Nur sooft Georg auf sein eigenes Leben, besonders auf jene Periode kommen wollte, wo der Pfeifer von Hardt eine bedeutende Rolle in dem Aufruhr des Armen Konrad gespielt hatte, brach er düster ab, oder wußte mit mehr Geläufigkeit, als man dem schlichten Mann zugetraut hätte, das Gespräch auf andere Gegenstände zu bringen.

So waren sie ohne Aufenthalt fortgereist; Hanns wußte immer voraus, wann wieder ein Gehöfte kam, wo sie Erfrischung für sich und gutes Futter für das Pferd finden würden. Überall war er bekannt, überall wurde er freundlich, wiewohl, wie es Georg schien, meistens mit Staunen aufgenommen. Er flüsterte dann gewöhnlich ein Viertelstündchen mit dem Hausvater, während die Hausfrau dem jungen Ritter emsig und freundlich mit Brot, Butter und unvermischtem Äpfelwein aufwartete und die »Büebla« und »Mädla« den hohen, schlanken Gast, seine schönen Kleider, seine glänzende Schärpe, die wallenden Federn seines Barettes, bewunderten. War dann das kleine Mahl verzehrt, hatte Georgs Pferd wieder Kräfte gesammelt, so begleitete das ganze Haus den Scheidenden bis an die Türe, und der junge Reiter konnte zu seiner Beschämung niemals die Gastfreundschaft der guten Leute belohnen, mit abwehrenden Blicken auf den Pfeifer von Hardt, weigerten sie sich standhaft, seine kleinen Gaben anzunehmen. Auch dieses Rätsel löste ihm sein Begleiter nicht; denn seine Antwort: »Wenn die Leute nach Hardt kommen, kehren sie auch wieder bei mir ein«, schien nur eine ausweichende Antwort zu sein.

Die Nacht brachten sie ebenfalls in einem dieser zerstreuten Höfe zu, wo die Hausfrau ihrem vornehmen Gast mit nicht geringerer Bereitwilligkeit auf der Ofenbank ein Bett zurechtmachte, als sie ihm zu Ehren ein paar Tauben geopfert und einen dickgeschmälzten Haberbrei aufgetragen hatte.

Den folgenden Tag setzten sie ihre Reise auf dieselbe Art fort, nur kam es Georg vor, als ob sein Führer mit noch mehr Vorsicht als gestern zu Werke gehe; denn er ließ, wenn sie sich einem Hof nahten, den Reiter wohl fünfhundert Schritte davon haltmachen, nahte sich behutsam den Gebäuden, und erst, nachdem er alles sorgfältig ausgespähet hatte, winkte er dem Junker, zu folgen. Georg befragte ihn umsonst, ob es in dieser Gegend gefährlicher sei, ob die Bundestruppen schon in der Nähe seien? er sagte nichts Bestimmtes darüber.

Doch gegen Mittag, als die Gegend lichter wurde, und der Weg sich mehr gegen das ebene Land herabzuziehen schien, schien auch die Reise gefährlicher zu werden; denn der Spielmann von Hardt schien sich von jetzt an gar nicht mehr den Wohnungen nähern zu wollen, sondern hatte sich in einem Hof mit einem Sack versehen, der Futter für das Pferd und hinlängliche Viktualien für sie beide enthielt; es schien, als ob er meist noch einsamere Pfade als bisher aufsuche; auch glaubte Georg zu bemerken, daß sie nicht mehr dieselbe Richtung befolgen wie früher, sondern sehr stark zur Rechten einbiegen.

Am Rand eines schattigen Buchenwäldchens, wo eine klare Quelle und frischer Rasen zur Ruhe einlud, machten sie halt; Georg stieg ab, und sein Führer bereitete aus seinem Sack ein gutes Mittagsmahl. Nachdem er das Pferd versehen hatte, setzte er sich zu den Füßen des jungen Ritters und begann mit großem Appetit zuzugreifen.

Georg hatte seinen Hunger gestillt und betrachtete jetzt mit aufmerksamem Auge die Gegend. Es war ein schönes breites Tal, in welches sie hinabsahen. Ein kleines Flüßchen eilte schnell durchhin, die Felder, wovon es begrenzt war, schienen gut und fleißig angepflanzt, eine freundliche Burg erhob sich auf einem Hügel am andern Ende des Tales, die ganze Gegend war freundlicher als der Gebirgsrücken, über welchen sie gezogen waren.

»Es scheint, wir haben die Alb verlassen?« sagte der junge Mann, indem er sich zu seinem Gefährten wandte, »dieses Tal, jene Hügel sehen bei weitem freundlicher aus, als der Felsenboden und die öden Weideplätze, die wir durchzogen. Selbst die Luft weht hier milder und wärmer als oben, wo uns die Winde oft so hart anfaßten.«

»Ihr habt recht geraten, Junker«, sagte Hanns, indem er die Reste ihrer Mahlzeit sorgfältig in den Sack legte; »diese Täler gehören schon zum Unterland, und jenes Flüßchen, das Ihr sehet, strömt in den Neckar.«

»Wie kommt es aber, daß wir so weit vom Weg abbiegen?« fragte Georg; »es kam mir schon oben im Gebirge vor, als haben wir die alte Richtung verlassen, aber du wolltest nie darauf hören. Dieser Weg muß, soviel ich die Lage von Lichtenstein kenne, viel zu weit rechts führen.«

»Nun, ich will es Euch jetzt sagen«, antwortete der Bauer, »ich wollte Euch auf der Alb nicht unnötig bange machen, jetzt aber sind wir, so Gott will, in Sicherheit; denn im schlimmsten Fall sind wir keine vier Stunden mehr von Hardt, wo sie uns nichts mehr anhaben sollen!«

»In Sicherheit?« unterbrach ihn Georg verwundert, »wer soll uns etwas anhaben?«

»Ei, die Bündischen«, erwiderte der Spielmann, »sie streifen auf der Alb und oft waren ihre Reiter keine tausend Schritte mehr von uns; mir für meinen Teil wäre es nicht lieb gewesen, in ihre Hände zu fallen, denn sie sind mir, wie Ihr wohl wisset, gar nicht grün; und auch Euch wäre es vielleicht nicht ganz recht, gefangen vor den Herrn Truchseß geführt zu werden!«

»Gott soll mich bewahren!« rief der Junker; »vor den Truchseß? lieber lasse ich mich auf der Stelle totschlagen. Was wollen sie denn aber hier? Es ist ja hier in der Nähe keine Feste von Württemberg, und du sagtest mir ja doch, sie können ungehindert durchs Land ziehen; wornach streifen sie denn?«

»Seht Junker! es gibt überall schlechte Leute; was ein rechter Württemberger ist, der läßt sich eher die Haut abziehen, als daß er den Herzog verrät, nach welchem die Bündler jetzt ein Treibjagen halten. Aber der Truchseß soll unter der Hand einen ganzen Haufen Gold versprochen haben, wenn man ihn fängt; er hat seine Reiter ausgeschickt, diese streifen jetzt überall und die Leute sagen, es gebe einige unter den Bauern, die sich vom Gold blenden lassen, und den Spürhunden alle Klingen und Schlupfwinkel zeigen.«19

»Nach dem Herzog sollen sie streifen? Der ist ja aus dem Lande geflohen, oder wie andere sagen, in Tübingen, auf seinem festen Schlosse, wo ihn vierzig Ritter beschützen.«

»Ja, die vierzig Edlen sind dort«, antwortete der Bauer mit schlauer Miene; »auch des Herzogs Söhnlein, der Christoph ist dort, das hat seine Richtigkeit, ob aber der Herzog selbst dort ist, weiß niemand recht. Im Vertrauen gesagt, wie ich ihn kenne, schließt er sich auch nur zur höchsten Not in eine Feste ein; er ist ein kühner, unruhiger Herr; und es ist ihm wohler in den Wäldern und Bergen, wenn es auch Gefahr hat.«

»Den Herzog also suchen sie? also müßte er hier in der Nähe sein?«

»Wo er ist, weiß ich nicht«, erwiderte der Pfeifer von Hardt, »und ich wollte wetten, dies weiß niemand als Gott; aber wo er sein wird, weiß ich«, setzte er hinzu, und es schien Georg, als ob ein Strahl von Begeisterung aus dem Auge dieses Mannes breche: »wo er sein wird, wenn die Not am höchsten ist, wo seine Getreuen sich zu ihm finden werden, wo manche treue Brust zur Mauer werden wird, um den Herrn in der Not gegen diese Bündler zu schützen. Denn ist er auch ein strenger Herr, so ist er doch ein Württemberger, und seine schwere Hand ist uns lieber als die gleißenden Worte des Bayern und des Österreichers.«

»Und wenn sie den unglücklichen Fürsten erkennen, wenn sie auf ihn stoßen? hat er nicht seine Gestalt verhüllt und unkenntlich gemacht? Du hast mir einmal sein Gesicht beschrieben und ich glaube ihn beinahe vor mir zu sehen, besonders sein gebietendes, glänzendes Auge. Aber wie ist seine Gestalt?«

»Er mag kaum acht Jahre älter sein als Ihr«, entgegnete jener, »er ist nicht so groß, als Ihr, aber in vielem Euch ähnlich an Gestalt; besonders wenn Ihr zu Pferd saßet und ich hinter Euch ging, da gemahnte es mich oft und ich dachte, so, geradeso sah der Herzog aus, in den Tagen seiner Herrlichkeit.«

Georg war aufgestanden, um nach seinem Pferd zu sehen; die Worte des Bauern hatten ihn um seine Sicherheit besorgt gemacht, und er sah jetzt erst ein, wie töricht er gehandelt, in diesem Kriegesstrudel sich durch ein okkupiertes Land stehlen zu wollen. Es wäre ihm höchst unangenehm gewesen, in diesem Augenblicke gefangen zu werden; zwar konnte er nach seinem Eide reisen wohin er wollte, wenn er nur in den nächsten vierzehn Tagen keinen tätlichen Anteil an dem Kampfe gegen den Bund nahm; aber er fühlte, welch nachteiliges Licht es dennoch auf ihn werfen müßte, in dieser Gegend, so weit von dem Weg nach seiner Heimat aufgegriffen zu werden, und dazu noch in Gesellschaft eines Mannes, der den Bundesobersten sehr verdächtig, sogar gefährlich geschienen hatte. Umzukehren war keine Möglichkeit, denn es ließ sich beinahe mit Gewißheit annehmen, daß die Bundestruppen bereits die ganze Breite der Alb eingenommen haben; das sicherste schien, sich zu beeilen, über die äußersten Posten des Heeres hinauszukommen; man hatte dann die Gefahr im Rücken, vor und neben sich aber freie Bahn.

Das sonst so muntere Tier, das seinen Herrn über diese Gefahren hinaustragen sollte, hing die Ohren; die große Eile und die ermüdenden, steinigen Fußpfade hatten seine Kraft geschwächt; zu seinem großen Verdruß bemerkte Georg sogar, daß es auf dem linken Vorderfuß nicht gerne auftrete, was nach einem achtstündigen Weg über scharfe, eckigte Felsen nicht zu verwundern war. Der Bauer bemerkte die Verlegenheit des Junkers; er untersuchte das Tier, und riet, es noch einige Stunden stehen zu lassen, gab aber zugleich den Trost, er seie der Gegend so kundig, daß sie eine große Strecke in der Nacht zurücklegen können.

 

XIV

 

Es ziehen vom Schwabenbunde

Die Jäger durchs Gefild,

Die spüren in die Runde

Nach einem Fürstenwild.

G. Schwab

 

Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal, und suchte Zerstreuung in der lieblichen Aussicht, die sich noch bei weitem herrlicher seinen Augen öffnete, als ihn der Bauer etwa fünfzig Schritte höher geführt hatte. Sie standen auf einer Felsenecke, die einen schönen Ausläufer der Schwäbischen Alb begrenzte. Ein ungeheures Panorama breitete sich vor den erstaunten Blicken Georgs aus, so überraschend, von so lieblichem Schmelz der Farben, von so erhabener Schönheit, daß seine Blicke eine geraume Zeit wie entzückt an ihnen hingen. Und wirklich, wer je mit reinem Sinn für Schönheiten der Natur, ohne himmelhohe Alpen, ohne Täler wie das Rheingau zu suchen, die Schwäbische Alb bestiegen hat, dem wird die Erinnerung eines solchen Anblickes unter die lieblichsten der Erde gehören.

Man denke sich eine Kette von Gebirgen, die von der weitesten Entfernung, dem Auge kaum erreichbar, durch alle Farben einer herrlichen Beleuchtung von sanftem Grau, durch alle Nüancen von Blau, am Horizont sich herzieht, bis das dunkle Grün der näher liegenden Berge mit seinem sanften Schmelz die Kette schließt. Auf diesen Gipfeln eines langen Gebirgsrücken erkennt das Auge Schlösser und Burgen ohne Zahl, die wie Wächter auf diese Höhen sich lagern und über das Land hinschauen. Jetzt sind ihre Türme zerfallen, ihre stattlichen Tore sind gebrochen, den tiefen Burggraben füllen Trümmer und Moos, und die Hallen, in welchen sonst laute Freude erscholl, sind verstummt, aber damals, als Georg auf dem Felsen von Beuren stand, ragten sie noch fest und herrlich; sie breiteten sich wie eine undurchbrochene Schar gewaltiger Männer zwischen den Heldengestalten von Staufen und Hohenzollern aus.

»Ein herrliches Land dieses Württemberg«, rief Georg, indem sein Auge von Hügel zu Hügel schweifte; »wie kühn, wie erhaben diese Gipfel und Bergwände, diese Felsen und ihre Burgen; und wenn ich mich dorthin wende gegen die Täler des Neckars wie lieblich jene sanften Hügel, jene Berge mit Obst und Wein besetzt, jene fruchtbaren Täler mit schönen Bächen und Flüssen, dazu ein milder Himmel und ein guter, kräftiger Schlag von Menschen.«

»Ja«, fiel der Bauer ein, »es ist ein schönes Land; doch hier oben will es noch nicht viel sagen, aber was so unter Stuttgart ist, das wahre Unterland, Herr! da ist es eine Freude im Sommer oder Herbst, am Neckar hinabzuwandeln; wie da die Felder so schön und reich stehen, wie der Weinstock so dicht und grün die Berge überzieht, und wie Nachen und Flöße den Neckar hinauf- und hinabfahren, wie die Leute so fröhlich an der Arbeit sind, und die schönen Mädchen singen wie die jungen Lerchen!«

»Wohl sind jene Täler an der Rems und dem Neckar schöner«, entgegnete Georg, »aber auch dieses Tal zu unsern Füßen, auch diese Höhen um uns her haben eigenen, stillen Reiz; wie heißen jene Burgen auf den Hügeln? sage, wie heißen jene fernen Berge?«

Der Bauer überblickte sinnend die Gegend, und zeigte auf die hinterste Bergwand, die dem Auge kaum noch sichtbar aus den Nebeln ragte. »Dort hinten zwischen Morgen und Mittag ist der Roßberg, in gleicher Richtung herwärts, jene vielen Felsenzacken sind die Höhen von Urach. Dort, mehr gegen Abend ist Achalm, nicht weit davon, doch könnt Ihr ihn hier nicht sehen, liegt der Felsen von Lichtenstein.«

»Dort also«, sagte Georg stille vor sich hin, und sein Auge tauchte tief in die Nebel des Abends, »dort wo jenes Wölkchen in der Abendröte schwebt, dort schlägt ein treues Herz für mich; jetzt auch steht sie vielleicht auf der Zinne ihres Felsens und sieht herüber in diese Welt von Bergen, vielleicht nach diesem Felsen hin. O daß die Abendlüfte dir meine Grüße brächten, und jene rosigen Wolken dir meine Nähe verkündeten!«

»Weiter hin, Ihr sehet doch jene scharfe Ecke, das ist die Teck; unsere Herzoge nennen sich Herzoge von Teck, es ist eine gute feste Burg; wendet Eure Blicke hier zur Rechten, jener hohe, steile Berg war einst die Wohnung berühmter Kaiser, es ist Hohenstaufen.«

»Aber wie heißt jene Burg, die hier zunächst aus der Tiefe emporsteigt«, fragte der junge Mann; »sieh nur, wie sich die Sonne an ihren hellen weißen Wänden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft zu tauchen scheinen, wie ihre Türme in rötlichem Lichte erglänzen.«

»Das ist Neuffen, Herr! auch eine starke Feste, die dem Bunde zu schaffen machen wird.«

Die Sonne des kurzen, schönen Märztages begann während diesem Zwiegespräch der Wanderer hinabzusinken. Die Schatten des Abends rollten dunkle Schleier über das Gebirge, und verhüllten dem Auge die ferneren Gipfel und Höhen. Der Mond kam bleich herauf, und überschaute sein nächtliches Gebiet.