Dessen kann ich Sie zu Ihrem Tröste versichern. Eben erst komme ich von solch einem Totenbett; das Zimmer war voll ehrlicher Leidtragender, die alle den letzten Worten des Mannes lauschten, und als ich in jene Augen blickte, die sich jeder mitleidigen Regung gegenüber zu Stahl verhärtet hatten, fand ich sie voll lächelnder Hoffnung.«
»Und halten Sie mich wirklich für ein solches Geschöpf?« fragte Markheim. »Glauben Sie wirklich, ich kennte kein höheres Ziel als zu sündigen, wieder zu sündigen und immerfort zu sündigen, um mich zuletzt durch die Hintertür in den Himmel zu schleichen? Mein Herz bäumt sich bei dem Gedanken. Sind das Ihre Erfahrungen mit der Menschheit oder setzen Sie eine solche Schlechtigkeit in mir voraus, weil meine Hände rot von Blut sind? Und ist dies Verbrechen des Mordes denn wirklich so ruchlos, daß es die Quelle des Guten selbst versiegen läßt?«
»Mord ist für mich keine besondere Kategorie,« versetzte der andere. »Alle Sünden sind Morde, so wie das
ganze Leben ein Krieg ist. Ich sehe Ihresgleichen, gleich hungernden Seeleuten auf einem Floß, die Brotkrusten dem Hunger selbst aus den Händen reißen und einander gegenseitig verschlingen. Ich gehe der Sünde nach bis über den Moment ihrer Entstehung und sehe, daß ihre Folge überall der Tod ist. In meinen Augen trieft das hübsche Mädchen, das am Vorabend eines Balles mit gewinnendem Liebreiz die Mutter hintergeht, nicht weniger von Menschenblut als der eigentliche Mörder. Sagte ich, daß ich der Sünde nachgehe? Ich gehe auch der Tugend nach; sie unterscheiden sich voneinander nicht um Haaresbreite. Beide sind Sicheln in der Hand des Mähers Tod. Das Böse, für das ich lebe, wurzelt nicht im Handeln, sondern im Charakter. Ich liebe den schlechten Menschen, nicht die schlechte Tat, deren Früchte, könnten wir sie nur weit genug in ihrem Sturz hinab den sausenden Katarakt der Zeit verfolgen, vielleicht segensreicher befunden werden als die seltenste Tugendfrucht. Nicht weil Sie einen Händler getötet haben, sondern weil Sie Markheim find, erbiete ich mich, Ihnen zur Flucht zu verhelfen.«
»Ich will Ihnen mein ganzes Herz zeigen,« war Markheims Antwort. »Dieses Verbrechen, über dem Sie mich ertappt haben, ist mein letztes. Auf dem Wege zu ihm habe ich viel gelernt, ja, die Tat selbst ist mir eine denkwürdige Lehre geworden. Bisher bin ich wider meinen Willen zu dem getrieben worden, was mir fern lag; ich war der gehetzte, gepeitschte Sklave der Armut. Es gibt robuste Tugenden, die diesen Versuchungen zu widerstehen vermögen; die meine war nicht so: mich dürstete nach Genuß. Heute aber, aus
dieser Tat, sammle ich sowohl gute Lehren wie Reichtümer, sowohl den erneuten Entschluß wie die Kraft, ich selbst zu sein. Ich werde in allen Dingen Herr meiner Handlungen; ich sehe mich bereits als einen ganz anderen; diese Hände sind Werkzeuge des Guten; Frieden wohnt in diesem Herzen. Etwas aus der Vergangenheit überkommt mich; etwas, von dem mir an Sabbatabenden träumte, wenn die Orgel erklang; Vorahnungen, die ich hatte, wenn ich über großen, reinen Büchern weinen mußte oder als unschuldiges Kind mit meiner Mutter redete. Dort liegt mein Leben; ich bin einige Jahre in der Fremde umhergeirrt, jetzt aber sehe ich den Ort meiner Bestimmung wieder vor mir liegen.«
»Sie wollen dieses Geld, glaube ich, auf der Börse gebrauchen?« bemerkte der Gast; »dort haben Sie aber, soviel ich weiß, schon einige Taufende verloren?«
»Ah,« sagte Markheim, »diesmal ist es aber eine ganz sichere Sache.«
»Auch diesmal«, sagte der Gast sehr ruhig, »werden Sie verlieren.«
»Aber ich setzte doch nur die Hälfte dran,« rief Markheim.
»Sie werden auch die andere Hälfte verlieren,« sagte der andere.
Auf Markheims Stirn brach der Schweiß aus. »Nun, und wenn dem so wäre,« rief er. »Wenn ich es verliere, wenn ich in die Armut zurückstürze, soll ein Teil meines Wesens, und zwar der schlimmere Teil, bis zuletzt das Gute in mir verdrängen? Gut und Böse find stark in mir und reißen mich nach verschiedenen Seiten. Ich liebe nicht nur das eine, ich liebe alles. Ich
kann von großen Taten träumen, von Verzicht und Märtyrertum, und obwohl ich mich zu diesem Verbrechen erniedrigt habe, ist Mitleid mir doch nicht fremd. Ich bemitleide die Armen; wer kennt ihre Nöte besser als ich? Ich bemitleide sie und helfe ihnen; ich schätze die Liebe, liebe ein ehrliches Lachen; es ist nichts Gutes und Wahres unter der Sonne, das ich nicht von ganzem Herzen liebe. Sollten denn meine Laster allein mein Leben bestimmen und meine Tugenden brach liegen wie toter Ballast des Gehirns? Niemals; auch das Gute ist eine Quelle zur Tat.«
Allein der Gast hob warnend den Finger. »Sechsunddreißig Jahre lang haben Sie in dieser Welt gelebt,« sagte er, »durch wechselvolle Schicksale und Launen hindurch habe ich Sie ununterbrochen von Stufe zu Stufe sinken sehen. Fünfzehn Jahre sind es her, daß Sie mit einem Diebstahl begonnen haben. Noch vor drei Jahren hätte das Wort Mord genügt, um Ihnen das Blut aus den Wangen zu treiben.
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