Man spürte, daß dieser Greis seinen Mann gestanden hatte. Noch an der Schwelle des Todes hatte er seine männliche Kraft bewahrt. Sein klarer Blick, seine feste Sprache, sein kräftiges Achselzucken konnte den Tod in Verlegenheit setzen. Asrael, der Todesengel der Mohammedaner, wäre vor seiner Schwelle umgekehrt und hätte geglaubt, er stehe vor einer falschen Tür. G. schien zu sterben, weil er selbst einverstanden war. Auch sein Todeskampf hatte etwas Freiwilliges, Selbstgewolltes. Nur die Beine waren unbeweglich. Sie waren tot und kalt, während der Kopf noch in voller Kraft lebte, sie waren bereits ergriffen vom Reich der Schatten, während das Haupt noch in das Licht ragte. In diesem Augenblick glich G. jenem König aus dem orientalischen Märchen, dessen Oberkörper Fleisch, dessen Unterkörper aber Marmor ist.

Eine Steinbank war da, der Bischof setzte sich. Unvermittelt begann er zu sprechen.

»Ich beglückwünsche Sie«, sagte er nicht ohne Vorwurf, »denn Sie haben wenigstens nicht für den Tod des Königs gestimmt.«

Das Konventsmitglied schien den bitteren Beigeschmack des Wortes »wenigstens« nicht zu beachten. G. lächelte nicht mehr, als er sagte:

»Beglückwünschen Sie mich nicht zu voreilig, mein Herr: ich habe für den Tod des Tyrannen gestimmt.«

Das war hart gegen hart gesprochen.

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Bischof.

»Daß der Mensch einen Tyrannen hat, die Unwissenheit. Gegen ihn habe ich gestimmt. Dieser Tyrann hat das Königtum, die verfälschte Autorität, ersonnen. Aber die Wissenschaft ist die wahre Autorität. Nur von ihr darf der Mensch sich führen lassen.«

»Und von seinem Gewissen«, fügte der Bischof hinzu.

»Das ist dasselbe. Das Gewissen ist jener Teil der Wissenschaft, der uns angeboren ist.«

Etwas erstaunt hörte der Bischof Bienvenu diese Sprache, die ihm neu war.

»Was Ludwig XVI. betrifft«, fuhr das Konventsmitglied fort, »so habe ich gegen seinen Tod gestimmt. Ich halte es nicht für mein Recht, Menschen zu töten, aber es ist meine Pflicht, das Übel auszurotten. Ich habe für den Tod des Tyrannen gestimmt, für das Ende der Prostitution der Frauen, der Sklaverei der Männer, der Unwissenheit der Kinder. Das war mein Ziel, als ich für die Republik stimmte, für Brüderlichkeit, Eintracht, Aufstieg! Ich wollte mitwirken am Sturz der Vorurteile und Irrtümer. Ihre Vernichtung soll uns das Licht bringen. Wir haben die alte Weltordnung gestürzt, dieses Gefäß allen Elends, und so ist aus ihr eine Freudenurne geworden.«

»Die Freude war gemischt«, meinte der Bischof.

»Sie mögen sagen, sie war getrübt; und heute, nach jener verhängnisvollen Wiederkehr des Vergangenen, ist sie vollends verschwunden. Ach, das Werk ist unvollendet, ich gebe es wohl zu. Wir haben das alte Regime zerstört, aber die Ideen, auf denen es fußte, konnten wir nicht unterdrücken. Es genügte nicht, den Mißbrauch abzuschaffen. Eine neue Gesittung mußte entwickelt werden. Die Mühle ist nicht mehr, aber noch immer weht derselbe Wind.«

»Sie haben zerstört.