Jedes kleine Wurm hat sie; sie sollen sogar gesund sein, es kommt alles raus, und das is immer die Hauptsache. Natürlich müssen wir aufpassen und auch sorgen, daß er die Runtschen nich zu sehn kriegt, er ist so empfindlich in manchem und hat mir mal gesagt, er graule sich vor der Runtschen.«
»Ach, das hat er bloß so gesagt...«
»Nein, ganz im Ernst, Mutter. Solche, die immer Stücke lesen und ins Theater gehn, die sind so. Und das schwarze Pflaster – es ist auch zum Graulen.«
»Ach Thilde, was unsereiner auch alles erleben muß. Und das nennen sie dann Fügungen, und man soll sich auch noch bedanken.«
»Rede nicht so, Mutter, das bringt Unglück, denke an Hiobben. Und Fügungen. Natürlich sind es Fügungen, und die Leute haben auch ganz recht, wenn sie von Bedanken reden. Wenigstens wir. Denn das kann ich dir sagen, für uns is es eine sehr gute Fügung, und wenn ich mir was hätte denken sollen, auf so was Gutes wie diese Masern wäre ich gar nich gekommen.«
»Meinst du?«
»Freilich mein ich.«
»Aber wie denn, Thilde?«
»Das erzähl ich dir ein andermal, wenn's da ist. Wenn man drüber redt, dann beruft man's.«
»Ach, Thilde, du rechnest immer alles aus, aber du kannst auch falsch rechnen.«
»Kann ich. Aber du sollst sehn, ich rechne richtig.«
Hugo Großmann überstand seine Masern und war im Abschülberungszustand, als der Doktor sagte: »Ja, liebe Frau Möhring, den haben wir nu mal wieder raus. Das heißt aus 'm Gröbsten. An Gesundheit ist noch nich zu denken, und die Vorsicht muß verdoppelt werden; der kleinste Fehler, und es wirft sich auf die Ohren oder, wenn er zu früh Licht kriegt, auf die Augen, und dann is er blind. Andrerseits hätt ich's gern, er könnte hier raus; die nassen Lappen sind gut, aber immer nasse Lappen geht auch nicht. Könnten Sie ihn nicht umbetten, ich meine umlogieren, vielleicht neben[an] in das Entree. Sie müssen dann freilich zuschließen und allen Verkehr mit der Welt abschließen, und wer zu Ihnen will, muß durch die Küche. Krankheit entschuldigt alles. Überlegen Sie's mit Fräulein Mathilde, die ist findig, die wird schon Rat schaffen.«
Und damit ging er.
Mathilde rechtfertigte natürlich das gute Vertraun, das der Doktor zu ihr hatte, und sagte: »Doktor Birnbaum hat ganz recht. Er muß raus. Ich kann die Lappen schon gar nich mehr riechen. Aber das mit dem Entree, das geht nich. Entree. Das sieht so weggesetzt aus, so nich hü und nich hott; er ist doch ein studierter Mann und ein Burgemeisterssohn, und die Masern hat er bei uns gekriegt. Er muß in unsre Stube...«
»Ja, Thilde, das geht doch nich. Wir haben ja doch bloß die eine. Und dann ein Bett und ein fremder Mann drin, es geht doch nich.«
»Es geht alles. Aber das mit dem Bett is gar nich nötig. Das Bett bleibt stehn, wo's steht, und abends bringen wir ihn rüber und packen ihn ein und seine Reisedecke drüber, daß er sich nich bloßwirft.«
»Und bei Tage...«
»Bei Tage is er bei uns drüben. Er wird nichts tun, was uns genieren kann, und ich kann immer rausgehn. Du freilich, du bist eine alte Frau, und er könnte dein Sohn sein, und an dich muß er sich wenden.
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