Nichtsdestoweniger habe ich bei Ihnen Anlagen entdeckt, die es zu zerstören gilt. Sie treiben bereitwillig im Strom des Idealen, und das offenkundigste Resultat Ihrer Bestrebungen war bisher dieser Preis für lateinische Verse, den Sie zu unser aller Schande gestern gewonnen haben.

Beziffern wir die Lage. Sie sind ohne Besitz, das ist eine Ungeschicklichkeit; und beinahe wären Sie auch ohne Verwandte.

Nun will ich aber keinen Dichter in meiner Familie, haben Sie gehört! Ich will keines dieser Individuen, die den Leuten Reime ins Gesicht spucken; Sie haben eine reiche Familie; bringen Sie diese nicht in Verruf. Der Künstler ist nämlich nicht weit entfernt vom Fratzenschneider, dem ich von meinem Sperrsitz hundert Sou zuwerfe, damit er meine Verdauung bei Laune hält.

Sie verstehen, was ich meine. Kein Talent. Fertigkeiten. Da ich bei Ihnen keine besondere Begabung feststellen konnte, habe ich beschlossen, daß Sie in das Bankhaus Casmodage & Co.

eintreten werden, unter der Anleitung Ihres Cousins; nehmen Sie sich ihn zum Vorbild; bemühen Sie sich, ein Praktiker zu werden! Denken Sie daran, daß in Ihren Adern auch Boutardinsches Blut fließt, und damit Sie sich leichter an meine Worte erinnern, achten Sie darauf, diese niemals zu vergessen.«

Man sieht, 1960 war die Rasse der Prud'homme noch nicht ausgestorben; sie hatten die hehren Traditionen bewahrt. Was sollte Michel auf einen solchen Wortschwall antworten? Nichts, er schwieg also, während seine Tante und sein Cousin zustimmend nickten.

»Ihre Ferien«, fuhr der Bankier fort, »beginnen heute morgen und enden heute abend. Morgen werden Sie dem Chef des Hauses Casmodage & Co. vorgestellt. Sie können gehen.«

Der junge Mann verließ das Arbeitszimmer seines Onkels; seine Augen schwammen in Tränen; doch er kämpfte gegen die Verzweiflung an.

»Ich habe nur einen Tag Freiheit«, sagte er sich; »wenigstens werde ich ihn nach meinem Belieben verwenden; ich besitze ein paar Sou; also will ich anfangen, mir eine Bibliothek mit den großen Dichtern und berühmten Autoren des vergangenen Jahrhunderts anzulegen. Sie werden mich jeden Abend über die Unannehmlichkeiten des Tages hinwegtrösten.«

Viertes Kapitel

Von einigen Autoren des 19. Jahrhunderts

und der Schwierigkeit, sich diese zu

beschaffen

Michel ging Rasch auf die Straße hinunter und machte sich auf den Weg zur Buchhandlung der Fünf Erdteile, einem unübersehbaren Warenlager, das in der Rue de la Paix lag und von einem hohen Staatsbeamten geleitet wurde.

»Alles, was der menschliche Geist hervorgebracht hat, muß hier verborgen sein«, sagte sich der junge Mann.

Er betrat eine geräumige Eingangshalle, in deren Mitte ein telegraphisches Büro mit den entlegensten Verkaufsstellen der Geschäfte in Verbindung stand; ein Heer von Angestellten lief unaufhörlich kreuz und quer; in den Mauern auf- und abgleitende Gegengewichte hoben die Kommis bis zu den obersten Regalreihen der Säle empor; eine stattliche Menschenmenge belagerte das Büro, und die Postboten krümmten sich unter der Bücherlast.

»Nie wird es mir gelingen, all das zu lesen«, dachte er, während er sich in die Schlange vor dem Büro einreihte. Endlich kam er an den Schalter.

»Was wünschen Sie, mein Herr«, fragte ihn der Angestellte, Leiter der Anfragen-Abteilung.

»Ich möchte die Gesammelten Werke von Victor Hugo«, antwortete Michel.

Der Angestellte riß die Augen auf.

»Victor Hugo?« sagte er. »Was hat der gemacht?«

»Das ist einer der großen Dichter des 19. Jahrhunderts, wenn nicht sogar der größte«, antwortete der junge Mann errötend.

»Kennen Sie das?« fragte der Angestellte einen zweiten Angestellten, den Leiter der Nachforschungs-Abteilung.