Dort schlief man zusammen, dort aß man, wenn man Brot hatte. Seit einiger Zeit fand der Vater, ein Müller seines Zeichens, nur schwer Arbeit. Und aus diesem tiefen Elend war Bernadette, die älteste, an jenem kalten Donnerstag im Februar fortgegangen, um trockenes Holz zu sammeln, mit ihrer jüngeren Schwester Marie und mit Jeanne, einer kleinen Freundin aus der Nachbarschaft.
Dann ging die schöne Erzählung lange weiter: wie die drei kleinen Mädchen hinunter an das Ufer des Gave geklettert waren, an der andern Seite des Schlosses, wie sie sich schließlich auf der Insel du Chalet befunden hatten, dem Felsen von Massabielle gegenüber, von dem sie nur der enge Kanal der Mühle von Savy trennte. Es war ein wilder Ort, an den der Gemeindehirt die Schweine trieb, die bei plötzlichen Regengüssen Schutz unter jenem Felsen von Massabielle suchten, an dessen Fuße, unter Himbeersträuchern und wilden Rosenstöcken verborgen, sich eine nicht sehr tiefe Grotte befand. Das trockene Holz war selten; Marie und Jeanne durchwateten den Kanal, da sie auf der andern Seite einen ganzen Haufen von trockenen Zweigen bemerkten, die das Wasser dort zusammengetragen hatte. Die zartere Bernadette blieb zurück, da sie es nicht wagte, ihre Füße naß zu machen. Sie hatte einen leichten Ausschlag am Kopfe, und ihre Mutter hatte ihr dringend ans Herz gelegt, sich ja recht sorgfältig in ihr Kopftuch einzuhüllen. Da sie sah, daß ihre Gefährtinnen ihr jede Hilfe verweigerten, entschloß sie sich, ihre Holzschuhe auszuziehen und ihre Strümpfe abzustreifen. Es war gegen zwölf Uhr mittags, die drei Schläge des Angelus mußten bald an der Pfarrkirche ertönen und sich emporschwingen zu dem stillen, weiten Himmelszelt, das von einem feinen Wolkenschleier überzogen war. Da bemächtigte sich ihrer eine heftige Aufregung, es brauste ihr so betäubend in den Ohren, daß sie glaubte, einen Sturm vorüberrasen zu hören. Sie sah die Bäume an und konnte sich vor Verwunderung nicht fassen, denn es regte sich nicht ein einziges Blatt. Dann glaubte sie, sie hätte sich getäuscht, und wollte gerade ihre Holzschuhe aufheben, als von neuem dieses heftige Brausen an ihr vorüber tobte. Aber diesmal traf dieses Sausen nicht ihre Ohren, sondern ihre Augen, Sie sah die Bäume nicht mehr, sie war geblendet von einem weißen Schimmer, von einem grellen Lichte, das sich oberhalb der Grotte an den Felsen zu drücken schien in eine enge und hohe Spalte, die einem Spitzbogen an einer Kathedrale glich. Erschrocken fiel sie auf die Knie nieder. Was war denn das, mein Gott? Nach und nach wurden gewisse Umrisse sichtbar, sie glaubte eine Gestalt zu erkennen, die in dem grellen Lichte ganz weiß aussah. Aus Furcht, es könnte der Teufel sein – ihr Gehirn wurde oft von derartigen Spukgeschichten heimgesucht –, hatte sie sofort angefangen, den Rosenkranz zu beten. Das Licht erlosch dann allmählich, und als sie wieder mit Marie und Jeanne zusammentraf, nachdem sie den Kanal durchwatet hatte, war sie sehr verwundert, daß keine von ihnen, während sie vor der Grotte Holz zusammenlasen, etwas wahrgenommen hatte. Als die drei Mädchen nach Lourdes zurückkamen, erzählten sie davon; Bernadette hätte also wirklich etwas gesehen? Sie wollte keine Antwort geben, sie war unruhig und schämte sich ein wenig. Endlich sagte sie, sie hätte etwas Weißes gesehen.
Seitdem verbreitete sich das Gerücht rasch und wuchs immer weiter. Die Soubirous', die dies erfuhren, wurden der kindlichen Schwätzereien müde und verboten ihrer Tochter, noch einmal an den Felsen von Massabielle zu gehen. Aber schon erzählten sich alle Kinder des Stadtviertels die Geschichte, und so mußten die Eltern denn schließlich nachgeben und Bernadette am Sonntag in die Grotte gehen lassen mit einer Flasche geweihten Wassers, um in Erfahrung zu bringen, ob man es nicht mit dem Teufel zu tun hätte. Sie sah wieder die Helligkeit und die Gestalt, die deutlicher hervortrat und lächelte, ohne Furcht vor dem geweihten Wasser zu haben. Am Donnerstag ging sie in Begleitung von anderen Personen wieder hin. An diesem Tage erst hatte die lichte Glanzerscheinung die Gestalt einer Frau angenommen, die endlich das Wort an sie richtete, indem sie zu ihr sagte: »Tut mir den Gefallen und kommt vierzehn Tage lang hierher.« Allmählich hatte sich so aus der undeutlichen Lichterscheinung eine Frauengestalt entwickelt, aus dem weißen Etwas war eine Jungfrau geworden, schöner als eine Königin, wie man sie nur auf Bildern sieht. Zuerst hatte sich Bernadette den Fragen gegenüber, mit denen die Nachbarschaft vom Morgen bis zum Abend sie überschüttete, sehr zurückhaltend gezeigt, von Zweifeln gepeinigt. Dann hatte es geschienen, als ob unter dem Einfluß dieser Verhöre die Gestalt deutlichere, bestimmtere Formen annähme, als ob sie wirkliches Leben gewänne und Formen und Farben, von denen das Kind bei seinen Beschreibungen nicht mehr abweichen durfte. Die Augen waren blau und sehr sanft, der runde Mund rot und lächelnd, das Oval des Gesichtes zeigte zu gleicher Zeit jugendliche und mütterliche Anmut. Am Rande des Schleiers, der das Haupt bedeckte und bis zu den Knöcheln hinabreichte, sah man kaum das wunderbare blonde Haar. Das schneeweiße, glänzende Gewand mußte von einem auf der Erde unbekannten Stoffe sein, der aus Sonnenstrahlen gewoben schien. Die leicht geschlungene Schärpe von der Farbe des Himmels ließ zwei lange, fliegende Enden herabhängen, mit denen der leise Morgenwind zu spielen schien.
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