Da draußen ruhen sie
  Gelagert; und verlass' ich diesen Hain,
  Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd,
  Von allen Seiten Staub erregend auf
  Und treiben ihre Beute vor sich her.

  Iphigenie.
  Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen?

  Orest.
  Spar' es für einen Freund der Götter auf.

  Iphigenie.
  Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.

  Orest.
  Durch Rauch und Qualm seh' ich den matten Schein
  Des Todtenflusses mir zur Hölle leuchten.

  Iphigenie.
  Hast du Elektren, Eine Schwester nur?

  Orest.
  Die Eine kannt' ich; doch die ält'ste nahm
  Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien,
  Bei Zeiten aus dem Elend unsers Hauses.
  O laß dein Fragen, und geselle dich
  Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen
  Mir schadenfroh die Asche von der Seele,
  Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen
  Von unsers Hauses Schreckensbrande still
  In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig,
  Vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel
  Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?

  Iphigenie.
  Ich bringe süßes Rauchwerk in die Flamme.
  O laß den reinen Hauch der Liebe dir
  Die Gluth des Busens leise wehend kühlen.
  Orest, mein Theurer, kannst du nicht vernehmen?
  Hat das Geleit der Schreckensgötter so
  Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?
  Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gorgone,
  Versteinernd dir ein Zauber durch die Glieder?
  O wenn vergoss'nen Mutterblutes Stimme
  Zur Höll' hinab mit dumpfen Tönen ruft;
  Soll nicht der reinen Schwester Segenswort
  Hülfreiche Götter von Olympus rufen?

  Orest.
  Es ruft! es ruft! So willst du mein Verderben!
  Verbirgt in dir sich eine Rachegöttin?
  Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich
  Das Innerste in seinen Tiefen wendet?

  Iphigenie.
  Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an:
  Orest, ich bin's! Sieh Iphigenien!
  Ich lebe!

  Orest.
              Du!

  Iphigenie.
                   Mein Bruder!

  Orest.
                                 Laß! Hinweg!
  Ich rathe dir, berühre nicht die Locken!
  Wie von Kreusa's Brautkleid zündet sich
  Ein unauslöschlich Feuer von mir fort.
  Laß mich! Wie Hercules will ich Unwürd'ger
  Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben.

  Iphigenie.
  Du wirst nicht untergehn! O daß ich nur
  Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!
  O löse meine Zweifel, laß des Glückes,
  Des lang erflehten, mich auch sicher werden.
  Es wälzet sich ein Rad von Freud' und Schmerz
  Durch meine Seele. Von dem fremden Manne
  Entfernet mich ein Schauer; doch es reißt
  Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder.

  Orest.
  Ist hier Lyäens Tempel? und ergreift
  Unbändig-heil'ge Wuth die Priesterin?

  Iphigenie.
  O höre mich! O sieh mich an, wie mir
  Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet,
  Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt
  Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen,
  Mit meinen Armen, die den leeren Winden
  Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen!
  O laß mich! Laß mich! Denn es quillet heller
  Nicht vom Parnaß die ew'ge Quelle sprudelnd
  Von Fels zu Fels in's goldne Thal hinab,
  Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt,
  Und wie ein selig Meer mich rings umfängt.
  Orest! Orest! Mein Bruder!

  Orest.
                                Schöne Nymphe,
  Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.
  Diana fordert strenge Dienerinnen
  Und rächet das entweihte Heiligthum.
  Entferne deinen Arm von meiner Brust!
  Und wenn du einen Jüngling rettend lieben,
  Das schöne Glück ihm zärtlich bieten willst,
  So wende meinem Freunde dein Gemüth,
  Dem würd'gern Manne zu. Er irrt umher
  Auf jenem Felsenpfade; such' ihn auf,
  Weis' ihn zurecht und schone meiner.

  Iphigenie.
                                        Fasse
  Dich, Bruder, und erkenne die Gefundne!
  Schilt einer Schwester reine Himmelsfreude
  Nicht unbesonnene, strafbare Lust.
  O nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge,
  Daß uns der Augenblick der höchsten Freude
  Nicht dreifach elend mache! Sie ist hier,
  Die längst verlorne Schwester. Vom Altar
  Riß mich die Göttin weg und rettete
  Hierher mich in ihr eigen Heiligthum.
  Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer,
  Und findest in der Priesterin die Schwester.

  Orest.
  Unselige! So mag die Sonne denn
  Die letzten Gräuel unsers Hauses sehn!
  Ist nicht Elektra hier? damit auch sie
  Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben
  Zu schwererem Geschick und Leiden friste.
  Gut, Priesterin! Ich folge zum Altar:
  Der Brudermord ist hergebrachte Sitte
  Des alten Stammes; und ich danke, Götter,
  Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten
  Beschlossen habt. Und laß dir rathen, habe
  Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne;
  Komm, folge mir in's dunkle Reich hinab!
  Wie sich vom Schwefelpfuhl erzeugte Drachen
  Bekämpfend die verwandte Brut verschlingen,
  Zerstört sich selbst das wüthende Geschlect;
  Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!
  Du siehst mich mit Erbarmen an? Laß ab!
  Mit solchen Blicken suchte Klytämnestra
  Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;
  Doch sein geschwungner Arm traf ihre Brust.
  Die Mutter fiel!—Tritt auf, unwill'ger Geist!
  Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien,
  Und wohnet dem willkommnen Schauspiel bei,
  Dem letzten, gräßlichsten, das ihr bereitet!
  Nicht Haß und Rache schärfen ihren Dolch;
  Die liebevolle Schwester wird zur That
  Gezwungen. Weine nicht! Du hast nicht Schuld.
  Seit meinen ersten Jahren hab' ich nichts
  Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schwester.
  Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht,
  Zerreiße diesen Busen, und eröffne
  Den Strömen die hier sieden einen Weg!
       (Er sinkt in Ermattung.)

  Iphigenie.
  Allein zu tragen dieses Glück und Elend
  Vermag ich nicht.—Wo bist du, Pylades?
  Wo find' ich deine Hülfe, theurer Mann?
       (Sie entfernt sich suchend.)

Zweiter Auftritt.

  Orest
  (aus seiner Betäubung erwachend und sich aufrichtend).

  Noch Einen! reiche mir aus Lethe's Fluthen
  Den letzten kühlen Becher der Erquickung!
  Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen
  Hinweggespült; bald fließet still mein Geist,
  Der Quelle des Vergessens hingegeben,
  Zu euch, ihr Schatten, in die ew'gen Nebel.
  Gefällig laßt in eurer Ruhe sich
  Den umgetriebnen Sohn der Erde laben!—
  Welch ein Gelispel hör' ich in den Zweigen,
  Welch ein Geräusch aus jener Dämmrung säuseln?—
  Sie kommen schon, den neuen Gast zu sehn!
  Wer ist die Schaar, die herrlich mit einander
  Wie ein versammelt Fürstenhaus sich freut?
  Sie gehen friedlich, Alt' und Junge, Männer
  Mit Weibern; göttergleich und ähnlich scheinen
  Die wandelnden Gestalten. Ja, sie sind's,
  Die Ahnherrn meines Hauses!—Mit Thyesten
  Geht Atreus in vertraulichen Gesprächen;
  Die Knaben schlüpfen scherzend um sie her.
  Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch?
  Verlosch die Rache wie das Licht der Sonne?
  So bin auch ich willkommen, und ich darf
  In euern feierlichen Zug mich mischen.
  Willkommen, Väter! euch grüßt Orest,
  Von euerm Stamme der letzte Mann;
  Was ihr gesät, hat er geerntet:
  Mit Fluch beladen stieg er herab,
  Doch leichter träget sich hier jede Bürde:
  Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis!—
  Dich, Atreus, ehr' ich, auch dich Thyesten:
  Wir sind hier alle der Feindschaft los.—
  Zeigt mir den Vater, den ich nur einmal
  Im Leben sah!—Bist du's, mein Vater?
  Und führst die Mutter vertraut mit dir?
  Darf Klytämnestra die hand dir reichen;
  So darf Orest auch zu ihr treten
  Und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn!—
  Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen.
  Auf Erden war in unserm Hause
  Der Gruß des Mordes gewisse Losung,
  Und das Geschlect des alten Tantalus
  Hat seine Freuden jenseits der Nacht.
  Ihr ruft: Willkommen! und nehmt mich auf!
  O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!
  Wo ist der Alte? daß ich ihn sehe,
  Das theure Haupt, das vielverehrte,
  Das mit den Göttern zu Rathe saß.
  Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden?
  Was ist es? Leidet der Göttergleiche?
  Weh mir! es haben die Übermächt'gen
  Der Heldenbrust grausame Qualen
  Mit ehrnen Ketten fest aufgeschmiedet.

Dritter Auftritt.

Orest. Iphigenie. Pylades.

  Orest.
  Seid ihr auch schon herabgekommen?
  Wohl Schwester dir! Noch fehlt Elektra:
  Ein güt'ger Gott send' uns die Eine
  Mit sanften Pfeilen auch schnell herab.
  Dich, armer Freund, muß ich bedauern!
  Komm mit! komm mit! zu Pluto's Thron,
  Als neue Gäste den Wirth zu grüßen.

  Iphigenie.
  Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel
  Das schöne Licht bei Tag und Nacht herauf
  Den Menschen bringet, und den Abgeschiednen
  Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geschwister!
  Du liebst, Diane, deinen holden Bruder
  Vor allem, was dir Erd' und Himmel bietet,
  Und wendest dein jungfräulich Angesicht
  Nach seinem ew'gen Lichte sehnend still.
  O laß den einz'gen Spätgefundnen mir
  Nicht in der Finsterniß des Wahnsinns rasen!
  Und ist dein Wille, da du hier mich bargst,
  Nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn
  Und ihm durch mich die sel'ge Hülfe geben;
  So lös' ihn von den Banden jenes Fluchs,
  Daß nicht die theure Zeit der Rettung schwinde.

  Pylades.
  Erkennst du uns und diesen heil'gen Hain
  Und dieses Licht, das nicht den Todten leuchtet?
  Fühlst du den Arm des Freundes und der Schwester,
  Die dich noch fest, noch lebend halten? Faß
  Uns kräftig an; wir sind nicht leere Schatten.
  Merk' auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich
  Zusammen! Jeder Augenblick ist theuer,
  Und unsre Rückkehr hängt an zarten Fäden,
  Die, scheint es, eine günst'ge Parze spinnt.

  Orest (zu Iphigenien).
  Laß mich zum Erstenmal mit freiem Herzen
  In deinen Armen reine Freude haben!
  Ihr Götter, die mit flammender Gewalt
  Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt,
  Und gnädig-ernst den lang erflehten Regen
  Mit Donnerstimmen und mit Windesbrausen
  In wilden Strömen auf die Erde schüttet,
  Doch bald der Menschen grausendes Erwarten
  In Segen auflös't und das bange Staunen
  In Freudeblick und lauten Dank verwandelt,
  Wenn in den Tropfen frischerquickter Blätter
  Die neue Sonne tausendfach sich spiegelt,
  Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand
  Den grauen Flor der letzten Wolken trennt;
  O laßt mich auch in meiner Schwester Armen,
  An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt
  Mit vollem Dank genießen und behalten.
  Es löset sich der Fluch, mir sagt's das Herz.
  Die Eumeniden ziehn, ich höre sie,
  Zum Tartarus und schlagen hinter sich
  Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu.
  Die Erde dampft erquickenden Geruch
  Und ladet mich auf ihren Flächen ein,
  Nach Lebensfreud' und großer That zu jagen.

  Pylades.
  Versäumt die Zeit nicht, die gemessen ist!
  Der Wind der unsre Segel schwellt, er bringe
  Erst unsre volle Freude zum Olymp.
  Kommt! Es bedarf hier schnellen Rath und Schluß.

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

  Iphigenie.
  Denken die Himmlischen
  Einem der Erdgebornen
  Viele Verwirrungen zu,
  Und bereiten sie ihm
  Von der Freude zu Schmerzen
  Und von Schmerzen zur Freude
  Tief-erschütternden Übergang;
  Dann erziehen sie ihm
  In der Nähe der Stadt,
  Oder am fernen Gestade,
  Daß in Stunden der Noth
  Auch die Hülfe bereit sei,
  Einen ruhigen Freund.
  O segnet, Götter, unsern Pylades
  Und was er immer unternehmen mag!
  Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht,
  Des Greises leuchtend Aug' in der Versammlung:
  Denn seine Seel' ist stille; sie bewahrt
  Der Ruhe heil'ges unerschöpftes Gut,
  Und den Umhergetriebnen reichet er
  Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe. Mich
  Riß er vom Bruder los; den staunt' ich an
  Und immer wieder an, und konnte mir
  Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht
  Aus meinen Armen los, und fühlte nicht
  Die Nähe der Gefahr die uns umgibt.
  Jetzt gehn sie ihren Anschlag auszuführen
  Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten
  In einer Bucht versteckt auf's Zeichen lauert,
  Und haben kluges Wort mir in den Mund
  Gegeben, mich gelehrt was ich dem König
  Antworte, wenn er sendet und das Opfer
  Mir dringender gebietet. Ach! ich sehe wohl,
  Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind.
  Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten
  Noch jemand etwas abzulisten. Weh!
  O weh der Lüge! Sie befreiet nicht,
  Wie jedes andre wahrgesprochne Wort,
  Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet
  Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt,
  Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte
  Gewendet und versagend, sich zurück
  Und trifft den Schützen. Sorg' auf Sorge schwankt
  Mir durch die Brust. Es greift die Furie
  Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
  Des ungeweihten Ufers grimmig an.
  Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre
  Gewaffnete sich nahen!—Hier!—Der Bote
  Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt,
  Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele,
  Da ich des Mannes Angesicht erblicke,
  Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.

Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Arkas.

  Arkas.
  Beschleunige das Opfer, Priesterin!
  Der König wartet und es harrt das Volk.

  Iphigenie.
  Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink,
  Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß
  Sich zwischen mich und die Erfüllung stellte.

  Arkas.
  Was ist's, das den Befehl des Königs hindert?

  Iphigenie.
  Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind.

  Arkas.
  So sage mir's, daß ich's ihm schnell vermelde:
  Denn er beschloß bei sich der beiden Tod.

  Iphigenie.
  Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen.
  Der ält'ste dieser Männer trägt die Schuld
  Des nahverwandten Bluts, das er vergoß.
  Die Furien verfolgen seinen Pfad,
  Ja in dem innern Tempel faßte selbst
  Das Übel ihn, und seine Gegenwart
  Entheiligte die reine Stätte. Nun
  Eil' ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere
  Der Göttin Bild mit frischer Welle netzend,
  Geheimnißvolle Weihe zu begehn.
  Es störe niemand unsern stillen Zug!

  Arkas.
  Ich melde dieses neue Hinderniß
  Dem Könige geschwind; beginne du
  Das heil'ge Werk nicht eh' bis er's erlaubt.

  Iphigenie.
  Dieß ist allein der Priestrin überlassen.

  Arkas.
  Solch seltnen Fall soll auch der König wissen.

  Iphigenie.
  Sein Rath wie sein Befehl verändert nichts.

  Arkas.
  Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.

  Iphigenie.
  Erdringe nicht, was ich versagen sollte.

  Arkas.
  Versage nicht, was gut und nützlich ist.

  Iphigenie.
  Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst.

  Arkas.
  Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager,
  Und schnell mit seinen Worten hier zurück.
  O könnt' ich ihm noch eine Botschaft bringen,
  Die alles lös'te, was uns jetzt verwirrt:
  Denn du hast nicht des Treuen Rath geachtet.

  Iphigenie.
  Was ich vermochte, hab' ich gern gethan.

  Arkas.
  Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit.

  Iphigenie.
  Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht.

  Arkas.
  Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet.

  Iphigenie.
  Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt.

  Arkas.
  Willst du denn alles so gelassen wagen?

  Iphigenie.
  Ich hab' es in der Götter Hand gelegt.

  Arkas.
  Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten.

  Iphigenie.
  Auf ihren Fingerzeig kömmt alles an.

  Arkas.
  Ich sage dir, es liegt in deiner Hand.
  Des Königs aufgebrachter Sinn allein
  Bereitet diesen Fremden bittern Tod.
  Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer
  Und von dem blut'gen Dienste sein Gemüth.
  Ja, mancher, den ein widriges Geschick
  An fremdes Ufer trug, empfand es selbst,
  Wie göttergleich dem armen Irrenden,
  Umhergetrieben an der fremden Gränze,
  Ein freundlich Menschenangesicht begegnet.
  O wende nicht von uns was du vermagst!
  Du endest leicht was du begonnen hast:
  Denn nirgends baut die Milde, die herab
  In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt,
  Ein Reich sich schneller, als wo trüb und wild
  Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft,
  Sich selbst und banger Ahnung überlassen,
  Des Menschenlebens schwere Bürden trägt.

  Iphigenie.
  Erschüttre meine Seele nicht, die du
  Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.

  Arkas.
  So lang es Zeit ist, schont man weder Mühe
  Noch eines guten Wortes Wiederholung.

  Iphigenie.
  Du machst dir Müh und mir erregst du Schmerzen:
  Vergebens beides: darum laß mich nun.

  Arkas.
  Die Schmerzen sind's, die ich zu Hülfe rufe:
  Denn es sind Freunde, Gutes rathen sie.

  Iphigenie.
  Sie fassen meine Seele mit Gewalt,
  Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.

  Arkas.
  Fühlt eine schöne Seele Widerwillen
  Für eine Wohlthat, die der Edle reicht?

  Iphigenie.
  Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt,
  Statt meines Dankes mich erwerben will.

  Arkas.
  Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es
  An einem Worte der Entschuld'gung nie.
  Dem Fürsten sag' ich an, was hier geschehn.
  O wiederholtest du in deiner Seele,
  Wie edel er sich gegen dich betrug
  Von deiner Ankunft an bis diesen Tag.

Dritter Auftritt.

Iphigenie (allein).

  Von dieses Mannes Rede fühl' ich mir
  Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen
  Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke!—
  Denn wie die Fluth mit schnellen Strömen wachsend
  Die Felsen überspült, die in dem Sand
  Am Ufer liegen: so bedeckte ganz
  Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt
  In meinen Armen das Unmögliche.
  Es schien sich eine Wolke wieder sanft
  Um mich zu legen, von der Erde mich
  Empor zu heben und in jenen Schlummer
  Mich einzuwiegen, den die gute Göttin
  Um meine Schläfe legte, da ihr Arm
  Mich rettend faßte.—Meinen Bruder
  Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
  Ich horchte nur auf seines Freundes Rath;
  Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts.
  Und wie den Klippen einer wüsten Insel
  Der Schiffer gern den Rücken wendet: so
  Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme
  Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,
  Daß ich auch Menschen hier verlasse, mich
  Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
  Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele!
  Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?
  Den festen Boden deiner Einsamkeit
  Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft
  Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb
  Und bang verkennest du die Welt und dich.

Vierter Auftritt.

Iphigenie. Pylades.

  Pylades.
  Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten
  Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

  Iphigenie.
  Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung
  Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

  Pylades.
  Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden
  Des ungeweihten Ufers und den Sand
  Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;
  Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht.
  Und herrlicher und immer herrlicher
  Umloderte der Jugend schöne Flamme
  Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte
  Von Muth und Hoffnung, und sein freies Herz
  Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,
  Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

  Iphigenie.
  Gesegnet seist du, und es möge nie
  Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,
  Der Ton des Leidens und der Klage tönen!

  Pylades.
  Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet,
  Gleich einem Fürsten, pflegt das Glück zu nahn.
  Auch die Gefährten haben wir gefunden.
  In einer Felsenbucht verbargen sie
  Das Schiff und saßen traurig und erwartend.
  Sie sahen deinen Bruder, und es regten
  Sich alle jauchzend, und sie baten dringend
  Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.
  Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder,
  Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd,
  Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.
  Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel,
  Laß mich das Heiligthum betreten, laß
  Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen.
  Ich bin allein genug, der Göttin Bild
  Auf wohl geübten Schultern wegzutragen;
  Wie sehn' ich mich nach der erwünschten Last!

  (Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten,
  ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; endlich
  kehrt er sich um.)

  Du stehst und zauderst—Sage mir—Du schweigst!
  Du scheinst verworren! Widersetzet sich
  Ein neues Unheil unserm Glück? Sag' an!
  Hast du dem Könige das kluge Wort
  Vermelden lassen, das wir abgeredet?

  Iphigenie.
  Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schelten.
  Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick.
  Des Königs Bote kam, und wie du es
  Mir in den Mund gelegt, so sagt' ich's ihm.
  Er schien zu staunen, und verlangte dringend
  Die seltne Feier erst dem Könige
  Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;
  Und nun erwart' ich seine Wiederkehr.

  Pylades.
  Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr
  Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht
  In's Priesterrecht dich weislich eingehüllt?

  Iphigenie.
  Als eine Hülle hab' ich's nie gebraucht.

  Pylades.
  So wirst du, reine Seele, dich und uns
  Zu Grunde richten. Warum dacht' ich nicht
  Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich
  Auch dieser Fordrung auszuweichen!

  Iphigenie.
                                      Schilt
  Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl' es wohl;
  Doch konnt' ich anders nicht dem Mann begegnen,
  Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,
  Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte.

  Pylades.
  Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so
  Laß uns nicht zagen, oder unbesonnen
  Und übereilt uns selbst verrathen. Ruhig
  Erwarte du die Wiederkunft des Boten,
  Und dann steh fest, er bringe was er will:
  Denn solcher Weihung Feier anzuordnen
  Gehört der Priesterin und nicht dem König.
  Und fordert er den fremden Mann zu sehn,
  Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist;
  So lehn' es ab, als hieltest du uns beide
  Im Tempel wohl verwahrt. So schaff' uns Luft,
  Daß wir auf's eiligste, den heil'gen Schatz
  Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn.
  Die besten Zeichen sendet uns Apoll,
  Und, eh' wir die Bedingung fromm erfüllen,
  Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon.
  Orest ist frei, geheilt!—Mit dem Befreiten
  O führet uns hinüber, günst'ge Winde,
  Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt;
  Dann nach Mycen, daß es lebendig werde,
  Daß von der Asche des verloschnen Herdes
  Die Vatergötter fröhlich sich erheben,
  Und schönes Feuer ihre Wohnungen
  Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch
  Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du
  Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder,
  Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen
  Mit frischen Lebensblüthen herrlich aus.

  Iphigenie.
  Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Theurer,
  Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,
  Die Seele, von dem Strahle deiner Worte
  Getroffen, sich dem süßen Troste nach.
  Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes
  Gewisse Rede, deren Himmelskraft
  Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.
  Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,
  Gedank' ihm und Entschluß; die Gegenwart
  Des Liebenden entwickelte sie leicht.

  Pylades.
  Leb' wohl! Die Freunde will ich nun geschwind
  Beruhigen, die sehnlich wartend harren.
  Dann komm' ich schnell zurück und lausche hier
  Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink—
  Was sinnest du? Auf einmal überschwebt
  Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

  Iphigenie.
  Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,
  So zieht mir vor der Seele leichte Sorge
  Und Bangigkeit vorüber.

  Pylades.
                           Fürchte nicht!
  Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr
  Ein enges Bündniß; beide sind Gesellen.

  Iphigenie.
  Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt,
  Den König, der mein zweiter Vater ward,
  Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

  Pylades.
  Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

  Iphigenie.
  Es ist derselbe, der mir Gutes that.

  Pylades.
  Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut.

  Iphigenie.
  Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entschuldigt.

  Pylades.
  Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß.

  Iphigenie.
  Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

  Pylades.
  Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

  Iphigenie.
  Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

  Pylades.
  Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.

  Iphigenie.
  Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.

  Pylades.
  So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;
  Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
  Und andern strenge sein; du lernst es auch.
  So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet,
  So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,
  Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern
  Sich rein und unverworren halten kann.
  Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten;
  Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen
  Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:
  Denn selten schätzt er recht was er gethan,
  Und was er thut weiß er fast nie zu schätzen.

  Iphigenie.
  Fast überred'st du mich zu deiner Meinung.

  Pylades.
  Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist?
  Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten
  Ist nur Ein Weg; fragt sich's ob wir ihn gehen?

  Iphigenie.
  O laß mich zaudern! denn du thätest selbst
  Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,
  Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hieltest.

  Pylades.
  Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein
  Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.
  Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,
  Da du dem großen Übel zu entgehen
  Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

  Iphigenie.
  O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir!
  Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,
  Vor jeder andern Stimme sich verschließt.

  Pylades.
  Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand
  Der Noth gebietet, und ihr ernster Wink
  Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst
  Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht
  Des ew'gen Schicksals unberathne Schwester.
  Was sie dir auferlegt, das trage: thu'
  Was sie gebeut. Das Andre weißt du. Bald
  Komm' ich zurück, aus deiner heil'gen Hand
  Der Rettung schönes Siegel zu empfangen.

Fünfter Auftritt.

  Iphigenie (allein).
  Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen
  Seh' ich in dringender Gefahr.