Fixlein konnte weder parlieren noch injuriieren, er wußte nicht ein Wort davon, was couche bedeute, das jetzt in Paris bürgerliche Hunde selber zu ihren Valets de chiens sagen; aber von Aufhammer nahm drei Dinge nie zurück, seinen Irrtum, seinen Groll und sein Wort. Der Provokat setzte sich jetzt vor, den bürgerlichen Provokanten und Ehrendieb nicht mehr zu sehen und zu – beschenken.

Ich komme zurück. Nach dem Diner guckte er zum Fensterchen hinaus in den Garten und sah seinen Lebensweg sich in vier Steige spalten zu ebenso vielen Himmelfahrten: zur Himmelfahrt in den Pfarrhof und in das Schloß zu Thiennetten – auf heute und zur dritten nach Schadeck auf morgen und in alle hukelumische Häuser zur vierten. Als nun die Mutter lange genug fröhlich auf gespitzten Füßen herumgeschlichen war, um ihn nicht im Studieren seiner lateinischen Bibel (vulgata) zu stören, nämlich im Lesen der Literaturzeitung: so macht' er sich endlich auf seine eignen, und die demütige Freude der Mutter lief dem herzhaften ohne lange hinterdrein, der sich getrauete, mit einem Senior ganz wohlgemutet zu sprechen. Gleichwohl trat er mit Ehrfurcht in das Haus seines alten, mehr grau- als kahlköpfigen Lehrers, der nicht nur die Tugend selber war, sondern auch der Hunger: denn er aß mehr als der höchstselige König. Ein Schulmann, der ein Professor werden will, sieht einen Pastor kaum an; einer aber, der selber ein Pfarrhaus zu seinem Werk- und Gebärhaus verlangt, weiß den Inwohner zu schätzen. Die neue Pfarrwohnung – gleichsam als wäre sie wie eine casa santa aus der Friederichsstraße oder aus Erlang aufgeflogen und in Hukelum niedergefallen – war für den Quintus ein Sonnentempel und der Senior der Sonnenpriester. Pfarrer da zu werden, war ein mit Lindenhonig überstrichner Gedanke, der in der Geschichte nur noch einmal vorkommt, nämlich in Hannibals Kopf, als er den hatte, über die Alpen zu schreiten, d.h. über Roms Türschwelle.

Der Wirt und der Gast formierten ein vortreffliches bureau d'esprit: Leute in Ämtern, zumal in ähnlichen, haben einander mehr zu sagen – nämlich ihre eigne Geschichte – als die müßigen Wonnemonds-Käfer und Hof-Seligen, die nur eine fremde dozieren dürfen. – Der Senior kam dann von seinen eisernen Stücken (im Stalle) auf die Aktenstücke seines akademischen Lebens, dessen sich solche Leute so gern wie Dichter der Kindheit erinnern. So gut er war, so dacht' er doch halb freudig daran, daß ers einmal weniger gewesen; aber frohe Erinnerungen fehlerhafter Handlungen sind ihre halbe Wiederholung, so wie reuige Erinnerungen der guten ihre halbe Aufhebung.

Freundlich und höflich horchte Zebedäus, der nicht einmal in seine Schreibtafel den Namen eines vornehmen Herrns ohne ein H. eintrug, den akademischen Flegeljahren des alten Mannes zu, der in Wittenberg ebensooft eingeschenkt als eingetunkt und gleich sehr nach der Hippokrene und nach Guckguck20 gedürstet hatte. –

Jerusalem bemerkt schön, daß die Barberei, die oft hart hinter dem buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von stärkendem Schlammbad sei und die Überverfeinerung abwende, mit der jener Flor bedrohe. Ich glaube, daß einer, der erwägt, wie weit die Wissenschaften bei dem Primaner steigen – vollends bei einem Patriziers-Sohn aus Nürnberg, dem die Stadt 1000 fl. zum Studieren schenken muß –, ich glaube, daß ein solcher dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter (das sogenannte Burschenleben) gönnen werde, das ihn wieder so stählet, daß seine Verfeinerung nicht über die Grenzen geht. Der Senior hatte in Wittenberg 180 akademische Freiheiten – so viel hat deren Petrus Rebuffus aufsummiert21– gegen Verjährung geschützt und keine verloren als seine moralische, aus der ein Mensch, sogar im Konvente, nicht viel macht. Dieses gab dem Quintus Mut, seine lustigen Reisesprünge zu referieren, die er in Leipzig unter dem Alpdrücken der Dürftigkeit machte. Man höre: sein Hauswirt, der zugleich Professor und Geizhalz war, beköstigte in dem ummauerten Hofe eine ganze Fasanerie von Hühnern. Fixlein samt einer Mitbelehnschaft von drei Stubengenossen bestritten den Mietzins einer Stube leicht; sie hatten überhaupt wichtige Dinge wie Phönixe nur einmal: ein Bette, worin allemal das eine Paar Vormitternacht, das andere Nachmitternacht gleich Nachtwächtern schlief – einen Rock, in dem einer um den andern ausging und der wie ein Wachtrock die Nationalkleidung der Kompagnie war – und mehrere Einheiten des Interesse und des Orts. Nirgends sammelt man die Not- und Belagerungsmünzen der Armut lustiger und philosophischer als auf der Universität: der akademische Bürger tut dar, wie viel Humoristen und Diogenesse Deutschland habe. Unsere Unitarier hatten nur eine Sache viermal, den Hunger. Der Quintus erzählte es vielleicht mit einem zu freudigen Genuß der Erinnerung, daß einer aus diesem darben den coro ein Mittel ersann, die Hühner des ordentlichen Professors wie Abgaben oder Steuern zu erheben. Er sagte (er war ein Jurist), sie sollten einmal die juristische Fiktion aus dem Lehnrechte entlehnen, daß sie den Professor für den Erbzinsbauer, dem ganz die Nutznießung des Hühnerhofes und Hauses zustehe, sich aber für die Zinsherren ansähen, denen er seine Zinshühner ordentlich entrichten müßte. Damit nun die Fiktion der Natur folgte, fuhr er fort – fictio sequitur naturam –: so müßten sie solche Fasnachtshühner ihm wirklich abfangen. Aber in den Hof war nicht zu kommen. Der Feudalist machte sich daher eine Angel, klebte eine Brotpille an den Angelhaken und hielt fischend seine Angelrute in den Hof hinab. In wenig Terzien griff der Haken in einen Hühnerschlund, und die angeöhrte Henne, die nun mit dem zinsherrlichen Feudalisten kommunizierte, konnte still, wie vom Archimedes Schiffe, in die Höhe gezogen werden zur hungrigen Luftfischerei-Sozietät, wo ihrer nach Maßgabe der Umstände der rechte Feudal-Name und Besitz-Titel wartete: denn die resorbierten Hühner mußten bald Rauchhühner, bald Wald-, Forst-, Vogtei-, Pfingst-, Sommerhennen benannt werden. »Ich fange damit an,« sagte der angelnde Majoratsherr, »daß ich Rutscherzinsen erhebe; denn so nennt man das Tripel und Quintupel des Zinses, wenn ihn der Zinshauer, wie hier der Fall ist, lange zu erlegen versäumet hat.« Der Professor bemerkte, wie ein Fürst, traurig die verminderte Volksmenge der Hühner, die wie Juden am Zählen starben. Endlich hatt' er das Glück, als er sein Kollegium las – er stand gerade beim Forst-, Salz-und Münzregal –, durch das Fenster des Auditoriums eine wie der betende Ignazius Loyola oder wie die gestrafte Juno mitten in die Luft fixierte Zinshenne wahrzunehmen; – er ging der unbegreiflichen geraden Aszension des äronautischen Tiers nach und sah endlich -oben den Hebungsbedienten mit seinem tierischen Magnetismus stehen, der aus dem Hühnerhofe die Lose zum Essen zog.... Er machte aber der Hühnerbeize wider alles Erwarten noch früher ein Ende als dem Regal-Kollegio.