Die Gelegenheit ist eine gefährliche Versucherin, und ich glaube aus Erfahrung zu wissen, was in solchen Fällen möglich oder unmöglich ist.

 

Peregrin.

 

Die Schlüsse, die man aus seinen eignen Erfahrungen auf das, was andere in ähnlichen Fällen gethan haben oder thun werden, macht, sind schon trüglich; wie sehr müssen es erst die seyn, die man von dem was meistens geschieht, auf das was möglich ist, macht! Indessen zweifle ich keinen Augenblick, lieber Lucian, daß ich mit einer Art von Gewißheit sagen könnte, wie du dich an meiner Stelle aus der Sache gezogen hättest: aber daß du dieß mit eben so vieler Gewißheit von mir sagen könntest, daran zweifle ich, mit deiner Erlaubniß.

 

Lucian.

 

Du hast Recht, Peregrin! Ich war immer nur ein gewöhnlicher Mensch, und von einem gewöhnlichen Menschen läßt sich freilich nicht auf einen Dämon schließen. Und doch sollte mich's nicht befremden, wenn auch einem Dämon (zumal einem dessen Natur Lieben ist) in dem Körper eines blühenden Jünglings von achtzehn Jahren, der sich mit einer schönen, zärtlichen und betrübten jungen Base von neunzehn in der Stille der Nacht in einem Gartencabinet eingeschlossen findet, unvermerkt eben so zu Muthe würde, als wenn er ein Mensch wie andere wäre.

 

Peregrin.

 

Auch in meinen Augen würde es kein großes Wunder seyn. Höre also was sich zutrug. Unsre Zusammenkunft ging durch die schlaue Veranstaltung der getreuen Sklavin glücklich von Statten. Die erste Ueberraschung war auf beiden Seiten nicht gering, da ich Kallippen zum erstenmal in der vollen Reife der Schönheit und Jugend, und sie den Knaben von vierzehn, den sie vor vier Jahren zum letztenmale gesehen hatte, in einen hochaufgeschoss'nen Jüngling verwandelt sah, an dessen Blüthe noch kein Wurm genagt hatte, und dem ein sonderbares Gemisch von Sanftheit und Feuer, von Heiterkeit und Ernst, das Ansehen eines weit reifern Alters gab, ohne dem, was die Jugend Empfehlendes hat, nachtheilig zu seyn. Die einzige Lampe, die das Cabinet beleuchtete, trug wohl auch das Ihrige bei, daß unser mit so geheimnißvollen Umständen verbundenes Wiedersehen mehr das Schauerliche einer unverhofften Erscheinung, als das Freudige einer veranstalteten Zusammenkunft hatte. Indessen faßten wir uns bald wieder, und Kallippe fing die Unterredung mit Entschuldigung und Rechtfertigung des sonderbaren Schrittes, wozu sie sich gezwungen sähe, an. Natürlich führte dieß zu einer umständlichen Ausführung der großen Beschwerden, die sie über ihren Tyrannen zu führen hatte; wobei die schöne Klägerin weder Redefiguren noch Thränen sparte, um das Mitleiden des jungen Menschen zu gewinnen, den sie zum Richter ihrer Leiden machen wollte. Sie schien alle Fragen, die ich an sie thun könnte, vorausgesehen zu haben, mit so vieler Leichtigkeit antwortete sie auf alles; und sie beschloß endlich mit verschiedenen geheimen Aufträgen, theils an meinen abwesenden Vater, theils gewisse Familienumstände, die eine Beziehung auf ihre eigenen hatten, betreffend, welche eine zweite und dritte Zusammenkunft vorbereiteten und ganz ungezwungen herbeibrachten.

Hätte ich damals schon die Menschenkenntniß haben können, die uns eine Erfahrung von dreißig oder vierzig Jahren verschafft, so könnte mir vielleicht das Betragen der schönen Kallippe einigen Argwohn gegeben haben; und wäre ich gesinnt gewesen, wie beinahe jeder andere in meinem damaligen Alter, so würde ich mich an allen Grazien zu versündigen geglaubt haben, wenn ich eine so gute Gelegenheit aus den Händen hätte schlüpfen lassen. Aber bei mir war weder das eine noch das andere möglich. Wie sichtbar auch die Schlingen waren, die meiner unerfahrnen Unschuld gelegt wurden, ich sah sie nicht, weil ich nicht mehr Begriff von Schlingen hatte als eine neu ausgebrüteter Vogel; und vor Nachstellungen von mir hätte die schöne Kallippe nicht sicherer seyn können, wenn sie eine Priesterin der Diana oder meine leibliche Schwester gewesen wäre. Jede Frau oder Jungfrau war in meinen Augen ein heiliges Gefäß im Tempel der Natur, desto heiliger und unverletzlicher, je schöner sie war. Wie sehr mußte es mir also die Gemahlin des Menekrates seyn, die durch Anverwandtschaft, Schönheit und Unglück ein dreifaches Recht an meine Theilnehmung, meine Ehrfurcht und meine Dienste hatte!

 

Lucian.

 

Wunderbarer Mensch!

 

Peregrin.

 

Ich sehe, mit deiner Erlaubniß, hier nichts Wunderbares; vielmehr wär' es ein Wunder gewesen, wenn ich anders gedacht hätte. Meine Erziehung hatte meinen Leib und meine Seele vor aller Verderbniß, zumal vor allzu früher Erweckung und willkürlicher Reizung des Instincts, verwahrt. Meine Einbildung war so rein wie meine Sinne; und die Liebe des höchsten Schönen, die in dieser Epoche meines Lebens die Seele aller meiner Gedanken und Neigungen war, gab dem Eindruck, welchen schöne Gestalten auf mich machten, eine vom Gewöhnlichen, was andere Erdensöhne erfahren, so verschiedene Tinctur, daß auch die Wirkung desselben nothwendig sehr verschieden seyn mußte. Uebrigens bitte ich dich nicht zu vergessen, daß ich mir kein Verdienst daraus zu machen begehre, sondern die Sache bloß erzähle wie sie war. Als ich mich von Kallippen entfernte, folgte mir zwar ihr Bild, aber ohne mir eine andere Unruhe zu verursachen, als die Sorge, ihre Aufträge so gut mir möglich war auszurichten.

 

Lucian.

 

Alles Feuer in deiner Natur mußte sich damals in die höchste Region deiner Einbildungskraft hinauf gezogen haben.

 

Peregrin.

 

Doch nicht so ganz; denn ich läugne nicht, Kallippe wurde, mit jedem Male daß ich sie sah, schöner und liebenswürdiger in meinen Augen: aber ich setzte noch immer nicht den geringsten Argwohn weder in mich selbst noch in sie, und fand nichts natürlicher, als daß mein Wohlgefallen und meine Theilnahme an ihr immer lebhafter wurde, je liebenswürdiger sie mir erschien. War die Liebe zum Schönen meiner dämonischen Natur nicht eben so eigenthümlich als meiner Brust das Athemholen? Daß auch Kallippe immer wärmer, und immer sinnreicher wurde neue Ursachen und Wege zu neuen geheimen Zusammenkünften auszudenken, bemerkte ich zwar, hielt es aber für eine so natürliche Folge der rechtmäßigen Zuneigung zu einem nahen Anverwandten, den sie von Kindheit an wie einen Bruder anzusehen gewohnt war, daß es mir gar nicht als etwas Mögliches einfiel, wie die Tadelsucht selbst etwas daran zu tadeln finden könnte. Und war es ihr, in einer so verlass'nen Lage als die ihrige, am Ende zu verdenken, wenn sie schwer daran ging sich des einzigen Trostes wieder zu berauben, der ihr einige Erleichterung ihres traurigen Zustandes verschaffte. – »Deine Gegenwart, deine Reden sind Nepenthe40 für mich, sagte sie mir einsmals beim Abschied, mit einer Stimme die wie Musengesang in meiner Seele widertönte. – Ich vergesse in diesen stillen Augenblicken der Freundschaft daß ich unglücklich bin: könntest du schon müde seyn, mir zuweilen eine Stunde zu schenken, die du nur dem Schlaf entziehest?« – Ich hätte mich für einen Barbaren gehalten, Lucian, wenn ich dessen fähig gewesen wäre.

 

Lucian.

 

Ich wahrlich auch! Aber gestehe, daß du um diese Zeit den unsichtbaren Pfeil schon in der Leber stecken hattest!

 

Peregrin.

 

Ich glaub' es selbst, Lucian; aber damals wußte, ahndete ich sogar nichts davon: und was mich nothwendig sicher machen mußte, war, daß ich die Nacht, da wir uns wieder sehen sollten, immer mit eben so vieler Ruhe erwartete, als ich sie mit Vergnügen kommen sah.

Indessen darf ich einen neuen Umstand nicht unerwähnt lassen, der einige Veränderung in der Beschaffenheit unsrer Zusammenkünfte machen konnte. Weil Menekrates eine ziemliche Zeit lang nicht aus der Stadt kam, so wurde das Gartencabinet für unsern fernern Gebrauch zu gefährlich befunden. Nach langem Ueberlegen was zu thun sey, sagte endlich die Sklavin mit der Miene einer Person, die auf einmal das Wahre gefunden hat: ich weiß im ganzen Hause keinen Ort, wo wir so völlig vor jedem Ueberfalle sicher sind, als das Schlafzimmer meiner Gebieterin. – Da hast du Recht, versetzte Kallippe lächelnd; ich weiß nicht, warum es mir nicht sogleich in den Sinn kam! – Aber – sagte ich etwas betroffen, Menekrates? – O, der ist in Jahr und Tag mit keinem Fuße über die Schwelle gekommen, und – hat seine Ursachen dazu, sagte die Sklavin. Ich schwieg, und es blieb fürs nächstemal bei Kallippens Schlafzimmer.

 

Lucian.

 

Ein schöner und bequemer Ort, ohne Zweifel; aber, beim Jupiter! der schlüpfrigste, den dein Platonischer Dämon zwischen Himmel und Erde finden konnte!

 

Peregrin.

 

Du wirst mich auch gar zu unschuldig nennen, Lucian, – genug, mir fiel das nicht ein. Wäre Kallippe bei dem Vorschlage roth geworden, hätte sie einige Bedenklichkeit geäußert, so möchte vielleicht auch in mir ein Zweifel über die Schicklichkeit der Sache rege geworden seyn: aber daß sie so unbefangen, so schnell und so ruhig ihren Beifall gab, ließ mich in meiner natürlichen Sicherheit. Ich liebte zwar Kallippen, aber mit einer so jungfräulichen Unwissenheit, daß ihr Schlafzimmer für mich nichts mehr war als jeder andere Ort. Und in der That hätte sie im innersten Heiligthum der Vesta nicht sichrer vor geheimen Absichten und Anschlägen auf ihre Unschuld von meiner Seite seyn können als in ihrem Schlafzimmer.

 

Lucian.

 

Was für ein schlauer kleiner Bube euer Dämon Amor ist, Peregrin! Wie er die guten arglosen Seelen durch seine kindisch unschuldige Miene zu locken weiß! Und doch wette ich, das Schlafzimmer war die Ursache alles Unheils.

 

Peregrin.

 

Höre nur. Beinahe hätte ich noch einen kleinen Umstand vergessen, der auch nicht ganz unwichtig war, wiewohl ich damals nicht auf ihn achtete. Die junge Sklavin war immer bei unsern Zusammenkünften gegenwärtig; anfangs ohne sich einen Augenblick ganz zu entfernen; bei der zweiten und dritten ging sie ab und zu; in der Folge blieb sie bald kürzer bald länger aus, oft eine halbe Stunde, auch noch länger: aber alles so ungezwungen und absichtlos, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr wurde.

 

Lucian.

 

Die Spitzbübin!

 

Peregrin.

 

Es vergingen mehrere Tage, ehe ich wieder den gewöhnlichen Wink von ihr erhielt.

 

Lucian.

 

Auch das vielleicht nicht ohne Absicht – Aber du merktest immer nichts?

 

Peregrin.

 

Gewiß nicht, außer daß mir die Zeit doch länger vorkam als ich ungefähr gerechnet hatte.