Ja, zwei volle Stunden.

EDMUND. Schiedet ihr in gutem Vernehmen? Bemerktest du kein Mißfallen an ihm in Worten oder Mienen? –

EDGAR. Durchaus nicht.

EDMUND. Besinne dich, womit du ihn beleidiget haben könntest, und ich bitte dich, meide seine Gegenwart, bis eine kurze Zwischenzeit die Hitze seines Zorns abgekühlt hat, der jetzt so in ihm wütet, daß ihn kaum eine Mißhandlung an deiner Person besänftigen würde.

EDGAR. Irgendein Schurke hat mich angeschwärzt!

EDMUND. Das fürcht' ich auch. Ich bitte dich, weiche ihm sorgfältig aus, bis die Heftigkeit seines Ingrimms nachläßt, und, wie gesagt, verbirg dich bei mir in meinem Zimmer, wo ich's einrichten will, daß du den Grafen reden hören sollst. Ich bitte dich, geh, hier ist mein Schlüssel. Wagst du dich hervor, so geh bewaffnet!

EDGAR. Bewaffnet, Bruder?

EDMUND. Bruder, ich rate dir dein Bestes: geh bewaffnet: ich will nicht ehrlich sein, wenn man Gutes gegen dich im Schilde führt. Ich habe dir nur schwach angedeutet, was ich sah und hörte; längst noch nicht, wie entsetzlich die Wirklichkeit ist. Bitte dich, fort! –

EDGAR. Werd' ich bald von dir hören?

EDMUND. Zähle auf mich in dieser Sache!

 

Edgar geht ab.

 

Ein gläub'ger Vater und ein edler Bruder,

So fern von allem Unrecht, daß er nie

Argwohn gekannt, des dumme Ehrlichkeit

Mir leichtes Spiel gewährt! Ich seh' den Ausgang:

Wenn nicht Geburt, schafft List mir Land und Leute;

Und was mir nützt, das acht' ich gute Beute.

Er geht ab.

 

 

Dritte Szene.

Vor dem Palast des Herzogs von Albanien.

Goneril und der Haushofmeister.

 

GONERIL.

Schlug mein Vater meinen Diener, weil er seinen

Narren schalt?

HAUSHOFMEISTER.

Ja, gnäd'ge Frau!

GONERIL.

Bei Tag und Nacht! er kränkt mich! – Jede Stunde

Bricht er hervor mit der und jener Unbill,

Die uns verstimmt und stört: ich duld' es nicht.

Die Ritter werden frech, er selber schilt

Um jeden Tand. Wenn er vom Jagen kommt,

Will ich ihn jetzt nicht sehn; sag, ich sei krank.

Wenn Ihr in Eurem Dienst saumsel'ger werdet,

So tut Ihr recht; die Schuld nehm' ich auf mich.

 

Trompeten.

 

HAUSHOFMEISTER.

Jetzt kommt er, gnäd'ge Frau, ich hör' ihn schon.

GONERIL.

Zeigt ihm so träge Lässigkeit ihr wollt,

Du und die andern; ich wollt', es käm' zur Sprache.

Wenn's ihm mißfällt, so zieh' er hin zur Schwester,

Die darin, weiß ich, einig ist mit mir,

Und sich nicht meistern läßt. Der greise Tor,

Der immer noch die Macht behaupten will,

Die er verschenkt hat! Nun, bei meinem Leben,

Das Alter kehrt zur Kindheit, und es braucht

Der strengen Zucht, wenn Güte ward mißbraucht.

Merk' dir, was ich gesagt! –

HAUSHOFMEISTER.

Wohl, gnäd'ge Frau!

GONERIL.

Und seinen Rittern gönnt nur kalte Blicke,

Was draus erwächst, gleichviel; sagt das den andern auch:

Ich nehme wohl Gelegenheit hieraus,

Mich zu erklären. Meiner Schwester schreib' ich gleich,

Daß sie verfährt wie ich. Besorg' das Mahl!

Sie gehn ab.

 

 

Vierte Szene.

Ebendaselbst.

Kent tritt auf, verkleidet.

 

KENT.

Kann ich so gut nur fremde Sprache borgen,

Die meine Red' entstellt, so mag vielleicht

Mein guter Will' in vollem Maß erstreben

Das Ziel, um das mein Wesen ich verhüllte. –

Nun, du verbannter Kent,

Kannst du dort dienen, wo man dich verdammt,

(Und geb' es Gott!) soll dein geliebter Herr

Dich unermüdlich finden.

 

Jagdhörner hinter der Szene; Lear, Ritter und Gefolge treten auf.

 

LEAR. Laßt mich keinen Augenblick auf das Essen warten; geht, laßt anrichten!

 

Einer vom Gefolge geht ab.

 

Nun, wer bist du?

KENT. Ein Mann, Herr!

LEAR. Was ist dein Beruf? Was willst du von uns?

KENT. Mein Beruf ist, nicht weniger zu sein, als ich scheine; dem treu zu dienen, der's mit mir versuchen will; den zu lieben, der ehrlich ist; mit dem zu verkehren, der Verstand hat und wenig spricht; den guten Leumund zu achten, zu fechten, wenn ich's nicht ändern kann, und keine Fische zu essen.

LEAR. Wer bist du?

KENT. Ein recht treuherziger Kerl und so arm als der König.

LEAR. Wenn du als Untertan so arm bist, wie er als König, dann bist du arm genug. Was willst du?

KENT. Dienst.

LEAR. Wem willst du dienen?

KENT.