Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Tränen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs.

Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher, wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet.

An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schön wie alle Glieder dieses von den Göttern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Träumen zerfloß, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleichen Schläfe, in denen bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edlen Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet, befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblässe und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, denn er hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragen sollte. –

Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte, stand, in träumerisches Sinnen verloren, ein Weib – oder war es eine Jungfrau? – von überraschender, blendender, überwältigender Schönheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Höhe der Gestalt, aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kälte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen müssen, weil diese marmorne höchste Einheit schönster Jungfräulichkeit und schönster Sinnlichkeit die Jünglinge des Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber höchster reifer Mädchenschönheit zitterte über diesem Wesen. Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so außerordentlicher Wirkung, daß er der Fürstin, selbst bei diesem durch die prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk, den Namen »Schönhaar« verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in träumerisches Sinnen verloren, manchmal in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der Tat, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht, den weißen, hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und hinausträumend in die Abendluft, glich ihre verführerische Schönheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat. Und so groß war die Macht dieser Schönheit, daß selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Fürstin längst kannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen berührt wurde. –

Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Königs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen Versöhnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtvoll verneigte. In Tränen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus, der ihn für diese Weichheit verachtete.

»Welch ein Tag!« klagte er. – »Ein verhängnisvoller Tag,« sprach Cethegus ernst; »er fordert Kraft und Fassung.« – »Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Römer,« – sagte die Fürstin, sich von Athalarich losmachend, »sei gegrüßt.« Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar. »Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft,« sprach Cethegus.

»Sagt lieber, die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar,« verbesserte Cassiodor. »Patricius,« begann Amalaswintha, »der Präfectus Prätorio hat dich mir vorgeschlagen, zu einem wichtigen Geschäft. Sein Wort würde genügen, auch wenn ich dich nicht längst schon kennte.