Vermehrt aber das Gebirg seine Schwerkraft, so wird alsobald die Elastizität der Luft wiederhergestellt, und es entspringen zwei wichtige Phänomene. Einmal versammeln die Berge ungeheure Wolkenmassen um sich her, halten sie fest und starr wie zweite Gipfel über sich, bis sie, durch innern Kampf elektrischer Kräfte bestimmt, als Gewitter, Nebel und Regen niedergehen, sodann wirkt auf den überrest die elastische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, aufzulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich: sie hing um den steilsten Gipfel, das Abendrot beschien sie. Langsam, langsam sonderten ihre Enden sich ab, einige Flocken wurden weggezogen und in die Höhe gehoben; diese verschwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nach und ward vor meinen Augen wie ein Rocken von einer unsichtbaren Hand ganz eigentlich abgesponnen.
Wenn die Freunde über den ambulanten Wetterbeobachter und dessen seltsame Theorien gelächelt haben, so gebe ich ihnen vielleicht durch einige andere Betrachtungen Gelegenheit zum Lachen, denn ich muß gestehen, da meine Reise eigentlich eine Flucht war vor allen den Unbilden, die ich unter dem einundfunfzigsten Grade erlitten, daß ich Hoffnung hatte, unter dem achtundvierzigsten ein wahres Gosen zu betreten. Allein ich fand mich getäuscht, wie ich früher hätte wissen sollen; denn nicht die Polhöhe allein macht Klima und Witterung, sondern die Bergreihen, besonders jene, die von Morgen nach Abend die Länder durchschneiden. In diesen ereignen sich immer große Veränderungen, und nordwärts liegende Länder haben am meisten darunter zu leiden. So scheint auch die Witterung für den ganzen Norden diesen Sommer über durch die große Alpenkette, auf der ich dieses schreibe, bestimmt worden zu sein. Hier hat es die letzten Monate her immer geregnet, und Südwest und Südost haben den Regen durchaus nordwärts geführt. In Italien sollen sie schön Wetter, ja zu trocken gehabt haben.
Nun von dem abhängigen, durch Klima, Berghöhe, Feuchtigkeit auf das mannigfaltigste bedingten Pflanzenreich einige Worte. Auch hierin habe ich keine sonderliche Veränderung, doch Gewinn gefunden. Äpfel und Birnen hängen schon häufig vor Innsbruck in dem Tale, Pfirschen und Trauben hingegen bringen sie aus Welschland oder vielmehr aus dem mittägigen Tirol. Um Innsbruck bauen sie viel Türkisch—und Heidekorn, das sie Blende nennen. Den Brenner herauf sah ich die ersten Lärchenbäume, bei Schönberg den ersten Zirbel. Ob wohl das Harfnermädchen hier auch nachgefragt hätte?
Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft. Bis München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen. Freilich war meine eilige Tag—und Nachtfahrt solchen feinern Beobachtungen nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné bei mir und seine Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber Zeit und Ruhe zum Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich mich recht kenne, meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf' ich mein Auge aufs Allgemeine, und als ich am Walchensee die erste Gentiana sah, fiel mir auf, daß ich auch bisher zuerst am Wasser die neuen Pflanzen fand.
Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur neue Pflanzen fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande.
Die Kalkalpen, welche ich bisher durchschnitten, haben eine graue Farbe und schöne, sonderbare, unregelmäßige Formen, ob sich gleich der Fels in Lager und Bänke teilt. Aber weil auch geschwungene Lager vorkommen und der Fels überhaupt ungleich verwittert, so sehen die Wände und Gipfel seltsam aus. Diese Gebirgsart steigt den Brenner weit herauf. In der Gegend des oberen Sees fand ich eine Veränderung desselben. An dunkelgrünen und dunkelgrauen Glimmerschiefer, stark mit Quarz durchzogen, lehnte sich ein weißer, dichter Kalkstein, der an der Ablösung glimmerig war und in großen, obgleich unendlich zerklüfteten Massen anstand. Über demselben fand ich wieder Glimmerschiefer, der mir aber zärter als der vorige zu sein schien. Weiter hinauf zeigt sich eine besondere Art Gneis oder vielmehr eine Granitart, die sich dem Gneis zubildet, wie in der Gegend von Elbogen. Hier oben, gegen dem Hause über, ist der Fels Glimmerschiefer. Die Wasser, die aus dem Berge kommen, bringen nur diesen Stein und grauen Kalk mit.
Nicht fern muß der Granitstock sein, an den sich alles anlehnt. Die
Karte zeigt, daß man sich an der Seite des eigentlichen großen
Brenners befindet, von dem aus die Wasser sich ringsum ergießen.
Vom äußern des Menschengeschlechts habe ich so viel aufgefaßt. Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin.
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