Den Bestimmungen des Strafgesetzes gemäß bekam er diesmal fünf Jahre, davon zwei in Doppelketten. Macht zusammen dreizehn Jahre. Als er im zehnten Jahre wieder an die Reihe kam, nahm er die Gelegenheit wahr, aber auch diesmal war ihm das Glück nicht hold. Drei Jahre für diesen neuerlichen Versuch. Insgesamt sechzehn Jahre. Schließlich, im dreizehnten Jahr, als er einen letzten Versuch wagte und nach vier Stunden wieder gefaßt wurde, weitere drei Jahre. Drei Jahre für vier Stunden. Alles in allem neunzehn Jahre. Im Oktober 1815 wurde er freigelassen. Gefangengesetzt worden war er im Jahre 1796, weil er eine Fensterscheibe eingeschlagen und ein Brot gestohlen hatte.

Neue Qualen

Als die Stunde seiner Befreiung schlug, als dieses seltsame Wort: »Du bist frei« an sein Ohr drang, schien ihm der Augenblick unerhört und unwahrscheinlich, und ein Strahl lebendigen Lichts fiel in seine Seele.

Aber er sollte bald verblassen. Jean Valjean war von dem Gedanken der Freiheit berauscht gewesen. Nun beginne das neue Leben, hatte er gedacht. Aber nur zu bald erfuhr er, welche Freiheit das ist, der man einen gelben Paß gibt.

Bitterkeit. Er hatte berechnet, daß er während seiner Gefangenschaft im Bagno hunderteinundsiebzig Franken verdient haben müsse. Allerdings hatte er in dieser Rechnung die erzwungene Muße der Sonntage und Feiertage vergessen, die, auf neunzehn Jahre verrechnet, einen Verlust von vierundzwanzig Franken ergaben. Wie dem aber auch sei, durch verschiedene Abzüge blieben zu guter Letzt nur hundertneun Franken und fünfzehn Sous übrig, die ihm bei seiner Entlassung ausbezahlt wurden. Er begriff das nicht, er glaubte sich geschädigt oder, wenn wir das Wort nicht scheuen wollen, bestohlen.

Am Tag nach seiner Entlassung sah er in Grasse vor dem Tor einer Destillation Männer, die Warenballen verluden. Er bot seine Dienste an. Da die Arbeit eilig war, nahm man sie an. Er machte sich ans Werk. Er war gescheit, kräftig und geschickt. Er tat sein Bestes, und sein Dienstgeber schien zufrieden. Während er arbeitete, kam ein Gendarm vorüber, bemerkte ihn und verlangte nach seinen Papieren. Er mußte den gelben Paß zeigen. Dann machte sich Jean Valjean wieder an die Arbeit. Kurz vorher hatte er einen Arbeiter gefragt, was sie mit solcher Arbeit wohl im Tage verdienten, und man hatte ihm gesagt: dreißig Sous. Als der Abend kam, ging er zu dem Herrn der Destillation und bat um seinen Lohn, da er am nächsten Morgen weiterwandern müßte. Der Herr sprach kein Wort, sondern händigte ihm fünfzehn Sous aus. Jean erhob Einspruch. Da wurde ihm gesagt: »Für dich ist das genug.« Er bestand auf seinem Recht, aber da sah ihn der Meister scharf an und sagte: »Vorsicht, daß du nicht wieder ins Loch kommst!«

Auch hier hatte man ihn offenbar bestohlen.

Die Gesellschaft, der Staat hatte ihn im großen geplündert, jetzt kamen die Feinde einzeln und bestahlen ihn.