Indessen war der weise Sokrates selbst, nach dem unverwerflichen Zeugnisse, welches ihm der schöne Alcibiades in ziemlich großer Gesellschaft darüber ertheilte, nicht reiner von diesem seinem Liebling, als ich von dem jungen Gabrias; wiewohl ich dich versichern kann, daß der berüchtigte Günstling Hadrians44 ihm den Vorzug der Schönheit kaum hätte streitig machen können. Wäre ich gesinnt gewesen wie zehntausend andere, so hätte alles den gewöhnlichen Gang genommen, und dein Unbekannter zu Elea würde wahrscheinlicherweise eine Verleumdung weniger gegen mich vorzubringen gehabt haben. Ich bezahlte also meine Tugend mit dreitausend Drachmen und einer Verwundung meiner Ehre, wovon ich die Narbe bis an meinen Tod behielt.

 

Lucian.

 

Deine Tugend, und – deinen Mangel an Klugheit, bitte ich hinzuzusetzen. Wer, ohne sich den Gesetzen dieser letztern, welche die große Tugend des gesellschaftlichen Lebens ist, zu unterwerfen, in seinem Betragen gegen andere bloß von seinem Herzen und von einer idealischen Vorstellungsart geleitet wird, läuft immer Gefahr ähnliche Erfahrungen zu machen.

 

Peregrin.

 

Diese Klugheit war freilich nie meine Tugend. Durch sie allein würde mein ganzes Leben eine andere Gestalt gewonnen haben, alle Abenteuer, woraus es zusammengeflochten ist, würden unterblieben, und Peregrin –

 

Lucian.

 

– würde, mit Einem Worte, nicht Peregrin gewesen seyn – welches, nach dem ewigen Beschluß der großen Pepromene45, oder, wenn du lieber willst, vermöge der Natur der Dinge, eben so wenig möglich war, als daß Lucian unschuldiger Weise hätte in den Fall kommen können, aus dem Fenster des alten Rathsherrn Menekrates zu springen, oder einem Athenischen Sackträger dreitausend Drachmen dafür zu bezahlen, daß er seinem Jungen einen Kuß auf die Stirne gegeben hätte.

 

Zweiter Abschnitt.

 

Peregrin.

 

Ich sollte nun in meiner Apologie, wenn ich es so nennen kann, auf den Tod meines Vaters und meine Gemeinschaft mit den Christianern kommen. Aber es verflossen einige Jahre zwischen diesen Begebenheiten und meinem Aufenthalt zu Athen. Willst du daß ich diese überspringen soll? oder hast du Geduld genug die Erzählung etlicher Geschichten anzuhören, die diese Zwischenzeit ausfüllten, und in der That zu besserer Uebersicht des Ganzen meines Lebens nicht gleichgültig sind, wiewohl dein Unbekannter nichts davon wußte?

 

Lucian.

 

Du bist mir, ohne dir eine Schmeichelei sagen zu wollen, aus dem was du mir bereits vertraut hast, interessant genug geworden, daß mir kein Umstand gleichgültig seyn kann, der deinen Charakter stärker oder von einer neuen Seite beleuchtet, und mir begreiflicher machen hilft, was ich in deinem Leben zweideutig, räthselhaft und übel zusammenhängend fand.

 

Peregrin.

 

So mache dich immer auf eine sehr seltsame Geschichte gefaßt! Aber ehe ich dahin komme, wird es nöthig seyn noch ein paar Worte von der innern Verfassung zu sagen, worin ich mich befand, als ich den Entschluß nahm nach Asien überzugehen.

Seitdem mich der Dämon der Liebe, den die Wahrsagerin Diotima dem Sokrates offenbarte, auf die Entdeckung gebracht hatte, daß ich selbst ein eingekörperter Dämon dieser Art sey, schien mir nichts natürlicher, als das Verlangen, mich selbst und die Wesen meiner Gattung sowohl, als die höhern, mit denen meine Natur verwandt war, besser kennen zu lernen. Diese Kenntniß war die einzige die ich meiner würdig hielt, da sie mich geraden Weges zur Eudämonie führte, jener erhabenen Geisterwonne, die mir nichts Irdisches weder geben noch rauben konnte, und nach welcher zu streben mein angebornes Vorrecht war. Und was konnte diese Eudämonie anders seyn, als das Leben eines Dämons zu leben, mit Dämonen und Göttern umzugehen, und von einer Stufe des Schönen zur andern bis zum Anschauen und Genuß jener höchsten Urschönheit46, jener himmlischen Venus zu gelangen, welche die Quelle und der Inbegriff alles Schönen und Vollkommnen ist?

Die große Frage blieb indessen immer: wie, auf welchem Wege, und durch was für Mittel dieß geschehen könne? und, wofern es mehrere Wege gäbe, welches der nächste und kürzeste wäre? Da es mir nun ausgemacht schien, daß unter den Alten Pythagoras und unter den Neuern Apollonius zu dieser hohen Eudämonie, und vielleicht zur höchsten Stufe derselben, gekommen seyen: so war meine erste Sorge, mich mit diesen so bekannt zu machen, als es durch eignes Forschen in allem was sie hinterlassen, und durch vertrauten Umgang mit Personen, die in den Mysterien ihrer Weisheit wirklich eingeweiht wären, geschehen könnte. Die Hoffnung, Einen wenigstens von dieser Classe zu Athen zu finden, war mir fehl geschlagen: die wenigen Pythagoräer, die ich dort sah und hörte, schienen Leute zu seyn, die sich an den äußerlichen Formen ihres Ordens und an Ansprüchen begnügten, welche sie zu realisiren weder wußten noch begehrten. Ich sah mich also genöthigt die einsame Lebensart zu erwählen, die den Zerstreuung liebenden Athenern so lächerlich vorkam, und mich auf mein eigenes Forschen, und auf die Reinigungen und Uebungen der Seele einzuschränken, welche die natürliche Vorbereitung zu den höhern Stufen waren, die ich so sehnlich zu ersteigen wünschte.

 

Lucian.

 

Und fandest du denn, guter Peregrin, in ganz Athen keine ehrliche Glycerion, die dir die Wohlthat erweisen konnte, dich von allem diesem Unsinn auf einmal und von Grund aus zu entledigen? Denn, so viel ich merken kann, fehlte dir doch nichts als diese Cur.

 

Peregrin.

 

Um einen Arzt zu suchen oder zuzulassen, Lucian, muß man sich für krank halten, und davon war ich himmelweit entfernt. Auf dem Wege der Enthaltung, den ich ging, begegnet man keiner Glycerion, und wäre es geschehen, ich würde sie wie eine Empuse47 geflohen haben.

 

Lucian.

 

Sage mir nur noch dieß Einzige: da du doch deine ganze Existenz an eine Eudämonie setztest, die dich mit Dämonen und Göttern in Gemeinschaft bringen sollte, stieg dir nie ein Zweifel über das Daseyn dieser wunderbaren Wesen auf? Fragtest du dich nie selbst: woher weiß ich daß es Dämonen und Götter gibt?

 

Peregrin.

 

Nie in meinem ganzen Leben! so wenig als es mir je einfiel mich zu fragen, ob es eine Sonne in der Welt gebe?

 

Lucian.

 

Aber daß die Sonne da sey, sahest du –

 

Peregrin.

 

Mit dem körperlichen Auge, aber nicht gewisser, als den Gott der Sonne mit dem geistigen.

 

Lucian (den Kopf ein wenig schüttelnd).

 

Also weiter, Freund Peregrin!

 

Peregrin.

 

Es scheint, lieber Lucian, man müsse aus eigener Erfahrung wissen, was es ist, seine Seele mit lauter Idealen von Schönheit und Vollkommenheit angefüllt zu haben; welche innere Ruhe, welche Freiheit und Größe es gibt, auf alle Gegenstände der Wünsche und Leidenschaften der Menschen mit Verachtung herabzusehen, – im Getümmel aller dieser nach der Erde hin gebückten Geschöpfe seine eigene höhere Natur zu fühlen – und, während sie einen nie gesättigten Hunger mit thierischen oder wesenlosen Befriedigungen zu stillen suchen, sich am reinen Ambrosia der Götter, an Schönheit, Harmonie und Vollkommenheit zu weiden – kurz, mitten in der Hülle der groben Sinnenwelt, in einer lichtvollen und gränzenlosen Welt von Geistern und Ideen zu leben: man muß, sage ich, vermuthlich aus Erfahrung wissen was für eine Existenz dieß ist, oder du würdest mich in diesem Zustande nicht so bedauernswürdig finden, als du zu thun scheinst. Aber solltest du nicht wenigstens dieß erfahren haben: daß es Träume gibt, die uns glücklicher machen, als wir wachend je gewesen sind, und deren wir uns, selbst nach dem Erwachen, noch immer mit Vergnügen erinnern?

 

Lucian.

 

Träume? – Allerdings! – Aber wie ging es dir denn auf der Fahrt nach Smyrna? Ihr hattet doch günstigen Wind und gutes Wetter?

 

Peregrin (lächelnd).

 

Sehr gutes. Wir kamen glücklich zu Smyrna an, und mein Genius wollte mir so wohl, daß ich gleich in den ersten Tagen die Bekanntschaft eines eisgrauen alten Mannes, Namens Menippus, machte, der keiner von den Unangesehensten in der Stadt war, und in seiner Jugend mit dem Weisen, den ich genauer zu kennen so begierig war, mit dem großen Apollonius, vielen Umgang gepflogen hatte.

 

Lucian.

 

Wie? doch nicht des Menippus, von dem uns der aberwitzige Damis in seine Reisen des Apollonius das abgeschmackteste aller Ammenmährchen erzählt, die Geschichte von der Empuse oder Lamie, die, um diesen Menippus in sich verliebt zu machen, die Gestalt einer schönen Frau aus Phönicien angenommen, ein prächtiges Haus gemacht, und die Sache zwischen ihr und ihrem verblendeten Liebhaber bis zur Hochzeit getrieben habe; da denn der theure Wundermann Apollonius ganz unerwartet zum Hochzeitschmause gekommen, das ganze Zaubergastmahl sammt allem Gold- und Silbergeschirr und allen Bedienten verschwinden gemacht, und die arme in Thränen zerfließende Braut genöthigt habe, zitternd und zähnklappend zu gestehen, daß sie eines von den Gespenstern sey, womit die Ammen den unartigen Kindern zu drohen pflegen, und daß sie den holden Menippus bloß darum an sich gezogen, um ihn erst recht fett zu machen und dann lebendig aufzuessen, indem sie und die übrigen Lamien, ihre Schwestern, gar große Liebhaberinnen von jungen wohl genährten Mannspersonen seyen, weil sie so reines Blut hätten? War's etwa der?

 

Peregrin.

 

Eben der, Lucian, wiewohl er die Geschichte mit der Lamie, wie du leicht erachten kannst, etwas anders erzählte. Das angebliche Gespenst war weder mehr noch weniger als eine ausländische Hetäre, die schon seit mehrern Jahren zu Korinth unter dem Namen einer Phönizischen Dame junge Leute an sich gezogen, und auf die eine oder andere, oder auch auf beiderlei Art zugleich, so gut ausgezogen hatte, als es eine leibhafte Empuse nur immer hätte thun können. Menippus, der sich damals zu Korinth aufhielt und ein wohlgemachter athletenmäßiger junger Mensch war, hatte sich ebenfalls in den Netzen dieser schönen Menschenfresserin gefangen; und Apollonius, der ihn wenige Wochen zuvor in voller Blüthe und Jugendkraft gesehen hatte, brauchte weder ein Prophet noch ein Halbgott zu seyn, um ihm die Verheerung, welche die Phönicierin an den Rosen seiner Wangen angerichtet hatte, auf den ersten Blick anzusehen. Er brachte den jungen Menschen, der ihm sehr ergeben war, ohne Mühe zum Geständniß, und Menippus mußte ihm versprechen, einem so gefährlichen Umgang zu entsagen. Aber die Phönicierin hatte keine Lust, sich einen Liebhaber rauben zu lassen, von dessen Wichtigkeit niemand besser urtheilen konnte als sie. Sie hatte wirklich eine heftige Leidenschaft für ihn gefaßt, und da sie schon ziemlich weit über ihre Rosenzeit hinaus war, und bereits einen großen Theil ihrer Reizungen von der Kunst borgen mußte, beschloß sie, weil ihr kein anderes Mittel übrig blieb, den Menippus durch den Antrag ihrer Hand und der Reichthümer, die sie auf Unkosten ihrer Liebhaber erworben hatte, an sich zu fesseln. Dieser ließ sich in einem Augenblick von Schwäche überwältigen. Die Phönicierin veranstaltete eine prächtige Hochzeit, und legte bei dieser Gelegenheit alles ihr Silber und alle ihre goldnen und mit Edelsteinen besetzten Becher und Trinkschalen aus, um ihren Geliebten durch die Größe seines Glücks zu desto lebhafterer Dankbarkeit aufzufordern. Alles ging so gut wie sie es nur wünschen konnte: als auf einmal der von allem unterrichtete Apollonius erschien, und der Hochzeitfreude ein Ende machte. Das, wodurch dieser außerordentliche Mann den größten Theil seiner Wunder wirkte (sagte Menippus) war die majestätische Länge und Schönheit seiner Gestalt, und die Magie seiner Beredsamkeit, die durch sein Ansehen und den Ton seiner Stimme eine hinreißende Gewalt bekam – kurz, ein Aeußerliches, wodurch er Königen und dem Kaiser Domitian selbst eine Art von Ehrfurcht zu gebieten gewußt hatte. Was Wunder, daß eine so mancher Schuld sich bewußte Dirne, wie diese, von der unerwarteten Gegenwart und der donnernden Anrede eines solchen Mannes , der sie eine Lamie schalt und seinen Freund aus ihren Klauen, wie er sagte, zu retten gekommen war, zu Boden geworfen wurde? Das Gastmahl, das Gold und Silber und die Bedienten verschwanden freilich, aber auf ihren eigenen Wink. Die bestürzte Phönicierin fiel dem Apollonius zu Füßen: allein, was hätten ihre Bitten und Thränen über diesen Mann vermögen sollen? Er führte die angefangene Vergleichung ihres Charakters und ihrer bisherigen Lebensart mit dem, was von den Lamien oder Empusen gefabelt wird, ohne alle Schonung und mit Worten von solchem Nachdruck aus, daß das arme Weib beinahe selbst zweifelte ob sie nicht wirklich eine Lamie sey – und endigte damit, daß er den erschrocknen und beschämten Menipp, mit der Autorität, die er sich über seine jungen Freunde zu geben wußte, beim Arm ergriff und mit sich davon führte, indem er zugleich der verblüfften Lamie befahl, unverzüglich aus Korinth zu verschwinden, und sehr nachdrückliche Drohungen hinzu fügte, wofern sie sich unterstände jemals wieder einem seiner Freunde nachzustellen.

 

Lucian.

 

So habe ich mir diese Geschichte immer gedacht, und es ist bei diesem, wie bei allen andern Mährchen des Babyloniers Damis, ziemlich leicht, das Natürliche und Wahre von dem Wunderbaren, wodurch er es, dem Genie seines Landes gemäß, aufzustutzen sucht, zu unterscheiden.

 

Peregrin.

 

Der alte Menippus erzählte mir eine Menge dergleichen Anekdoten, worauf der Schildknapp Damis und andere seines gleichen ihren Glauben gründeten, daß Apollonius wenigstens ein Halbgott, wo nicht gar ein ganzer Mensch gewordner Gott gewesen sey; welche aber, seiner Meinung nach, weiter nichts bewiesen, als daß er ein Mann von ungewöhnlich großem Genie und Charakter war – und damit sehr viel bewiesen. Es ist natürlich, sagte er, daß derjenige von gemeinen Menschen für mehr als ein Mensch gehalten wird, der das Größte was ein Mensch seyn kann, und also so weit über sie erhaben ist, daß ihnen schwindelt wenn sie an ihm hinauf sehen. Wir stritten uns öfters über diesen Punkt; denn ich konnte dem angenehmen Wahne, den Apollonius für eines der glänzendsten Beispiele eines vermenschten Dämons zu halten, ohne eine allgemeine Umkehrung meiner ganzen Vorstellungsart unmöglich entsagen; und Menippus, entweder weil er diese Bemerkung gemacht hatte, oder weil er nicht stark an seinen Meinungen hing, begnügte sich bei unsern Disputen über diese Dinge gemeiniglich, sich mit einem ungläubigen Vielleicht in die Sokratische Unwissenheit zurückzuziehen.

Ich fragte ihn einst, wie es käme, daß ein Weiser von so außerordentlicher Art, wie Apollonius, keine Schüler, die seiner würdig wären, hinterlassen, und daß dieser zweite, oder vielleicht zum zweitenmal in die Welt gekommene Pythagoras auf die Pythagoräer unsrer Zeit so wenig gewirkt habe? Menippus schien dieß für eine Bestätigung und natürliche Folge seiner Meinung von der Person des Apollonius anzusehen. Ein ungewöhnlich großer Mann, sagte er, hat eben deßwegen wohl dumpfe Anstauner, abergläubische Verehrer, kindische Nachahmer und mechanische Widerhaller seiner Worte, aber keine Söhne und Erben seines Geistes, seiner Naturgaben und seines Charakters. Indessen, wenn man einer Sage, die seit einiger Zeit sich verbreitet, glauben dürfte, so befände sich in der Gegend von Halikarnassus eine Art von Prophetin oder Magierin, die eine Ausnahme hiervon machte. Man spricht sehr verschieden von dem was sie seyn soll.