— So lebte er hin.
by Johann Friedrich Oberlin
DEN 20. Januar 1778 kam er hieher. Ich kannte ihn nicht. Im ersten Blick sah ich ihn, den Haaren und hängenden Locken nach, für einen Schreinergesell an; seine freimüthige Manier aber zeigte bald daß mich die Haare betrogen hatten. — »Seyen Sie willkommen, ob Sie mir schon unbekannt.« — »Ich bin ein Freund K. . .’s und bringe ein Compliment von ihm.« — »Der Name, wenn’s beliebt?« — »Lenz.« — »Ha, ha, ist er nicht gedruckt?« (Ich erinnerte mich einige Dramen gelesen zu haben, die einem Herrn dieses Namens zugeschrieben wurden.) Er antwortete: »Ja; aber belieben Sie mich nicht darnach zu beurtheilen.«
Wir waren vergnügt unter einander; er zeichnete uns verschiedene Kleidungen der Russen und Liefländer vor; wir sprachen von ihrer Lebensart, u.s.w. Wir logirten ihn in das Besuchzimmer im Schulhause.
Die darauf folgende Nacht hörte ich eine Weile im Schlaf laut reden, ohne daß ich mich ermuntern konnte. Endlich fuhr ich plötzlich zusammen, horchte, sprang auf, horchte wieder. Da hörte ich mit Schulmeisters Stimme laut sagen: Allez donc au lit — qu’est-ce que c’est que ça — hé! — dans l’eau par un temps si froid! — Allez, allez au lit!
Eine Menge Gedanken durchdrangen sich in meinem Kopf. Vielleicht, dachte ich, ist er ein Nachtwandler und hatte das Unglück in die Brunnbütte zu stürzen; man muß ihm also Feuer, Thee, machen, um ihn zu erwärmen und zu trocknen. Ich warf meine Kleider um mich und hinunter an das Schulhaus. Schulmeister und seine Frau, noch vor Schrecken blaß, sagten mir: Herr Lenz hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wäre hin und her gegangen, auf’s Feld hinter dem Hause, wieder herein, endlich hinunter an den Brunnentrog, streckte die Hände ins Wasser, stieg auf den Trog, stürzte sich hinein und plattscherte drinn wie eine Ente; sie, Schulmeister und seine Frau, hatten gefürchtet er wolle sich ertränken, riefen ihm zu — er wieder aus dem Wasser, sagte, er wäre gewohnt sich im kalten Wasser zu baden, und gieng wieder auf sein Zimmer. — Gottlob, sagte ich, daß es w<eiter> nichts ist; Herr K. . . liebt das kalte Bad auch, und Herr L. . . ist ein Freund von Hn. K. . .
Das war für uns Alle der erste Schreck; ich eilte zurück um meine Frau auch zu beruhigen.
Von dem an verrichtete er, auf mein Bitten, sein Baden mit mehrerer Stille.
Den 21. ritt er mit mir nach Belmont, wo wir die allgemeine Großmutter, die 176 Abstämmlinge erlebet, begruben. Daheim communicirte er mir mit einer edeln Freimüthigkeit, was ihm an meinem Vortrag, u.s.w. mißfallen; wir waren vergnügt bei einander, es war mir wohl bei ihm; er zeigte sich in allem als ein liebenswürdiger Jüngling.
Hr. K.
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