Überall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die Sage erzählt, ist die Freude am Tanzen nicht erst in unseren Tagen über die Mädchen gekommen.
Auch seine Anordnungen waren bald getroffen. Es war noch nicht zum Grundsatz geworden, daß man nur in einer langen Reihe von Zimmern, bei flimmernden Lustres, umgeben von jenen unzähligen, unwesentlichen Dingen, welche die Mode als notwendig preist, fröhlich sein könne. Der Rathaussaal gab hinlänglichen Raum, und die kunstlosen Lampen, die an den Wänden aufgehängt waren, hatten bisher Helle genug verbreitet, die schönen Jungfrauen von Ulm in ihrer Pracht zu sehen.
Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspäht, die bis jetzt nur der engere Ausschuß des Rates mit den Bundesobersten teilte.
Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschäfte kam er gegen Mittag nach Hause und sein erster Gang war nach seinem Gaste zu sehen. Er traf ihn in sonderbarer Arbeit. Georg hatte lange in einem schöngeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblättert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzüge und Schlachtenstücke, welche mit kühnen Zügen entworfen, mit besonderem Fleiße ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfüllt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch, und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er, zu großem Ärgernis der Frau Sabine, bald lustige bald ernstere Weisen dazu sang.
So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen; er konnte sich nicht enthalten noch einige Zeit an der Türe zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach.
Es war eine jener ernsten, beinahe wehmütig tönenden Weisen, wie sie durch ihren innern Wert erhalten und fortgetragen, bis auf unsere Tage herabkamen. Noch heute leben sie in dem Munde der Schwaben, und oft und gerne haben wir, ergriffen von ihrer einfachen Schönheit, von den gehaltenen Klängen ihrer vollen Akkorde, an den lieblichen Ufern des Neckars sie belauscht.
Der Sänger begann von neuem:
»Kaum gedacht
War der Lust ein End gemacht.
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.
Doch was ist
Aller Erden Freud und Lüst'.
Prangst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen,
Sieh, die Rosen welken all.
Darum still
Geb ich mich, wie Gott es will.
Und wird die Trompete blasen,
Und muß ich mein Leben lassen,
Stirbt ein braver Reitersmann.«
»Wahrlich, Ihr habt eine schöne Stimme«, sagte Herr von Kraft, als er in das Gemach eintrat, »aber warum singet Ihr so traurige Lieder? Ich kann mich zwar nicht mit Euch messen, aber was ich singe, muß fröhlich sein, wie es einem jungen Mann von achtundzwanzig geziemt.«
Georg legte sein Schwert auf die Seite und bot seinem Gastfreunde die Hand. »Ihr mögt recht haben«, sagte er, »was Euch betrifft; aber wenn man zu Feld reitet wie wir, da hat ein solches Lied große Gewalt und Trost, denn es gibt auch dem Tode eine milde Seite.«
»Nun, das ist ja gerade was ich meine«, entgegnete der Schreiber des Großen Rates, »wozu soll man das auch noch in schönen Verslein besingen, was leider nur zu gewiß nicht ausbleibt. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er, sagt ein Sprüchwort; übrigens hat es damit keine Not, wie jetzt die Sachen stehen.«
»Wie? ist der Krieg nicht entschieden?« fragte Georg neugierig. »Hat der Württemberger Bedingungen angenommen?«
»Dem macht man gar keine mehr«, antwortete Dieterich mit wegwerfender Miene, »er ist die längste Zeit Herzog gewesen, jetzt kommt das Regieren auch einmal an uns. Ich will Euch etwas sagen«, setzte er wichtig und geheimnisvoll hinzu, »aber bis jetzt bleibt es noch unter uns; die Hand darauf. Ihr meint der Herzog habe 14000 Schweizer? Sie sind wie weggeblasen. Der Bote, den wir nach Zürch und Bern geschickt haben, ist zurück; was von Schweizern bei Blaubeuren und auf der Alb liegt – muß nach Haus.«
»Nach Haus zurück?« rief Georg erstaunt, »haben die Schweizer selbst Krieg?«
»Nein«, war die Antwort, »sie haben tiefen Frieden, aber kein Geld; glaubt mir, ehe acht Tage ins Land kommen, sind schon Boten da, die das ganze Heer nach Haus zurückrufen.«
»Und werden sie gehen?« unterbrach ihn der Jüngling, »sie sind auf ihre eigene Faust dem Herzog zu Hülfe gezogen, wer kann ihnen gebieten, seine Fahnen zu verlassen?«
»Das weiß man schon zu machen; glaubt Ihr denn, wenn an die Schweizer der Ruf kommt, bei Verlust ihrer Güter und bei Leib- und Lebensstrafe nach Haus zu eilen14, sie werden bleiben? Ulerich hat zuwenig Geld, um sie zu halten, denn auf Versprechungen dienen sie nicht.«
»Aber ist dies auch ehrlich gehandelt«, bemerkte Georg, »heißt das nicht dem Feinde, der in ehrlicher Fehde mit uns lebt, die Waffen stehlen und ihn dann überfallen?«
»In der Politica, wie wir es nennen«, gab der Ratschreiber zur Antwort, und schien sich dem unerfahrenen Kriegsmann gegenüber kein geringes Ansehen geben zu wollen, »in der Politica wird die Ehrlichkeit höchstens zum Schein angewandt; so werden die Schweizer z.B. dem Herzog erklären, daß sie sich ein Gewissen daraus machen, ihre Leute gegen die freien Städte dienen zu lassen; aber die Wahrheit ist, daß wir dem großen Bären mehr Goldgülden in die Tatze drückten als der Herzog.«
»Nun, und wenn die Schweizer auch abziehen«, sagte Georg, »so hat doch Württemberg noch Leute genug, um keinen Hund über die Alb zu lassen.«
»Auch dafür wird gesorgt«, fuhr der Schreiber in seiner Erläuterung fort, »wir schicken einen Brief an die Stände von Württemberg, und ermahnen sie, das unleidliche Regiment ihres Herzogs zu bedenken, demselben keinen Beistand zu tun, sondern dem Bunde zuzuziehen.«15
»Wie?« rief Georg mit Entsetzen, »das hieße ja den Herzog um sein Land betrügen; wollt Ihr ihn denn zwingen, der Regierung zu entsagen, und sein schönes Württemberg mit dem Rücken anzusehen?«
»Und Ihr habt bisher geglaubt, man wolle nichts weiter als etwa Reutlingen wieder zur Reichsstadt machen? Von was soll denn Hutten seine 42 Gesellen und ihre Diener besolden? Wovon denn Sickingen seine 1000 Reiter und 12000 zu Fuß, wenn er nicht ein hübsches Stückchen Land damit erkämpft? Und meint Ihr, der Herzog von Bayern wolle nicht auch sein Teil? Und wir? Unsere Markung grenzt zunächst an Württemberg –«
»Aber die Fürsten Teutschlands«, unterbrach ihn Georg ungeduldig, »meint Ihr, sie werden es ruhig mit ansehen, daß Ihr ein schönes Land in kleine Fetzen reißet? Der Kaiser, wird er es dulden, daß Ihr einen Herzog aus dem Lande jagt?«
Auch dafür wußte Herr Dieterich Rat. »Es ist kein Zweifel, daß Karl seinem Vater als Kaiser folgt; ihm selbst bieten wir das Land zur Obervormundschaft an, und wenn Österreich seinen Mantel darauf deckt, wer kann dagegen sein? Doch, sehet nicht so düster aus; wenn Euch nach Krieg gelüstet, da kann Rat dazu werden. Der Adel hält noch zum Herzog, und an seinen Schlössern wird sich noch mancher die Zähne einbrechen. Wir verschwatzen übrigens das Mittagsmahl, kommt bald nach, daß wir erfahren was Frau Sabina uns gekocht hat.« Damit verließ der Schreiber des Großen Rates von Ulm, so stolzen Schrittes, als wäre er selbst schon Obervormund von Württemberg, das Zimmer seines Gastes.
Georg sandte ihm nicht die freundlichsten Blicke nach. Zürnend schob er seinen Helm, den er noch vor einer Stunde mit so freudigem Mute zu seinem ersten Kampf geschmückt hatte, in die Ecke; mit Wehmut betrachtete er sein altes Schwert, diesen treuen Stahl, den sein Vater in manchem guten Streite geführt, den er sterbend seinem verwaisten Knaben als einziges Erbe vom Schlachtfeld gesendet hatte. »Ficht ehrlich«, war das Symbolum, das der Waffenschmied in die schöne Klinge gegraben hatte, und er sollte sie für eine Sache führen, die ihre Ungerechtigkeit an der Stirne trug? Wo er der Kriegskunst erfahrener Männer, der Tapferkeit des einzelnen die Entscheidung zutraute, da sollten geheime Ränke, die Politica, wie Herr Dieterich sich ausdrückte entscheiden? Wo ihn der fröhliche Glanz der Waffen, die Aussicht auf Ruhm gelockt hatte, da sollte er nur den habgierigen Planen dieser Menschen dienen? Ein altes Fürstenhaus, dem seine Ahnen gerne gedient hatten, sollte er von diesen Spießbürgern vertreiben sehen? Unerträglich wollte ihm auch der Gedanke scheinen, von diesem Kraft sich belehren lassen zu müssen.
Doch dem Unmut über seinen gutmütigen Wirt, konnte er nicht lange Raum geben, wenn er bedachte, daß ja jene Plane nicht in seinem Kopfe gewachsen seien; und daß Menschen, wie dieser politische Ratschreiber, wenn sie einmal ein Geheimnis, einen großen Gedanken in Erfahrung gebracht haben, ihn hegen und pflegen wie ihren eigenen; daß sie sich mit dem adoptierten Kinde brüsten, als wäre es Minerva und aus ihrem eigenen, harten Kopfe entsprungen.
Mit milderen Gedanken kam er zu seinem Gastfreund, als man ihn zu Tisch rief.
Ja, die ganze Ansicht der Dinge wurde ihm nach einigen Stunden bei weitem erträglicher, als er sich erinnerte, daß ja auch Mariens Vater dieser Partei folge; es war ihm, als möchte die Sache doch nicht so schwarz sein, welcher Männer, wie Frondsberg ihre Dienste geliehen.
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schnell sich handhabt wie des Messers Schneide –
– Gleich heißt ihr alles schändlich oder würdig,
Bös oder gut. –
Dieses wahre Wort des Dichters möge die Gesinnung Georgs bezeichnen, die Gesinnung Georgs, der vielleicht allzuschnell seine Ansicht über jene Dinge änderte. Und wie die düsteren Falten des Unmuts, auf einer jugendlichen Stirne sich schneller glätten, wie selbst schmerzliche Eindrücke in des Jünglings Seele von freundlichen Bildern leicht verdrängt werden, so erhellte auch Georgs Seele der freudige Gedanke an den Abend.
Man hat uns erzählt, daß unter die schönsten Stunden im Leben der Liebe, die gehören, wo die Erwartung sich an schöne Erinnerungen knüpft. Der Geist seie da ahnungsvoller, das Herz gehobener. So mochte auch Georg fühlen. Er träumte von den schönen Augenblicken, wo es ihm vergönnt sein werde, die Geliebte zu sehen, sie zu sprechen, ihre Hand zu fassen und in ihrem Auge zu lesen.
VI
Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
Da flüstert sie leise, sie kann's nicht verschweigen.
L. Uhland
Wenn es möglich gewesen wäre, auf einem Trödelmarke oder in der Auktion eines Antiquars ein »Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, mit neuen Tanztouren vom Jahr 1519« aufzufinden, wir hätten nicht leicht so angenehm überrascht werden können, als durch einen Fund ähnlicher Art, den uns der Zufall in die Hände spielte.
Wir waren nämlich in vorliegender Historie bis an dieses Kapitel gekommen, das um der Sage zu folgen, von einem Abendtanz handeln soll; da fiel uns mit einem Male der Gedanke schwer aufs Herz, daß wir ja nicht einmal wissen, wie und was man in jenen Zeiten getanzt habe.
Wir hätten zwar schlechthin sagen können, »sie tanzten«; aber wie leicht wäre es geschehen gewesen, daß eine unserer freundlichen Leserinnen einen Anachronismus gemacht, und etwa Georg von Frondsberg in ihren Gedanken einen Cotillon hätte vortanzen lassen. In dieser Verlegenheit stießen wir auf das sehr selten gewordene Buch: »Vom Anfang, Ursprung und Herkommen der Turniere im heiligen römischen Reich. Frankfurt 1564.« Wir fanden in diesem teuren Folianten, unter andern trefflichen Holzschnitten einige, die einen solchen Abendtanz vorstellten, wie er zu Zeiten Kaiser Maximilians, etwa ein Jahr vor dieser Historie, gehalten wurde.
Wir dürfen beinahe mit Gewißheit annehmen, daß der Abendtanz im Ulmer Rathaussaal sich in nichts von jenem angeführten unterschied, und man wird sich den deutlichsten Begriff eines solchen Vergnügens machen, wenn wir eines dieser Bilder beschreiben.
Den Vordergrund nehmen Zuschauer und die Pfeifer, Trommler und Trompeter ein, die, nach dem Ausdrucke des Turnierbuches, »eins aufblasen«. Zu beiden Seiten, mehr dem Hintergrunde zu, steht die tanzlustige Jugend, in reiche schwere Stoffe gekleidet.
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