Joseph Sedley, der Musik liebte und ein weiches Herz hatte, war während des Liedes ganz verzückt und tief gerührt über den Schluß.
Hätte er den Mut dazu gehabt, wären George und Miss Sedley, wie der junge Mann es vorgeschlagen hatte, vorn geblieben, so hätte Joseph Sedleys Junggesellenstand hier sein Ende gefunden, und dieses Werk wäre nie geschrieben worden. Aber Rebekka ergriff nach dem Lied Amelias Hand und ging mit ihr vom Klavier weg in den dämmerigen vorderen Salon. In diesem Augenblick erschien Mr. Sambo mit einem Teebrett voller Sandwiches, Gelees und ein paar funkelnden Gläsern und Karaffen, die alsbald Joseph Sedleys ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Als die Oberhäupter des Hauses Sedley von ihrem Diner zurückkehrten, fanden sie die jungen Leute so ins Gespräch vertieft, daß die den Wagen nicht hatten vorfahren hören. Mr. Joseph sagte gerade: »Meine liebe Miss Sharp, ein kleines Teelöffelchen voll Gelee, um Sie nach Ihrer ungeheuren – Ihrer – Ihrer wunderbaren Anstrengung zu erfrischen.«
»Bravo, Joe!« ließ sich Mr. Sedley vernehmen, und kaum hatte Joe diese wohlbekannten, spöttischen Laute gehört, als er auch schon wieder in sein ängstliches Schweigen verfiel und sich davonmachte. Er lag nicht die ganze Nacht wach, um darüber nachzudenken, ob er in Miss Sharp verliebt sei, denn Liebesleidenschaft störte weder seinen Appetit noch Schlaf; aber doch dachte er im stillen, wie herrlich es doch sein müsse, solche Lieder nach dem Dienst zu hören, wie vornehm sich das Mädchen zu geben wisse, wie sie besser Französisch spreche als selbst die Gemahlin des Generalgouverneurs und welches Aufsehen sie auf den Bällen in Kalkutta erregen würde. Offenbar ist das arme Geschöpf in mich verliebt, überlegte er. Sie ist nicht ärmer als die meisten Mädchen, die nach Indien kommen. Bei Gott, ich könnte es bei anderen weit schlechter treffen!
Unter diesen Gedanken schlief er ein.
Daß Miss Sharp wach lag und Betrachtungen darüber anstellte, ob er am folgenden Tage kommen würde oder nicht, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Der Morgen kam und mit ihm, unvermeidlich wie das Schicksal, Mr. Joseph Sedley, noch vor dem zweiten Frühstück. Noch niemals hatte man erlebt, daß er Russell Square eine solche Ehre erwies. George Osborne war aus irgendwelchen Gründen bereits dort und brachte Amelia, die an ihre zwölf Busenfreundinnen in der Chiswick Mall schrieb, völlig aus dem Konzept; und Rebekka war mit ihrer Arbeit vom Vortag beschäftigt. Als Joes Buggy vorfuhr und als der Steuereinnehmer von Boggley Wollah nach seinem üblichen Donnern gegen die Tür und seiner lärmenden Geschäftigkeit in der Vorhalle sich die Treppe hinaufarbeitete und dem Salon zusteuerte, tauschten Osborne und Miss Sedley verständnisinnige Blicke, und das Pärchen blickte schelmisch lächelnd Rebekka an, die tatsächlich errötete, als sie ihre blonden Ringellocken über ihre Filetarbeit neigte. Wie ihr Herz schlug, als Joseph erschien – Joseph, vom Treppensteigen keuchend, in glänzenden, knarrenden Stiefeln – Joseph, in einer neuen Weste, rot vor Hitze und Befangenheit, hinter seinem wattierten Halstuch noch mehr errötend. Für alle war es ein ängstlicher Augenblick, und Amelia war, wie ich glaube, sogar noch ängstlicher als die, die es am meisten betraf.
Sambo, der die Tür aufgerissen und Mr. Joseph gemeldet hatte, folgte dem Steuereinnehmer grinsend mit zwei schönen Blumensträußen. Das Scheusal war wirklich so galant gewesen, sie an jenem Morgen auf dem Covent Garden Market zu kaufen. Sie waren zwar nicht ganz so groß wie die Heuschober, die unsere Damen heutzutage in durchbrochenen Papiermanschetten herumschleppen, aber die jungen Damen waren trotzdem von dem Geschenk entzückt, als Joseph mit einer äußerst feierlichen und schwerfälligen Verbeugung jeder einen Strauß überreicht hatte.
»Bravo, Joe!« rief Osborne.
»Danke schön, lieber Joseph«, rief Amelia, bereit, ihrem Bruder einen Kuß zu geben, wenn er es wünschte. (Und ich glaube, für einen Kuß von einem so netten Geschöpf wie Amelia würde ich unverzüglich alle Gewächshäuser von Mr. Lee leerkaufen.)
»Oh, die himmlischen, himmlischen Blumen!« rief Miss Sharp, roch zärtlich daran, preßte sie an den Busen und schlug ihre Augen in schwärmerischer Bewunderung zur Zimmerdecke auf. Vielleicht warf sie auch erst einen schnellen, prüfenden Blick auf das Bukett, um zu sehen, ob sich nicht etwa ein billet-doux13 zwischen den Blüten verberge; aber von einem Brief war nichts zu sehen.
»Spricht man in Boggley Wollah auch die Sprache der Blumen, Sedley?« fragte Osborne lachend.
»Quatsch!« erwiderte der empfindsame Jüngling. »Habe sie bei Nathan gekauft; bin froh, daß sie euch gefallen, und dann, meine liebe Amelia, ich habe auch eine Ananas gekauft. Ich habe sie Sambo gegeben, wir können sie zum Frühstück essen, angenehm erfrischend bei so heißem Wetter.« Rebekka sagte, sie habe noch nie Ananas gekostet und sei ganz erpicht darauf, eine zu probieren.
So ging die Unterhaltung weiter. Ich weiß nicht, unter welchem Vorwand Osborne das Zimmer verließ oder warum Amelia sich wenig später entfernte – wahrscheinlich doch, um das Zerteilen der Ananas zu überwachen; Joe blieb jedenfalls mit Rebekka allein zurück, die wieder zu ihrer Arbeit gegriffen hatte, und die grüne Seide sowie die glänzende Nadel zuckten unter ihren weißen, dünnen, flinken Fingern.
»Was für ein schönes, ein schööönes Lied Sie uns gestern abend gesungen haben, liebe Miss Sharp«, sagte der Steuereinnehmer. »Ich hätte beinahe geweint, wirklich, Ehrenwort.«
»Weil Sie ein gutes Herz haben, Mr. Joseph; alle Sedleys haben ein gutes Herz, glaube ich.«
»Es hielt mich die ganze Nacht wach, und heute morgen habe ich versucht, es im Bett zu summen, wirklich, Ehrenwort.
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