»Württembergisch?« entgegnete er, indem er sich mit Mühe gefaßt hatte, »da tut Ihr mir unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heißt noch nicht sich an den Feind anschließen; gewiß ich schwöre Euch –«

»Schwöre nicht«, fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort, »ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drückend schwere Kette, die man bricht oder von der man zerbrochen wird. Was du tun wirst, das wird so sein, daß es sich mit deiner Ehre verträgt. Nur eines mußt du dem Bunde an Eidesstatt geloben, und dann erst wirst du deiner Haft entlassen: in den nächsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kämpfen.«

»So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?« sprach Georg bewegt; »das hätte ich nicht gedacht! und wie unnötig ist dieser Schwur! Für wen, und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kämpfen? Die Schweizer sind abgezogen, das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hüten, den nächsten besten, der vom Bundesheer herüberläuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist enflohen –«

»Entflohen?« rief Frondsberg aus, »entflohen? das weiß man noch nicht so gewiß; warum hätte der Truchseß dann die Reiter ausgeschickt?« setzte er hinzu; »und überhaupt, wo hast du diese Nachrichten alle her? Hast du den Kriegsrat belauscht? oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, daß du verdächtige Verbindungen nach Württemberg hinüber unterhältst?«

»Wer wagt dies zu behaupten?« rief Georg erblassend.

Frondsbergs durchdringende Augen ruhten prüfend auf den Zügen des jungen Mannes. »Höre, du bist mir zu jung und ehrlich zu einem Bubenstücke«, sagte er, »und wenn du etwas solches im Schilde führtest, hättest du dich wohl nicht vom Bunde losgesagt, sondern auch ferner Württembergs Spion gemacht.«

»Wie? spricht man so von mir?« unterbrach ihn Georg; »wenn Ihr nur ein Fünkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!«

»Nur nicht gleich wieder so aufbrausend«, entgegnete Frondsberg und drückte die Hand des jungen Mannes; »du kannst denken, daß, wenn ein solches Wort öffentlich gesprochen würde, oder ich an diese Einflüsterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu dir käme. Aber etwas muß denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam öfters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, daß dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Württemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder gezeigt. Er soll vor der Stadt lange Zeit mit dir gesprochen haben, auch wurde er in deinem Haus gesehen. Wie verhält sich nun diese Sache?«

Georg hatte ihm mit wachsendem Staunen zugehört. »So wahr ein Gott über mir ist«, sagte er, als Frondsberg geendet hatte, »ich bin unschuldig. Heute frühe kam ein Bauer zu mir und –«

»Nun, warum verstummst du auf einmal«, fragte Frondsberg, »du glühst ja über und über, was ist es denn mit diesem Boten?«

»Ach! ich schäme mich, es auszusprechen, und dennoch habt Ihr ja schon alles erraten; er brachte mir ein paar Worte von – meinem Liebchen!« Der junge Mann öffnete bei diesen Worten sein Wams und zog einen Streifen von Pergament hervor, den er dort verborgen hatte. »Seht, dies ist alles, was er brachte«, sagte er, indem er es Frondsberg bot.

»Das ist also alles?« lachte dieser, nachdem er gelesen hatte; »armer Junge! und du kennst also diesen Mann nicht näher? Du weißt nicht, wer er ist?«

»Nein, er ist auch weiter nichts, als unser Liebesbote, dafür wollte ich stehen!«

»Ein schöner Liebesbote, der nebenher unsere Sachen auskundschaften soll; weißt du denn nicht, daß es der gefährlichste Mann ist? es ist der Pfeifer von Hardt.«

»Der Pfeifer von Hardt?« fragte Georg, »zum erstenmal höre ich diesen Namen; und was ist es dann, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?«

»Das weiß niemand recht, er war im Aufstand vom Armen Konrad einer der schrecklichsten Aufrührer, nachher wurde er begnadigt; seit der Zeit führt er ein unstetes Leben, und ist jetzt ein Kundschafter des Herzogs von Württemberg.«

»Und hat man ihn aufgefangen?« forschte Georg weiter, denn unwillkürlich nahm er wärmeren Anteil an seinem neuen Diener.

»Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als möglich die Anzeige, daß er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz in geheim aufheben wollten, war er über alle Berge. Nun, ich glaube deinem Wort und deinen ehrlichen Augen, daß er in keinen andern Angelegenheiten zu dir kam. – Du kannst dich übrigens darauf verlassen, daß er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Wächter ruft zehn Uhr. Lege dich noch einmal aufs Ohr und verträume deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich dir, wenn du Ulm verläßt ohne dem alten Frondsberg Lebewohl zu sagen –«

»Ich komme, ich komme«, rief Georg, gerührt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer lächelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte, der Ritter aber verließ mit langsamen Schritten die Totenkammer.

 

XII

 

Nur einmal noch laß leuchten

Mir deiner Augen Strahl,

Laß hören deine Stimme

Nur noch ein einzig Mal!

C. Grüneisen

 

Die Mittagssonne des folgenden Tages sendete drückende Strahlen auf einen Reiter, welcher über den Teil der Schwäbischen Alb, der gegen Franken ausläuft, hinzog. Er war jung, mehr schlank als fest gebaut, und ritt ein hochgewachsenes Pferd von dunkelbrauner Farbe; er war wohlbewaffnet mit Brustharnisch, Dolch und Schwert; einige andere Stücke seiner Armatur, als der Helm und die aus Eisenblech getriebenen Arm- und Beinschienen, waren am Sattel befestigt. Die hellblau und weiß gestreifte Feldbinde, die von der rechten Schulter sich über die Brust zog, ließ erraten, daß der junge Mann von Adel war, denn diese Auszeichnung war damals ein Vorrecht höherer Stände.

Er war auf einem Berggipfel angekommen, welcher eine weite Aussicht ins Tal hinab gewährte. Er hielt sein schnaubendes Roß an, wandte es zur Seite und genoß nun den schönen Anblick, der sich vor seinem Auge ausbreitete. Vor ihm eine weite Ebene von waldigen Höhen begrenzt, durchströmt von den grünen Wellen der Donau; zu seiner Rechten die Hügelkette der württembergischen Alb, zu seiner Linken in weiter, weiter Ferne die Schneekuppen der Tiroler Alpen. In freundlichem Blau spannte der Himmel seinen Bogen über diese Szene, und seine sanften lichten Farben kontrastierten sonderbar mit den schwärzlichen Mauern Ulms, das am Fuße des Berges lag, mit seinem dunkelgrauen, ungeheuren Münsterturm. Die dumpfen Glocken dieser alten Kirche begannen in diesem Augenblick den Mittag einzuläuten, ihre Töne zogen in langen, beruhigenden Akkorden über die Stadt über die weite Ebene, bis sie sich an den fernen Bergen brachen, und zitternd in das Blau der Lüfte verschwebten, als wollten sie auf ihrer melodischen Leiter die Wünsche der Menschen zum Himmel tragen.

»So begleitet ihr also den Scheidenden wie ihr seinen Eintritt begrüßt habt«, rief der junge Reiter, »mit denselben Tönen, mit denselben feierlichen Akkorden sprechet ihr zu ihm, wann er kommt und geht; wie anders, wie so ganz anders deutete ich eure ehernen Stimmen, als mein Ohr euch zum erstenmal lauschte. Da vernahm ich in euch verwandte Töne, es klang mir wie ein Ruf zur Geliebten! Und jetzt, da ich scheide, ohne Aussicht, ohne Freude, jetzt ruft ihr mir dieselben Töne entgegen? Die Geburt meiner seligen Hoffnung habt ihr ebenso eingeläutet, wie jetzt das Grabgeläute meiner Hoffnung? Das Bild des Lebens!« setzte er wehmütig hinzu, indem er nach einem langen Abschiedsblick auf dieses Tal, auf diese Mauern, sein Pferd wandte. »Das Bild des Lebens! Um Wiege und Sarg schweben sie in gleichen Tönen, und die Glocken meiner Hauskapelle haben an jenem fröhlichen Tage, wo man mich zur Taufe trug, mir ebenso getönt, wie sie mir tönen werden, wenn man den letzten Sturmfeder zu Grabe trägt!«

Das Gebirge wurde jetzt steiler, und Georg, denn als diesen haben unsere Leser den jungen Reiter schon längst erkannt, Georg ließ sein Pferd langsam hinschreiten, indem er seinen Gedanken nachhing.