Der Hasentreffer beschaut also das Haus und erfährt, daß es dem Hasentreffer gehöre. ›Ach! derselbe, der in Tübingen zu meiner Zeit studierte?‹ fragt er dann, reißt das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus, und schreit ›Ha-a-asentreffer – Ha-a-asentreffer.‹

Natürlich antwortet niemand, er aber sagt dann, ›Der Alte würde es mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte‹, nimmt Hut und Stock, schließt sein eigenes Haus auf, und so geht es nach wie vor.

Wir alle«, fuhr der Professor in seiner Erzählung fort, »waren sehr erstaunt über diese sonderbare Erscheinung, und freuten uns königlich auf den morgenden Spaß. Herr Barighi aber nahm uns das Versprechen ab, ihn nicht verraten zu wollen, indem er einen köstlichen Scherz mit dem Oberjustizrat vorhabe.

Früher als gewöhnlich versammelten wir uns an der Wirtstafel und belagerten die Fenster. Eine alte baufällige Chaise wurde von zwei alten Kleppern die Straße herangeschleppt, sie hielt vor dem Wirtshaus; ›Das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer‹, tönte es von aller Mund, und eine ganz besondere Fröhlichkeit bemächtigte sich unser, als wir das Männlein, zierlich gepudert, mit einem stahlgrauen Röcklein angetan, ein mächtiges Meerrohr in der Hand, aussteigen sahen. Ein Schwanz von wenigstens zehn Kellnern schloß sich ihm an; so gelangte er ins Speisezimmer.

Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht, als damals, denn mit der größten Kaltblütigkeit behauptete der Alte, geraden Weges aus Kassel zu kommen, und vor sechs Tagen in Frankfurt im ›Schwanen‹ recht gut logiert zu haben. Schon vor dem Dessert mußte Barighi verschwunden sein, denn als der Oberjustizrat aufstand, und sich auch die übrigen Gäste erwartungsvoll erhoben, war er nirgends mehr zu sehen.

Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgten seinem Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenüber schien öde und unbewohnt; auf der Türschwelle sproßte Gras, die Jalousien waren geschlossen, zwischen einigen schienen sich Vögel eingebaut zu haben.

›Ein hübsches Haus da drüben‹, begann der Alte zu dem Wirt, der immer in der dritten Stellung hinter ihm stand. ›Wem gehört es?‹ ›Dem Oberjustizrat Hasentreffer, Eurer Exzellenz aufzuwarten.‹

›Ei, das ist wohl der nämliche, der mit mir studiert hat?‹ rief er aus; ›der würde mir es nie verzeihen, wenn ich ihm nicht meine Anwesenheit kundtäte.‹ Er riß das Fenster auf, ›Hasentreffer – Hasentreffer‹, schrie er mit heiserer Stimme hinaus – Aber wer beschreibt unseren Schrecken, als gegenüber in dem öden Haus, das wir wohl verschlossen und verriegelt wußten, ein Fensterladen langsam sich öffnete; ein Fenster tat sich auf, und heraus schaute der Oberjustizrat Hasentreffer im zitzenen Schlafrock und der weißen Mütze, unter welcher wenige graue Löckchen hervorquollen; so, gerade so pflegte er sich zu Haus zu tragen. Bis auf das kleinste Fältchen des bleichen Gesichtes, war der gegenüber der nämliche wie der, der bei uns stand. Aber Entsetzen ergriff uns, als der im Schlafrock mit derselben heiseren Stimme über die Straße herüberrief: ›Was will man, wem ruft man? he!‹

›Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer?‹ rief der auf unserer Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem er sich bebend am Fenster hielt.

›Der bin ich‹, kreischte jener, und nickte freundlich grinsend mit dem Kopfe; ›steht etwas zu Befehl?‹

›Ich bin er ja auch‹, rief der auf unserer Seite wehmütig, ›wie ist denn dies möglich?‹

›Sie irren sich, Wertester‹, schrie jener herüber, ›Sie sind der dreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herüber in meine Behausung, daß ich Ihnen den Hals umdrehe; es tut nicht weh.‹

›Kellner, Stock und Hut!‹ rief der Oberjustizrat, matt bis zum Tod, und die Stimme schlich ihm in kläglichen Tönen aus der hohlen Brust herauf. ›In meinem Haus ist der Satan, und will meine Seele; – vergnügten Abend meine Herrn‹; setzte er hinzu, indem er sich mit einem freundlichen Bückling zu uns wandte, und dann den Saal verließ.

›Was war das?‹ fragten wir uns, ›sind wir alle wahnsinnig?‹ –

Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zum Fenster hinaus, während unser gutes altes Närrchen in steifen Schritten über die Straße stieg. An der Haustüre zog er einen großen Schlüsselbund aus der Tasche, riegelte – der im Schlafrock sah ihm ganz gleichgültig zu –, riegelte die schwere, knarrende Haustüre auf, und trat ein.

Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurück, man sah wie er dem unsrigen an die Zimmertüre entgegenging.

Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich von Entsetzen und zitterten: ›Meine Herren‹, sagte jener, ›Gott sei dem armen Hasentreffer gnädig, denn einer von beiden war der Leibhaftige.‹ –

Wir lachten den Wirt aus, und wollten uns selbst bereden, daß es ein Scherz von Barighi sei, aber der Wirt versicherte, es habe niemand in das Haus gehen können, außer mit den überaus künstlichen Schlüsseln des Rats, Barighi sei 10 Minuten, ehe das Gräßliche geschehen, noch an der Tafel gesessen, wie hätte er denn in so kurzer Zeit die täuschende Maske anziehen können, vorausgesetzt, auch er hätte sich das fremde Haus zu öffnen gewußt. Die beiden seien aber einander so greulich ähnlich gewesen, daß er, ein zwanzigjähriger Nachbar, den echten nicht hätte unterscheiden können. ›Aber um Gottes willen, meine Herrn, hören Sie nicht das gräßliche Geschrei da drüben?‹

Wir sprangen ans Fenster, schreckliche trauervolle Stimmen tönten aus dem öden Hause herüber, einigemal war es uns, als sähen wir unsern alten Oberjustizrat, verfolgt von seinem Ebenbild im Schlafrock am Fenster vorbeijagen. Plötzlich aber war alles still.

Wir sahen einander an; der Beherzteste machte den Vorschlag, hinüberzugehen; alle stimmten überein. Man zog über die Straße, die große Hausglocke an des Alten Haus tönte dreimal, aber es wollte sich niemand hören lassen: da fing uns an zu grauen; wir schickten nach der Polizei und dem Schlosser, man brach die Türe auf, der ganze Strom der Neugierigen zog die breite, stille Treppe hinauf, alle Türen waren verschlossen; eine ging endlich auf, in einem prachtvollen Zimmer lag der Oberjustizrat im zerrissenen stahlfarbigen Röcklein, die zierliche Frisur schrecklich verzaust, tot, erwürgt auf dem Sofa.

Von Barighi hat man weder in Stuttgart, noch sonst irgendwo jemals eine Spur gesehen.«

 

Drittes Kapitel

 

Der schauervolle Abend

 

(Fortsetzung)

 

Der Professor hatte seine Erzählung geendet, wir saßen eine gute Weile still und nachdenkend. Das lange Schweigen ward mir endlich peinlich, ich wollte das Gespräch wieder anfachen, aber auf eine andere Bahn bringen, als mir ein Herr von mittleren Jahren in reicher Jagduniform, wenn ich nicht irre, ein Oberforstmeister aus dem Nassauischen, zuvorkam.

»Es ist wohl jedem von uns schon begegnet, daß er unzählige Male für einen andern gehalten wurde, oder auch Fremde für ganz Bekannte anredete, und sonderbar ist es, ich habe diese Bemerkung oft in meinem Leben bestätigt gefunden, daß die Verwechslung weniger bei jenen platten, alltäglichen, nichtssagenden Gesichtern, als bei auffallenden, eigentlich interessanten vorkommt.«

Wir wollten ihm seine Behauptung als ganz unwahrscheinlich verwerfen, aber er berief sich auf die wirklich interessante Erscheinung unseres Natas; »Jeder von uns gesteht«, sagte er, »daß er dem Gedanken Raum gegeben, unsern Freund, nur unter anderer Gestalt, hier oder dort gesehen zu haben, und doch sind seine scharfen Formen, sein gebietender Blick, sein gewinnendes Lächeln ganz dazu gemacht, auf ewig sich ins Gedächtnis zu prägen.«

»Sie mögen so unrecht nicht haben«, entgegnete Flaßhof, ein preußischer Hauptmann, der auf die Strafe des Arrestes hin, schon zwei Tage bei uns gezaudert hatte, nach Koblenz in seine Garnison zurückzukehren, »Sie mögen recht haben; ich erinnere mich einer Stelle aus den launigen Memoiren des italienischen Grafen Gozzi, die ganz für Ihre Behauptung spricht: ›Jedermann‹, sagt er, ›hat den Michele d'Agata gekannt und weiß, daß er einen Fuß kleiner und wenigstens um zwei dicker war, als ich, und auch sonst nicht die geringste Ähnlichkeit in Kleidung und Physiognomie mit mir gehabt hat.

Aber lange Jahre hatte ich alle Tage den Verdruß, von Sängern, Tänzern, Geigern und Lichtputzern als Herr Michele d'Agata angeredet zu sein und lange Klagen über schlechte Bezahlung, Forderungen usw. anhören zu müssen. Selten gingen sie überzeugt von mir weg, daß ich nicht Michele d'Agata sei.

Einst besuchte ich in Verona eine Dame; das Kammermädchen meldet mich an, ›Herr Agata‹. Ich trat hinein und ward als Michele d'Agata begrüßt und unterhalten, ich ging weg und begegnete einem Arzt, den ich wohl kannte; ›Guten Abend, Herr Agata‹, war sein Gruß, indem er vorüberging. Ich glaubte am Ende beinahe selbst, ich sei der Michele d'Agata.‹«

Ich wußte dem guten Hauptmann Dank, daß er uns aus den ängstigenden Phantasien, welche die Erzählung des Professors in uns aufgeregt hatte, erlöste. Das Gespräch floß ruhiger fort, man stritt sich um das Vorrecht ganzer Nationen, einen interessanten Gesichterschnitt zu haben, über den Einfluß des Geistes auf die Gesichtszüge überhaupt und auf das Auge insbesondere, man kam endlich auf Lavater und Konsorten; Materien, die ich hundertmal besprochen, mochte ich nicht mehr wiederkäuen, ich zog mich in ein Fenster zurück. Bald folgte mir der Professor dahin nach, um gleich mir die Gesichter der Streitenden zu betrachten.

»Welch ein leichtsinniges Volk«, seufzte er, »ich habe sie jetzt soeben gewarnt und die Hölle ihnen recht heiß gemacht, ja sie wagten in keine Ecke mehr zu sehen, aus Furcht, der Leibhaftige möchte daraus hervorgucken, und jetzt lachen sie wieder und machen tolle Streiche, als ob der Versucher nicht immer umherschliche?«

Ich mußte lachen über die Amtsmiene, die sich der Professor gab; »Noch nie habe ich das schöne Talent eines Vesperpredigers an Ihnen bemerkt«, sagte ich, »aber Sie setzen mich in Erstaunen durch Ihre kühnen Angriffe auf die böse Welt und auf den Argen selbst. Bilden Sie sich denn wirklich ein, dieser harmlose Natas...«

»Harmlos nennen Sie ihn?« unterbrach mich der Professor, heftig meine Brust anfassend, »harmlos? Haben Sie denn nicht bemerkt«, flüsterte er leiser, »daß alles bei diesem feinen.... Herrn berechneter Plan ist. Oh, ich kenne meine Leute!«

»Sie setzen mich in Erstaunen, wie meinen Sie denn?«

»Haben Sie nicht bemerkt«, fuhr er eifrig fort, »daß der gebildete Herr Oberforstmeister dort mit Leib und Seele sein ist, weil er ihm fünf Nächte hindurch alles Geld abjagte, und den Ausgebeutelten gestern nacht fünfzehnhundert Dukaten gewinnen ließ? Er nennt den abgefeimten Spieler einen Mann von den nobelsten Sentiments und schwört auf Ehre, er müsse über die Hälfte wieder an den Fremden verlieren, sonst habe er keine Ruhe. – Haben Sie ferner nicht bemerkt, wie er den Ökonomierat gekörnt hat?«

»Ich habe wohl gesehen«, antwortete ich, »daß der Ökonomierat, sonst so moros und misanthrop, jetzt ein wenig aufgewacht ist, aber ich habe es dem allgemeinen Einfluß der Gesellschaft zugeschrieben.«

»Behüte. Er läuft schon seit zwanzig Jahren in den Gesellschaften umher und wacht doch nicht auf; auf dem Weg ist er ein Bruder Lüderlich zu werden; der Esel reist krank im Lande umher, behauptet einen großen Wurm im Leib zu haben und macht allen Leuten das Leben sauer mit seinen exorbitanten Behauptungen, und jetzt? jetzt hat ihn dieser Wundermann erwischt, gibt ihm ein Pülverlein, und rät ihm, nicht wie ein anderer vernünftiger Arzt, Diät und Mäßigkeit, sondern er soll seine Jugend, wie er die fünfzig Jahre des alten Wurms nennt, genießen, viel Wein trinken etc., und das et cetera und den Wein benützt er seit vier Tagen ärger als der verlorne Sohn.«

»Und darüber können Sie sich ärgern, Herr Professor? der Mann ist sich und dem Leben wiedergeschenkt –«

»Nicht davon spreche ich«, entgegnete der Eifrige, »der alte Sünder könnte meinetwegen heute noch abfahren; sondern daß er sich dem nächsten besten Charlatan anvertraut und sich also ruinieren muß, ich habe ihn vor acht Jahren in der Kur gehabt, und es besserte sich schon zusehends.«

Der Eifer des guten Professors war mir nun einigermaßen erklärlich, der liebe Brotneid schaute nicht undeutlich heraus. –

»Und unsere Damen?« fuhr er fort, »die sind nun rein toll. Mich dauert nur der arme Trübenau, ich kenne ihn zwar nicht, aber übermorgen soll er hier ankommen, und wie findet er die gnädige Frau? Hat man je gehört, daß eine junge gebildete Frau in den ersten Jahren einer glücklichen Ehe sich in ein solches Verhältnis mit einem ganz fremden Menschen einläßt, und zwar innerhalb fünf Tagen!« –

»Wie, die schöne, bleiche Frau dort?« rief ich aus.

»Die nämliche bleiche«, antwortete er, »vor vier Tagen war sie noch schön rot, wie eine Zentifolie, da begegnet ihr der Interessante auf der Straße, fragt, wohin sie gehe, hört kaum, daß sie rouge fin kaufen wolle (denn solche Toilettengeheimnisse auszuplaudern, heißt bon ton), so bittet und fleht er, sie solle doch kein Rot auflegen, sie habe ein so interessantes je-ne-sais-quoi, das zu einem blassen Teint viel besser stehe.