»Dein ist die Vordertür. Unsern Rückzug durch die hintere deckt die Flamme.« Und er entzündete den Holzstoß. »Abgezogen, ihr evangelischen Männer!« –

Während das Feuer in aufrechter Lohe durch die luftige Bodenöffnung emporschlug, trat Jenatsch, die Tote im Arme, aus dem Wohnraume in die flackernde Helle.

In seiner Rechten leuchtete das lange Schwert, auf dem linken Arme trug er, als spürte er die Last nicht, seine Tote, deren stilles, sanftes Haupt wie geknickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte sie nicht auf der Mordstätte zurücklassen. Waser konnte trotz der Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von diesem Nachtbilde sprachlosen Grimms und unversöhnlicher Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichts denken, der eine unschuldige Seele durch die Flammen trägt. Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel des Schreckens.

Indes die Bündner durch den Garten nach dem Fuße des Gebirges enteilten, hatte der Pater in der Küche neben Feuer und Rauch standhaft den Augenblick erwartet, wo die Türe in Splitter flog. Jetzt sprang er, das Kruzifix in der vorgestreckten Rechten, zwischen die Pfosten und rief der blutlechzenden Menge entgegen:

»Heilige Mutter Gottes! Wollt ihr mit den Ketzern verbrennen? . . . Feuer vom Himmel hat sie verzehrt! Löschet! Rettet euer Dorf!« ... Und hinter ihm prasselte die lebendige Glut.

Mit einem Wehgeheul, das nichts Menschliches mehr hatte, wichen die Entsetzten zurück und es enstand eine unbeschreibliche Verwirrung. Blitzschnell verbreitete sich die Sage, Sankt Franziskus in eigener Person habe die Ketzer im protestantischen Pfarrhause vernichtet und sei in erhabener Gestalt den Gläubigen erschienen.

So gelang es dem Kapuziner, sein Eselchen, das er in einem benachbarten Stalle untergebracht hatte, unbemerkt zu besteigen. Brandröten und Mordgeschrei hinter sich lassend, ritt er auf Umwegen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, seinem Kloster am Comersee zu.

 

Siebentes Kapitel

 

Am Abend des fünften Tages nach diesen außerordentlichen Ereignissen näherte sich Heinrich Waser auf dem von Rapperswyl herkommenden ordinären Markt- und Postschiffe seiner Vaterstadt. Die schlanken Turmspitzen der beiden Münster zeichneten sich immer schärfer und größer auf dem klar geröteten Westhimmel, und bei diesem viellieben Anblick dankte der junge Amtschreiber aus Herzensgrunde der gütigen Vorsehung für das glückliche Ende seiner über Erwarten gefährlichen Ferienreise.

Bei der Abfahrt von Rapperswyl hatte er sich nur in Gesellschaft der Schiffer befunden; denn eine Schar von Pilgerinnen aus dem Breisgau, alte müde Weiber, verbargen ihre sonnenbraunen Gesichter scheu unter den roten Kopftüchern und hatten sich im Vorderteile des Schiffes eng zusammengeduckt. Sie beteten oder schliefen. Sie kamen vom heiligen Gnadenort Einsiedeln und waren noch über die lange Brücke zu den Kapuzinern von Rapperswyl gewandert, um von den als Geisterbanner und Exorzisten bewährten Vätern allerlei Mittelchen einzuhandeln gegen Krankheit von Menschen und Vieh und gegen teuflischen Spuk. Dort hatten die Wallfahrer von einem schrecklichen Strafgerichte gehört, das in einem Tale jenseits der Berge über die Ketzer hereingebrochen sei. Alle seien sie mit Feuer und Schwert vertilgt worden.

Wohl erfüllte die Weiblein mit freudigem Schrecken dies Unglück der Mißgläubigen, aber auch mit dem Wunsche, so bald als möglich den protestantischen Landen, die sie zu durchwandern hatten, den Rücken zu kehren und jenseits der Grenze in ihrer katholischen Heimat diese großen Dinge zu verkündigen.

So war das Gerücht von dem Protestantenmorde im Veltlin schon vor, oder doch zugleich mit dem jungen Zürcher hieher gelangt. Auch Waser hatte auf dem Heimwege erfahren, was zu glauben er sich immer noch in innerster Seele gesträubt hatte, daß der Überfall in Berbenn, den er miterlebt, nur eine Einzelnheit, und nicht die grausamste, eines längst geplanten, unerhörten Blutbades gewesen sei. Sogar die nach und nach bei den Dörfern, wo man anlegte, einsteigenden Marktleute waren voll davon.

Es war eine Gesellschaft, die sich nicht erst von gestern her kannte. Die zwei Schiffleute, Vater und Sohn, vermittelten mit ihren Ruderknechten schon seit Jahren den Verkehr zwischen den beiden See-Enden. Der Junge, ein von der Sonne geschwärztes, kräftig aufgeschossenes Gewächs, war Wasers Altersgenosse. Sein Vater hatte ihn von Kindesbeinen an auf den See mitgenommen und ihn früh zum Vertragen der dem Schiffe für die Stadt anvertrauten Briefe und Pakete gebraucht. So war der Bursche mit dem jungen Jenatsch schon bekannt geworden, als der Pfarrer von Scharans seinen Jürg nach Zürich auf die Schule führte, hatte ihm später manche Botschaft gebracht, und wenn Waser zu Ferienanfang seinen Schulkameraden seeaufwärts begleitete, hätte dem lustigen Tage das Beste gefehlt, wenn der wort- und schlagfertige Kuri Lehmann nicht mitgefahren wäre.

Er auch war es gewesen, der mit seinem Vater die müde kleine Lucretia in das Schiff aufgenommen, ihr in Zürich den Weg nach dem Carolinum gezeigt und ihr Mut gemacht hatte, nur frisch und unverzagt dem Jürg ihren Kram auf die Schulbank zu stellen.

Auch die Dorfleute – ein alter Mann von Stäfa, der allwöchentlich seine Spanferkel in Zürich zu Markte brachte, der Honighändler, die Fischer und ein paar Hühner- und Eierweiber – waren Stammgäste des geräumigen Bootes.

Die dunkle Nachricht, welche das Postboot von Rapperswyl brachte, versetzte dessen Insassen in ungewohnte Aufregung. Ihre vor dem Schreckbild scheuende Einbildungskraft erging sich in den abenteuerlichsten Sprüngen. Nicht zufrieden mit den überlieferten Tatsachen, vermuteten sie eine allgemeine Verschwörung der Papisten gegen alles Volk, das sich zur reinen Lehre bekenne. Schließlich waren sie nicht weit davon, den ihnen allen dem Rufe nach, einigen von Angesicht bekannten Herrn Pompejus, dem sie die Hauptschuld an dem Blutbade beimaßen, zum Feldhauptmann des Antichrists zu erheben und ihm ein Heer schlauer Jesuiten und feuriger Teufel zur Verfügung zu stellen.

»Der letzte Sieg der Bosheit und das Weltgericht steht vor der Tür«, sprach feierlich der alte Ferkelhändler, welcher etwas taub war und sich um so eifriger auf die seltene Kunst des Lesens und die selbständige Erforschung der Schrift verlegt hatte, »alle Zeichen sind da – das große Tier ...«

»Ihr könntet irren«, unterbrach ihn der Amtsschreiber, der bis jetzt in sich gekehrt geschwiegen hatte. »Wißt, daß seit der Apostel Zeiten bei allen schweren Kalamitäten, die über das Christenvolk hereinbrachen, das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet wurde. Und doch steht, wie Ihr seht, noch Albis und Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat noch ihren alten Weg.