. . am Ofen, einen Schritt weit von mir sitzen. Keinen Augenblick traute ich von ihm, ich mußte harren. Meine Frau, die um mich besorgt war, blieb auch. Ich hätte so gerne wieder nach den begehrten Männern geschickt, konnte aber durchaus nicht mit meiner Frau oder sonst jemand davon reden; laut, hätte ers verstanden; heimlich, das wollten wir nicht, weil die geringste Gelegenheit zu Argwohn auf solche Personen allzu heftig Eindruck macht. Um halb neun giengen wir zum Essen; es wurde, wie natürlich, wenig geredet; meine Frau zitterte vor Schrecken und Hrn. L. . . vor Frost und Verwirrung.
Nach kaum viertelstündigem Beisammensitzen fragte er mich ob er nicht hinauf in mein Zimmer dürfte? — Was wollen sie machen, mein Lieber? — etwas lesen — gehn Sie in Gottes Namen; — er gieng, und ich, mich stellend als ob ich genug gegessen, folgte ihm.
Wir saßen; ich schrieb, er durchblätterte meine französiche Bibel mit furchtbarer Schnelle, und ward endlich stille. Ich gieng einen Augenblick in die Stubkammer ohne im allergeringsten mich aufzuhalten, nur etwas zu nehmen das in dem Pult lag. Meine Frau stand inwendig in der Kammer an der Thür und beobachtete Hrn. L.; ich faßte den Schritt wieder heraus zu gehen, da schrie meine Frau mit gräßlicher, hohler gebrochener Stimme: »Herr Jesus, er will sich erstechen!« In meinem Leben hab ich keinen solchen Ausdruck eines tödtlichen, verzweifelten Schreckens gesehn als in dem Augenblick, in den verwilderten, gräßlich verzogenen Gesichtszügen meiner Frau.
Ich war haußen. — Was wollen Sie doch immer machen, mein Lieber? — Er legte die Scheere hin. — Er hatte mit scheußlich starren Blicken umher geschaut, und da er Niemand in der Verwirrung erblickte, die Scheere still an sich gezogen, mit fest zusammen gezogener Faust sie gegen das Herz gesetzt, alles dieß so schnell daß nur Gott den Stoß so lange aufhalten konnte, bis das Geschrei meiner Frau ihn erschreckte und etwas zu sich selber brachte. Nach einigen Augenblicken nahm ich die Scheere, gleichsam als in Gedanken und wie ohne Absicht auf ihn, hinweg; dann, da er mich feierlich versichern wollte daß er sich nicht damit umzubringen gedacht hätte, wollte ich nicht thun als wenn ich ihm gar nicht glaubte.
Weil alle vorigen Vorstellungen wider seine Entleibungssucht nichts bei ihm gefruchtet hatten, versuchte ich’s auf eine andre Art. Ich sagte ihm: Sie waren bei uns durchaus ganz fremd, wir kannten sie ganz und gar nicht; ihren Namen haben wir ein einzigmal aussprechen hören, ehe wir sie gekannt; wir nahmen sie mit Liebe auf, meine Frau pflegte Ihren kranken Fuß mit so großer Geduld und sie erzeigen uns so viel Böses, stürzen uns aus einem Schrecken in den andern. — Er war gerührt, sprang auf, wollte meine Frau um Verzeihung bitten; sie aber fürchtete sich nun noch so viel vor ihm, sprang zur Thüre hinaus; er wollte nach, sie aber hielt die Thüre zu. — Nun jammerte er, er hätte meine Frau umgebracht, das Kind umgebracht so sie trage: Alles, Alles bring’ er um, wo er hin käme. — Nein, mein Freund, meine Frau lebt noch und Gott kann die schädlichen Folgen des Schreckens wohl hemmen, auch würde ihr Kind nicht davon sterben noch Schaden leiden. — Er wurde wieder ruhiger. Es schlug bald zehn Uhr. Indessen hatte meine Frau in die Nachbarschaft um schleunige Hilfe geschickt. Man war in den Betten; doch kam der Schulmeister, that als ob er mich etwas zu fragen hätte, erzählte mir etwas aus dem Kalender, und Hr. L., der indessen wieder munter wurde, nahm auch Theil am Discurs, wie wenn durchaus nichts vorgefallen wäre.
Endlich winkte man mir, daß die zwei begehrten Männer angekommen — o wie war ich so froh! Es war Zeit, eben begehrte Hr. L. zu Bette zu gehn. Ich sagte ihm: »Lieber Freund, wir lieben Sie, Sie sind davon überzeugt, und Sie lieben uns, das wissen wir eben so gewiß. Durch Ihre Entleibung würden Sie Ihren Zustand verschlimmern, nicht verbessern; es muß uns also an Ihrer Erhaltung gelegen seyn.
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