Der junge Somali, welcher der Bedienung der Gäste obzuliegen hatte, war beschäftigt, die Tschibuks, die an der Wand hingen, einen nach dem andern herabzunehmen, um sie zu stopfen; sie waren für die rauchlustigen Gäste bestimmt. Es war sehr still hier in den Räumen, auch draußen: nur zuweilen hörten wir einen lauten Kommandoruf, welcher auf dem Verdecke des englischen Dampfers erscholl, der gegen Abend die Anker lichten wollte, um nach Karatschi und Bombay zu gehen. Dann ertönte die begrüßende Stimme einer kräftigen Schiffspfeife. Es kam ein neuer Dampfer an, ob von oben herab oder von der See herauf, das wußten wir nicht, weil wir ihn nicht sehen konnten. Dieses Schiff brachte uns die Ueberraschung, welche ich vorhin erwähnte. Es waren seit dem Pfeifensignale kaum zehn Minuten vergangen, so hörten wir, daß ein neuer Gast in das Café trat.
»Sallam!« grüßte er kurz.
»Sallam aaleïkum!« antwortete der Wirt in müdem, gleichgültigem Tone.
Wir hatten gar keinen Grund, uns um die Besucher dieses Hauses zu bekümmern, aber die Langeweile des Wartens veranlaßte uns, durch die Lücken der Scheidewand einen Blick auf den Eingetretenen zu werfen. Kaum hatten wir das gethan, so wollte Halef aufspringen; er öffnete den Mund zu einem Ausrufe der Verwunderung; ich aber bedeckte ihm die Lippen schnell mit der Hand, drückte ihn auf sein Sitzkissen nieder und raunte ihm zu:
»Still, ganz still, Halef! Das ist eine außerordentliche Begegnung; auch ich freue mich so darüber, daß ich laut werden möchte, aber wir wollen warten; er ist allein und ich möchte gern beobachten, wie er, der weder arabisch noch türkisch versteht, sich benehmen wird.«
Der Mann, auf den sich diese meine Worte bezogen, war eine Person, die schon an jedem Orte des Abendlandes und wie viel mehr hier in diesem Winkel des Orientes die Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte. Seine Gestalt war überaus lang und knochig. Ein hoher, grauer Cylinderhut saß auf seinem schmal ausgezogenen Kopfe. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase quer in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich noch weiter, bis zum Kinn hinab, zu verlängern. Wenn ich dazu bemerke, daß diese Nase von den Spuren einer einst auf ihr gesessenen Aleppobeule verschönert wurde, so wird man wohl schon jetzt erraten, wer dieser Gast des Kaffeehauses war. Der bloße, dürre Hals ragte lang aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdkragen hervor; dann folgte ein graukarrierter Schlips, eine graukarrierte Weste, ein graukarrierter Rock, graukarrierte Beinkleider, graukarrierte Gamaschen und staubgraue Zugstiefeletten. Um seine Taille ging ein graukarrierter Gürtel, in welchem mehrere Revolver und Messer steckten. Von der einen Schulter bis zur andern Hüfte zog sich hinten und vorn eine schmale, graukarrierte Patronenkatze herab. Auf dem Rücken hing in einem graukarrierten Ueberzuge ein ungewöhnlich großes Gewehr, und in der Hand trug er ein kleineres, welches auch in einer graukarrierten Umhüllung steckte.
Dieser graukarrierte Mann ging steif und würdevoll auf eines der an den Wänden liegenden Sitzkissen zu und bog die Kniee ein, um sich in orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen auf dasselbe niederzulassen, verlor dabei aber aus Mangel an Uebung und Ueberfluß an Ungelenkigkeit das Gleichgewicht und kam mit weit ausgespreizten Beinen und einem kräftigen Plumpse derart auf das Kissen nieder, wie ein regelrechter Europäer regelrecht zu sitzen hat.
»Thunder-storm?« rief er, darob zornig, aus, besann sich aber sogleich eines Bessern und rief dem Somali in befehlendem Tone das eine Wort zu:
»Tschibuk!«
Der ostafrikanische Jüngling nahm eine der Pfeifen, die er gestopft hatte, schob die Spitze in den Mund, legte ein Stück glühende Holzkohle auf den Tabak, sog den letzteren in Brand und reichte dann dem Fremden den Tschibuk mit einer graziösen Bewegung hin.
»Chanzier (* Schwein.)!« fuhr ihn dieser an und schlug ihm die Pfeife aus der Hand, daß sie dem Wirte vor die Füße flog.
Dieser begriff den Grund dieses hier seltsamen Verhaltens und erklärte dem Nikotin-Ganymed:
»Der Fremde ist ein Inglis, der den Tschibuk nicht aus deinem Maul haben will; er brennt sich den Tabak selber an.«
Infolge dieser Belehrung holte der Somali eine andere Pfeife und andere Kohle. Der Engländer griff zu und that einige Züge; da machte seine Nase eine energische, sich sträubende Bewegung, worauf diese zweite Pfeife hin zur ersten flog.
»Was ist's?« fragte der Wirt. »Warum wirfst du auch diesen Tschibuk weg?«
»Duchan (* Tabak.) miserabel!« antwortete der Gefragte.
»Du sprichst vom Tabak, aber ich verstehe dich nicht. Was bedeutet das andere Wort?«
»Duchan batall!« lautete nun der ganz arabische Bescheid.
»Ich habe keinen bessern. Wenn es dir bei mir nicht schmeckt, so kannst du gehen!«
»Kahwe!« befahl hierauf der Gast, der ruhig sitzen blieb.
Der Somali ging zum stets brennenden Mangal (** Kohlenbecken.), bereitete eine Tasse Kaffee und brachte sie ihm. Der Inglis roch daran, that versuchsweise einen kleinen Schluck, goß dann die Tasse aus und rief mit einer Gebärde des Abscheues:
»Kahwe battal dschiddan (*** Der Kaffee ist sehr schlecht.)!«
»Wenn er dir nicht schmeckt, so kannst du gehen!« meinte der Wirt im orientalischen Gleichmute, fügte aber vorsichtig hinzu, »nachdem du vorher bezahlt hast!«
»Kaddaisch tamano (**** Wieviel kostet es?)?« erkundigte sich der Engländer.
»Ischrin kurusch -- zwanzig Piaster.«
Das war eigentlich eine Prellerei und sollte eine Strafe für das beleidigende Verhalten des Gastes sein. Dieser zog gleichmütig ein Geldstück aus der Tasche und warf es hin; der Somali hob es auf und brachte es dem Wirte. Als dieser Miene machte, herauszugeben, deutete der Engländer durch eine wegwerfende Handbewegung an, daß er nichts wiederhaben wolle. Den erstaunten Gesichtern der beiden andern war deutlich anzusehen, daß der zurückgewiesene Ueberschuß ein bedeutender war.
Ich wunderte mich gar nicht über diese Generosität, die meinem alten, braven David Lindsay zur zweiten Natur geworden war. Lindsay -- da habe ich nun doch verraten, wer dieser graukarrierte Fremde war! Ja, man denke sich mein und Halefs Erstaunen und unsere Freude, Lord Lindsay so unerwartet hier zu sehen! Ich wußte, daß er jetzt jahrelang nicht in seinem Altengland gewesen war; er hatte sich immerwährend auf Reisen befunden und mir vor vierzehn Monaten aus der Kapstadt den letzten Brief geschrieben. Wohin er sich von dort aus wenden wolle, hatte er nicht erwähnt. Nun kam er heut plötzlich hier hereingestiegen, ganz genau in demselben eigentümlichen Habitus, in welchem ich ihn damals in Maskat, und zwar auch in einem Kaffeehause (* Siehe Karl May »Durch die Wüste« pag. 318.), zum erstenmal gesehen hatte!
Und mehr noch als über diese Begegnung an sich, war ich über seine Sprache erstaunt. Wir waren damals so lange, lange Zeit durch die verschiedensten Gegenden des Orientes geritten und hatten hier und da so langen Halt gemacht, daß eine Anbequemung an die betreffenden Sprachen und Sitten doch eigentlich selbstverständlich gewesen wäre; aber es war dem »veritablen Englishman« nicht einmal im Traume eingefallen, sich auch nur etwas von den Gewohnheiten und der Ausdrucksweise der Leute, mit denen wir zu verkehren hatten, anzueignen. Weil er Engländer war, glaubte er, in jeder Beziehung durchaus nur englisch sein zu müssen, und gab sich nicht die geringste Mühe, ein türkisches, arabisches, kurdisches oder persisches Wort im Gedächtnisse zu behalten. Daß er Deutsch verstand und sprach, wäre ein Wunder zu nennen gewesen, wenn ihm diese Kenntnis nicht schon während seiner Knabenzeit von einer deutschen Verwandten mütterlicherseits beigebracht worden wäre.
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