine nie versiegende Quelle stiller Heiterkeit gewesen, und es durfte angenommen werden, daß wir nun wieder aus ihr schöpfen dürften.
Wir sahen, daß er, obgleich der Wirt ihn schon zweimal zum Gehen aufgefordert hatte, in aller Behaglichkeit seinen Sitz behielt. Er schien über etwas nachzudenken, wahrscheinlich darüber, was er noch verlangen und aber auch verzehren könne, denn ihm, dem personifizierten Gentleman, war es fatal, in einem öffentlichen Lokal zu sitzen, ohne eine anständige Zeche machen zu können.
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