– Ich will einen davon hereinsetzen, der zugleich ein Beweis sein mag, wie gern ich seinen Lorbeer aussäe: »Die Feile,« sagte der lose Kunstrat, »welche die Autoren ihren Werken zu geben unterlassen, brauchen ihre Verleger fleißig an den Goldstücken, die sie ihnen dafür zahlen.« Recht gut turniert! –
Ich dinierte froh mit der Jungfer Braut, deren künftiger Ehemann und Ehe-Peischwa oder Ehe-Bey und maitre des plaisirs niemand wird als der uns allen recht gut bekannte Herr Gerichthalter Weyerman.13Ich lass' es zu, ich suchte die Braut mehr, als daß ich sie floh, und glich mehr dem weisen Ulysses, der sich mit offnen Ohren an den Mastbaum schnüren ließ und sie dem Sirenengesange gelassen schenkte, als seinen Begleitern, die ihre mit Wachs wie hohle Stockzähne plombierten. Aber sie war auch das leuchtende Christuskind, das die fatale Correggios-Nacht, die der Kunstrat in mein Herz gemalet hatte, mit dem schönsten Widerschein versilberte: sie war doch unschuldig und gut und weich und ohne die poetischen Härten der Empfindelei, und die vielen scharfen zweischneidigen Leiden bei ihrem Vater hatten ihrem Herzen mehr gegeben als ihrem Kopfe genommen; sie duftete gleich dem Rosenholz auf der scharfen Drechselbank des Unglücks so süß wie Rosen selber. Ihr knausernder Vater hatt' ihr freilich nur die Vorgrunds-Kultur, die äußere oder körperliche, nämlich vornehme Kleidung, aber nicht vornehme Bildung verstattet (die gute Gerichthalter abends gratis in biographischen Berichten anboten), und sie glich den meisten Mädchen um mich her, an denen wie in Wien die Vorstädte modern sind, die innere Stadt selber aber mit allen ihren Vierteln verdammt altväterisch. Indes hatten ich und sie doch wie alle Freunde – und wie alle zusammengewachsene Menschen nach Haller – nur ein Herz, obwohl zwei Köpfe. Das tut denn vieles.
Wir fuhren spät ab, und ich saß ihr im Vis-à-vis – vis-à-vis. Hinter unsern grünen Bergen lag die Wüste der Kinder Israel und vor uns das gelobte Land der sanften Baireuther Ebene. Ich und die Sonne sahen Paulinen immerfort ins Angesicht und mit gleicher Wärme, und mich rührte endlich die kleine stille Gestalt. Woher kam das? Nicht bloß daher, weil ich über das gewöhnliche herrnhutische Ehe-Loseziehen der Mädchen nachsann, die in gewissen Jahren größere Gefühle als Kenntnisse und im leeren Herzen ein anonymes Opfer-Feuer ohne Gegenstand haben – wie im jungfräulichen Tempel der Vesta kein Götterbild, sondern nur Feuer war – und die dann an die erste beste Erscheinung von Maschinengott ihren Altar hinschieben; – auch nicht davon bloß kam meine Rührung, daß sie nun, wie ihre meisten Schwestern, gleich weichen Beeren, von der harten Manneshand zugleich abgerissen und zerdrücket werde; – oder daß ihr weiblicher Frühling so viele Wolken und so wenige Tage und Blumen hatte und daß ich sie wie mehre Bräute mit dem schlafenden Kinde verglich, das Garofalo mit einem Engel, der eine Dornenkrone darüberhält, gemalet, auf das aber, wenn es die Ehe weckt, der Engel die Krone herunterdrückt; – Sondern das machte meine Seele weich, daß ich, sooft ich dieses freundliche rot- und weißblühende zufriedene Gesicht ansah, es gleichsam innerlich anreden mußte: »O sei nicht so fröhlich, armes Opfer! Du weißt nicht, daß dein schönes Herz etwas Besseres und Wärmeres braucht als Blut und dein Kopf höhere Träume, als die das Kopfkissen beschert – daß die duftenden Blumenblätter deiner Jugend sich nun zu geruchlosen Kelchblättern14zusammenziehen, zum Honiggefäße für den Mann, der jetzt bald von dir weder ein weiches Herz noch einen lichten Kopf, sondern nur rohe Arbeitfinger, Läuferfüße, Schweißtropfen, wunde Arme und bloß eine ruhende paralytische Zunge fordern wird. Dieses ganze weite Sprachgewölbe des Ewigen, die blaue Rotunda des Universums verschrumpft zu deinem Wirtschaftgebäude, zur Speck-und Holzkammer und zum Spinnhaus, und an glücklichern Tagen zur Visitenstube – die Sonne wird für dich ein herunterhängender Ballonofen und Stubenheizer der Welt, und der Mond eine Schusters-Nachtkugel auf dem Lichthalter einer Wolke – der Rhein trocknet in dir zur Schwemme und zum Schwenkkessel deines Weißzeugs ein und der Ozean zum Herings-Teich – du hältst in der großen Lese-Gesellschaft aller Zeitschriften den jährlichen Kalender mit und kannst wegen deines kosmologischen Nexus kaum vor Neugier die politische Zeitung erwarten, um in ihrem angebognen Intelligenzblatt den Torzettel unbekannter Herren nachzulesen, die in den drei Perücken logieret haben, und ein Universalgenie stellest du dir um nicht viel, aber um etwas gescheuter vor als deinen Eheherrn. – – – Du bist zu etwas Besserem geschaffen, aber du wirst es nicht werden (wofür dein armer Weyermann nichts kann, dem es der Staat selber nicht besser macht). Und so wird der Tod deine von den Jahren entblätterte Seele voll eingedorrter Knospen antreffen, und er erst wird sie unter einen günstigern Himmelstrich verpflanzen.«15– Warum sollte mich das nicht betrüben? Seh' ichs nicht jede Woche, wie man Seelen opfert, sobald sie nur einen weiblichen Körper umhaben? Wenn dann nun die reichste beste Seele unter der Morgenröte des Lebens mit dem unerwiderten Herzen, mit versagten Wünschen, mit den ungesättigten verschmähten Anlagen eingesenket wird ins übermauerte Burgverlies der Ehe wobei sie freilich besonders von Glück zu sagen hat, wenn das Verlies keine tausendschneidige Oubliette oder wenn gar der Mann ein sanfter Kanker ist, den die Bastille-Gefangne zähmen kann –: so fühlt sich die Arme ungemein wohl dabei – die goldnen Luft und Zauberschlösser der frühern Jahre erblassen bald und zerfallen unvermerkt – ihre Sonne schleicht ungesehen über ihren bewölkten und unterirdischen Lebenstag von einem Grade zum andern, und unter Schmerzen und Pflichten kömmt die Dunkle an dem Abend ihres kleinen Daseins an – und sie hat es nie erfahren, wessen sie würdig war, und im Alter hat sie alles vergessen, was sie sonst in der Morgenröte etwan haben wollte: nur zuweilen in einer Stunde, wo ein ausgegrabenes altes Götterbild eines sonst angebeteten Herzens oder eine wehmütige Musik oder ein Buch auf den Winterschlaf des Herzens einigen warmen Sonnenschein werfen, da regt sie sich und blickt beklommen und schlaftrunken umher und sagt: »Sonst war es ja anders um mich her – es ist aber wohl schon lange, und ich glaub' auch, ich habe mich damals geirrt.« Und dann schläft sie ruhig wieder ein....
Wahrlich, ihr Eltern und Männer, ich stelle dieses quälende Gemälde nicht auf, damit es der wunden Seele, der es gleicht, eine Träne mehr abpresse, sondern euch zeig' ich die gemalten Wunden, damit ihr die wahren heilt und euere Marterinstrumente wegwerft.
Wie mir jetzt ist, und aus demselben Grunde, so war mir auch im Vis-à-vis – die hinabziehende Sonne und die schöne geduldige Gestalt vor mir und am meisten meine vorigen Dissonanzen, mit denen ich mich vor dem Kunstrat hören lassen, löseten mich und sich in diesen Mollton auf. Kurz nach der Lykanthropie16 ist man ein wahres Gottes-Lamm; nach einer Sünde (sagt Lavater) ist man am frömmsten; – daher solche Heiligen, denen um eine ausgezeichnete Frömmigkeit in jenem Leben zu tun ist, sich auf rechte Sünden in diesem legen. Ich schlug vor der Braut ganz in Zitronenblüten der Dichtkunst aus – so wie ich vorher eine Salzsäule aus satirischem Zitronensalz gewesen war, welches beiläufig ein neuer Beweis ist, daß Rezensenten nie ihren Namen sagen und nie anders als im Dunkeln hantieren sollten, weil man sonst keinen Respekt für sie zeigt, so wie auch Minervens Wappentier, die Nachteule, in der Nacht ohne Schande würgt und fliegt, am Tage aber als ein seltsamer närrischer Abortus der Natur unter das zufliegende neckende Gevögel einrückt. Um wieder zurückzukommen: der Mensch auf seiner Reise zum überirdischen Paradies und ich auf meiner ins baireuthische und die Menschheit auf ihrer langen zum Jüngsten Tage werden wie die braunschweigische Mumme unter dem Verfahren mehr als einmal sauer; aber herrlich und süß kommen wir alle und die Mumme an: ich meine, ich erzählte schon nach einer halben Stunde hinter Berneck Paulinen das Mußteil im Quintus Fixlein.
Mir war, als ob es gar keine Vorberichte zu zweiten Auflagen mehr gäbe in der Welt.... Ach du weiche Braut! ich wollte dich sehr rühren durch Erzählen, aber du rührtest mich noch mehr durch Zuhören. Es muß überhaupt noch mehre Paulinen und Jean Pauls in Deutschland geben: sonst wäre gegenwärtige zweite Auflage gar nicht zu machen gewesen, wofür ich bei dieser Gelegenheit meinen wärmsten Dank abstatte – aber gar nicht den paulinischen Lesern, denn meinetwegen haben sie nichts getan, und ich hatte wenig davon? vielmehr war ich, indem sie alle vor mir meine Sachen auf dem Schoße hatten und lasen, der einzige, der nichts darauf hatte, wie in Nordamerika unter den Gästen eines Schmauses bloß der Gastgeber keinen Bissen anrührt, – sondern ich statte den besagten Dank dem Schicksal ab, und zwar dafür, daß es die Menschen nicht einander gleich gemacht (sonst stürben wir alle vor Langweile) noch unähnlich (sonst könnte keiner den andern ertragen und fassen), sondern recht ähnlich, so daß ich gleichsam für den einen runden Stock der spartischen Skytale zu nehmen bin, um den der große Genius beschriebene Blätter wickelt, und der Leser für den zweiten, an dem die Blätter, weil er ebenso gehobelt ist, geradeso aufzuwickeln und abzulesen sind wie an mir selber. – –
Ich war jetzt, da ich und die Braut eben nicht so gar weit gen Bindloch hatten, wo ich absteigen wollte, weil ichs für unschicklich hielt, mit der Verlobten starr und aufrecht unter das Baireuther Tor zu fahren und noch obendrein mich als einpassierend in das Intelligenzblatt gedruckt niederzulassen, ich war jetzt, sag' ich, eben deswegen viel zu betrübt, besonders vor dem wehenden Rauschgolde des Abends und unter den Abendliedern der freien Volieren über mir und so nahe am Verlust der weinenden Braut, zu betrübt, sagt' ich, um bis Bindloch etwan den Quintus Fixlein nach der ersten oder zweiten Auflage zu referieren: ich konnte unmöglich.
Ich holte aber meine Schreibtafel heraus und setzte etwas auf. Man sehe etwan keiner fortgesetzten Vorrede zur zweiten Auflage entgegen: »Ich beschäftige mich hier mit einer Grabschrift, Gute!« sagt' ich zu ihr. Sie hatte von ihrem sel. Vater und dessen männlichen Gästen Langweile und Vernachlässigung schon gewohnt: also vergab sie leicht mein Schreiben; allein es war ja eben etwas Rührendes für sie, und ich wollt' ihrs in Bindloch vorlesen. Auch dem Leser wird die Grabschrift am Schlusse dieser Geschichte, um ihn für den entzognen, nun unmöglichen Schluß der Vorrede zu entschädigen, mit geringen und passenden Änderungen zugewandt. Ich schrieb und schrieb, und meine Augen wurden dunkel, weil ich die tiefe Sonne auf dem Rücken und überhaupt weniger Licht als Wasser in den Augen hatte. Du gute Seele! du wußtest nicht, warum meine tropften, und doch gingen dir auch deine über! – Als wir den ausgestreckten Bindlocher Berg hinunterfuhren: nahm die Vertiefung uns die vor Freude wallende Sonne; aber wie bei einer Versteigerung in Bremen oder Lauenburg wurde uns durch das Auslöschen des Lichts gleichsam der ganze von Silber-Sonnen starrende Nachthimmel zugeschlagen mit dem Auktion- und Glockenhammer von 7 Uhr.
Die Welt ruhte – auf dem Berg sproßte der Mond wie eine geschlossene Lilienglocke heraus – mein Aufsatz war fertig – wir waren den schnellen Berg herab – und ich sagte zur Braut, ich spränge herab und würd' ihr draußen etwas vorlesen, wenn sie mit abstiege, weil ich drinnen erst das Wagengerolle überschreien müßte.
Wir stiegen beide unten aus unweit einer alten Säule, vor der ich nie ohne einen Seufzer über den rauhen Druck, womit die harten Riesenhände des Schicksals uns weiche Raupen und Gulliver ergreifen und tragen, vorbeigegangen bin; diese Riesenhände schienen heute die Säule wie eine Hermes- und Gedächtnissäule hingestellt zu haben für das schwache Gedächtnis des Menschenherzens. Pauline wußte von nichts; aber ich führte sie an den unscheinbaren Pilaster und erklärte ihr- indem ich ihrs vorher zeigte –, was die verwitterte brüchige weibliche Gestalt, über die ein Wagen geht, auf der elenden erhobenen Arbeit des Pilasters bedeute. Die umliegenden Dorfschaften berichten nämlich, daß einmal eine Braut, die auf dem Kammerwagen von dem sonst steilern Bindlocher Berg den Armen ihres Bräutigams unter einem Gewitter mit scheugewordenen Pferden entgegenfuhr, unter die Räder gestürzt und vor seinen gemarterten Augen den getäuschten hoffenden Geist aufgegeben habe. Pauline konnte schwerlich, zumal da der Mond hinter dem Abendrauche dämmerte, die verwaschene Skulptur dieses veralteten Jammers mehr lesen; aber ihr getroffnes weiches Herz goß, besonders so nahe an der ähnlichen Lage, gern das Abendopfer einer fortrinnenden Träne über die unbekannte zerstörte Schwester nieder, deren gebrochenes Gebein nun schon als Staub – vielleicht aus dem Staubbeutel einer Blume – umherirret, indes der Geist, der es sonst bewegte, auf der ewigen Bergstraße durch die Zeit den auffliegenden Staub, den er einmal machte und zurückließ, kaum mehr, wenn er sich umsieht, wird bemerken können. Und hier neben der Siegessäule der Marter und unter dem großen Himmel der Nacht gab ich Paulinen die kleine Dichtung, die ich hier den Herzen aller ihrer Schwestern bringe.
Die Mondfinsternis
Auf den Lilienfluren des Mondes wohnet die Mutter der Menschen mit allen ihren zahllosen Töchtern in stiller ewiger Liebe. Das Himmelblau, das nur fern über der Erde flattert, ruht dort hereingesunken auf dem Auenschnee aus Blumenstaub – keine frostige Wolke trägt einen verkleinerten Abend durch den klaren Äther – kein Haß zerfrisset die milden Seelen – wie sich die Regenbogen eines Wasserfalls durchschlingen, so windet die Liebe und die Ruhe alle Umarmungen in eine zusammen – und wenn in ihrer stillen Nacht die Erde ausgebreitet und glänzend unter den Sternen hängt, so blicken die Seelen, die auf ihr gelitten und genossen haben, nur mit süßem Sehnen und Erinnern auf die verlassene Insel hin, wo noch Geliebte wohnen und die weggelegten Körper ruhen, und wenn dann die einschläfernde schwere Erde blendend näher an die zusinkenden Augen tritt, so ziehen die vorigen Frühlinge der Erde in glänzenden Träumen vorüber, und wenn das Auge erwacht, hängt es voll Morgentau der Freuden-Tränen. Aber dann, wenn der Schattenzeiger der Ewigkeit auf ein neues Jahrhundert zeigt, dann schlägt der Blitz eines heißen Schmerzes durch die Brust der Mutter der Menschen: denn die geliebten Töchter, die noch nicht auf der Erde waren, ziehen aus dem Mond in ihre Körper, sobald die Erde sie mit ihrem kalten Erdschatten berührt und betäubt, und die Mutter der Menschen sieht sie weinend gehen, weil nicht alle, nur die unbefleckten zu ihr aus der Erde wiederkehren in den reinen Mond. So nimmt ein Jahrhundert um das andere der verarmenden Mutter die Kinder, und sie zittert, wenn sie am Tage unsere raubende Kugel als eine breite feste Wolke nahe an der Sonne erblickt.
Der Zeiger der Ewigkeit nahete dem achtzehnten Jahrhundert – und die Erde voll Nacht zog gegen die Sonne – die Mutter drückte schon heiß und beklommen alle Töchter ans Herz, die noch nicht den Flor des Körpers getragen hatten, und flehte weinend: »O sinket nicht, ihr Teuern, bleibet engelrein und kehret wieder!« – Jetzt stand der Riesen-Schatte am Jahrhundert und die dunkle Erde über der ganzen Sonne – ein Donner schlug die Stunde – am finstern Himmel hing ein durchglühtes Kometenschwert herab – die Milchstraße wurde erschüttert, und eine Stimme rief aus ihr: »Erscheine, Versucher der Menschen!«
Jedem Jahrhundert sendet der Unendliche einen bösen Genius zu, der es versuche.
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